Читать книгу Der Mann, der sich selbst überholte - Kurt-Achim Köweker - Страница 5

Abenteuer mit beschränkter Haftung

Оглавление

Hans-Peter Krell mit Ehefrau Karin und Knut Reimer mit seiner Elke hatten alle die Siebzig überschritten und sich endlich für kreuzfahrtreif erklärt: Zwar locke das Abenteuer noch, aber es solle in einer Kombination von Sicherheit und Bequemlichkeit erlebt werden. Nun standen sie in Dubai am Fuße des höchsten Gebäudes der Welt und starrten nach oben, wo die silberne Spitze des Burj Khalifa und der stahlblaue Himmel zusammenzuwachsen schienen. „Gut, das haben wir jetzt gesehen“, seufzte Hans-Peter, „ist schon toll!“ - „Und heiß“, ergänzte Knut, „einen kühlen Drink hätten wir uns jetzt verdient“. Sie waren mit einer Taxe vom Hafen in die alte Stadt gefahren, hatten einen Bummel durch den Gold-und Gewürz-Souk hinter sich und nach dem vergeblichen Versuch, die moderne City zu Fuß zu erreichen, wieder ein Taxi gebraucht. „Den Sun-Downer nehmen wir aber auf unserem Schiff“, nickte Knut, „da sind alle Getränke inklusive.“ - „Zuerst stürzen wir uns aus der Wärme in die gut gekühlte Dubai-Mall!“ Die Frauen zog es mit Macht in die feudale Einkaufsmeile der Stadt. Außerdem sei noch viel Zeit, bis das Schiff ablege!

Die Herren drohten mit Streik, die Damen blieben unerbittlich: „Ihr könnt ja schon vorausfahren.“ - „Ohne euch?“ - „Das wird euch beiden schwer fallen, aber es könnte gelingen.“ Zielstrebig steuerten die Frauen das Einkaufsparadies an.

„Jetzt freu' ich mich auf meinen Campari“ gähnte Hans-Peter und ließ sich ins Taxi fallen. - „Du sagst es“, gähnte auch Knut. Auf dem Schiff angekommen, genossen sie in der Überschau-Bar ihren Sun-Downer nebst Sonnenuntergang, pilgerten auf dem Weg in ihre Kabinen für einen Wodka noch in die Unverzicht-Bar und zogen sich schließlich zu einem kurzen Erholungsschläfchen zurück, um hernach mit den Ehefrauen das gemeinsame Diner zu genießen.

Elke und Karin konnten sich nicht satt sehen. Sie beobachteten Haie und gewaltige Rochen im mehrstöckigen Aquarium, wanderten an Wasserfällen und exklusiven Geschäften vorbei, sahen Männer in arabischer Tracht auf dem riesigen Eislaufplatz ihre Pirouetten drehen, streckten müde in einem russischen Teehaus die Beine aus und meinten, sie müssten jetzt unbedingt auch noch auf die Aussichtsplattform des Burj Khalifa fahren, um den Sonnenuntergang aus fast fünfhundert Meter Höhe zu erleben. Sie kauften sich Billetts, warteten eine gute halbe Stunde in der Vielvölkerschlange vor Kasse und Aufzug und standen dann sprachlos vor dem Panorama, das sich ihnen oben bot: Die Sonne war schon hinter dem Horizont versunken, der Himmel changierte in Rot- und Gelbtönen, es war eine unbeschreibliche Pracht. Unter ihnen hatte Dubai seine Lichter entzündet, eine schier endlose Kette von breiten illuminierten Straßen und Hochhäusern. Die beiden Frauen standen Arm in Arm. Die Zeit verrann. „Eigentlich müssten wir von hier oben unser Schiff sehen können“, sagte Elke. - „Sieh mal die Wasserspiele zu unseren Füßen!“, schwärmte Karin. Es schien, als wollten die Fontänen zu ihnen herauf tanzen. „Und das haben nun Knut und Hans-Peter verpasst; die werden sich ganz schön ärgern, wenn wir ihnen das erzählen!“ Die beiden waren selig.

„Karin?“ Hans Peter fuhr benommen aus dem Schlaf auf. „Wo bist du?“ - Keine Antwort. Er schien allein in der schummrigen Kabine zu sein. „Karin?“ Wieso lag sie nicht an seiner Seite? Sie wollten doch gleich zusammen mit den Reimers essen gehen. „Bist du im Bad?“ Er starrte durch das Fenster, an dem sich die Großstadtlichter langsam vorüber schoben. Großer Gott, sie waren auf See, er musste das Ablegen völlig verschlafen haben. Er sprang aus dem Bett, schaltete Licht an, sah auf die Uhr: zehn nach neun! Wahrscheinlich saßen Karin, Elke und Knut schon lange beim Essen. Er zog sich an, stürmte aus der Kabine, nahm den Fahrstuhl hinunter auf Deck 6, rannte ins Restaurant Altlantik. Am Eingang stand ein ratlos aussehender Knut. „Entschuldige, ich habe unsere Verabredung völlig verschlafen. Wo sind Elke und Karin?“ - „Nicht da.“ - „Wieso nicht da?“ - „Nicht da!“ - „Das gibt’s doch gar nicht!“

Doch, das gab es.

Als Karin und Elke bemerkt hatte, dass das Schiff mit ihren Ehemännern an Bord in zwanzig Minuten in See stechen würde, stürzten sie zum Fahrstuhl, vor dem sich eine lange Warteschlange staute. „Wir müssen hinunter, unser Schiff legt gleich ab!“ - „Das sagt jeder, der sich nach vorne mogeln will.“ Es dauerte eine Viertelstunde, bis sie unten angelangt waren. Und nun ein Taxi, schnell! „Wo Taxi?!“ Am Ende der Mall, wurde ihnen bedeutet, und dann zwei Etagen nach unten, dort befinde sich die Taxi-Sammelstation. Sie hasteten los. Unten wieder eine Schlange. „We are eilig!“, bettelten die beiden und versuchten, sich vorzudrängen. „Everybody is eilig“, schmunzelte ein Herr vor ihnen und stellte sich als Herr Müller vor, „aber meine Frau und ich können Sie in unserem Taxi mitnehmen. Wohin soll's denn hingehen?“ - „Zu unserem Kreuzfahrtschiff, wir hoffen, dass es wartet!“

Ob er ihnen behilflich sein könne, fragte ein Kellner die beiden unschlüssigen Herren am Restauranteingang. Sie suchten nur ihre Frauen, erklärte Hans-Peter. „Rufen Sie sie doch einfach an“, schlug er vor und ging. „So einfach ist das, siehst du“, sagte Knut.

So einfach war es nicht. „Ich habe Elkes Telefon“, sagte Knut. Karins Handy müsse wohl in der Kabine liegen, schimpfte Hans-Peter und rüttelte an der verschlossenen Tür, denn er hatte in der Eile seines Aufbruchs die Bordkarte in der Kabine vergessen und ohne die ging nichts auf dem Schiff. Also zur Rezeption, die Gesichte erzählen und außerdem fragen, ob es möglich sei, dass das Schiff ohne seine Frau und die seines Freundes abgelegt haben könne. Sie werde das überprüfen, lächelte die Uniformierte hinter dem Tresen. Hans-Peter fühlte, wie ihm allmählich die Beine schwach wurden; er wusste nicht, ob die nachmittäglichen Drinks oder der mögliche Verlust seiner Gattin der Grund dafür waren. - Karin Krell und Elke Reimer hätten nicht wieder eingecheckt, sagte die Managerin und blickte von ihrem Computer auf. - „Wir müssen umkehren! Ich bestehe darauf!“ Hans-Peter war außer sich. - „Das geht leider nicht.“ - „Dann will ich sofort den Kapitän sprechen!“ - „Morgen ab 9.00 Uhr wieder. Ich schicke Ihnen jetzt jemanden, der Ihnen die Kabinentür öffnet.“ Hans-Peter scheiterte mir weiteren Beschwerden. Er ließ sich die Tür öffnen, fand Bordkarte und Telefon. „Und wo rufen wir jetzt an?“ - „Ach Gott“, stöhnte Knut.

Sie stiegen auf das nächtliche Sonnendeck, lehnten sich an einen Stehtisch und starrten über das dunkle Meer. „Die sind doch verloren ohne uns,“ seufzte Hans-Peter und kam sich selber sehr verloren vor. „Wir wollten immer ein Abenteuer erleben – nun haben wir's!“ Auch Knuts Stimme klang nicht zuversichtlich. - „Na, so nachdenklich?“ fragte eine Dame und schob ihren Cocktail zu ihnen auf den Tisch. - “Wir haben unsere Frauen in Dubai zurückgelassen“, sagte Knut. - „Wie schön! Und wie viele Kamele haben Sie dafür bekommen?“, lachte sie und hob ihr Glas.

„Prosit“, sagten Herr und Frau Müller und stießen mit Karin und Elke an. Die beiden Freundinnen hatten Glück im Unglück: Müllers machten seit einer Woche Urlaub in Dubai. In dem Hotel, in dem sie wohnten, bezogen Karin und Elke ein Doppelzimmer. Außer ihren Bord- und Kreditkarten hatten wie weder Papiere noch Gepäck bei sich. Nun saßen sie mit Müllers auf der Hotelterrasse, der erste Schrecken war verflogen. Übermorgen würden sie im nahegelegenen Abu Dhabi ihr Schiff problemlos wieder erreichen können. Nur ihre Ehemänner blieben bis dahin im telefonischen Niemandsland. „Die werden sich Sorgen machen“, sagte Elke. - „Sie hätten ja mitkommen können“, entgegnete Karin.

Am nächsten Tag lag das Schiff vor Khasab, einem felsigen omanischen Schmugglernest in der Straße von Hormus. „Hier können ihre Gattinnen ohne Pass gar nicht einreisen“, sprach der Kapitän, den Hans-Peter und Knut in aller Frühe aufgesucht hatten. Aber morgen in Abu Dhabi sei das kein Problem – und außerdem liege der dortige Ankerplatz nur anderthalb Autostunden von Dubai entfernt. Er werde im deutschen Generalkonsulat anrufen und dafür sogen, dass die Damen zum Schiff gebracht würden. - „Entwarnung“, sagte Knut, „dann können wir ja unseren geplanten Landausflug wahrnehmen.“ Als das Schiff am Abend Richtung Abu Dhabi ausgelaufen war, melde sich der Erste Offizier bei den Strohwitwern: Man habe beim deutschen Generalkonsulat angerufen, aber dort hätten sich die Damen bis jetzt leider nicht gemeldet. „Und jetzt?“, fragte Hans-Peter. „Scheiße!“, stöhnte Knut.

Herr und Frau Müller hatte ein Auto gemietet, um nach Abu Dhabi zu fahren, wo sie die Große Moschee besichtigen wollten, und Karin und Elke angeboten, mitzufahren. Die Autobahn führte durch die Wüste. Unterwegs schlug Herr Müller einen kleinen Abstecher in die sandige Wildnis vor, ein solches Abenteuer dürfe man sich nicht entgehen lassen.

Gleich nach dem Frühstück hatten sich Knut und Hans-Peter vor dem Eingang zum Hafengelände von Abu Dhabi postiert. „Wenn sie kommen, müssen sie hier vorbei.“ Die Stunden verrannen. „Mir knurrt der Magen“, knurrte Knut, „wollen wir uns den ganzen Tag von Wasser ernähren? - „Ja“, sagte Hans-Peter, „bis sie kommen.“

Herr Müller hatte sich im Sand festgefahren. Alle Versuche, den Wagen wieder flott zu machen, scheiterten. „Du mit deinen Alleingängen!“, stöhnte Frau Müller, als die Vier unter glühender Sonne in Richtung Straße wankten. „Und wir haben kein Wasser dabei!“

Es wurde Nachmittag. Hans-Peter und Knut hatten von Abu Dhabi nichts außer dem tristen Hafengelände gesehen. Sie waren verzweifelt. Ein Taxi hielt, Karin und Elke stiegen aus; sie sahen mitgenommen aus. - „Durst!“, sagten sie und fielen ihren Männern in die Arme, „den Rest erzählen wir später. Und ihr?“ - „Hunger!“ Hans-Peter atmete erleichtert auf: „Wir haben nun genug von Abenteuern!“ - „Jetzt wissen wir endlich, was 'All inclusive' bedeutet,“ grinste Knut.

Der Mann, der sich selbst überholte

Подняться наверх