Читать книгу Gott - der Vater Jesu Christi: der Gott der Vollendung - Kurt Anglet - Страница 9

1. Offenbarung Jesu Christi als Offenbarung des Vaters

Оглавление

Dass der Horizont des Menschen und seiner Geschichte im Christusgeschehen transzendiert wird, gilt nicht allein für das Leben Jesu, Gegenstand zahlloser historisch-kritischer Forschungen, obschon sich deren theologische Defizite in der Philologie der neutestamentlichen Texte abzeichnen. Um mit dem Letzten zu beginnen, ist bereits der geläufige Titel Johannesoffenbarung irreführend: »Offenbarung Jesu Christi« – lauten die ersten drei Worte, die programmatisch das zusammenfassen, »was bald geschehen muss«. Also könnte man schließen, dass es sich hierbei um eine Selbstoffenbarung Jesu Christi handelte, wie ein geflügeltes Wort in der zeitgenössischen Theologie lautet, gar um eine »Selbstmitteilung« des erhöhten Kyrios. Doch schon der anschließende Relativsatz belehrt eines Besseren, dass von irgendwelchen Selbstmitteilungen oder Selbstoffenbarungen, die aus der Schatulle des neuzeitlichen Subjekts mit den ihm eigenen Selbstmystifikationen stammen mögen, gar nicht die Rede sein kann. Ausdrücklich heißt es weiter: »Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gegeben hat«. Gott ist daher der Ursprung der Offenbarung, Jesus Christus ihr Empfänger. Dass Gott ihr Ursprung ist, ist nicht neu. Schon im alttestamentlichen Buch Daniel (2,28) heißt es: »Aber es gibt im Himmel einen Gott, der Geheimnisse offenbart; er ließ den König Nebukadnezar wissen, was am Ende der Tage geschehen wird.« Und zwar durch einen Traum des Königs, der erst der Deutung durch den Propheten Daniel bedarf, um die Zeit seiner Herrschaft und deren Zukunft bis hin zum »Ende der Tage« zu begreifen. Auf sie blickt der Prophet aus der Vergangenheit, also aus dem Horizont der Geschichte, weshalb ihm Nebukadnezar huldigt. »Und der König sagte zu Daniel: Euer Gott ist der Gott der Götter und der Herr der Könige, und er kann Geheimnisse offenbaren; nur deshalb konntest du dieses Geheimnis enthüllen« (Dan 2,47). Obgleich der König dem Propheten huldigt, erkennt er in Gott den Ursprung der Offenbarung, während Daniel lediglich die Auslegung seiner Geheimnisse obliegt, gewissermaßen des aus rein menschlicher Sicht völlig Unbegreiflichen der Geschichte bzw. ihrer Bewegung (vgl. den rollenden Stein, der das Standbild zerschmettert) auf das Ende hin.

Man könnte nun Christus analog zu Daniel in der Prophetenrolle mit Blick auf das Geschehen der Endzeit wähnen, zumal aus heutiger Sicht, mehr noch aus der des historistischen Zeitbewusstseins des neunzehnten Jahrhunderts, wonach das Ende auf sich warten lässt, so dass kaum jemand daran so recht glauben mag. Doch eine rein historische Einschätzung verkennt, dass Christus »der Herrscher über die Könige« (vgl. Offb 1,5) ist; »er ist der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten«, wie es zuvor heißt, und weiter: »Er liebt uns und hat uns von unseren Sünden erlöst durch sein Blut;« und im folgenden Vers (6): »Er hat uns zu Königen gemacht und zu Priestern vor Gott, seinem Vater. Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen.« Wie die Benediktion zeigt, ist Christus der messianische Herrscher und Erlöser, der nicht allein über alle Mächte und Herrscher dieser Weltzeit erhoben ist, sondern durch das Werk seiner Erlösung auch uns in den Stand von Königen und Priestern zu erheben vermag. Deshalb ist er kein bloßer Prophet, der den Traum eines profanen Herrschers im Lichte dessen, »was am Ende der Tage geschehen wird«, also einer fernen Zukunft auslegt. Vielmehr ist er als Erlöser »auch Mittler zwischen Gott und den Menschen« (vgl. 1 Tim 2,5), der nun nicht ein Geheimnis bzw. »Geheimnisse« [Plural!] Gottes offenbart, sondern das Geheimnis unserer Vollendung. Allein aus diesem Grunde können sich die Empfänger der Offenbarung, »die Gott ihm gegeben hat«, nicht wie ein König Nebukadnezar zurücklehnen und beruhigt auf ein fernes Geschehen, das sie selbst nicht mehr betreffen wird, vorausschauen. Vielmehr hat mit dem Anbruch seiner messianischen Herrschaft, mit dem Anbruch des neuen Äons, die Zukunft bereits begonnen; ist gewissermaßen der kleine Stein, der nach der prophetischen Auslegung Daniels alle Weltreiche zerschmettern wird, längst ins Rollen gekommen. Daher ist das Geschehen, von dem die »Offenbarung Jesu Christi« zeugt, von höchster Aktualität, und zwar unabhängig von seiner Dauer, die sich nicht nach historischen Maßstäben bemessen lässt. Und wie Christus auf Erden als Erlöser, als der »Mittler eines neuen Bundes« (Hebr 12,24) zwischen Gott und den Menschen in Erscheinung tritt, der seinen prophetischen Vorläufer in Johannes dem Täufer fand, so ist er nun Mittler der Offenbarung, »die Gott ihm gegeben hat, damit er seinen Knechten zeigt, was bald geschehen muss; und er hat es durch seinen Engel, den er sandte, seinem Knecht Johannes gezeigt« (Offb 1,1).

Johannes bildet nun das letzte Glied der »Kette« dieser Offenbarung, die von Gott dem Vater ihren Ausgang nimmt. Zu ihrem Empfang ist schließlich keineswegs ein Mensch – und wäre es ein Prophet! – bestimmt. Nach Kap. 5 hat gesiegt »der Löwe von Juda«; ihm, dem messianischen Herrscher, dem geschlachteten Lamm ist es vorbehalten, das versiegelte Buch zu öffnen. Ja, Johannes steht es nicht einmal zu, dessen Geheimnisse zu entschlüsseln, sondern in Gestalt von Visionen zu schauen – zu schauen, »was bald geschehen muss«. Die visionäre Schau ist eine andere als die Schau, von der der Evangelist Johannes mit Blick auf den fleischgewordenen Logos spricht: »Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit« (Joh 1,14). Es handelt sich um die apostolische Sichtweise; die Schau, wie sie der Apostel zu Beginn des Ersten Johannesbriefes bezeugt: »Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände ›begriffen‹ haben, das verkünden wir: das Wort des Lebens. Denn das Leben wurde offenbart; wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das ewige Leben, das beim Vater war und uns offenbart wurde« (1 Joh 1,1–2). Denn dass es sich hierbei um ein apostolisches Zeugnis handelt, geht aus den beiden folgenden Versen hervor, wo es heißt: »Was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns [!] habt.« Es heißt nicht, wie zu erwarten wäre: mit Christus und/oder mit Gott, sondern ausdrücklich »mit uns«. Denn wir hätten überhaupt keinerlei communio mit Christus und mit seinem Vater, wenn sie uns nicht durch die apostolische Verkündigung vermittelt wäre. Weshalb Johannes recht selbstbewusst fortfährt: »Wir aber haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus. Wir schreiben euch dies, damit unsere [und nicht etwa »eure«!] Freude vollkommen ist« (1 Joh 1,3–4). Und wie der Evangelist am Schluss des Johannesevangeliums zu erkennen gibt: »Dieser Jünger ist es, der all das bezeugt hat; und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist« (Joh 21,24) [Die Einheitsübersetzung spricht von einer »Schlussbemerkung der Herausgeber des Evangeliums« – welcher Herausgeber?; eine seriöse historische Philologie sollte diese beim Namen nennen oder schweigen, statt sich irgendein Gremium auszudenken, von dem nirgends die Rede ist …], so gibt der »Knecht Johannes« zu Beginn der »Offenbarung Jesu Christi« zu erkennen: »Dieser hat das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi bezeugt: alles, was er geschaut hat. Selig, wer diese prophetischen Worte vorliest und wer sie hört und wer sich an das hält, was geschrieben ist; denn die Zeit ist nahe« (Offb 1,2–3). Zeuge sein kann aber nur, wer Zeuge der leiblichen Gegenwart des Logos war; mehr noch: seines Todes und seiner Auferstehung; alles andere sind gnostische bzw. historisierende Konstruktionen.

Es ist hier nicht der Ort, näher auf den apostolischen Ursprung von Johannesevangelium und Apokalypse einzugehen. So hat der Neutestamentler Adolf Schlatter bereits vor dem Ersten Weltkrieg mit Nachdruck auf die Semitismen des johanneischen Griechisch hingewiesen, sofern man dem keine Aufmerksamkeit schenkte; zudem deutet allein die stark assoziierende und veranschaulichende Sprache eher auf einen Fischer, also auf einen Mann aus dem Volke, als auf einen Gelehrten, wie ihn etwa der Apostel Paulus verkörpert. – Hier ist die Schau jedoch anderer Natur als im Evangelium des Johannes, sofern sich dessen Zeugnis auf den fleischgewordenen Logos sowie auf den Auferstandenen bezieht, also buchstäblich auf dem menschgewordenen Wort beruht, durch dessen Inkarnation das gesprochene Wort seine Bestätigung erfährt. Die gleichsam physische Unmittelbarkeit erscheint hier, in der Apokalypse, jedoch gebrochen, selbst wenn Johannes nicht – wie in Kap. 10 das kleine Buch – aus der Hand eines Engels empfängt, sondern das Geheimnis der sieben Sendschreiben von dem Menschensohn entgegennimmt, dessen Gestalt an entsprechende Erscheinungen in den alttestamentlichen Büchern Daniel (Kap. 7; 10) und Ezechiel (Kap. 9) mahnt. Nicht Gott ist es, der zu Johannes spricht, sondern der verklärte Menschensohn, der mit dem gekreuzigten Gottessohn identisch ist: »Als ich ihn sah, fiel ich wie tot vor seinen Füßen nieder. Er aber legte seine rechte Hand auf mich und sagte: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, doch nun lebe ich in alle Ewigkeit, und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt« (Offb 1,17–18). Anders aber als in den Erscheinungen des Auferstandenen, dessen Wundmale noch auf die vorausgehende Passion deuten, findet das Leiden und Sterben des erhöhten Menschensohns in der Symbolik seiner Gestalt seinen sichtbaren Ausdruck (vgl. Offb 5,6: »ein Lamm … wie geschlachtet«). Wie die Ikonographie der modernen Kunst, wie die Bilderwelt eines Paul Klee nach dessen eigenem Diktum nicht das Sichtbare wiedergeben, sondern das Unsichtbare sichtbar machen will, so auch hier. Nur dass es nicht von Künstlerhand geschaffen ist, sondern ein lebendiges Zeugnis dessen ist, was ihm auf Erden widerfuhr bzw. zur Bestimmung seiner messianischen Sendung auf Erden gehörte, die sich nun im Licht himmlischer Verklärung präsentiert: »Das Lamm trat heran und empfing das Buch aus der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß« (Offb 5,7).

So ist Offenbarung Jesu Christi eine Offenbarung, »die Gott ihm gegeben hat«, ja die er aus seiner »rechten Hand« empfangen hat, weil ihm als dem Logos, dem Wort, durch das alles geworden ist (vgl. Joh 1,3); weil ihm als dem Messias, der als »das Licht der Welt« das Werk der Erlösung vollbracht hat, nun auch die Einsichtnahme in die Vollendung der Zeiten, des neuen Äons, obliegt. Treffend hat der Hebräerbrief – mit einem Schriftzitat aus Ps 110,1 – den Zusammenhang zwischen dem Werk der Erlösung und der Vollendung zum Ausdruck gebracht: »Dieser aber hat nur ein einziges Opfer für die Sünden dargebracht und sich dann für immer zur Rechten Gottes gesetzt; seitdem wartet er, bis seine Feinde ihm als Schemel unter die Füße gelegt werden« (Hebr 10,13). Nichts anderes bedeutet die Offenbarung Gottes an Jesus Christus – nicht um sie für sich zu verwahren: das wäre keine »Offenbarung«, sondern allenfalls die diskrete Mitteilung eines Geheimnisses. Offenbarung aber ist ein Offenbarmachen, eine Veröffentlichung, eine öffentliche Proklamation, weshalb sich Johannes in seiner brieflichen Einleitung an die sieben Gemeinden in der Provinz Asien, stellvertretend für die Kirche Gottes, wendet: »Gnade sei mit euch und Friede von Ihm, der ist und der war und der kommt, und von den sieben Geistern vor seinem Thron und von Jesus Christus (…)« (Offb 1,4–5). Obschon – wie noch zu zeigen sein wird – Christus der Richtende ist, ist Gott der Offenbarende; und gleich Christus (vgl. Offb 1,8) ist Gott der Kommende, der in seinem Kommen die Herrlichkeit des kommenden Christus offenbart. Dessen Offenbarung aber vollzieht sich in Bildern, genauer: in Vorausbildern, in Visionen seiner Macht und Herrlichkeit, die alle Schrecken der Endzeit überstrahlen – als »Offenbarung Jesu Christi«. Es überrascht daher nicht, wenn sie eine größere Aufmerksamkeit als in der Theologie in der Malerei, mehr noch in der modernen Musik fand, so bei Messiaen, Ustwolskaja und Gubaidulina – in »Tonbildern«, die über alles Gehörte hinaus Unerhörtes wie Ungehörtes zum Klingen bringen.

Gott - der Vater Jesu Christi: der Gott der Vollendung

Подняться наверх