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Enuma Elisch

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Das babylonische Schöpfungslied ist nur in Fragmenten erhalten, die zwischen dem 9. und 2. vorchristlichen Jahrhundert datiert werden. Allerdings dürfte der Mythos selbst nahezu viertausend Jahre alt sein. Der Text beginnt mit folgenden Versen:

Als droben die Himmel nicht genannt waren,

Als unten die Erde keinen Namen hatte,

Als selbst Apsu, der uranfängliche, der Erzeuger der Götter,

Mummu, Tiâmat, die sie alle gebar,

Ihre Wasser in eins vermischten.

Als das abgestorbene Schilf sich noch nicht angehäuft hatte,

Rohrdickicht nicht zu sehen war,

Als noch kein Gott erschienen,

Mit Namen nicht benannt,

Geschick ihm nicht bestimmt war,

Da wurden die Götter aus dem Schoß von Apsu und Tiâmat geboren.

In diesem Bericht wird der primordiale Urzustand angedeutet, bei dem die „Wasser in eins“ vermischt waren, als Himmel und Erde noch nicht benannt (d.h. noch nicht voneinander getrennt) waren, als weder die Götter noch die Menschen in ihrer Eigenständigkeit existierten. Dann aber wurden die Götter ins Dasein gerufen und beginnen alsbald, sich ungehörig zu betragen:

Doch ihr Treiben war [Apsu] peinlich,

Ihr Wandel missfiel ihm, denn sie waren erwachsen.

Da begann Apsu, der Vater der großen Götter,

Mummu, seinen Boten [Sohn?], zu rufen und sagte zu ihm:

„Mummu, mein Bote, der du mein Herz erfreust.

Komm, zu Tiâmat wollen wir gehen!“

Sie gehen also zu Tiâmat, der Mutter, deren Name an das hebräische tehom (für die Tiefe des Meeres) erinnert, und eröffnen ihr den Plan, dem unbotmäßigen Treiben der Götter ein Ende zu bereiten und sie zu vernichten. Tiâmat ist nicht einverstanden und ergreift für ihre Götterkinder Partei. Doch Apsu lässt sich von Mummu dazu bewegen, die Götterkinder umzubringen. Denen jedoch wird der feindselige Plan zur Kenntnis gebracht. Sie sind bestürzt und bleiben stumm. Nur Ea, der klügste und weiseste unter den Götterkindern, ersinnt einen Plan, betäubt Apsu, erschlägt ihn und sperrt Mummu ein. Es ist der Vatermord.

Nach vollbrachter Tat zeugt Ea mit seiner Gemahlin Damika Marduk, den mächtigsten und weisesten von allen, der nun in höchsten Tönen gelobt und in Superlativen beschrieben wird. Der vielversprechende Marduk wird aufgefordert, nun auch die Urmutter zu töten, weil weder Ea noch sonst jemand dies gewagt hätte. Tiâmat, die „Abgrund-Mutter“, erfährt davon und bereitet sich auf diesen Kampf vor, indem sie allerlei Ungeheuer und Schlangen erschafft, die sie schützen sollen. Der Mythos schildert Tiâmat als noch viel gefährlicher denn Apsu, doch Marduk, der Held, scheut sich nicht, den Kampf gegen die Urmutter aufzunehmen:

[Sie] stürzten sich aufeinander und begegneten sich im Kampf.

Es breitete der Herr sein Netz aus, fing sie darin,

Er ließ vor ihr los den schlimmen Wind,

den er aufbewahrt hatte,

Als Tiâmat das Maul auftat, um ihn zu verschlingen,

Warf er den Sturm hinein,

Damit sie ihre Lippen nicht wieder schließen könne.

Die grimmigen Winde füllten ihren Leib.

Ihr Leib blähte sich auf, und ihr Maul blieb offen.

Er schoss einen Pfeil ab, zerriss ihr den Bauch,

Ihr Inneres zerriss er und durchbohrte ihr Herz.

Als er sie bezwungen hatte, tilgte er ihr Leben aus,

Ihren Leichnam warf er zu Boden und stellte sich darauf…

Mit seinem schonungslosen Dolch

Spaltete er ihren Schädel,

Durchschnitt ihre Adern,

Und der Nordwind entführte das Blut in die Ferne.

Norbert Bischof weist darauf hin, dass sich in diesem Abschnitt die Symbolik des Spaltens und Zerreißens häuft, was einerseits auf die typische mythologische Trennung und damit auf das Erwachen der Individualität des frühkindlichen Menschen hindeutet, andererseits aber auch auf die Trennung von der symbiotischen Geborgenheit der Mutter, die er vernichtet, weil er nicht in ihrer ursprünglichen ozeanischen Obhut verbleiben kann.

Marduk, so wird berichtet, schneidet das getötete Ungeheuer (Tiâmat) wie einen getrockneten Fisch entzwei. Mit der einen Hälfte schafft er das Himmelsgewölbe, an das er die Gestirne, Wolken und Wasser setzt. Mit der anderen Hälfte schafft er die unterirdischen Wasser, damit auch Euphrat und Tigris fließen können. Danach beschließt er, „ein großes Werk zu schaffen“:

Ein Gewebe von Blut will ich machen, Gebein will ich bilden,

Um ein Wesen entstehen zu lassen: Mensch sei sein Name.

Erschaffen will ich ein Wesen, den Menschen.

Ihm auferlegt sei der Dienst der Götter zu ihrer Erleichterung.

Das, was hier die Götter an Rebellion und Tod veranstalten, sind in Wirklichkeit, so Bischof, Reflexionen der frühkindlichen Erfahrung aus der Zeit, da der Mensch sich seine Welt in dem Moment selbst erschafft, da er sich seiner Getrenntheit von ihr bewusst wird. Indem der Mensch entsteht, entsteht die Welt.

Und sie dreht sich doch!

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