Читать книгу Perry Rhodan 839: Das große Feuerwerk - Kurt Mahr - Страница 5
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Der Mann, von dem Homer G. Adams sprach, hatte sich inzwischen von der Menge gelöst und war in der Ruine eines früheren Bürogebäudes verschwunden. Der Lärm verebbte hinter ihm, während er sich durch schuttbedeckte Korridore bis in den Hintergrund des Gebäudes vorarbeitete.
Er brauchte Ruhe. Unter einem offenen Fenster, durch das der kalte Wind strich, hockte er sich auf einen kleinen Berg aus herabgefallenem Putz und Mauerwerk. Er stützte das Kinn in die Hände und starrte vor sich hin.
Ich, Trevor Casalle, dachte er. Und wer war der andere gewesen?
Gleichgültig, gab er sich selbst die Antwort. Casalle hatte ihn verdrängt. Er war ein friedlicher Charakter gewesen, einer von den Emotio-Narren. Er hatte sich dagegen gesträubt, mit einem Bewusstsein, das den Regeln der reinen Vernunft gehorchte, in ein und denselben Körper gesperrt zu sein. Aber er verstand es nicht zu kämpfen. Trevor Casalle hatte nur zu warten brauchen, bis seine Wachsamkeit nachließ. Dann hatte er zugeschlagen – mit aller Härte, deren er fähig war. Das war das Ende des Narren gewesen.
Gut, dachte Casalle, ich bin also jetzt kein Konzept mehr. Ich habe mein Bewusstsein und meinen Körper.
Immerhin verdankte er es seinem Konzeptstatus, dass er auf dieselbe Weise wie rund drei Milliarden anderer Konzepte auf die Erde gelangt war. Er hatte die Stadt sofort erkannt, obwohl sie halb in Trümmern lag.
Und was jetzt?, fragte er sich.
Es konnte für Trevor Casalle nur eine Aufgabe geben: das Regiment der reinen Vernunft wiederherzustellen.
Casalle wusste, dass es kein anderes Bewusstsein mehr gab, dem das Licht der Vernunft leuchtete. Nur er allein hatte als Aphiliker überlebt.
Ich werde nirgendwo Unterstützung finden, sagte Casalle zu sich selbst.
Dann musste er sich eben allein an die Arbeit machen. Er kannte den Plan, der der Invasion der Konzepte zugrunde lag, in Umrissen. Was er nicht wusste, konnte er sich zusammenreimen. Es gab nur eine Möglichkeit, sein Vorhaben in die Wirklichkeit umzusetzen. Er musste so viele Menschen und Konzepte vernichten, bis die Überlebenden es mit der Angst zu tun bekamen und sich aus lauter Furcht unter die Herrschaft der reinen Vernunft beugten.
Allein mit den Händen war da nichts auszurichten. Er brauchte Vernichtungsmittel, die in großem Maßstab arbeiteten. Im Augenblick waren sie noch außer Betrieb, aber das würde sich ändern. Er würde die Zeit nützen, um sich eine geeignete Ausgangsposition zu verschaffen.
In der Nacht würde er versuchen, in das Kommandozentrum Imperium-Alpha einzudringen.
*
Das Gespräch, das Homer G. Adams auf der Straße hatte führen wollen, kam schließlich doch noch zustande. Er stieg die Treppe zum Erdgeschoss hinunter und trat hinaus. Zwei Konzepte, ein junger Mann und eine annähernd gleichaltrige Frau, bemerkten ihn und sahen ihm fragend entgegen.
»Sind Sie einer von den Bewohnern der Stadt?«, fragte der junge Mann neugierig.
»Bin ich«, nickte Adams und nannte dazu seinen Namen.
Der junge Mann stellte sich als »Cydar« vor, die Frau hieß »Udja«.
»Ich möchte Sie etwas fragen«, sagte Adams.
»Tun Sie das!«, forderte Cydar ihn freundlich auf.
»Sie kommen von ES?«
»Ja.«
»Was wollen Sie hier?«
Cydar und Udja warfen einander erstaunte Blicke zu.
»Was wir hier wollen?«, wiederholte Cydar, als hätte Adams ihn gefragt, warum der Himmel blau sei. »Feiern, natürlich.«
»Feiern ...?«
»Ja. Das große Fest! Das Feuerwerk!«
Man sah Adams seine Ratlosigkeit an.
»Sie verstehen das nicht, wie?«, erkundigte sich Udja.
»Nein«, sagte Adams und schüttelte den Kopf.
»Das macht nichts«, reagierte Cydar gutgelaunt. »Sie werden ja mit dabei sein!«
Er ergriff Udja bei der Hand und ging mit ihr davon. Homer G. Adams stand noch eine ganze Weile da und wusste nicht, wo ihm der Kopf stand. Schließlich schüttelte er die Überraschung von sich ab. Er suchte sich eine andere Gruppe von Konzepten aus, denen er dieselben Fragen vorlegte.
Er bekam dieselben Antworten. Feiern. Was? Das große Fest, das Riesenfeuerwerk. Was ist das? Abwarten und sehen, guter Freund. Überraschung? Ja, vielleicht so etwas Ähnliches. Oder doch nicht ganz. Nein, eigentlich war's ja von Anfang an so geplant. Also doch keine Überraschung. Ein Fest eben, und ein Galafeuerwerk.
Schließlich gab Homer G. Adams auf. Er kehrte in den Wohnturm zurück und stieg die Treppen zu seinem Apartment hinauf. Über Radiokom berichtete er Walik Kauk von seinen Erlebnissen.
»Wenn man sich mit einem von ihnen unterhält«, fasste er seinen Eindruck zusammen, »hat man das Gefühl, dass einer von beiden den Verstand verloren hat. Das Dumme ist nur: Es kommt nicht heraus, wer das ist – man selbst oder das Konzept.«
*
Für Bluff Pollard hatte die Sonne ihren Glanz verloren. Er hatte sich aus dem Gemeinschaftsraum geschlichen und war in seine Unterkunft zurückgekehrt. Sie lag unter der Erde, und das war Bluff gerade recht, denn sonst hätte sie womöglich ein Fenster gehabt, und von der Welt draußen wollte Bluff nichts mehr sehen.
Er hatte sich auf die Liege geworfen, die Hände unter dem Kopf verschränkt und stundenlang zur Decke hinaufgestarrt.
Viana, dachten seine Gedanken, und immer wieder: Viana ... Viana ...
Man rief nach ihm. Bluff antwortete nicht. Sailtrit Martling, die Ärztin, kam, um nach ihm zu schauen. Sie versuchte ihn aufzumuntern. Aber er hörte nicht, was sie sagte. Er sah sie nicht einmal an. In ihm war eine große Leere. Er würde hier liegen bleiben und zur Decke hinaufstarren, bis er verhungert war.
Als der Summer ein zweites Mal ertönte, reagierte er wie zuvor, nämlich gar nicht. Er hörte kaum, dass sich bald darauf jemand an der Verriegelung zu schaffen machte. Er sah nicht hin, als die Tür auffuhr.
Eine weiche Stimme sagte: »Bluff ...?«
Da rauschte und brauste es ihm plötzlich in den Ohren. Er fuhr so schnell in die Höhe, dass ihm schwindlig wurde. Eine Zeitlang tanzte das Bild der Umgebung vor seinen Augen. Dann aber beruhigte es sich. Er sah die weiße Gestalt, die noch unter der Türöffnung stand, als getraue sie sich nicht einzutreten.
»Viana ...!«
Er sprang auf sie zu. Was ihm sonst mit der Schüchternheit seiner knapp neunzehn Jahre wohl schwergefallen wäre, kam jetzt ganz wie von selbst: er zog das Mädchen an sich, er legte ihr die Arme um die Schultern und küsste sie.
Sie ließ es sich gefallen. Sie benahm sich, als sei es gerade das, weswegen sie hierhergekommen war.
»Viana!«, sagte Bluff, fast atemlos vor Freude und Erleichterung. »Du darfst nicht mehr weggehen!«
»Bis zum großen Fest bleibe ich bei dir«, antwortete das Mädchen, und ein Hauch von Traurigkeit stahl sich in ihren Blick.
»Bis zum großen Fest? Wann ist das?«
»Ich weiß es nicht.«
»Und dann? Was geschieht danach?«
»Auch das weiß ich nicht.«
Bluffs Verstand verarbeitete diese Auskünfte mit der Logik des Verliebten. Sie würde bei ihm bleiben. Bis zum großen Fest. Wann immer das war. Und wie es danach weiterging, wusste sie nicht. Nichts war verloren! Vielleicht fand das große Fest erst in hundert Jahren statt. Und selbst wenn es früher zustande kam – man konnte immer noch darüber reden, was danach geschehen sollte.
Bluff nahm Viana bei der Hand.
»Was tun wir jetzt?«, fragte er.
»Ich habe Hunger«, antwortete sie völlig unromantisch.
»Komm – ich verschaffe uns etwas zu essen!«, rief er begeistert. »Ein Mahl wie für eine Königin!«
Er rannte davon und zog das Mädchen hinter sich her. Sie tollten durch den Gemeinschaftsraum und auf der anderen Seite die Rampe hinauf, die zur Oberwelt führte.
Walik Kauk, der am Radiokom Dienst tat, sah hinter ihnen her. Sein Blick fiel auf Jan Speideck, den das junge Paar beim Fernsehschauen gestört hatte. Er schüttelte den Kopf.
»Der spinnt«, brummte er.
»Lass gut sein, Speideck!«, lachte Walik Kauk. »Es geht ihm besser als dir. In deine Knollennase hat sich noch keine Frau verliebt – geschweige denn eine so hübsche!«
Jan Speideck murmelte etwas Unverständliches. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Bildgerät zu, mit dessen Hilfe er auf achtzehn verschiedenen Kanälen Bilder aus verschiedenen Teilen der Stadt empfangen konnte.
*
Gegen Mittag machte Trevor Casalle sich auf den Weg.
Er ließ sich mit der Menge eine Strecke weit die Straße entlangtreiben. Dann brach er in südlicher Richtung aus und näherte sich über eine Reihe weniger dicht bevölkerter Verkehrswege seinem Ziel.
Imperium-Alpha lag in südwestlicher Richtung am Rand der Stadt. Vermutlich hatten sich ein paar Überlebende der Großen Katastrophe dort einquartiert – Menschen, die nie in ES aufgegangen und zu Konzepten geworden waren. Vor ihnen würde er sich hüten müssen.
Ein Ablenkungsmanöver käme ihm gut zustatten. Er dachte eine Zeitlang darüber nach und entwickelte, während er kraftvoll ausschritt, einen Plan. Später erreichte er die große Nord-Süd-Achse, einst eine der Hauptverkehrsadern von Terrania City. Hier war die Menge der Konzepte weniger dicht. Trevor Casalle hielt die Augen offen. Es entging ihm nicht, dass zu beiden Seiten der Straße mehrere Gebäude standen, die überdurchschnittlich gut erhalten waren. An einem erkannte er Spuren einer Reparatur, die erst vor kurzem ausgeführt worden war.
Er blieb in der Nähe. Zunächst sah es nicht so aus, als werde er Erfolg haben. Aber nach halbstündiger Wartezeit sah er an einem Fenster des reparierten Gebäudes den Kopf eines Mannes auftauchen. Der Mann sah eine Zeitlang auf die Straße herab, dann verschwand er wieder.
Casalle überquerte die breite Bahn. Er betrat das Haus. Der Antigravlift war ausgefallen, aber unmittelbar neben dem Schacht gab es ein Treppenhaus. Casalle stieg hinauf. Er gelangte auf einen Korridor, orientierte sich und fand die Tür, die zu dem Raum führte, in dem er den Mann gesehen hatte.
Er öffnete die Tür. Der Mann, eine schmächtige Gestalt mit einem überproportional großen Schädel, saß an einem Tisch und studierte Papiere. Er sah überrascht auf. Als er seinen Besucher erkannte, erstarrte sein Gesicht vor Schreck.
Trevor Casalle lächelte.
»Sie erinnern sich? Gut. Aber kriegen Sie deswegen keine falschen Ideen. Ich bin Trevor Casalle, aber außer mir leben sechs weitere Bewusstseine in diesem Körper. Ich bin ein Konzept. Die Lehre der reinen Vernunft bedeutet mir nichts mehr.«
Der schmächtige Mann sah aus, als sei er nicht sicher, ob er diesen Worten trauen dürfe. Casalle hoffte jedoch, dass seine Lügen nicht durchschaut würden.
»Wer sind Sie?«, fragte Casalle, um das Gespräch in Gang zu bringen.
»Tero Kalasanti«, antwortete der Schmächtige. »Ich gehöre zu Glaus Bosketchs Gruppe.«
»Glaus Bosketch? Wer ist das?«
»Der Mann, der uns anführt. Die andere Gruppe ist die Terra-Patrouille unter Jentho Kanthall.«
»Jentho Kanthall?«, wiederholte Casalle voller Überraschung. »Hat der Kerl überlebt?«
»Ja, in einer Raumkapsel.«
»Glaubt er noch an die Vernunft?«
Zum ersten Mal getraute Kalasanti sich zu lächeln.
»Das will ich hoffen«, antwortete er. »Allerdings nicht im aphilischen Sinn.«
»Waren Sie die ganze Zeit über auf der Erde?«
»Ja. Wenn auch nicht immer bei wachem Bewusstsein.«
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir über die Jahre nach der Großen Katastrophe zu erzählen?«
Tero Kalasanti war jetzt vollends aufgetaut.
»Gerne«, antwortete er bereitwillig. »Ich habe ohnehin nicht viel zu tun. Der Rest der Gruppe ist in der Stadt unterwegs, um sich die Konzepte anzusehen. Ich bin alleine.«
Genau das hatte Trevor Casalle wissen wollen.
»Warten Sie ein paar Minuten«, sagte er. »Beim Erzählen kriegt man einen trockenen Mund. Ich treibe irgendwo was zu trinken auf.«
In diesem Augenblick hätte die Sache noch schiefgehen können – dann nämlich, wenn Kalasanti geäußert hätte, er habe Getränke auf Lager. Aber die Gefahr ging vorbei. Kalasanti sagte nichts. Casalle stürmte die Treppe hinunter. Unter der Tür blieb er stehen. Acht Meter entfernt, am Straßenrand, stand ein Mann von mittlerem Alter, ein Konzept. Casalle machte ihn auf sich aufmerksam. Der Mann kam herbei. Auch er erkannte Trevor Casalle, aber er erschrak nicht.
»Ich möchte dir etwas zeigen«, sagte Casalle. »Komm mit!«
Das Konzept zögerte, aber schon hatte Casalle sein Gegenüber am Arm gepackt und in die Eingangshalle gezerrt. Der Rest ging sehr schnell. Casalle fällte den Ahnungslosen mit einem einzigen Schlag in den Nacken. Unter der Wucht des Hiebes zersplitterten die Halswirbel. Der Mann war sofort tot.
»Heh, Kalasanti!«, schrie Casalle das Treppenhaus hinauf, dass es durch das ganze Gebäude hallte.
Kalasanti meldete sich nach wenigen Sekunden.
»Kommen Sie 'runter!«, forderte Casalle ihn auf. »Helfen Sie mir beim Tragen!«
Casalle trat beiseite. Als Kalasanti am unteren Ende der Treppe erschien, packte er ihn und zerrte ihn hinaus auf die Straße. Der schmächtige Mann war so entsetzt, dass er keinerlei Widerstand leistete. Den Toten gewahrte er nicht.
Trevor Casalle baute sich am Straßenrand auf.
»Hört alle her!«, schrie er. »Es scheint, wir sind auf der Erde nicht so willkommen, wie man es uns am Ort unserer Herkunft gesagt hat. Die Terraner haben einen der Unsrigen umgebracht!«
Seine mächtige Stimme verschaffte ihm sofort Gehör. Die Konzepte wandten sich zu ihm um, sie kamen heran, drängten sich um ihn.
»Drinnen liegt er«, rief Casalle und deutete mit dem Daumen der freien Hand über die Schulter in das Haus hinein. »Und hier ist der Schuft, der es getan hat!«
Bei diesen Worten schüttelte er den völlig entsetzten Tero Kalasanti hin und her, dass dem ehemaligen Wissenschaftler der Kopf bald in den Nacken, dann wieder auf die Brust gerissen wurde.
Als er sah, welche Gefahr auf ihn zukam, fing er mit schriller Fistelstimme an zu schreien: »Nein! Glaubt ihm nicht! Ich war es nicht! Er selbst hat ...«
Da schlug ihm Trevor Casalle mit der flachen Hand übers Gesicht, dass ihm das Blut aus der Nase schoss. Kalasanti schwieg sofort. Die Menge der Konzepte drängte an den beiden Männern vorbei in die Eingangshalle. Sie fanden den Toten. An den Rufen, die sie ausstießen, war ihre Wut zu erkennen.
Casalle zog eines der Konzepte zu sich heran.
»Hier, Bruder, halt diesen Mann!«, sagte er und übergab ihm Tero Kalasanti. »Ich muss aufpassen, dass die drinnen keinen Unsinn machen!«
Er wartete nicht auf die Antwort. Die Menge der Konzepte war so dicht, dass Kalasanti auch dann nicht hätte fliehen können, wenn er nicht festgehalten worden wäre. Trevor Casalle erkämpfte sich einen Weg durch die aufgeregte Menge. Bevor er aber den Eingang des Hauses erreichte, bog er scharf nach links ab. Sekunden später hatte er den Menschenknäuel hinter sich gelassen. Er bog in eine Seitenstraße ab und ging, als er die nächste Hauptverkehrsader erreichte, wieder auf Südwestkurs.
Er zweifelte nicht am Erfolg seiner Aktion. Die Konzepte würden Tero Kalasanti lynchen. Daraufhin würde es unweigerlich zur großmaßstäblichen Auseinandersetzung zwischen Terranern und Konzepten kommen – genau, was er brauchte, um die Terraner in Atem zu halten und unbemerkt in das Kommandozentrum Imperium-Alpha einzudringen.
Dass man nun wusste, dass Trevor Casalle sich auf der Erde befand, machte ihm keine Sorge. Die Konzepte hielten ihn für ihresgleichen und damit für ungefährlich. Und Tero Kalasanti würde bald keinen Laut mehr von sich geben.