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Kapitel 2 – Ella

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Ella schwang ihre Beine über die Bettkante und sprang auf, noch bevor sie ihre Augen öffnen konnte. In einem Wimpernschlag durchquerte sie das Zimmer und stürzte ins angrenzende Badezimmer. Die Übelkeit, die sie schon seit Tagen heimsuchte, hatte sie bis in den Schlaf verfolgt und sich sogar an Intensität zugenommen. Sie spritzte sich eiskaltes Wasser ins Gesicht und liess es über ihre Handgelenke laufen.

Schon seit Tagen fühlte sie sich nicht wohl und als am Tag zuvor verkündet worden war, dass zwei neue Schüler an die Akademie kommen würden, mutierte ihr Unwohlsein zu ausgewachsener Übelkeit. Bei jeder dieser Ankündigungen begann ihr Herz unkontrollierbar wie wild zu schlagen. Sie hatte Angst, plötzlich ein bekanntes Gesicht wieder zu sehen. Sie kannte nur etwas über ein Hundert Zeitspringer und nicht einmal ein Drittel von ihnen waren Kinder. Hinzu kam, dass Zeitspringerkinder aus der ganzen Welt an diese Akademie gebracht wurden. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand an die Akademie kommen würde, den sie kannte, war verschwindend gering.

Und trotzdem war genau dies vor vier Monaten bereits einmal passiert. Ellas Blut war in ihren Adern eingefroren, als plötzlich Zoe vor ihr gestanden hatte. Zoe stammte aus der gleichen Zeitspringersiedlung wie sie. Sie waren im gleichen Alter und weil sie beide Einzelgängerinnen waren, die nichts mit dem kindischen Verhalten der anderen Jugendlichen anfangen konnten, freundeten sie sich an. Sie verbrachten Stunden im schweigenden Einklang. Natürlich führten sie auch lange Unterhaltungen, aber es wurde auch nie unangenehm, wenn sie sich längere Zeit anschwiegen und jede ihren eigenen Interessen nachging. Das schätzte Ella so an Zoe. Und ein kleiner, egoistischer Teil von ihr, war sogar froh, dass Zoe an der Akademie gelandet war und sie sich nun nicht mehr so einsam fühlte. Doch Ella würde dies nie offen zugeben. Man wünschte schliesslich seinen Freunden nichts Schlimmes und sich in den Händen der Regierung zu befinden, war schlimm. Sehr schlimm.

Das leise Klopfen an der Badezimmertür holte Ella aus ihren Gedanken.

„Alles in Ordnung?“, fragte Zoe leise durch die Tür hindurch.

„Eine Minute“, versuchte Ella möglichst sorglos zu rufen.

Doch sie wusste, dass Zoe ihr das nicht abkaufen würde. Sie hatte nie mit ihr über diese schrecklichen Bauchschmerzen gesprochen, die jedes Mal auftraten, bevor etwas Schlimmes passierte. Doch Zoe war ausgesprochen sensibel. Sie wusste, dass etwas mit Ella nicht stimmte.

Es war nicht so, dass Ella ihr nicht vertraute und ihr deswegen nichts davon erzählte. Doch sie hatte diese hellseherischen Magenkrämpfe schon seit ihrer Kindheit und ihre Eltern waren fest davon überzeugt, dass sie auf eine besondere Fähigkeit hinwiesen, die manche Zeitspringer besassen. So wie ihr Bruder. Doch Ella bezweifelte, dass es sich um eine besondere Fähigkeit handelte. Bauchschmerzen bekam nun wirklich jeder. Was war besonders daran? Doch ihre Eltern hatten ihr und ihren Geschwistern schon früh eingeprägt, kein Sterbenswörtchen zu Aussenstehenden darüber zu sagen. Diese Fähigkeiten waren sogar unter Zeitspringern etwas Besonderes und genauso wie die Menschen früher die Fähigkeiten der Zeitspringer beneidet hatten, waren normale Zeitspringer auf solche mit zusätzlichen Fähigkeiten eifersüchtig. Deshalb war es sicherer, diese im Kreise der Familie geheim zu halten. Und Zoe gehörte nun einmal nicht zur Familie. Auch wenn sie hier an der Akademie ein Familienersatz geworden war.

Ella wollte Zoe nicht noch mehr verunsichern, nur weil ihre Synopsen sich nicht so vielseitig verbinden konnten und sie dadurch keine besonderen Fähigkeiten besass. Ella war selbst keine sehr extrovertierte Person, doch Zoe stellte sogar sie in den Schatten. Ihren Blick hatte sie die meiste Zeit des Tages auf den Boden gerichtet und sprach sie jemand anderes ausser Ella an, zuckte sie erschrocken zusammen. Immer wenn die gemeinen Sprüche der anderen Schüler über Zoe und ihr Aussehen wieder zunahmen, liess Ella deswegen beiläufig möglichst viele Komplimente über sie in ihre Unterhaltungen einfliessen. Um ihr Selbstvertrauen aufzubauen. Schon seit Ella Zoe kannte, hatte Zoe ihre Haare immer kurz getragen. Ganz im Gegensatz zu allen anderen Mädchen. Lange Haare waren ein Statussymbol, auf das sogar Zeitspringer in ihren abgeschiedenen Siedlungen noch Wert legten. Da sie sogar in ihrer Siedlung oft schräge Blicke geerntet hatte, war es also kein Wunder, dass die Urbanis sich darüber lustig machten. Obwohl die Kommentare Zoe jedes Mal sichtlich verletzten, liess sie ihre Haare trotzdem nicht länger wachsen. Wieso, war Ella ein Rätsel. Aber sie wollte sich nicht in Zoes Privatangelegenheiten einmischen.

„Wir müssen gleich in der grossen Halle unten sein“, ermahnte Zoe sie leise.

Mit einem Seufzer zwang sich Ella, aufzustehen. Sie wusste, dass Zoe Recht hatte. Unpünktlichkeit wurde hier überhaupt nicht geschätzt. In wenigen Minuten machte sie sich frisch, zog einen schlichten Pullover und Jeans über bevor sie aus ihrem Zimmer hasteten.

Ella und Zoe waren an der Akademie zwei der wenigen, die normale Kleidung trugen, wodurch sie ungewollt hervorstachen. Doch sie wollten sich nicht der Mode der Urbanis anpassen. Diese trugen Klamotten in grellen Neonfarben und komischen Mustern. Die beiden Mädchen aber waren sich so leuchtende Farben nicht gewohnt. Bei ihnen in der Siedlung waren das Leben und somit auch die Klamotten schlicht. An der Akademie konnten sie sich so viele und so teure Kleider bestellen, wie ihr Herz begehrte und sie mussten keinen Cent dafür bezahlen. Doch ihnen gefiel die Mode trotzdem nicht. Ausnahmslos alle Operaris hier an der Akademie passten sich sofort den Urbanis an, weil es ihr lebenslanger Wunsch gewesen war, so wie sie zu sein. Viele Ingratis passten sich ebenfalls an, einfach weil sie es genossen, endlich eigene Sachen zu besitzen. Andere Ingratis wiederum zogen sich noch mehr zurück als Ella und Zoe. Sie waren stets alleine anzutreffen, in Ausnahmen zu zweit, und manche trugen sogar noch dieselben Kleider, die sie schon in den Strassen der Slums getragen hatten. Ella konnte ja verstehen, dass sie nicht glücklich waren, von der Regierung gefangen worden zu sein, doch sie fand es doch etwas unhygienisch, dass sie sich weigerten die Kleider zu wechseln. Oder zumindest zu waschen. Ella hiess das überhebliche und beleidigende Getue der Urbanis keinesfalls gut, aber ein Teil von ihr konnte sie dennoch verstehen, wenn sie sich bei den Lehrern über die stinkenden Strassenkinder beschwerten. Als sie letztens neben Kevin stand, begannen ihre Augen beinahe zu tränen, weil der beissende Schweissgeruch, so sehr in der Luft brannte. Einen Bruchteil einer Sekunde hatte sie wirklich befürchtet, sich gleich übergeben zu müssen. Es ging das Gerücht um, dass er sich noch kein einziges Mal gewaschen hatte, seit er an der Akademie war und leider war Ella geneigt, diesem Gerücht zu glauben.

Ella und Zoe eilten den langen Gang entlang, bis sie den Gemeinschaftsraum der Mädchen erreichten und durchquerten, um über die Treppe hinunter in den Hauptgemeinschaftsraum zu gelangen. Dieser war bereits menschenleer und die Mädchen legten noch einen Schritt zu. Normalerweise trieben sich da immer noch Urbanis herum, die absichtlich immer zu spät kamen und der Umstand, dass selbst die bereits weg waren, war ein deutliches Zeichen, dass sie zu spät dran waren. Schnell huschten sie durch die Pforte nach draussen in den Korridor und bevor sie sich in die grosse Halle begaben, machten sie noch einen Abstecher in den Speisesaal um einen Müsliriegel zu schnappen und hastig zu verschlingen. Für ein richtiges Frühstück blieb keine Zeit mehr. Doch Ellas Magen zog sich so schmerzhaft zusammen, dass sie sowieso nicht viel hinunter bekommen hätte.

Die grosse Halle war bereits gut gefüllt, als die beiden Mädchen sie betraten. Die anderen Schüler standen in kleinen Gruppen zusammen und tuschelten miteinander und zwischen den verschiedenen Grüppchen standen einsam und ein wenig verloren ein paar Ingratis. Die Mädchen fanden einen freien Platz in der Mitte der Halle und so standen sie schweigend da und warteten, bis es losging.

In der grossen Halle wurden immer alle Neuankömmlinge vorgestellt und ein Schüler wurde einem Neuen als Ansprechperson zugeteilt. Der Sinn dahinter war, dass sich die Neuen besser und schneller in der Akademie zu Recht fanden, doch selten kümmerte sich auch wirklich jemand um seinen zugeteilten Schützling. Die Praxis war, dass Urbanis sich um Urbanis-Neulinge kümmerten und sie in ihre Gruppe integrierten und Ingratis und Operaris mussten sich selbst zu helfen wissen, obwohl die Direktorin stets betonte, dass die Herkunft an der Akademie keine Rolle mehr spielte. Ab und an erbarmt sich ein Ingratis dazu, sich eines Ingratis-Frischlings anzunehmen und diesem alles zu erklären. Andere Kinder aus Zeitspringersiedlungen wie Ella und Zoe gab es nicht viele. Genauer gesagt gab es nur einen Einzigen anderen, Max. Doch er zog sich noch mehr zurück als die beiden Mädchen. Viele glaubten, dass er nicht sprechen konnte oder sie nicht verstand. Angeblich stammte er aus einer Zeitspringersiedlung in Sibirien. Auch jetzt stand Max weit abseits der anderen Schüler am Rande der Halle und Ella nahm sich wie so oft vor, später ein russisches Wort nachzuschlagen um ihn anzusprechen. Die Bibliothek der Akademie war so umfangreich, dass sie sogar Bücher über die längst ausgesprochenen Sprachen enthielt.

Obwohl es kein Geheimnis war, dass das ausgedachte System nicht funktionierte, unternahmen weder die Lehrer noch die Direktorin etwas dagegen. Der Unterricht wurde hier sehr ernst genommen, aber ansonsten wurden sich die Insassen – wie Ella sich gerne bezeichnete – grösstenteils selbst überlassen. Natürlich wurden sie 24/7 überwacht, doch gab es Probleme zwischen Schüler, griffen die Lehrer erst ein, wenn es zu körperlichen Auseinandersetzungen kam.

Gerade als Ella begann noch unruhiger zu werden und ihr Gewicht von einem Bein aufs andere verlagerte, betraten endlich Direktorin Fox und Joanne den Raum durch die unscheinbare Tür am gegenüberliegenden Ende der Halle. Ella sah gerade noch die letzten Schüler in den Raum schleichen, als die Direktorin das Wort ergriff und unverzüglich Ruhe einkehrte. Widerwillig bemerkte Ella, wie sie sich automatisch ein wenig beruhigte, als sie Joanne sah. Obwohl sie für die Regierung arbeitete und Ella ihr deswegen nicht so recht vertrauen wollte, mochte sie die junge Frau trotzdem. Sie war mittelgross und hatte trotz schwarzen, streng nach hinten in einen Pferdeschwanz gekämmtem Haar und kantigen Gesichtszügen meistens ein aufrichtiges Lächeln auf den Lippen. Zumindest hatte sie immer ein nettes Wort für die Ingratis und Operaris übrig. Ella hatte mit Erstaunen festgestellt, dass Joanne genauso genervt war von den Urbanis, wie sie selbst. Vor ein paar Wochen einmal hatte Ella den Mut aufgebracht und Joanne gefragt, woher das kam und ob sie gar auch eine Operaris oder Ingratis war. Doch daraufhin hatte Joanne nur lächeln den Kopf geschüttelt und ihr keine Antwort darauf gegeben. Ella gewann den Eindruck, als wollte Joanne genauso wenig über ihre Herkunft reden wie Ella über ihre eigene, denn das Gespräch hatte damals begonnen, indem Joanne Ella über ihre Herkunft ausquetschte. Die Regierung wusste, dass sie aus einer Zeitspringersiedlung stammte, doch weder Ella noch Zoe waren gewillt den Standort oder mehr Informationen darüber Preis zu geben.

Während Ella über dieses Gespräch mit Joanne nach dachte, war Fox schon längst auf ein kleines Podest mit Rednerpult getreten und leierte dieselbe alte Rede hinunter, die sie jedes Mal hielt, wenn neue Schüler an die Akademie kamen. Nicht eine Person im Raum hörte ihr richtig zu. Alle kannten die Rede bereits in- und auswendig. Und eine besonders gute Rede war es sowieso nicht, dachte Ella mit einem Augenrollen.

Im ersten Teil der Rede hob die Direktorin immer hervor, wie grosszügig und selbstlos die Regierung war. Dass sie alle Meliorikinder kostenlos an der Akademie teilnehmen lassen, ganz gleich, woher sie kamen. Dieser Teil machte Ella immer am wütendsten, da Fox ganz gelassen ausliess, dass sie gar keine andere Wahl hatten und sie zu dieser Akademie gezwungen wurden. Ella musste inzwischen widerwillig eingestehen, dass die Akademie nicht nur schlecht war. Sie war schon immer sehr wissbegierig gewesen und so gefiel es ihr ganz gut, dass sie hier so viel lernten. Trotzdem war sie alles andere als freiwillig hier.

Der zweite Teil der Rede verbrachte Fox dann damit, zu betonen, wie wichtig die Akademie war um die Meliorigene aufrecht zu erhalten. Anscheinend lag das Schicksal der Menschheit in ihren Händen, denn die Perditus seien ja nicht einmal dazu im Stande gewesen, die Fähigkeiten beizubehalten. Wobei sie auch hier überging, dass es grössten Teils die Schuld der Regierung war, dass sie ihre Fähigkeiten verloren hatten. Spätestens an diesem Punkt hörte Ella komplett auf, zuzuhören.

Da sie keine wirkliche Ablenkung hatte, verstärkte sich das ungute Gefühl in ihrem Bauch noch mehr. Als würden sich ihre Eingeweide zu einem einzigen Knoten zusammenziehen, krampfte sich ihr Magen immer mehr zusammen. Es kostete sie grosse Anstrengung, ruhig stehen zu bleiben und sich nicht zusammen zu krümmen. Wuchs ihr ein Magengeschwür oder was war das?

Endlich trat Joanne ans Mikrofon.

„Begrüsst nun herzlich unsere zwei neuen Schüler...“

Mehr hörte Ella nicht mehr. Doch das war auch nicht nötig. Durch die Hintertür traten zwei junge Männer ein. Einer gross, schlaksig, unsicher und unscheinbar, gefolgt von einem gesunden Jungen mit blondem Haarschopf und einem breiten Grinsen im Gesicht. Kayden.

Alle Luft wurde aus Ellas Lungen gepresst und sie musste sich dazu zwingen, wieder zu atmen. Zu ihrer Übelkeit kam hinzu, dass ihr die Galle immer höher und höher im Hals stieg und sie sich am liebsten übergeben hätte. Nur weil sie sich diese Blösse nicht geben wollte, schluckte sie einige Male, bis die beissende Galle wieder im Magen verschwunden war. Ella sah nur noch verschwommene Umrisse, doch sie spürte, wie Zoe schützend ihren Arm um sie legte.

Seit Ella dieses ungute Gefühl vor einigen Tagen begonnen hatte heimzusuchen, hatte sie genau dies befürchtet. Es war immer schon nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die Regierung ihn aufgreifen würde. Er war seit je her viel unvorsichtiger und waghalsiger gewesen als Ella und wenn sie ehrlich war, konnte sie es noch immer nicht fassen, dass sie vor ihm geschnappt worden war. Sie hatte sich stets so viel Mühe gegeben. Sich immer an alle Regeln gehalten und nie etwas riskiert. Und er? Er machte, was er wollte. Ging hin, wo immer er hingehen wollte und hatte stets eine grosse Klappe, mit der er sich in Schwierigkeiten brachte. Ella hatte inständig gehofft, dass er sich nach ihrem Verschwinden ändern würde. Doch anscheinend blieb dies für immer Wunschdenken.

Ella war so in ihre Gedanken vertieft und darauf konzentriert gewesen, ruhig zu atmen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie sie am ganzen Körper zu zittern begonnen hatte und alle im Raum sie anstarrten. Erst als Joanne und Kayden direkt vor ihr standen und Joanne ihr behutsam die Hand auf die Schulter legte, nahm sie ihr Umfeld wieder wahr. Joanne sprach beruhigend auf sie ein. Kayden hingegen stand schweigend neben ihr und musterte Ella nachdenklich.

„Ella? ... Ella! Was ist los?“, fragte Joanne sie eindringlich.

Ella beachtete Joanne jedoch nicht, sondern starrte wortlos in Kaydens grüne Augen. Sie hatten genau denselben Farbton wie ihre eigenen und vermochten sie immer zu beruhigen. Doch heute nicht. Heute stachelten sie die Enttäuschung und Wut in ihr nur noch weiter an. Kayden und Ella sahen sich bis auf die Augen nicht im Geringsten ähnlich. Sie war klein, zierlich, rothaarig und zurückhaltend. Kayden hingegen war gross, kräftig, hatte einen blonden Lockenkopf und trug dein Herz stets auf der Zunge. Die Augen jedoch hatten sie beide von ihrer Mutter. Sanft und gütig. Ella sog die Luft tief durch die Nase ein und liess sie langsam wieder durch den Mund entweichen, während sie weiter in seinen Augen versank.

„Hallo Schwesterherz!“, richtete Kayden endlich das Wort an Ella und schenkte ihr ein warmes Lächeln.

Seine Gelassenheit brachte Ella jedoch nur erneut auf die Palme. Erkannte er den Ernst der Lage wirklich nicht? Anstatt etwas zu erwidern, konzentrierte sie sich weiter auf ihre Atmung. Sie wollte ihren Bruder nach monatelanger Trennung nicht als erstes Anschreien. Langsam liess das Rauschen in ihren Ohren nach und der Knoten in ihrem Bauch hatte sich etwas gelockert. Nun, da sie sich wieder gefangen hatte, traute sie sich, ihren Blick von Kaydens zu lösen und liess ihn kurz durch die Halle schweifen.

Alle im Raum starrten sie an. Sie standen im Zentrum der Aufmerksamkeit, was Ella verabscheute. Am liebsten wäre sie in einem spontan auftauchenden Loch im Boden verschwunden. Einige hörte sie leise miteinander tuscheln. Niemand ausser Zoe wusste, dass Ella Geschwister hatte, da sie mit niemandem sonst sprach. Und auch wenn, hätte sie bestimmt nicht von ihrem Bruder erzählt, um ihre Familie zu schützen. Die anderen mussten ihre Reaktion für einen Schock oder Freude halten, weil ihr Bruder so unerwartet aufgetaucht war und sie ihn wiedersah. Auch Joannes Gesicht spiegelte freudige Überraschung wider.

„Wie schön, nun seid ihr also wieder vereint!“, meinte sie fröhlich.

Nur Zoe und Kayden wusste, dass Ella ganz und gar nicht froh darüber war, ihn hier in der Akademie, in den Fängen der Regierung wiederzusehen. Sie war wütend. Richtig wütend. Deswegen sah Zoe sie auch so besorgt an. Es kam höchst selten vor, dass Ella derart die Fassung verlor.

„Sie dachte wohl, sie könnte den ganzen Spass hier für sich behalten. Aber so ein Abenteuer lasse ich mir doch nicht entgehen!“, erklärte Kayden lachend.

Ella gewann nach und nach wieder die Beherrschung über ihren Körper und funkelte ihren Bruder zornig an.

,Abenteuer?! Für dich ist alles nur ein einziges Abenteuer! Was hast du nur getan? Wie konntest du das Mutter und Vater nur antun? Sie brauchen dich!’, sandte Ella ihrem Bruder vorwurfsvoll in Gedanken zu.

Kayden hielt sein zuckersüsses Lächeln auf den Lippen aufrecht, doch Ella konnte sehen, wie sich seine Augen um einen Farbton verdunkelten.

,Darüber können wir später sprechen’, hallte seine Stimme scharf durch ihren Kopf. Erschrocken riss sie die Augen auf und zuckte zusammen. Das war neu. Er konnte bereits seit einiger Zeit die Gedanken anderer auffangen, doch einen Gedanken selbst hinterlassen konnte er vor gut einem Jahr noch nicht. Seine Fähigkeiten mussten sich massiv weiterentwickelt haben.

Ein aufrichtig stolzes Lächeln umspielte nun seinen Mund, da er noch immer ihren Gedanken gelauscht hatte.

,Ja, ja, Kleiner. Du hast dich gut gemacht. Nun aber raus aus meinem Kopf!’, ermahnte sie ihn versöhnlich.

„Du hast mir gefehlt Schwesterchen, sogar deine Besserwisserei“, sagte Kayden laut lachend und schloss sie fest in seine Arme.

Ella lachte nun ebenfalls, befreite sich aus seinen Armen und boxte ihn sanft in den Arm für seinen fiesen Kommentar. Nicht nur seine psychischen Fähigkeiten hatten sich weiterentwickelt. Auch körperlich war er erwachsener und kräftiger geworden. Seine Stimme war um einiges tiefer und nicht mehr das kindliche Piepsen, mit dem sie ihn früher oft aufgezogen hatte, weil er so spät in den Stimmbruch gekommen war. Er war bestimmt zwei Kopflängen gewachsen und überragte sie nun weit. Seine Glieder waren nicht mehr spindeldürr, sondern er hatte starke Muskeln von der harten Arbeit auf den Feldern bekommen.

Grinsend tätschelte er ihren Kopf. Es schien ihm sichtlich zu gefallen, dass er nun grösser war als sie.

,Natürlich gefällt mir das. Nun kann ich dich zumindest in etwas übertreffen.

Lächelnd schüttelte Ella leicht den Kopf und erwiderte in Gedanken: ,In Witz und Tragik warst du mir schon immer weit überlegen, kleiner Bruder.

In Ellas Kopf drängte sich eine Erinnerung an die Oberfläche, die nicht ganz ihre eigene war. Sie konnte sich noch genau an diesen Tag erinnern. Aber geringfügig anders. Es war Kaydens Erinnerung an diesen Tag, die er in ihrem Kopf abspielen liess.

Ella sah ihre Mutter am Küchentisch sitzen und starke Regen trommelte auf das Hausdach. Die Erinnerung war von einem Tag etwa ein halbes Jahr vor Ellas Gefangennahme. Kayden und sie sollten an diesem Tag ihrem Vater auf den Feldern helfen, doch sie wollten beide nicht die schützende Wärme des Hauses verlassen und in den Regen geschickt werden. Da es Kaydens Erinnerung war und durch seine Augen geblickt wurde, sah Ella sich selbst, wie sie ihren Bauch umklammert hielt und das Gesicht verzog. Sie wollte sich mit Bauchschmerzen vor der Arbeit drücken. Durch Kaydens Augen sah sie allerdings um ein vielfaches schlechter aus, als es tatsächlich der Fall gewesen war. Typisch. In seinem kindischen Hirn war alles übertrieben. Er selbst hyperventilierte und rief ihrer Mutter immer wieder zu, dass sie einen Arzt holen musste, weil Ella sonst sterben würde. Er begann sogar zu weinen und zu schluchzen, so dass sich ihre Mutter schlussendlich mehr um Kayden kümmern musste als um Ella. Danach kochte ihre Mutter ihr eine Suppe und wies Kayden an, bei ihr zu bleiben, damit er mit eigenen Augen sah, dass sie durchaus nicht sterben würde. Schliesslich verliess sie das Haus um ihrem Vater stattdessen zu helfen. Sobald die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, begann Kayden zu grinsen. Sein Gesicht nahm wieder eine normale Farbe an und die roten Flecke verschwanden. Frech forderte er die Hälfte von Ellas Hühnersuppe ein.

Die Erinnerung verblasste und Ella lachte laut auf.

„Du bleibst unübertroffen, Kay!“

Mist.

Zu spät wurde Ella bewusst, dass sie laut gesprochen hatte und nicht nur in Gedanken.

„Was meinst du damit Ella? Er hat doch gar nichts gesagt?“, wollte Joanne auch so gleich wissen.

Doppelter Mist.

Alle starrten sie misstrauisch an.

,Sie dürfen nichts von deinen Fähigkeiten wissen! Verstanden? Versprich es mir!’, forderte Ella ihn in Gedanken auf. Er blickte sie fragend an, doch dann nickte er knapp.

„Ach, sie verstehen sich seit klein auf so gut, dass sie keine Worte brauchen, um sich zu verständigen. Sie sind ein Herz und eine Seele. Naja, meistens“, antwortete Zoe zum Glück leise für die beiden.

Damit schien das Thema vom Tisch zu sein, denn Joanne zuckte lachend mit den Schultern und murmelte etwas von „Geschwisterliebe“. Direktorin Fox hatte sich bisher im Hintergrund gehalten, da rührende Wiedersehensszenen nicht nach ihrem Geschmack zu sein schienen. Nun aber klatschte sie in die Hände und forderte damit wieder die Aufmerksamkeit der Schüler. Alle wandten sich ihr zu und die leisen Gespräche verstummten wieder.

Da erst erinnerte sich Ella wieder an den zweiten Neuankömmling und musterte ihn interessiert, als Fox ihre Rede wiederaufgenommen hatte. Die anderen Schüler interessierten sich bereits nicht mehr für das Wiedersehen zwischen Bruder und Schwester und wandten sich ihren eigenen Gedanken zu. Nicht so allerdings der Neue. Noch immer musterte er Kayden und Ella intensiv. Sein Gesicht glich einer Maske. So konnte Ella nicht erkennen, was er über das zugegebenermassen etwas sonderbare Wiedersehen dachte. Doch sie erkannte sehr wohl, wie es in seinem Kopf arbeitete. Dafür musste sie nicht Gedanken lesen können. Ella konnte die Zahnrädchen in seinem Kopf förmlich drehen hören, so verbissen beobachtete er sie.

,Ja, Evan ist nicht gerade auf den Kopf gefallen. Er ist aber noch ziemlich überfordert mit unserer Welt. Hat erst vor drei Tagen von Zeitspringer und dem ganzen Kram erfahren. Zum Glück für uns. Sonst hätte er meine Fähigkeit wohl schon längst erkannt’, liess Kayden seine Schwester in Gedanken wissen.

,Du kennst ihn?

,Erst seit zwei Tagen. Er ist ziemlich verschlossen. Deshalb habe ich nicht sehr viel aus ihm herausbekommen. Auch seine Gedanken sind etwas sprunghaft. Seit ich ihm von Zeitspringersiedlungen und speziellen Fähigkeiten erzählt habe, hat sich seine Verwirrtheit nur noch verschlimmert.

,Du hast was?! Da hättest du ihm den Zaunpfahl auch gleich über den Kopf ziehen können!

,Hey, ich wusste ja nicht, dass er so klug ist und eine Verbindung sieht! Ausserdem hatte er ja wohl ein Recht darauf, etwas über uns Zeitspringer im Voraus zu erfahren und nicht nur die verfälschte Version der Regierung zu hören.

Widerwillig musste Ella eingestehen, dass ihr Bruder nicht gerade Unrecht hatte.

,Wir sollten uns in seiner Gegenwart besser unauffällig verhalten, bis er das Interesse verloren hat’, ermahnte sie ihn dennoch.

Da Kayden ihren Gedanken nicht mehr beantwortete, betrachtete sie dies als stillschweigende Zustimmung, doch ihrer eigenen Ermahnung zum Trotz, musterte sie Evan ein weiteres Mal aus den Augenwinkeln. Er hatte blonde Haare, die ihm beinahe bis zu den Schultern reichten. Offensichtlich hatte er erst vor wenigen Tagen einen Haarschnitt verpasst bekommen, doch man konnte selbst so noch erkennen, dass seine Haare über Jahre hinweg nicht gut gepflegt worden waren. Ein typisches Anzeichen dafür, dass er auf der Strasse aufgewachsen sein musste. Seine Haut hatte ebenfalls einen ungesunden Farbton und sein Körper war abgemagert. Jeder Knochen stand deutlich hervor. Er würde einige Wochen brauchen, um sich von der jahrelangen Unterernährung zu erholen. Seine warmen, braunen Augen blickten sie nun unverwandt an. Es war keine stechende Musterung wie zuvor. Es lag weder etwas Unangenehmes noch etwas Nachdenkliches in seinem Blick. Bloss ein freundlicher Blick. Ella war die plötzliche Nähe zu diesem Fremden, hergestellt durch einen einfachen Blickkontakt, unangenehm und so wandte sie sich abrupt ab. Endlich schenkte sie wieder ihre Aufmerksamkeit der Direktorin.

„Wir müssen den beiden Neuen noch je einen Paten zuteilen, die ihnen in den ersten Tagen hier an der Akademie helfen werden, sich zurechtzufinden. Da Ella und Kayden offensichtlich Geschwister sind, kann sich Ella gleich um ihren Bruder kümmern.“

Kayden stöhnte laut und theatralisch auf.

„Ich dachte, ich komme hier her um neue Leute kennen zu lernen. Aber nein, stattdessen versauere ich wieder mit meiner Schwester.“

Ella verkniff es sich, mit den Augen zu rollen. Da war der kleine, trotzige Junge also wieder, den sie von früher so gut kannte. Und obwohl sie hätte gekränkt sein müssen, musste sie sich ein kleines Lächeln verkneifen. Sie war froh, dass sich scheinbar noch nicht alles an ihm verändert hatte in ihrer Abwesenheit. Doch das Lächeln verging ihr gleich in der nächsten Sekunde wieder. Was nun folgte, war definitiv neu und kannte sie von ihm nicht. Er setzte sein charmantestes Lächeln auf und versuchte die Direktorin tatsächlich damit zu verzaubern.

„Kann man daran denn gar nichts mehr ändern?“, fragte er sie mit rauer, tiefer Stimme.

Ella konnte nicht anders als ihn aus weit aufgerissenen Augen anzustarren. Woher kam das denn? Ihr kleiner, süsser Bruder versuchte zu flirten?

Fox liess dies herzlich unbeeindruckt, dafür reagierten alle andern Mädchen in der Halle umso mehr darauf. Jede bot sich ihm an, bei Fragen gerne jederzeit zur Verfügung zu stehen. Ella konnte es nicht fassen. Ihr Bruder hatte offensichtlich nach fünf mickrigen Minuten an der Schule bereits eine Horde Groupies. Schon wieder musste Fox in die Hände klatschen, um wieder für Ruhe zu sorgen.

„Nun gut, anscheinend besteht keine Knappheit an Hilfe für Kayden. Macht dies unter euch aus. Logan? Du wirst dich um Evan kümmern.“

Damit schien die Sache für die Direktorin erledigt zu sein und sie wollte sich bereits abwenden. Doch da hatte sie die Rechnung ohne Logan gemacht.

„Um wen?“, fragte er übertrieben desinteressiert.

„Evan. Den zweiten Neuankömmling, den ich soeben vorgestellt habe.“

„Hat Evan denn auch einen Nachnamen?“, wollte Logan sarkastisch wissen, da er noch lange nicht fertig damit war, Fox auf die Nerven zu gehen.

Ella konnte ihn in der Menge der Schüler nicht direkt sehen, doch das war auch gar nicht nötig. Sie wusste auch so, dass er dabei verächtlich eine Augenbraue hochgezogen hatte. Das tat er immer, wenn jemand den Fehler beging, ihm einen Ingratis für eine Aufgabe zuzuweisen.

„Das tut nichts zur Sache, Logan, und das weisst du genau. Sobald ihr der Akademie beitretet, hat jeder nur noch einen Vornamen und die Herkunft spielt keine Rolle mehr. Wir sind alle Meliori.“

Logans Erwiderung bestand in einem abfälligen Schnauben.

„Schluss jetzt, Logan! Du wirst dich um ihn kümmern, oder wir müssen uns einmal mehr über eine Disziplinarmassnahme unterhalten.“

Die Sache schien damit für Direktorin Fox erledigt zu sein und sie wandte sich wieder allen zu.

„Um neun Uhr beginnt der Unterricht, also macht euch auf den Weg. Evan, Kayden, ich hoffe, ihr lebt euch gut hier ein.“

Damit verabschiedeten sich Fox und Joanne. Gemeinsam verliessen sie die Halle wieder durch die Hintertür.

Nach und nach verliessen die anderen Schüler ebenfalls die Halle um sich vor dem Unterricht noch ein wenig die Zeit zu vertreiben. Ella gab Kayden in Gedanken zu verstehen, dass er noch kurz im Raum bleiben soll und sie sah ihm an, dass er mehr und mehr versucht war, ihre Aufforderung zu ignorieren. So ziemlich jedes Mädchen lief aufreizend langsam an ihnen vorbei und bot ihm eine Führung durch die Schule an. Was passierte hier nur? Man könnte meinen, dies war eine reine Mädchenschule und Kayden war der erste Junge den sie sahen. Doch so war dem ganz und gar nicht. Es gab in etwa genau gleich viele Jungen wie Mädchen an der Schule. Nach dem fünften Mädchen verzog Ella genervt das Gesicht. Sie musste zugeben, dass er sich gemausert hat. Doch so umwerfend war er nun auch wieder nicht. Kayden lachte leise neben ihr und sie warf ihm einen warnenden Blick zu. Sie mochte es nicht, wenn er unaufgefordert ihren Gedanken lauschte.

Schnell schaute Ella sich nach dem aufmerksamen Evan um und hoffte, dass er dies gerade eben wieder nicht mitbekommen hatte. Er stand noch am selben Ort wie vorhin und blickte unentschlossen von Logan zur Tür. Wahrscheinlich ahnte er bereits, dass Logan sich nicht um ihn kümmern würde und überlegte, ob er einfach alleine aus der Halle gehen sollte. Logan und seine treue Gefolgschaft, die Zwillinge Hunter und Henry, waren auch noch in der Halle zurückgeblieben. Ansonsten war die Halle mittlerweile beinahe leer.

Logan schien nur darauf gewartet zu haben, dass sich die Halle leerte, denn nun stolzierte er mit den anderen beiden zu Evan hinüber. Dies konnte nichts Gutes verheissen. Ella zweifelte keine Sekunde daran, dass Logan bestimmt nicht seinen Pflichten nachkommen würde. Sie überlegte kurz, ob sie nicht doch noch aus dem Raum fliehen sollten, um nicht Zeuge der Auseinandersetzung zu werden. Doch Kayden trat bereits an Evans Seite.

„Hey, du!“, sprach Logan Evan an.

„Er heisst Evan“, erinnerte Kayden ihn fröhlich.

„Misch dich nicht ein, Kleiner!“

Ella trat schnell auf die kleine Gruppe zu und versuchte Kayden weg zu ziehen. Doch sie hatte keine Chance. Er war viel stärker als sie und bewegte sich keinen Millimeter.

,Lass mich!’, hallte seine Stimme bedrohlich in ihrem Kopf, so dass sie erschrocken zurücktaumelte. Gleichzeitig setzte Kayden wieder ein fröhliches Grinsen auf und hob abwehrend die Hände.

„Schon gut! Ich dachte nur, dir sei seinen Namen vielleicht entfallen und wollte dir helfen.“

„Sollen wir dir gleich einmal helfen den Ausgang zu finden?“, drohte ihm nun Hunter und baute sich vor Kayden auf.

Obwohl Hunter ihn an Grösse weit überragte, zuckte Kayden kein bisschen zurück und grinste ihn nur noch breiter an. Obwohl Hunter, und auch Henry, unglaublich gross waren, so waren auch beide spindeldürr und wirkten durch ihre Grösse schlaksig. Muskeln schienen sie nur spärlich zu besitzen und es war eindeutig, wer diesen Kampf gewinnen würde, sollte es zu einem kommen. Dasselbe schien auch Logan zu erkennen und pfiff Hunter zurück.

„Hör zu, Strassenköter“, wandte sich Logan nun wieder seinem eigentlichen Opfer zu. „Ich werde dich bestimmt nicht wie verlangt an die Hand nehmen und dich durch diese scheiss Schule führen. Es ist auch nicht so, dass die Akademie so gross ist, dass man sich verläuft. Also setz dich irgendwo in eine dunkle Ecke, weit weg von uns, damit du uns nicht mit Läusen oder Flöhen ansteckst. Alles klar?“

Er sah Evan mit hochgezogener Augenbraue weiterhin überheblich an und wartete anscheinend tatsächlich auf eine Antwort. Evan aber stand nur stumm da und zog ebenfalls eine Augenbraue fragend nach oben.

„Was?“, fragte Logan aufgebracht. Es brachte ihn sichtlich auf die Palme, dass sein toller Vortrag ohne Reaktion blieb.

„Du... verstehen... uns?“, sagte Hunter nun sehr, sehr laut und machte pantomimische Bewegungen dazu.

Evan hätte beinahe laut losgelacht, konnte es sich aber gerade noch verkneifen. Doch er schien wirklich Mühe damit zu haben. Ella konnte ihn gut verstehen. Hunter sah einfach dämlich aus. Kayden versuchte sich gar nicht erst zu beherrschen und lachte laut los während Logan Hunter auf den Hinterkopf schlug.

„Natürlich versteht er uns, Holzkopf! Er hält sich einfach für überlegen und glaubt, mir nicht antworten zu müssen.“

„Ich glaube, Schläge auf den Kopf verschlimmern nur seinen geistigen Zustand!“, gluckste Kayden immer noch lachend.

Nun konnte selbst Ella sich ein Schmunzeln nicht mehr verkneifen. Er kannte Hunter erst zwei Minuten und hatte damit voll ins Schwarze getroffen. Hunter war nicht gerade das hellste Licht an der Schule. Man musste ihm alles Hunderte Male erklären, bis er etwas auch nur ansatzweise zu verstehen schien. Wobei Ella vermutete, dass es oft vor allem auch an seinem Desinteresse lag und nicht nur an seiner mangelnden Intelligenz. Und wer konnte es ihm auch verübeln? Sein Vater war eines der fünf Regierungsmitglieder. Ihm würde es daher nie schlecht gehen und war finanziell mehr als abgesichert, so dass er nie im Leben arbeiten musste. Henry hingegen war in dieser Hinsicht etwas anders als sein Zwillingsbruder. Ohne Zweifel war er genauso arrogant und hinterhältig, doch immerhin versuchte er sich im Unterricht etwas besser anzustellen als Hunter. Meist gelang ihm dies auch, doch manchmal stand ihm die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben, wenn er mal wieder nicht mehr mitkam.

Logan hatte mittlerweile offensichtlich genug vom Affentheater seiner Freunde und trat bedrohlich noch einen Schritt auf Evan zu. Ihre Nasenspitzen berührten sich beinahe, so nah stand er nun vor ihm und in Ellas Kopf begann eine Alarmglocke zu läuten. Jemand sollte etwas unternehmen, bevor es nicht doch noch zu einer Schlägerei kam. Denn so sicher sie sich gewesen war, dass ihr Bruder gegen Hunter gewonnen hätte, so sicher war sie nun, dass der schwächliche Evan Logan unterlegen wäre. Seit Evan angekommen war, hatte er noch kein Wort gesprochen. Seinem Aussehen nach beurteilt, hatte Ella erwartet, dass seine Stimme krächzend und hoch klingen würde. Deshalb war sie etwas überrascht nun eine tiefe, melodische Stimme aus seinem Mund zu hören, als er endlich sprach.

„Wieso fühlst du dich von mir, einem einfachen Strassenkind, denn bedroht?“, fragte er leise und wirkte nicht weniger bedrohlich als Logan vorhin.

Kayden klatschte vergnügt in die Hände, wie es ein kleines Kind tat, wenn es sich über etwas freute. Ella konnte sich allerdings nicht genau erklären, weshalb ihm die ganze Situation so Spass bereitete und Logan warf ihm einen abschätzigen Blick zu, bevor er sich wieder an Evan wandte.

„Wieso sollte ich mich von dir bedroht fühlen?“

Er versuchte wohl so viel Arroganz wie möglich in seine Stimme zu legen und doch hörte es sich mehr nach einer ernst gemeinten Frage an als nach Spott.

„Wieso sonst hättest du dir die Mühe gemacht, mir etwas zu erklären, das bereits so klar gewesen war, wie die Fenster in der Stadt?“, entgegnete Evan mit ruhiger, gleichgültiger Stimme.

Logan schien darauf keine Antwort zu wissen und nach dem er Evan noch einmal einen bösen Blick zugeworfen hatte, stolzierte er mit Hunter und Henry im Schlepptau aus der Halle. Über die Schulter rief er noch zurück, Evan sollte ihnen besser aus dem Weg gehen und dann waren sie verschwunden.

Ella war sprachlos. Wirklich. Noch nie hatte sie erlebt, dass Logan vor jemandem davonlief.

,Was? Du sollst sprachlos sein? Das macht mich ja direkt ebenfalls sprachlos, Schwesterlein’, höhnte Kayden amüsiert in ihrem Kopf.

Kayden verstand die Bedeutung wohl nicht so recht. Wie konnte er auch? Er war gerade erst angekommen. Sie hingegen musste sich seit knapp einem Jahr täglich ansehen, wie Logan jeden hier tyrannisierte. Und damit meinte sie nicht nur Ingratis und Operaris. Oft gingen seine Sticheleien und abschätzigen Kommentare auch gegen andere Urbanis. Aber aus irgendeinem Grund hielten ihn diese trotzdem immer noch für eine Art Gott und himmelten ihn an. Einzig Fox schob ihm manchmal einen kleinen Riegel vor, in dem sie ihm seine Videospiele wegnahm oder ihm Zimmerarrest auferlegte.

Aber Evan hatte eigentlich recht gehabt. Logan hätte genauso gut einfach ohne ein Wort zu sagen die Halle verlassen können. Er hatte durch seinen Protest bei Fox bereits seinen Standpunkt deutlich gemacht. Dies hätte wohl einen grösseren Effekt erzielt als seine Anpöbelei.

Kayden klopfte Evan noch immer lachend auf die Schulter, doch Evan nahm das Klopfen gar nicht wahr, sondern starrte noch immer nachdenklich Logan hinterher, der schon längst durch die Tür verschwunden war. Dabei hatte er denselben Ausdruck wie vorhin, als er Kayden und Ella beobachtet hatte.

„Du redest nicht gerade viel, aber wenn du mal den Mund aufkriegst, sollte man sich vor dir in Acht nehmen“, sagte Kayden mit einem vergnügten Zwinkern.

„Das hat echt gesessen!“, stimmte sogar Zoe leicht lächelnd zu.

Ella erstaunte Zoes Reaktion beinahe genauso wie Logans vorhin. Zoe sprach normalerweise noch weniger als sie und wenn, dann auch nur mit Personen, die sie schon längere Zeit kannte. Evan hingegen war so gesehen ein Fremder und doch machte sie ihm sogar Komplimente? Dieser Tag steckte voller Überraschungen. Evan schüttelte leicht den Kopf um seine Gedanken an Logan abzuschütteln, lächelte die drei etwas schüchtern an und zuckte mit den Schultern.

„Was jetzt?“, wollte Kayden fröhlich wissen.

„Nun ja, der Unterricht wird bald beginnen, deshalb bleibt kaum noch Zeit für eine richtige Führung. Am besten machen wir uns auf den Weg und unterwegs erkläre ich das Wichtigste“, schlug Ella ihm vor.

Zoe nickte zustimmend und gemeinsam gingen sie, Ella und Kayden hinaus in den Korridor. Da erst fiel ihnen auf, dass Evan noch immer etwas ratlos in der Halle stand und Kayden sah seine Schwester auffordernd an.

Sie seufzte tief. Sie wollte eigentlich mit Kayden alleine sprechen und sie waren sich einig, dass sie diesem Evan erst mal aus dem Weg gehen wollten, bis sich sein Misstrauen gelegt hatte.

,Falsch. Wir wollten ihm nicht aus dem Weg gehen, sondern uns in seiner Gegenwart unauffällig verhalten.

Ella verdrehte die Augen und Zoe räusperte sich.

„Solche Unterhaltungen solltet ihr in Zukunft vielleicht besser vermeiden. Joanne wurde vorhin bereits misstrauisch, liess sich aber zum Glück leicht ablenken. Doch Evan scheint mir nicht so leichtgläubig zu sein.“

„Deshalb wollte ich ihn nicht dabeihaben. Es wäre alles viel einfacher und dann würde er es auch bald vergessen.“

„Ach komm, so gemein bist du doch sonst auch nicht. Wir können ihn nicht einfach alleine umherirren lassen. Ausserdem scheint er nett zu sein und ich glaube nicht, dass er es jemandem verraten würde, wenn er dahinterkäme. Er scheint ein vertrauenswürdiger Mensch zu sein.“

Sie musterte Zoe von Kopf bis Fuss und seufzte ein weiteres Mal tief.

„Na gut.“

Wenn Zoe für ihn bürgte, obwohl sie ihn nicht kannte, dann vertraute Ella ihr. Sie besass vielleicht keine besondere geistige Fertigkeit, doch hatte sie ausgesprochen gute Menschenkenntnisse.

„Kommst du nun mit uns?“, rief Ella Evan zu. Er musterte sie eingehend und die feinen Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf.

,Sei doch nicht so zickig. Er ist wirklich nett, aber auch sehr schüchtern und misstrauisch.

„Komm schon, Kumpel! Jemand muss dir ja die Schule zeigen. Oder hast du Spass daran gefunden, alles alleine zu erkunden, wie in der Stadt?“, fragte Kayden mit einem Augenzwinkern und die Mädchen sahen ihn fragend an. Was hatte er wieder angestellt?

Nach einem weiteren kurzen Zögern gesellte sich Evan zu ihnen, sagte einen kurzen Dank und die vier setzten sich in Bewegung. Da der Unterricht, oder besser gesagt das Training, nun bald beginnen würde, erklärten die Mädchen nur das Wichtigste auf dem Weg dorthin.

Immer die ersten beiden Stunden morgens stand Training auf dem Stundenplan. Wobei dies nur für die Ingratis und andere aus ärmeren Familien stammenden Kinder galt. Die Urbanis wurden davon ausgenommen und wurden stattdessen in Politik unterrichtet. Wieso dies so war, erklärte niemand, doch war es offensichtlich. Die Kinder, dessen Eltern bereits jetzt einflussreich waren, sollten dies später weiterführen und unter gar keinen Umständen Ingratis. Ihnen wurde keine solche Möglichkeit eingeräumt. Stattdessen sollten sie sich fit halten. Also mühten sie sich täglich zwei Stunden im Fitnessraum ab. Danach hatten sie jeweils eine Stunde Pause um sich zu erholen und danach hatten alle Schüler gemeinsam drei Stunden Geschichtsunterricht. Es folgte eine kurze Mittagspause und am Nachmittag verlief der Unterricht individueller. Dieser Teil der Akademie, und dies musste Ella schweren Herzens zugeben, gefiel ihr sogar. Sie waren dazu verpflichtet, etwas zu tun und durften nicht nur faul herumsitzen. Jedoch konnten sie frei entscheiden, welche Fächer sie belegten und konnten so ihren Interessen nachgehen. Nur die Ingratis, die noch nicht lesen und schreiben konnten, waren verpflichtet, dies jeweils nachmittags zu Beginn so lange mit einem Lehrer zu lernen, bis sie es genügend beherrschten. Danach durften auch sie selbst wählen, welche Fächer sie belegen wollten. Zu Auswahl stand jedes nur erdenkliche Fach. War es nun Mathematik, Natur- oder Geisteswissenschaften. Aber auch Musik, Kunst und handwerkliche Fächer standen zur Verfügung. Ab einem gewissen Alter und Bildungsstand durfte man sogar Medizin belegen. Sie konnten jeden Nachmittag ein anderes Fach besuchen, oder aber auch mehrmals das gleiche und jeden Monat hatte man die Gelegenheit, die Fächer zu wechseln. Nur an jedem Mittwochnachmittag gab es nachmittags ein Pflichtfach für alle Schüler. In diesen zwei Stunden lernten sie mehr über Zeitspringer, ihre Kultur und Vergangenheit. Nun ja, zumindest über die Falsche, welche die Regierung sie lehrte.

Einen Tag in der Woche hatten sie keinen Unterricht und konnten mehr oder weniger machen, was sie wollten. Die Regierung gab ihnen praktisch alles, was ihr Herz begehrte. Abgesehen von ihrer Freiheit. Und sie durften nicht an die Erdoberfläche. Die Akademie lag nämlich unter der Erde in einem uralten Höhlensystem. Vor Tausenden von Jahren einmal musste es hier einen unterirdischen Fluss gegeben haben, der viele natürliche Höhlen im Gestein erschaffen hatte. Diese Höhlen waren zu richtigen Räumen und Gängen ausgebaut worden, stabilisiert und mit modernste Technik ausgestattet. Es gab sehr viel Licht, wenn auch elektronisches, und Bildschirme, die als optische Fenster dienten. Aber man fühlte sich trotz allem eingesperrt wie in einem Gefängnis. Was sie schliesslich auch waren. Die Schule war einigermassen weitläufig, so dass man immer ein ruhiges Plätzchen für sich finden konnte, doch hatten die Schüler nicht zu jedem Bereich Zutritt. Ella vermutete, dass das Höhlensystem mindestens doppelt, wenn nicht dreifach so gross war, wie die Bereiche, welche sie sahen und benutzen durften.

Die Zimmer der Schüler lagen direkt unter der Erdoberfläche im obersten Stockwerk der Schule. Jedes Zimmer verfügte sogar über ein riesiges Fenster in der Decke, welches aus Panzerglas war, damit man nicht mal eben durch das Fenster verschwinden konnte. Doch so wurde ihnen zumindest ein Minimum an Tageslicht gegönnt. Alle paar Wochen hatten die Schüler „Freigang“ und durften in kleinen Gruppen mit Lehrern und Wachen ins Freie an die frische Luft.

Die Akademie erstreckte sich über insgesamt drei Stockwerke. Ob und was darunterlag, wussten Ella und Zoe nicht. Im obersten Stockwerk befanden sich die Schlafräume der Schüler, wobei im Ostflügel alle Zimmer der Knaben untergebracht waren und im Westflügel alle Mädchenzimmer. Die Zimmer lagen alle an einem einzigen, langen, verwinkelten Gang, welcher in den Gemeinschaftsraum der Mädchen beziehungsweise der Jungen führte. Darin befand sich jeweils eine Treppe, die ins untere Stockwerk zum gemischten Gemeinschaftsraum führte. In die oberen Gemeinschaftsräume hatten nur das betreffende Geschlecht zutritt und darauf wurde genau geachtet. Es war strengstens verboten, das andere Geschlecht mit auf sein Zimmer zu nehmen. Deshalb waren die beiden Treppen auch rund um die Uhr bewacht. Ausnahmsweise war es da egal, ob man arm oder reich war. Verboten war dies für alle. Im obersten Stockwerk gab es auch keine einzige Tür oder Gang, der den Ost- mit dem Westflügel verband.

Vom unteren Gemeinschaftsraum aus gelangte man in den Essenssaal, die Küche, die grosse Halle und einem weiteren grossen Saal, der aber nur sehr selten genutzt wurde, sowie eine Krankenstation. Ausserdem befanden sich auf der mittleren Ebene etliche Schulzimmer für den Unterricht und vermutlich die Schlafzimmer der Lehrer und Wachen. Was es genau war, wussten sie jedoch nicht, da sie zu diesem Bereich keinen Zutritt hatten. Im untersten Stockwerk befand sich der riesige Fitnessraum für ihr tägliches Training, weitere Unterrichtszimmer, ein grosses Hallenbad, sowie eine Bibliothek. Zudem konnte man hier unten noch weitere, kleinere Räume als Aufenthaltsraum nutzen. In manchen gab es riesige Bildschirme um Filme zu sehen oder Videospiele zu spielen. Ella und Zoe hielten sich fast nie da auf, da vorwiegend Urbanis da unten waren, um sich zu beschäftigen. Sie konnten sich ohne elektronische Geräte nicht selbst beschäftigen und langweilten sich sofort. Da die beiden Mädchen aus einer kleinen Siedlung kamen, hatten sie damit nicht so Schwierigkeiten. In ihrer Siedlung gab es natürlich auch Elektrizität und auch ein paar Spielkonsolen, doch waren sie darauf nicht so fixiert und abhängig, da sie diese sowieso mit der ganzen Gemeinschaft teilen mussten.

Evan hörte die ganze Zeit schweigend, aber aufmerksam zu, während Kayden immer wieder durch Mädchen abgelenkt wurde, die ihnen „zufällig“ begegneten und kicherten, als sie an ihnen vorbeischlenderten und er sie dabei anlächelte.

Bald schon war es neun Uhr und sie mussten sich für ihr Training umziehen. Auch hier gab es getrennte Umkleidekabinen und Ella wusste, dass für die beiden in der Knabenumkleidekabine bereits neue Trainingskleider bereitgelegt worden waren. Dies taten sie immer, wenn jemand neues kam. Kayden trat vergnügt durch die Tür, die sie ihnen zeigte. Er schien sich auf ein wenig körperliche Anstrengung zu freuen. Evan jedoch blieb etwas verlegen vor Ella und Zoe stehen.

„Ist noch etwas?“, fragte Ella ihn.

Auf der kurzen Führung hier hinunter war ihr klargeworden, dass er wirklich ganz in Ordnung zu sein schien und sie ihn vorhin unfair behandelt hatte. Er hatte bisher kein Wort mit ihnen gesprochen, doch sprach eben dies auch für ihn. Er war aufmerksam und machte sich zuerst Gedanken, bevor er etwas sagte. Ella hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie sich vorhin so zickig verhalten hatte, doch sie hatte sich Sorgen um Kaydens Sicherheit gemacht.

„Nun ja... Ich weiss nicht einmal wie ihr heisst“, sagte er, während sich ein Hauch von Rosa auf seinen Wangen ausbreitete.

Die Mädchen sahen sich verdutzt an und fingen dann an zu lachen.

„Oh, entschuldige bitte! Das ging vorhin irgendwie vergessen wegen des Logan-Dramas. Ich bin Ella.“

Sie wollte gerade auch Zoe vorstellen, als sie selbst den Mund öffnete.

„Und ich heisse Zoe“, sagte sie lächelnd.

„Schön euch kennen zu lernen, Ella, Zoe. Danke nochmals für die Führung, das war sehr nett von euch“, erwiderte er ebenfalls lächelnd und verschwand durch die Tür in die Umkleidekabine.

Meliori

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