Читать книгу Der Schatzjäger: All You Need Is A Hunter - Ladina Bordoli - Страница 5
Kapitel 1
ОглавлениеÜber dem Atlantik,
Dezember 2016
Hanna schlug die Augen auf und wandte den Kopf zu Valerio, der neben ihr aus dem Fenster starrte. Sie musste eingeschlafen sein. Das monotone Rauschen des Triebwerks lullte sie erneut ein, und ihre Augenlider sanken bleischwer auf halbmast. Bevor der Schlaf sie ein weiteres Mal hinwegtrug, drehte Valerio den Kopf, und ein amüsiertes Lächeln zuckte um seine Mundwinkel.
»Ich an deiner Stelle würde mir den Schlaf für später aufheben. Wir erreichen Mexico City gegen neunzehn Uhr Ortszeit. Du wirst sonst die ganze Nacht mit Glubschaugen wie ein Koboldmaki im Bett liegen und keine Ruhe mehr finden.«
Hanna gab ein Kichern von sich, das man irgendwo zwischen einem heiseren Gurgeln und einem Röcheln ansiedeln konnte. Sie gähnte ausgiebig, streckte das Kreuz durch und hörte ihre Wirbelsäule protestierend knacken. »Du hast recht, ich sollte mir die Müdigkeit für später aufheben. Servieren sie noch Kaffee oder sind wir schon auf dem Landeanflug?«
Ihre Frage wurde kurzerhand von selbst beantwortet, als ein Flugbegleiter mit einem Getränke-Trolley neben ihr stehen blieb.
»Eine Erfrischung gefällig, Madame?« Sein solariumgebräuntes Gesicht verzog sich zu einem maskenhaften Lächeln. Hanna nahm es ihm nicht übel. Sie durfte sich gar nicht erst vorstellen, wie es sich anfühlte, wenn man bei einem knapp fünfzehn Stunden andauernden Flug ständig freundlich und zuvorkommend sein musste. Hannas Gesichtszüge wären dabei schon längst eingeschlafen. In ihrem (ehemaligen!) Beruf hatte sich ihr Kiefer nach einem anstrengenden Arbeitstag vom vielen Lächeln manchmal angefühlt, als hätte ihn jemand mit einer Faust traktiert. Muskelkater vom Freundlichsein nannte man so was.
»Gern Kaffee, mit ordentlich Milch und Zucker.«
Valerio grinste. Sie konnte seinen hochgezogenen Augenbrauen entnehmen, dass er es äußerst unterhaltsam fand, dass sie den schwarzen Muntermacher an jeder Ecke dieser Welt gleich bevorzugte. Café au Lait wie am ersten Tag ihrer Begegnung.
»Und für Sie, Sir?«
»Ein Corona, bitte.«
Hanna drehte sich in ihrem Sitz um und starrte ihren Partner mit offenem Mund an.
»Du trinkst ein Bier? Um diese Uhrzeit?«
Valerio ergriff ihre Hand und drückte sie. Mit einem verwegenen Schmunzeln und einem spöttischen Glitzern in den Augen meinte er: »Meine Teuerste, es ist hier später Nachmittag. Die Mexikaner lieben Bier, und ich habe jetzt Ferien!«
Da war es wieder, das alles entscheidende Stichwort, das Hanna aufgrund ihrer Schläfrigkeit vollkommen vergessen hatte.
Urlaub.
Zum ersten Mal, seit sie sich kennengelernt hatten, waren sie nicht beruflich unterwegs. Kein größenwahnsinniger Kapitalist, kein von Unsterblichkeit besessener Irrer und kein Artefakt mit mystischen Eigenschaften oder einem geschichtsträchtigen Namen.
Einfach nur Valerio, Hanna und Mexiko.
Es kam ihr gerade gelegen, dass sich die Eltern noch immer auf ihrer Weltreise befanden und deshalb kein Familien-Weihnachtsfest anstand. Ebenso war sie erleichtert, dass ihre Senioren von ihrem neuen Leben noch nichts mitbekamen. Wie hätte sie ihnen die vielen Reisen und Abenteuer erklären sollen?
Nicht dass Roberto Noberasco von ihren Ferienplänen sonderlich begeistert gewesen wäre. Die Tatsache, dass sich Hanna im philippinischen Dschungel so vorbildlich geschlagen und den gesamten November ausbildungstechnisch den Arsch aufgerissen hatte, hatte ihm ein undefinierbares Grunzen entlockt.
Valerio gab ihr mit seinem optimistisch funkelnden Blick zu bedeuten, dass es sich dabei um eine seltene, als Wohlwollen zu wertende Zustimmung des Ordensoberhaupts handle.
»Aber nur zwei Wochen, dann muss Hanna weiter an sich arbeiten!«, grummelte er und wandte sich scheinbar beschäftigt einem Stapel Papier zu, das er mit laut hörbarem Rascheln von einem Haufen auf den nächsten legte. »Normalerweise machen Unseresgleichen keine Ferien.« Die Art, wie er das Wort Unseresgleichen betonte, löste in Hannas Brust ein hysterisches Kitzeln aus. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht lauthals loszuprusten, krallte die Hände ineinander, als bete sie und versuchte, ruhig zu atmen.
»Deine Generation vielleicht nicht, wir Jungen denken da anders. Frag doch mal Kevin und Elenor!«, hielt ihm Valerio mit einem Anflug von Hitzköpfigkeit vor. Leichte Röte färbte seine Wangen.
Es war hinlänglich bekannt, dass der Schatzjäger-Nachwuchs nicht mehr gewillt war, ein Leben in Klausur zu verbringen. Dennoch mangelte es niemandem von ihnen an Hingabe und Ernsthaftigkeit, wenn eine Mission anstand.
»Außerdem ist jede Reiseerfahrung zugleich auch Ausbildung. Je mehr Orte dieser Welt wir nicht nur aus der Essenziellen Literatur kennen, desto besser werden wir unserer Aufgabe als Schatzjäger gerecht. Mexiko ist in Bezug auf die Mysterien ein heißes Pflaster. Je eher Hanna eine Beziehung zu Mexiko und unseren dortigen Kontakten herstellt, desto vorteilhafter für ihre Zukunft als Schatzjägerin. Verbuche es mental doch einfach als Studienreise.«
Roberto hob mit einem harten Zug um den Mund den Blick. Sein eisiges Schweigen war Antwort genug. Hanna hoffte inständig, Valerio würde es nun bei diesen Argumenten belassen. Sie spürte den nahenden Ausbruch wie die sich damals aufblähende Beule am Mount St. Helens. Wenn man die Gnade des Seniors mit zu vielen Worten überstrapazierte, würde er explodieren, und dann waren Hopfen und Malz verloren.
Valerio verkniff sich ein siegessicheres Grinsen, neigte den Kopf, als verbeuge er sich, fasste Hannas Hand und entfernte sich schweigend.
Auf dem Flur angekommen, schloss er sie stürmisch in die Arme und presste seine glühenden Lippen auf ihre.
»Wir fliegen nach Mexiko!«
Hanna nippte mit einem zufriedenen Grinsen an ihrem Kaffee. Sie hob ihre Tasse in Valerios Richtung, als wollte sie mit ihm anstoßen. Er nahm einen kräftigen Schluck Bier und lehnte sich mit einem wohligen Seufzen in seinem Sitz zurück.
Kurze Zeit später verkündete der Maître de Cabine, dass man sich anschnallen und bitte auf seinen Plätzen bleiben möchte. Der Landeanflug begann.
Hanna beugte sich zu Valerio hinüber, um aus dem ovalen Flugzeugfenster linsen zu können. Sie sog seinen herben Duft ein und schnupperte mit geschlossenen Augen kurz an seinen nach Kräutern duftenden Haaren. Schließlich konzentrierte sie sich wieder auf das sich rasant nähernde Ziel ihrer Reise.
Unter ihnen wurde die pechschwarz glitzernde Wasseroberfläche des Golfs von Mexiko sichtbar. Die Sonne war bereits untergegangen, sodass sich das Wasser wie ein bewegter Teppich aus Öl, eine undefinierbare, dunkle Masse, vor ihrem Blick ausbreitete.
Nach einer Weile wich die bodenlose Düsternis dem Glitzermeer der Stadt Mexiko. Hanna sog ehrfürchtig die Luft ein. Die Lichter der Metropole waren dermaßen hell, dass sie den dunklen Abendhimmel ähnlich dem Polarlicht in ein farbenfrohes Schimmern aus Violett, Gelb, Blassgrün und Blau tauchten. Die pulsierenden Lichtpunkte, die das Leben der Stadt wie eine glimmende Kontur widerspiegelten, erinnerten Hanna an die Frostfeuer in den Schweizer Rebbergen. In der Ferne erhoben sich die schummrigen Umrisse der Bergketten.
Mexiko war im Gegensatz zu zahlreichen anderen Weltstädten, die Hanna auf dieser Welt schon besucht hatte, ein Ballungszentrum, das auf einer Hochebene, auf über 2200 Meter über dem Meeresspiegel, lag. Mit sommerlich-heißen Temperaturen, wie man sich das als nichtsahnender Europäer bei Mexiko vorstellte, brauchte man hier nicht zu rechnen. Tagsüber gab es mit etwas Glück maximal vierundzwanzig Grad, nachts konnte es empfindlich kühl werden. Globetrotter warnten auf ihren Internetblogs davor, die Sonne Mexikos zu unterschätzen. In dieser Höhenlage brannte der Himmelskörper umso gnadenloser auf die Menschen nieder. Dazu kam noch, dass die Luft auf über 2200 Metern eher dünn war und vereinzelt sogar zu Atem- und Kreislaufbeschwerden führen konnte.
Hanna hoffte, davon verschont zu bleiben.
Mit einem sanften Ruck, der das Innenleben der Kabine zum Knirschen brachte, setzte das Flugzeug auf der Landebahn auf.
Welcome to Mexico City.
Willkommen in der alten Welt.