Читать книгу Der Schatzjäger: All You Need Is A Hunter - Ladina Bordoli - Страница 6
Kapitel 2
ОглавлениеMexico City, Mexiko
Dezember 2016
Hanna kämpfte mit dem Stadtplan, der aufgrund seines Detaillierungsgrads eher groß ausgefallen war. Valerio grinste, verkniff sich jedoch mit vor der Brust verschränkten Armen ein Lachen.
»Wozu genau brauchen wir nochmals eine Landkarte der Stadt?« Er hob feixend eine Augenbraue.
»Du willst ja wohl nicht behaupten, dass du Mexico City wie deine Westentasche kennst, bloß weil du bereits einmal hier warst!« Das Reißen von Papier zerschnitt die Luft, dicht gefolgt von Hannas unterdrücktem Fluch. Auch wenn die Temperaturen in dieser Höhenlage angenehm bis kühl waren, schwitzte sie.
»Das nicht, aber spielt das denn eine Rolle? Wollen wir die Stadt nicht einfach auf eigene Faust entdecken?« Er steckte die Hände lässig in die Hosentaschen seiner Jeans.
»Das schon, aber wir sind ja offiziell als Reisende hier – nicht im Dienst. Das despotische Oberhaupt des Orderns hat uns gerade mal lächerliche zwei Wochen Urlaub gewährt ... da will ich jene Dinge, die ein normaler Tourist gesehen haben sollte, in nützlicher Frist besucht haben.«
»Was hast du denn für unseren heutigen Tag geplant?« Valerio musterte sie erneut mit diesem spöttischen Schimmern in den Augen. Sie ließ die Arme entnervt sinken und stopfte die Karte mehr schlecht als recht zurück in ihren Rucksack. Er hatte sie genau das schon den ganzen Morgen über gefragt.
»Das weiß ich noch nicht, planen ist nicht meine Stärke, wie du weißt. Wir befinden uns gemäß der Rezeptionsmitarbeiterin am Ausgangspunkt für eine Stadtbesichtigung. Jetzt versuche ich, mir einen Überblick zu verschaffen. Irgendwo hier muss dieses Centro Histórico sein, von dem sie gesprochen hat.«
Nun entwich Valerio ein amüsiertes Glucksen.
Hanna bohrte ihren Blick in seinen.
»Wir sind im Centro Histórico, Hanna. Wir befinden uns auf dem Zócalo, auch Plaza de la Constitución genannt.«
Sie riss die Augen auf und drehte sich einmal um ihre eigene Achse. »Das mag ja sein, nur sehe ich hier keine aztekischen Tempel. Hier müssten irgendwo die Überreste der Hauptstadt der Azteken, Tenochtitlàn, sein.«
Valerio wies mit dem Finger hinter Hanna. »Der historische Pfad für die Touristen beginnt dort drüben.«
»Warum hast du das nicht gleich gesagt?«
»Weil du nicht gefragt hast und weil wir ja nicht im Dienst sind und daher lieber mit dem Stadtplan arbeiten ... wie normale Reisende.«
»Schuft!« Hanna konnte sich ein Prusten nicht verkneifen und stieß Valerio mit dem Ellenbogen in die Seite. »Von jetzt an mimst du bitten den Tourist-Guide, ich hänge den Job hiermit offiziell an den Nagel.« Sie schulterte ihren Rucksack, nahm Valerios Hand und ließ sich von ihm durch die Menschenmenge führen.
Der Zócalo war das Epizentrum von Mexico City. Er war einer der größten Plätze der gesamten Welt. Die spanischen Eroberer veranstalteten auf ihm nicht nur Märkte, sondern auch Stierkämpfe. Bei den Azteken befand sich im nördlichen Teil des Zócalo der Südsektor des Tempelbezirks. Bei diesem Gedanken fröstelte Hanna. Die Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf, und ein Kribbeln rann entlang ihrer Wirbelsäule.
Wie sie nach einigen Minuten feststellte, war es nicht möglich, diesen von pulsierendem Leben überquellenden Platz in der touristischen Eile, die nach Ruinen dürstete, zu überqueren. Dieser Ort folgte seiner eigenen Magie. Wie das Summen eines Insektenschwarms biblischen Ausmaßes vermengten sich die Stimmen der zahlreichen Familien und Reisenden zu einem wummernden Brei. Grellbunte, federngeschmückte Kostüme zierten die verschiedenartigen Darsteller, die in Form von Tänzen oder anderen Pantomimen versuchten, die Geschichte ihrer Vorfahren, der Azteken, vorzuführen. Auch das flutartige Hereinbrechen der spanischen Konquistadoren wurde überschwänglich und lärmend dargestellt. Von irgendwoher wehte der Duft nach frisch gebrautem Kaffee, vermischt mit der klebrigen Süße der dazugehörigen Gebäcke. Der Duft von gebratenem Fleisch, Zwiebeln und das beißende Aroma der landesweit vergötterten Chili, lag ebenfalls wie eine Prophezeiung in der Luft. Hanna lief das Wasser im Mund zusammen, obwohl ihr Frühstück noch gar nicht allzu lange zurücklag.
Der Himmel über ihnen wies ein milchiges Grau auf, das in starkem Kontrast zum lebens- und farbenfrohen Treiben auf dem Platz stand.
Nach einer gefühlten Ewigkeit und mehreren Kollisionen mit Mitmenschen erreichten sie endlich das Ende des Zócalo und sahen im Hintergrund die Ruinen des einstmals größten Tempels der aztekischen Hauptstadt Tenochtitlàn. Als Touristen mussten sie für die Besichtigung der Tempelruinen Eintritt bezahlen. Erst dann wurde ihnen der Weg zum ehemaligen kulturell-politischen Herz der Azteken freigegeben.
Erneut durchfuhr Hanna beim Betreten der Ruinenstadt ein eisiges Frösteln, ihr Herz zog sich furchtsam zusammen. Steinerne Schlangenskulpturen krochen den Tempeln entlang, und ihr war es, als höre sie das Schleifen ihrer schuppigen Leiber auf dem Untergrund. Ein böswilliges Funkeln sprang aus ihren scheinbar erstarrten Augen, und ein hämisches Zischen hallte durch Hannas Kopf, als sie die gespaltenen Zungen gegen den hässlichen Rachen klatschen hörte. Sie spürte die Gegenwart des Todes durch seine Symbolik, aber auch seine gesichtslose Präsenz beinahe körperlich.
Das wurde keinen Deut besser, als sie vor der sogenannten Schädelmauer stehen blieben. Eine Armee von steinernen, mit gläsernem Blick ins Leere starrenden Fratzen. Sie stellten sinnbildlich die Schädel der geopferten Menschen dar. Eine Tafel wies daraufhin, dass man bei den Ausgrabungen tatsächlich die Köpfe solcher Opfer gefunden hatte, ebenso wie die dazugehörigen Behälter.
Hanna schluckte. Jedenfalls versuchte sie es. Ihr Mund war eigenartig trocken. Irgendwie hatte sie sich ihren Urlaub etwas ... lebensbejahender vorgestellt.
»Hier herrscht eine seltsame Stimmung.« Valerio sprach das aus, was sie bereits die ganze Zeit über dachte.
»Das habe ich beim Besuch solcher Kultstätten schon oft erlebt. Es ist, als würde die Energie der begangenen Taten dieser Menschen auch noch Jahrhunderte später nachhallen. Manchmal scheint es, als könne man ihr ausgelassenes Gelächter oder aber ihre markerschütternden Todesschreie auch noch mehrere Epochen danach hören. Ein makabres Echo.«
Bevor Hanna ihre Beklemmung ebenfalls in Worte fassen konnte, bemerkte sie eine Gestalt neben sich. Sie wandte sich ihr erstaunt zu. Einige Sekunden lang strich ihr milchiger Blick suchend über Hannas Kopf hinweg, als sehe sie dort irgendwas, das dem Normalsterblichen verborgen blieb.
Vielleicht einen Heiligenschein, dachte Hanna amüsiert. Das Lachen verging ihr jedoch augenblicklich, als die alte Mexikanerin mit dem wattigen weißen Haar sie anstierte, als sei sie der Leibhaftige. Ihr sonnengebräuntes, wettergegerbtes Gesicht war von tiefen Furchen übersät.
Wie die knorrige Rinde eines Baustamms, dachte Hanna.
Sie zeigte mit ihrem gichtgekrümmten Finger auf Hanna. Die starrte die schmutzigen, abgenagten Fingernägel an und suchte dann den Blick der Greisin. Ihre Augen glühten, so intensiv stierten sie sie an. Valerio räusperte sich und sprach die Frau auf Spanisch an. Sie schüttelte den Kopf so heftig, dass ihr Haar hin und her wippte. Energisch presste sie die Lippen aufeinander, und eine steile Falte bildete sich zwischen ihren Augenbrauen. Dieses Mal bedeutete sie Hanna, näher zu treten.
Valerio versuchte es mit einer der indigenen Sprachen. Nichts. Er wählte eine andere.
Das Gesicht der Frau schnellte in seine Richtung, und Erkenntnis flackerte in ihren Augen auf. Der Anflug eines Lächelns huschte über ihre strengen Züge. Sie antwortete ihm. Gleichzeitig kramte sie in der Tasche ihres Rocks und förderte ein unscheinbares Amulett zutage. Hanna rümpfte die Nase.
»Sag ihr, wir kaufen nichts. Das Ding sieht nicht mal besonders hübsch aus. Als wär's aus den groben Steinen dieser Ruine hier.«
Valerio beachtete sie nicht und sprach weiter mit der alten Frau, die nun mit einer erstaunlichen Eloquenz auf ihn einredete und immer wieder mit der Hand wedelte, in der sie den Anhänger umklammert hielt. Nach jedem Satz zeigte ihr Finger eindringlich auf Hanna. Ihre Stimme nahm plötzlich einen flehenden Ton an, und sie fasste Valerio am T-Shirt. Er hob beschwichtigend die Arme, antwortete etwas und kramte in seiner Jeans nach ein paar Münzen. Die Frau lehnte das Geld vehement gestikulierend ab und trat mit bebenden Lippen und glänzenden Augen auf Hanna zu. Erneut schweifte ihr Blick über ihren Kopf. Ein warmer Ausdruck breitete sich auf dem Gesicht der Greisin aus, als sie nach Hannas Hand griff und den grauen Stein mit dem Lederband hineinlegte. Sie schloss ihre Faust behutsam mit ihren rauen Fingern, als wolle sie so sichergehen, dass Hanna das Schmuckstück nicht verlor. Gleichzeitig legte sie ihre Hand auf die Brust. Hanna folgte ihrer Bewegung mit den Augen – sie trug ebenfalls ein Amulett. Dasselbe. Sie verneigte sich vor ihnen und entfernte sich mit einer für eine Greisin erstaunlichen Geschwindigkeit.
Hanna drehte sich zu Valerio um. »Was zum Henker war das denn?«
Er starrte der betagten Mexikanerin immer noch mit sorgenvollem Blick hinterher und strich sich mit den Händen über den Bart.
Schließlich zuckte er die Schultern. »Sie wollte unbedingt, dass du ihr Amulett erhältst. Sie meinte, es bringe einer Frau Glück und Fruchtbarkeit. Die darin eingemeißelte Schlange steht für diese Dinge. Frag mich nicht, was sie in dir gesehen hat, aber sie war der felsenfesten Überzeugung, dass ausgerechnet du es haben solltest. Niemand sonst, betonte sie mehrfach.« Hanna spürte erneut den Funkenregen eines Fröstelns durch ihren Körper jagen.
»Du bist so nachdenklich. Was hat sie denn noch gesagt?« Sie wurde das Gefühl nicht los, dass er ihr etwas verheimlichte.
»Hm ... nichts. Seltsam war nur, dass sie bloß Mayathan verstand, eine indigene Sprache, die man hier eigentlich nicht spricht.«
»Wo denn dann?« Hanna musterte seine Gesichtszüge. Sie konnte das Rattern seiner mentalen Zahnräder förmlich hören.
»Auf der Halbinsel Yucatán, dem Land der Maya.«
»Ist das nicht unser nächstes Reiseziel? Cancún?«
»Richtig, aber wir nehmen das Flugzeug ...«