Читать книгу Die Tochter der Eriny - Lara Elaina Whitman - Страница 7

Hexenspionin

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Die Sonne sank tiefer und tauchte die Landschaft in graues Zwielicht. Es blieb so hell, dass ich gerade noch genug um mich herum erkennen konnte. Tiere huschten durch das Dickicht, hielten aber Abstand zu mir. Ein oder zweimal glaubte ich so etwas wie ein Kiohtuan zu sehen, aber ich konnte mich auch getäuscht haben. Ohnehin war ich zu müde um noch über die Gefahren nachzudenken, die es hier zweifellos gab. Zwischenzeitlich lief ich wie ein Automat. Einen Schritt nach dem anderen zwang ich meinen Körper vorwärts zu gehen. Der Schlamm, durch den ich waten musste, war stellenweise knöcheltief. Ab und zu gab es tiefe Senken in dem Gelände und ich hatte Angst hineinzufallen, da das Zwielicht die Konturen verschwimmen ließ und Kanten seltsam abflachte. Ich war so müde, aber ich wusste, dass ich nicht stehen bleiben durfte. Ich würde nicht mehr aufstehen und hier, ungeschützt wie ich war, sterben. Nur noch mein Wille trieb mich voran und ich wartete darauf, dass ich endgültig zusammenbrechen würde. Von dem Fluss war nichts mehr zu sehen, zu dem ich ursprünglich wollte. Ich kam nur an ein paar Tümpeln vorbei, deren sumpfiges Ufer mich davon abhielt daraus zu trinken. Vermutlich wäre es auch nicht gesund gewesen. Aus einigen schauten mich dazu noch große geschlitzte Augen an, die knapp über der Oberfläche dahintrieben, so als ob sie zu keinem Lebewesen gehörten. Ich war mir aber sicher, dass sich der dazugehörige Kopf knapp unter der Wasserlinie befand. Wer weiß, was da lauerte.

Dann setzte auch noch der Regen ein. Donner rollte leise in der Ferne und Blitze zuckten über den sich immer mehr verdunkelnden Himmel. Ich war in wenigen Minuten klitschnass, aber ich öffnete den Mund und trank durstig das saubere Wasser. Wenigstens hatte ich jetzt ausreichend zu trinken, denn der Regen wollte auch die nächsten Stunden nicht mehr aufhören vom Himmel zu fallen. Der rauschende Vorhang wurde immer dichter und irgendwann wusste ich endgültig nicht mehr, in welche Richtung ich lief. Der Untergrund verwandelte sich zunehmend in ein quietschendes Polster, in das ich bei jedem Schritt einsank. Ich war gerade dabei einen kleinen Hügel hinunterzuklettern, als ich über eine niedrige Mauer aus groben, übereinandergeschichteten Feldsteinen stolperte. Die Mauer glich denen, die ich in Schottland überall auf den Wiesen gesehen hatte. Fast hätte ich geweint. Endlich ein Zeichen von Zivilisation. Vielleicht sollte ich dem Mäuerchen folgen? Allerdings waren die Mauern in Schottland kilometerlang und führten nicht unbedingt zu einem Haus. Möglicherweise war das hier auch nicht anders. Ich versuchte zu erkennen wie lang die Mauer wohl war, konnte aber nur feststellen, dass sie nach ein paar Metern höher wurde und bis über meinen Kopf reichte. Außerdem, wo würde sie mich denn schon hinführen? Mit Sicherheit nicht an einen Ort an dem es Menschen gab, eher Dämonen oder Elben. Ich wusste nicht, ob ich auf das Zeichen der Eriny weiterhin vertrauen konnte. Bis jetzt hatte es mir geholfen, aber nicht immer. Fürst Ausonor zum Beispiel schien mich aus irgendeinem Grund nicht zu mögen und hatte versucht mich schon zweimal aus dem Weg zu räumen.

Ein unkontrolliertes Zittern befiel mich. Konnte man vor Schwäche sterben? Ich sank auf die Knie, der Matsch war wenigstens weich, so dass ich mich nicht verletzte. Nur ein klein wenig ausruhen wollte ich mir erlauben. Schutzsuchend lehnte ich mich an die Mauer, da wo sie höher war. Sie hatte ein kleines Dach unter dem es erstaunlicherweise trocken geblieben war und das mich gerade so vor dem prasselnden Regen bewahrte. Ich legte den Kopf zwischen die Knie und schlief augenblicklich ein.

Ein Schnüffeln weckte mich auf. Ich lauschte in das Zwielicht hinein, das die Landschaft in ein fahles bläuliches Licht tauchte. Der Regen hatte aufgehört und am Fuß des Hügels erstreckte sich eine weite Ebene, die von einem breiten, gemächlich dahinfließenden Fluss durchbrochen wurde. Weit dahinter, ganz klein und winzig, erhob sich eine Trutzburg. Zumindest sah es aus wie eine, obwohl ich mir nicht sicher war, da es so weit weg war und ich die Augen zusammenkneifen musste um überhaupt etwas zu erkennen. Es hätte ebenso gut ein seltsam geformter Berg sein können. Das Schnüffeln jenseits der Mauer lenkte mich ab. Es kam näher. Ein Grunzen gesellte sich dazu. Das Grunzen erinnerte mich an etwas. Vorsichtig versuchte ich meine Beine zu strecken. Sie waren eingeschlafen und mein Rücken schmerzte von der ungewohnten Haltung, doch ich schaffte es ganz leise aufzustehen und über die Mauer zu spähen. Erstaunt betrachtete ich die Herde Poh-Einhörner, die sich gemächlich auf der anderen Seite niedergelassen hatte. Manche waren noch dabei Essen zu fangen, jedenfalls hingen Froschbeine aus ihren Mäulern. Große und sehr lange Froschbeine. Die dazugehörigen Frösche mussten ja riesig sein, so groß wie ein Dackel. Von denen hatte ich gar nichts bemerkt. Vielleicht kamen sie aber auch erst heraus, wenn es nicht mehr regnete. Soviel dazu, dass sie Aasfresser waren. Brioc na Andranor hatte recht. Sie nahmen auch anderes Futter, wenn sie es fanden und nicht nur halbverweste Eingeweide. Ich betrachtete die Tiere eine Weile aus meiner Deckung heraus und überlegte, ob sie gefährlich für mich waren. Sie trugen jedenfalls kein Zaumzeug und sahen ziemlich wild aus. Besser ich verschwand von hier, bevor sie auf die Idee kamen, ich könnte möglicherweise gut schmecken. Andererseits hätte ich angesichts der dünnen Besiedelung dieser Landschaft ein Transportmittel bitter nötig. Mein Magen meldete sich knurrend. Die Poh-Einhörner sahen wie auf Kommando zu mir herüber. Ein besonders Großes erhob sich und trabte auf die Mauer zu, die spitzen Zähne gefletscht. Das war wohl der Bulle. Ich trat schleunigst den Rückzug an und versteckte mich ein paar Meter weiter hinter einem Felsen. Vorsichtig spähte ich hervor. Das Tier streckte seinen großen Kopf über die Mauer und schnüffelte ausgiebig. Dann stieß es ein trompetendes Grunzen aus und trat ein paarmal gegen die Steinmauer, um anschließend wieder gemächlich zu seinem Platz zurückzukehren. Für mich war damit klar, dass ich auf keinen Fall auf die andere Seite hinüberklettern würde. Was für ein Glück für mich, dass ich auf dieser Seite eingeschlafen war. Nicht auszudenken was der Einhornbulle mit mir gemacht hätte, wenn er mich schlafend gefunden hätte. Ich entfernte mich in geduckter Haltung und schlich in die Richtung davon, in der ich den Fluss vermutete. Mein Weg führte mich querfeldein, über ein paar wenige bereits abgeerntete Felder. Ab und zu begrenzten niedrige Hecken den Feldrand und zwangen mich zu einem Umweg. Das hier glich wirklich so sehr den schottischen Highlands, dass ich mich in einen Urlaub mit meinen Eltern zurückversetzt fühlte. Was waren wir glücklich und unbeschwert gewesen. Es waren wundervolle Ferien. Ich zwang mich nicht mehr an meine Eltern zu denken, denn dann würde ich mich hier in den Dreck werfen und nicht mehr mit dem Weinen aufhören.

Ich kam unter ein paar Bäumen durch, an denen kleine Früchte hingen. Wenn ich nur wüsste, ob ich die essen konnte. Ich war so hungrig. Mit einer vor Nässe triefenden Hand rieb ich mir über die Augen. Sie brannten mich von der Kälte und dem Wasser. Vielleicht gab es hier einen Walnussbaum. Ich sah mich um, aber ich hatte Pech. Die Bäume sahen alle gleich aus, mit den gleichen kleinen Früchten daran. Niedergeschlagen schleppte ich mich weiter. Die Landschaft wechselte und immer mehr Felder tauchten auf. Hier gab es eindeutig jemanden, der sie bewirtschaftete. Ob ich diese Leute um Hilfe bitten konnte? Ich entschied mich dagegen und tauchte zwischen den mit irgendeinem Getreide bewachsenen Äckern unter. Ein schmaler Fußweg führte zwischen ihnen hindurch und verbarg mich vor neugierigen Blicken. Die Felder schienen sich endlos zu dehnen und ich hatte schon Angst, dass ich mich darin verlaufen würde, als ich endlich auf der anderen Seite herauskam. Ein kleiner Wald begrenzte dieses Mal den Feldrand. Der Pfad, dem ich die ganze Zeit gefolgt war, verschwand darin. Das Wäldchen hatte ich von dem Hügel aus gar nicht gesehen. Bäume mit dicken Stämmen und breiten Kronen säumten den schmalen Weg und ließen mein Herz höherschlagen. Sie waren schon sehr alt. Es waren Eichen und sie erinnerten mich an die Bäume des Hains am Zaubersee. Vielleicht war das ein Triskelehain. Im Gegensatz zu den Tunneln war das Triskelenetz nicht gefährlich. Kadmus Kentrendan hatte zwar gesagt, dass es nicht mehr funktionierte, aber vielleicht war das genauso wie mit den Tunneln. Ich konnte ja trotzdem hindurchgehen, sofern mir kein böser Zauber, wie der der Hexenmagierin Alastora Elez, den Weg versperrte. Ich wusste zwar nicht, wo ich dann herauskommen würde, aber einen Versuch war es wert. Hier konnte ich nicht bleiben und zu der großen Burg würde ich zu Fuß bestimmt ein paar Tage brauchen. Bis dahin war ich verhungert, obwohl das soweit ich wusste nicht so schnell wie verdursten ging. Ein paar Tage würde ich wohl schon durchhalten oder waren es ein paar Wochen? Mir war jetzt schon ganz flau und es war erst einen Tag her, dass ich gegrilltes Wildschwein gehabt hatte. Wie sollte ich da mehrere Tage aushalten?

Mutig betrat ich den Wald. Dickicht umschloss mich und dämpfte die Geräusche der Tiere. Es wurde immer dunkler. Mühsam tastete ich mich vorwärts, immer von der Angst verfolgt, dass ich in etwas hineinfasste, das nicht gut für mich war oder mich etwas fraß, das im Dunkeln besser sehen konnte als ich. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Lange würde ich das nicht mehr durchhalten. Ich hatte mich schon ein paarmal heftig an einem niedrighängenden Ast gestoßen und war schon ganz zerschrammt.

Urplötzlich endete der Pfad an einer winzigen Lichtung, auf der verwitterte Steinplatten auf dem Boden lagen, die von sechs Bäumen umstanden waren. Das spärliche Licht, das die tiefstehende Sonne durch die Lücken in der aufreißenden Wolkendecke herabsandte, reichte gerade aus die Lichtung zu erhellen, damit ich etwas erkennen konnte. Bäume waren geborsten, große Äste lagen auf dem Boden und dichter Bewuchs überwucherte die dicken Wurzeln der alten Riesen. Drei der Bäume waren abgestorben. Sie sahen gespalten und verkohlt aus. Vermutlich ein Blitz, der hier schon vor langer Zeit eingeschlagen hatte. Trauer berührte mein Herz, als ich am Rand der Steinplatten von Baum zu Baum entlangging. Die Steinplatten waren mit Gras überwuchert und standen vom Boden ab. Es sah so aus, als wäre hier lange niemand gewesen, denn das Gras reichte mir bis zu den Hüften. Seit einer langen Zeit hatte das niemand Instand gehalten. Hier gab es vermutlich kein Triskelezeichen. Mutlos ließ ich den Kopf hängen. War das mein Ende? Würde ich in dieser kargen Landschaft an Hunger und Entkräftung zu Grunde gehen? War das mein Schicksal? Was würde jetzt wohl der Tektek-Dämon dazu sagen? Wut regte sich in mir. So einfach würde ich doch nicht aufgeben.

Es raschelte verdächtig in dem hohen Gras und ich erstarrte zur Salzsäule. Was immer dort lauerte, ich wollte es nicht wissen. Furchtsam sah ich mich um, konnte aber nichts erkennen. Ob ich wohl schnell genug dafür war auf einen der Bäume zu klettern, die noch intakt waren? Das Rascheln wurde stärker und ich überlegte nicht mehr lange. Hastig lief ich zu dem Baum der noch am meisten Leben in sich hatte. Zum Glück hatte er tiefhängende Äste, an denen ich mich rasch würde hochziehen können. Ich legte die Hand an den Stamm und zuckte überrascht zurück. Ein Leuchten lief durch die alte Eiche. Es breitete sich aus, bis in die Krone hinauf und über die Wurzeln hinweg in die Erde hinab. Etwas zischte verärgert hinter mir. Etwas Großes, von dem ich nur noch einen Schatten sah, rannte in die andere Richtung davon und verschwand im Dickicht, das diesen zerstörten Hain umstand. Unter meinen Füßen zitterte der Boden. Es war nur ganz leicht, aber ich hatte es gespürt. Ein Erdbeben? War das Wesen deshalb davongelaufen? Sollte ich das jetzt auch tun? Ich warf einen raschen Blick auf meine Umgebung. Sonst hatte sich nichts verändert, soweit ich feststellen konnte. Ich entschied mich gegen das Weglaufen. Ich würde jetzt einfach auf den Baum steigen und warten bis es hell war. Das war das Vernünftigste, was ich tun konnte. Sobald ich genügend Licht hatte, konnte ich besser sehen und fand vielleicht etwas zu essen, anstatt selbst zur Beute zu werden. So einsam die Gegend hier auch war, es gab Tiere die aus mir liebend gerne ihre Hauptmahlzeit machen wollten. Ich drehte mich zu dem Baum um, den ich mir ausgesucht hatte, um ihn zu erklimmen und hielt erstaunt mitten in der Bewegung inne, denn vor mir leuchtete feingolden das Netz mit der Triskelerune darin. Wo kam das denn plötzlich her, fragte ich mich verblüfft. Ein grollendes Keifen, ein paar hundert Meter von mir entfernt, ließ mich zusammenzucken. Diese Laute hatte ich noch nie gehört, aber sie gefielen mir nicht. Es klang bedrohlich. Ohne weiter darüber nachzudenken, es nutzte ja doch nichts, zog ich die Fetzen meines Handschuhs ab. Den konnte ich eigentlich wegwerfen, er war in diesem Zustand sowieso nutzlos, dennoch steckte ich ihn zurück in die Hosentasche. Dann legte ich meine Hand auf das Zeichen und wartete gespannt wo es mich denn hinbringen würde.

Der Übergang erfolgte so rasch, dass ich nicht einmal blinzeln konnte. Erschrocken sah ich mich um, denn ich befand mich in einem Garten, in dem nur ein einziger Baum stand auf dem jetzt die Triskelerune glitzerte. Der Garten war von zwei Meter hohen Mauern umgeben, an denen Spalierobst gezogen wurde. Das kannte ich von unserem Garten, den wir in der Bretagne gehabt hatten. In der Mitte befand sich ein runder Platz, der mit Kies bestreut war und von dem aus schmale Wege in alle Richtungen führten. Steinbänke waren in regelmäßigen Abständen im Garten verteilt, wie man sie sonst nur in Schlössern fand. Das Rondell war von Blumenbeeten und großen Frauenstatuen umgeben. Hinter den Mauern ragten drohend eine Menge Türme empor, trutzige Türme, wie die einer Festung, nicht so wie die von dem Schloss, das ich im Zaubersee gesehen hatte. Ihre Mauern bestanden aus großen Steinquadern. Schmale Fenster waren darin eingelassen. Eine kleine Pforte führte am anderen Ende aus dem Garten hinaus, der komplett von der Steinmauer eingeschlossen war. Ein Hortus Conclusus, so hieß so ein geschlossener Garten im Mittelalter. Claire hatte mir davon erzählt. Der Gedanke an Claire machte mich traurig, aber das konnte ich mir im Augenblick nicht leisten. Wo immer ich hier war, ich war mitten auf einer Burg herausgekommen und diese hier war bewohnt, denn ich konnte Stimmen außerhalb der den Garten umschließenden Mauer hören. Ein Schmetterling mit bizarren Flügeln und ziemlich behaart flog an mir vorbei. Ein Nachtfalter vermutlich und bestimmt kein irdischer. Ich war also noch auf Aremar. Da der Transport so schnell gegangen war, befiel mich eine Ahnung. Möglicherweise war ich auf der Burg gelandet, die ich am Horizont gesehen hatte. Auf den Burgen des Nordens wohnten meines Wissens Dunkelelben. Ich biss mir auf die Lippen. Von allen Optionen wäre das die Zweitschlechteste, die ich erwischen konnte. Die Erstschlechteste wäre, dass ich in Mhenegart herausgekommen wäre. Im Stillen hatte ich gehofft, dass mich die Triskelerune nach Schloss Dagda bringen würde, aber das hatte sie nicht getan.

An der Pforte entstand Bewegung. Leute strömten herein und zeigten aufgeregt auf mich. Es waren Elbenkrieger und sie sahen auch nicht anders aus als die, die ich bisher gesehen hatte. Ich wollte flüchten und zum Baum zurückkehren, doch einer der Krieger legte einen Bogen auf mich an.

Böse zischte er, »das würde ich bleiben lassen, Hexenspionin!«. Seine Aussprache war hart und von Lauten durchsetzt, die es mir schwer machten ihn zu verstehen.

Die Tochter der Eriny

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