Читать книгу Zauberhaft - Victoria - Larissa Schwarz - Страница 5

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Victoria rief noch an der ersten Ampel ihren Vater an.

»Liebling, ist alles in Ordnung?«

»Ja, ich sitze im Auto. Kann ich noch kurz rumkommen? Ich brauche deinen Rat.«

»Immer. Du weißt doch, dass ich nie vor eins ins Bett gehe. Wann bist du hier?«

»In ein paar Minuten.«

»Bis gleich.«

Sie parkte den Wagen in der Tiefgarage unter der Villa und lief die wenigen hundert Meter zu ihrem Vater zu Fuß. Etwas frische Luft konnte nicht schaden.

Wilhelm Engwald stand bereits in der Tür, als seine Tochter das schmiedeeiserne Tor durchschritt und den kleinen Weg zum Haus hinauflief. Er hatte gerade die Abendrunde mit den Hunden Justus und Jonas beendet; die beiden hellen Weimaraner lagen im Flur, die Köpfe auf den Pfoten, und warteten. Als sie Victoria sahen, sprangen sie auf und wedelten freudig erregt mit den Schwänzen.

»Ich hab leider nichts für euch mitgebracht«, rief sie und kraulte die beiden an den Ohren. Ihren Vater begrüßte sie mit einer angedeuteten Umarmung und Küsschen. Er dirigierte sie ins Wohnzimmer, wo sich Victoria in den ledernen Ohrensessel schwang. Alsbald lagen die beiden Hunde zu ihren Füßen.

»Du strahlst so, das ist schön. Was ist der Anlass?«

»Was soll ich sagen? Ich bin verliebt. Wahnsinnig. Und das ist auch der Grund, warum ich dich um deinen Rat ersuche.«

»Ah, das freut mich für dich. Ich dachte zunächst, es ginge um die Firma!?«

»Nein, ECG läuft wie ein Schweizer Uhrwerk. Keine Sorge. Aber in vier Wochen ist ohnehin Aufsichtsratssitzung, dann kannst du dich persönlich davon überzeugen.« So ganz losgelassen hatte er immer noch nicht, aber wie auch. Sein Herzblut steckte in der Firma und sein Fleisch und Blut leitete sie.

»Ich vertraue dir, Liebling. Das weißt du auch. Nun erzähl, was gibt es, beziehungsweise, wen gibt es?«

»Es gibt Dr. Magnus Brandt.«

»Den neuen Direktor des Amtsgerichts?«

»Ja. Genau den.«

»Das musst du mir jetzt aber erklären, der ist doch noch gar nicht so lange hier ...«

Und Victoria erklärte. Berichtete von ihrer ersten Begegnung. Ihrer zweiten. Und dem heutigen Abend. Sie umschrieb die Gemeinsamkeiten, die sich in den letzten zwei Tagen aufgetan hatten und Wilhelm hörte aufmerksam zu, ließ sie erzählen, ließ sie schwelgen und spürte, dass es ihr ernst war.

»Und in welchem Detail bist du so unsicher, dass du meinen Rat möchtest?«

»Ich weiß nicht, wie ich ihm ECG erklären soll. Weißt du, ich habe dir von den meisten Dates in der Vergangenheit ja erzählt und bei Magnus habe ich einfach das Gefühl, dass er richtig zurückschreckt, wenn er ungefähr abschätzen kann, auf was und wen er sich da einlässt.«

»Was heißt auf wen ...? Er hat dich privat kennengelernt, das heißt, wen er sich da angelacht hat, wird er also jetzt schon wissen. Und was damit verbunden ist, kannst du ihm ja schonend beibringen. Ich bin übrigens sehr beruhigt, dass es diesmal keiner von der anderen Sorte ist.«

»O ja ... Ich auch. Nur wird er mich morgen in Düsseldorf zum Essen treffen. Ich habe Angst, dass das mit ECG zu schnell zu groß wird. Ich weiß, dass Magnus aus normalen Verhältnissen stammt, ich will ihn weder anlügen noch allzu lange im Unklaren lassen. Am liebsten würde ich ihn noch vor Dubai einweihen. Aber irgendwie hat er auch noch ein paar Sachen in Berlin zu klären. Wir haben noch nicht darüber gesprochen.«

»Hm. Was denkst du, könnte das sein?«

»Keine Ahnung. Ex-Freundin? Schulden? Schlimmstenfalls ungeklärte Vaterschaftsverhältnisse. Aber ganz im Ernst: Das ist mir ziemlich egal.«

»So?«

»Ja. Frag mich nicht, woher ich diese Sicherheit nehme oder warum ich nicht, wie üblich, anfange, ihn zu googeln, einen Privatdetektiv auf ihn ansetze oder sonst was.«

»Du vertraust ihm!?« Wilhelm Engwald rieb sich das Kinn.

»Ja. Er hat so eine äußerst besonnene, ruhige Art. Und auch völlig losgelöst davon, dass er Richter ist, habe ich bei ihm einfach das Gefühl, dass ich ihm blind vertrauen kann, ja.«

»Wenn ich mich recht entsinne, habe ich so etwas noch nie von dir gehört.«

»Siehst du, ich auch nicht. Und das macht mir Angst.«

»Warum? Das ist doch etwas Schönes.«

»Ja, nur ... Ich kann es momentan noch nicht genießen.«

»Dubai?«

»Dubai.«

»Du magst Hakim immer noch?«

»Ja.«

»Liebst du ihn?«

»Nein.«

»Dann ist es doch eindeutig.«

»Schon. Das war es eigentlich immer. Nur diesmal hat es so einen Grad der Bestimmtheit erreicht ...«

»Liebling, Hakim war immer da. Ich weiß. Er hatte immer einen Platz in deinem Leben, deinem Herzen. Aber wenn ihr füreinander bestimmt wäret, hättet ihr in den letzten, ja nun fast zehn Jahren, doch einen Weg gefunden, das wirklich dingfest zu machen. Oder?«

»Ja. Du hast recht. Ich bin froh, dass du das auch so siehst.«

»Wann fliegst du?«

»Montag.«

»Machst du dir Sorgen, dass er ECG das Mandat entzieht?«

»Nein. Erstens, schätze ich ihn nicht so ein und zweitens wäre das auch kein Beinbruch. Du hast mich gelehrt, nicht alle Eier in einen Korb zu legen. Inzwischen sind wir so gut und breit aufgestellt, dass wir im Prinzip auf den gesamten arabischen Raum nicht mehr angewiesen sind. Der Boom dort hat seinen Zenit meines Erachtens ohnehin überschritten. Ich denke, dass Europa wieder unser Kernmarkt werden sollte. In London habe ich momentan ein paar Sachen angekratzt, aber darüber mag ich gerade nicht spekulieren ...«

»Dann mach mich auch nicht neugierig, Liebling. Geh lieber ins Bett und überleg dir, wie du Magnus behutsam an die Firma heranführen kannst. Vielleicht haben Moritz oder Elisabeth auch einen Rat für dich? Denen ging es ja ähnlich, damals.«

»Hab ich auch schon überlegt, aber letztlich kann ohnehin niemand seine Reaktion vorhersagen ...« Victoria klang genervt. Früher hatte sie sich immer über solche Szenen in Filmen lustig gemacht, in denen das große Lebensgeheimnis eines Protagonisten offenbart wurde. Bei Moritz und Elisabeth war sie ebenfalls nur eine Randfigur gewesen. Es war auch nicht das erste Mal, dass sie sich jemandem offenbarte. Aber sie hoffte so sehr, dass es das letzte Mal sein würde.

Magnus saß auf der Couch, das Tablet im Schoß und grübelte. Googeln? Nicht googeln? Es juckte ihm in den Fingern, Dr. Victoria Berg – suchen. Aber damit hätte er ihr Vertrauen missbraucht. Und das für läppische 12 Stunden Vorsprung? Er schämte sich, dass er es überhaupt in Erwägung gezogen hatte. Würde man nach ihm suchen, fände man sicherlich auch so einiges heraus. Sein Mittelalterverein hatte eine Internetseite, über den Wechsel von Berlin nach Eschberg war in der Zeitung geschrieben worden, ein paar alte Nachrichten über seine Amateur-Boxkarriere waren sicherlich unter den späteren Treffern. Er wollte aber selbst lieber nicht wissen, ob es Hinweise auf Ilona gab. Das Internet vergisst nie. Aber wie sagte Victoria vorhin? Es stehen auch eine Menge Unwahrheiten geschrieben.

Sie hatte sich kurz per WhatsApp bei ihm gemeldet, dass sie noch auf einen Sprung zu ihrem Vater ging und dann »Gute Nacht« sagen würde, wenn sie zu Hause wäre. Er zückte sein Handy. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er mehrere Anrufe in Abwesenheit hatte. Eine ihm unbekannte, Essener Nummer. Essen? Er kannte niemanden in Essen. Magnus googelte die Nummer und las.

Deutsche Bank, Kreditbetreuung.

Das Herz rutschte ihm in die Hose. Er wählte den Rückruf. »Deutsche Bank Service Line, mein Name ist Ute Norberg, guten Abend.«

»Guten Abend, Magnus Brandt. Ich hatte einen Anruf auf dem Display unter dieser Nummer.«

»Das waren vermutlich die Kollegen der Kreditbetreuung. Sie erreichen sie montags bis freitags zwischen 8 und 18 Uhr.«

»Oh. Ja. Vielen Dank«, verabschiedete er sich.

Klar. Mitten in der Nacht würde in der Kreditbetreuung niemand mehr sitzen. Natürlich ahnte er, was die Bank von ihm wollen würde. Seit Wochen stand sein Konto am Limit, zwei Kreditraten aus der Umschuldung des Wohnungsverkaufs waren geplatzt, ebenso eine Rate des Hochschulabsolventenkredites und er war sich nicht sicher, was mit der Abbuchung der nächsten Kreditkartenabrechnung geschehen würde. Als er und Ilona die Wohnung abgewickelt hatten, war eine mittlere fünfstellige Summe offengeblieben, wie so oft bei einem Notverkauf. Ohne eine neue Sicherheit stellen zu können, musste er den Restbetrag über einen Standardkredit finanzieren. Dazu hatte er sich an seine frühere Hausbank gewandt, er wollte nicht, dass Ilona Zugriff auf die Konten hatte und sah, was er mit seinem Geld anstellte. Die letzten fünf Jahre hatte er sich wenig darum kümmern müssen, die letzten fünf Monate wohl zu wenig geschert.

Es wurde ihm heiß und kalt. Magnus suchte nach den Zugangsdaten für sein Onlinebanking, konnte sie aber nicht finden. Er rechnete nach. Dass er am Morgen zu Tobias gesagt hatte, er dümpelte um das Existenzminimum, war eigentlich ein Spaß. Aber nach den Abzügen durch die Krankenversicherung, den Trennungsunterhalt, der fast die Hälfte seines Einkommens ausmachte, den Raten für die Umschuldung und den alten Kredit blieben ihm noch 1000 € für den Lebensunterhalt. Minus Miete, anderen Versicherungen und den Kosten für das Auto kam er bei knapp dreihundert Euro aus. Etwas mehr, als Victoria gestern für das Buch ausgegeben hatte. Er schüttelte den Kopf. Rechnete nach. Es blieben 283 €.

Das Handy schellte. Vom Display lächelte ihn Victoria an. Er verwarf den Anruf. Jetzt nicht. Jetzt bitte nicht.

Victoria sah irritiert auf ihr Handy. Hatte Magnus sie gerade »weggedrückt«? Das Freizeichen hatte sie gehört, dann den Besetztton. Sie öffnete WhatsApp wieder. Er war immer noch online.

💎 Hey, habe gerade versucht, dich anzurufen. Irgendwie ging das schief. Hab ich dich im falschen Moment erwischt?

Ein Häkchen. Zwei Häkchen. Zwei blaue Häkchen.

Magnus fühlte sich ertappt. Er musste antworten.

🎓 Ist grad ungünstig.

💎 Oh. Sorry.

Victoria schossen die Tränen in die Augen. Was war in der kurzen Zeit passiert? So knapp und unterkühlt hatte Magnus bisher nie geantwortet. Kein Küsschen, kein Smiley. Sollte sie noch mal nachhaken? Lieber nicht. Er würde sich melden, wenn es wieder »günstig« wäre. Den Schmerz in ihrer Brust versuchte sie zu ignorieren, schaltete das Handy in den Nachtmodus und deckte sich zu. Hatte Berlin ihn eingeholt? Dubai hatte sie jedenfalls an diesem späten Abend noch erwischt. Das Gespräch mit ihrem Vater kam ihr wieder und wieder in den Sinn. Unabhängig davon, wie es mit Magnus weitergehen würde, müsste sie unter die Sache mit Hakim einen Schlussstrich ziehen.

Unruhig wälzte sie sich hin und her. Irgendwann, weit nach Mitternacht fiel sie in einen traumlosen Schlaf.

Mittwoch, 17.07.

Als sie um fünf Uhr morgens den Wecker hörte, sah sie als erstes in den Nachrichteneingang. Nichts. Kein Wort von Magnus. Damit war der Tag offiziell gelaufen.

Am anderen Ende Eschbergs riss der Wecker Magnus von der Couch. Er musste über den Unterlagen eingeschlafen sein. Nach genauer Durchsicht hatte er sich entschlossen, die Zahlungen an Ilona einzustellen. Es ergab keinen Sinn. Das Recht war auf seiner Seite, egal wie vorsichtig er und Tobias agiert hatten. Als Erstes würde er den Dauerauftrag stoppen. Dann müsste er die Neuordnung der vorhandenen Verbindlichkeiten angehen.

Victoria.

Der Gedanke an sie ließ ihn wie vom Blitz getroffen zusammenzucken. Er hatte ihr gar nicht mehr geschrieben und die letzte Nachricht war alles andere als freundlich und liebevoll. Völlig entsetzt stützte er die Arme auf die Knie und den Kopf in die Hände. Für halb eins waren sie verabredet. Sollte er sie lieber anrufen? Schreiben? Persönlich um Verzeihung bitten? Er würde sich erklären müssen. Peinlich.

Da ihm ohnehin wenig Zeit an diesem Tag blieb, verschob er die Entscheidung, wann und wie er Victoria ins Vertrauen ziehen wollte, auf später. Die Dusche klärte seine Gedanken ein wenig und er sammelte seine Konzentration für die Verhandlung um acht. Länger als eine Stunde durfte es nicht dauern oder er käme zu spät nach Düsseldorf.

Gehetzt betrat er eine Dreiviertelstunde später sein Dienstzimmer. Frau Scharnweber war noch nicht da, also setzte er den ersten Kaffee auf. Ihm blieben noch knapp zwei Stunden, ein bisschen was würde er in dieser Zeit wohl schaffen. Immer wieder aber lenkte ihn das Handydisplay ab. Sollte er? Sollte er nicht? Nicht, dass Victoria dachte, er würde das Treffen platzen lassen.

Magnus beschloss, ihr zu schreiben, wenn er sich auf den Weg machte.

*

Als David Meißner Victoria um kurz nach sieben statt in der Lobby im Büro sitzen sah, wusste er, was das zu bedeuten hatte; einer der wenigen Tage, an denen Victoria schlechte Laune hatte, war angebrochen. Also schickte er die erste Mail des Tages an Lisa vom Empfang: »Do not disturb.« Damit war alles gesagt. Keine Störungen, sonst würde der Vulkan ausbrechen. Ein einziges Mal hatte er einen Wutanfall miterlebt. Er wünschte sich seither, dass es nie wieder dazu käme. Angefangen hatte der Tag damals wie heute, Victoria saß in ihrem Büro, die Jalousien zu allen Seiten zugezogen, Telefon auf Davids Apparat umgeleitet und das »Do not disturb«-Schild an der Tür. David ahnte Fürchterliches.

*

Um kurz nach halb neun war die Verhandlung bereits geschlossen. Magnus hatte schnell ein rundes Bild von der Angelegenheit bekommen, der Angeklagte war geständig gewesen, die Schöffen einer Meinung mit ihm. Was sollte er die Sache also in die Länge ziehen? Wenige Minuten nachdem er die schwarze Robe ausgezogen hatte, saß er in seinem Auto, tippte das Ziel in sein Navi ein und schrieb Victoria.

🎓 Hey ... Bin jetzt auf dem Weg nach Düsseldorf. Das mit heute Nacht würde ich dir gern persönlich erklären. Bis später. 😚

Zwei graue Häkchen.

Auch als er, nicht ganz zwei Stunden später, das Bürohochhaus des Oberlandesgerichts in Düsseldorf schon wieder verließ, waren die Häkchen noch grau. Sie hatte seine Nachricht nicht gelesen. Betrübt sah er immer wieder auf das Display. Magnus war fast eine halbe Stunde zu früh dran gewesen, der Termin wurde vorgezogen und hatte nur kurz gedauert. Drei Unterschriften, kurzer Wortwechsel, fertig.

Er hatte jetzt anderthalb Stunden zu überbrücken. Ihm graute es davor. Also überlegte er, was er mit der Zeit anstellen könnte. Warum Victoria eigentlich nicht im Büro überraschen? Und wenn es nur für ein kurzes »Hi!« reichen würde und er die restliche Zeit irgendwo auf sie warten müsste, er musste sie jetzt sehen.

Aber, wo musste er hin? ECG, das war ihm im Gedächtnis geblieben. Er durfte zwar Victoria nicht googeln, aber die Firmenadresse war ja kein Geheimnis, also tippte er. ECG.

»Meinten Sie ECG AG?«, war Googles Antwort. Hm. Wahrscheinlich.

»ECG AG Adresse Düsseldorf«, korrigierte Magnus.

»ECG AG Düsseldorf, Medienhafen. Entfernung zum jetzigen Standort Victoriaplatz: 2,8 km.«

Laufen oder fahren? Laufen. Und währenddessen die Bank anrufen.

Das Gespräch war ernüchternd. Die Bank setzte ihm die Pistole auf die Brust: Zahl oder stirb.

Durch den Umzug hatte er die Mahnungen nicht erhalten, die Frist von 14 Tagen war fast verstrichen. Immerhin war die Dame am Telefon so freundlich, den Dauerauftrag an Ilona zu stoppen und ihm seine Fragen zu beantworten. Eine Umschuldung kam nicht in Frage, da er bereits das Immobiliendarlehen umgeschichtet hatte. In Summe schuldete er der Bank aktuell knapp 70.000 Euro. Der Magen drehte sich ihm um. Er rechnete zusammen, was er Ilona im Laufe der Zeit gezahlt hatte und was sie ihm eigentlich anteilig schuldig wäre. Mit dem spitzen Bleistift kalkuliert, blieben an ihm eigentlich nur 20.000 Euro hängen. Ein Klacks, bei seinem Gehalt. Aber die Bank rechnete anders. Magnus hatte, aus falscher Rücksichtnahme auf Ilonas Status als Bankerin, die Verträge allein unterschrieben, jetzt haftete er auch allein.

Ein kurzer Anruf bei Tobias munterte ihn auf. Das Scheidungsverfahren war, nach einigem hin und her, an einen anderen Richter abgegeben worden. Die Antragsschrift auf die Ausgleichszahlung von Ilona an Magnus war gerade per Fax an ihren Anwalt rausgegangen. Es könnte dauern. Ja. Aber Tobias verabschiedete sich mit den Worten: »Alles wird gut. Allons-y«, und das tat er nur, wenn er sich absolut sicher war, zu gewinnen.

Medienhafen. Magnus schmunzelte. Er war da. Und das Gebäude war nicht zu übersehen. ECG. Der alte Backsteinbau gefiel ihm, das Rot leuchtete in der Sonne, der blaue Himmel spiegelte sich in den Fensterscheiben, die parkähnliche Anlage lud zum Flanieren ein. Kein Wunder, dass Victoria gern hier arbeitete.

Von weitem sah er den Mustang, sie war also da. Er blickte auf sein Handy. Graue Häkchen. Etwas mehr als eine Stunde zu früh. Einen Versuch war es wert.

Durch das große Portal betrat er die Lobby, es war angenehm kühl im Innern des Gebäudes und er fühlte sich fast wie im Hotel. In kleinen Sitzgruppen tummelten sich Mitarbeiter, die Geräuschkulisse war dezent und er war bereits zweimal freundlich gegrüßt worden. In den Fluren der Amtsgerichte, die er kannte, wäre das nie und nimmer passiert. Hier roch es nach Kaffee, frischen Waffeln und Croissants. Dort nach jahrzehntealtem Bohnerwachs, modrigen Archivakten und dem Angstschweiß der Angeklagten. Zwei völlig verschiedene Welten.

»Guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?« Der Mitarbeiter, der laut Ausweis Dr. Markus Bruckmann – Head of Legal Consulting and Compliance – war, hatte den etwas ratlos dreinschauenden Magnus auf seinem Weg zum Empfang angesprochen.

»Guten Tag. Ich bin Magnus Brandt und möchte gern zu Victoria Berg.«

»Haben Sie einen Termin mit ihr?«

»Privat. Ja. Ich bin nur etwas zu früh dran ...«

»Ah, Moment. Dr. Magnus Brandt, klar. Moritz hat mir von Ihnen erzählt.«

»Moritz von Eschberg? Ähm. Wieso ...?«

»Moritz und ich sind seit Ewigkeiten befreundet und haben hier früher zusammen gearbeitet, Elisabeth war meine Assistentin. Lange Geschichte. Wir haben heute früh telefoniert und er hat mir von Ihrer Begegnung gestern erzählt. Ich bin quasi im Bilde.«

»Und ich bin immer wieder erstaunt, wie klein die Welt doch ist.«

»O ja. Das ist sie. Ich bin übrigens Markus, ich hoffe, es spricht nichts dagegen, wenn wir uns duzen?«

»Nein, gern. Magnus«, schüttelte er seine Hand.

»Fein. Ich frag gern mal Lisa, ob Victoria schon abkömmlich ist. Warte am besten da vorn in der Sitzgruppe, ich komme gleich zurück. Soll ich dir einen Kaffee bringen lassen?«

»Danke, nicht nötig.«

Aus der Entfernung sah Magnus, wie Markus mit der Dame am Empfang diskutierte. Seine Mimik und Gestik waren eindeutig, irgendetwas lief gerade schief. Ein paar Augenblicke später kam Markus zurück.

»Sorry, ich komm an Lisa gerade nicht vorbei ...«

»Wie meinst du das?«

»Sie hat Anweisung von Victorias Assistenten, niemanden durchzustellen oder ohne Termin vorzulassen. Euer Date steht offenbar nicht im Kalender und Victoria hat nicht Bescheid gesagt.«

Magnus kicherte. »Moment, Victoria hat einen eigenen Assistenten? Und der entscheidet, wer eine Audienz bekommt und wer nicht?«

Markus blickte ihn skeptisch an. »Sie hat dir noch nicht viel über die Firma erzählt. Oder?«

»Nein.« Magnus gefror das Grinsen im Gesicht und er verengte die Augen zu Schlitzen. »Und lass mich raten, du wirst mich jetzt nicht erhellen!?«

»Hm. Schwierig. Pass auf, ähm, ich schau mal, was sich machen lässt. Bleib einfach hier sitzen, lass dir einen Kaffee bringen und entspann dich. Ans Handy wird Victoria wohl jetzt nicht gehen. Aber da augenblicklich kein Meeting ist, schau ich mal, ob ich sie aus ihrem Büro gelockt bekomme.«

Markus verabschiedete sich. Magnus fröstelte. Was wurde hier gespielt? Victoria hatte ihre Arbeit die ganze Zeit heruntergespielt oder zumindest nicht konkretisiert, was genau sie machte. Aber das Aufheben um sein Erscheinen hier kam ihm äußerst seltsam vor. Er begann, sich zu fragen, was für einen Job sie wirklich machte.

Um sich abzulenken, sah er auf sein Handy. Zwei blaue Häkchen. Sie hatte die Nachricht gelesen. Zufall? Oder hatte Markus sie bereits angetroffen und informiert? Für einen Moment ergriff ihn die Panik und er überlegte, ob er noch flüchten sollte. Wenn sie sauer war, wegen der Abfuhr in der Nacht zuvor, wäre sie sicherlich nicht erfreut, das am Arbeitsplatz auszudiskutieren. Was für eine blöde Idee, Magnus, tadelte er sich selbst, stützte die Ellbogen auf die Knie und rieb sich die Augen.

Plötzlich spürte er, wie eine Hand über seinen Rücken strich. Wie in Zeitlupe drehte er sich zur Seite und blickte in Victorias Gesicht. Die Augen gerötet und blass um die Nase. Sie sah verweint aus. Aber lächelte. »Hi«, sagte sie leise.

Magnus stand auf und nahm ihre Hand, die sie noch auf seinem Jackett verweilen ließ.

»Hi ...«

Sie tat ihm so unendlich leid, wie sie dort stand; ein kleines Häufchen Elend in High Heels. Kein Zweifel, sie hatte seinetwegen geweint. Unsicher strich er über ihre Finger.

»Kommst du bitte mit?«, fragte sie ebenso leise, wie sie ihn begrüßt hatte.

»Ja, wenn es dir nichts ausmacht und ansonsten auch okay ist!?«

»Ja ... Mach dir keine Sorgen.« Sie zwinkerte ihm zu und deutete ihm den Weg Richtung der großen Treppe am Ende der Lobby.

Wollte sie ihn nur in Sicherheit wiegen und dann in ihrem Büro auseinandernehmen oder was sollte das hier werden?

»Du hast kalte Hände ...«, sagte sie mitleidig, als sie die ersten Stufen genommen hatten.

»Ich habe auch ein wahnsinnig schlechtes Gewissen und bin ein bisschen nervös ...«, entgegnete Magnus ihr.

Victoria blieb auf dem Treppenabsatz stehen und sah ihn an. »Das habe ich auch und das bin ich auch.« Sie zog ihn näher zu sich heran, ein paar Mitarbeiter kreuzten ihren Weg und schauten sie fragend an. Victoria nickte stumm aber freundlich und sah Magnus mit festem Blick direkt in die Augen.

»Ich kann mir denken, dass du mich überraschen wolltest, leider lockt mich das jetzt unvorhergesehen aus der Reserve.«

»Was meinst du?«

»Shhhh.« Victoria legte ihm den Finger auf die Lippen. »Wir gehen jetzt in mein Büro und ich wäre dir sehr dankbar, wenn du es erst wieder verlässt, wenn wir uns ausgesprochen haben.«

»Du machst mir gerade Angst ...«

»Ich mir auch. Ich mir auch ... Komm!«

Wenige Schritte weiter zückte Victoria ihren Mitarbeiterausweis aus der Blazertasche, öffnete über die Kartenleser noch zwei Türen und nahm Magnus wieder bei der Hand.

Vor einem weiteren kleinen Empfang blieb sie stehen.

»David, ich möchte nicht gestört werden. Egal, was passiert.«

»Sehr wohl.«

Magnus sah, wie verdutzt der junge Mann auf seine Hand schaute, die immer noch in ihrer lag und wie er offenbar im Geiste noch einmal wiederholte, was Victoria gerade gesagt hatte.

Sie schloss die Glastür und auf einen Fingerstreich hin verwandelte sie sich in eine Milchglasscheibe, zwei Handbewegungen später waren die Jalousien leicht geöffnet und das vorher steril wirkende Büro wurde in ein wärmeres Tageslicht getaucht. Es war riesig. So groß wie der Hauptgerichtssaal in Eschberg. Und außen an der Tür hatte er ein Namensschild erspäht.

Dr. Victoria Berg, Chief Executive Officer.

Sein Herz rutschte ihm in die Hose.

Victoria wandte sich Magnus zu, seine Hand hatte sie die ganze Zeit nicht losgelassen, aus Angst, er könnte weglaufen.

»Was möchtest du trinken? Dr. Pepper?«

»Ja, gern.«

Sie öffnete die Tür noch einmal, steckte den Kopf hindurch und sprach mit ihrem Assistenten. »David, bringst du uns bitte ein großes Dr. Pepper und ein großes Bull?«

»Ja, sofort. Ich weiß, ich soll nicht stören –«

»Aber?«

»Erstens kann ich die Getränke schlecht unter der Tür durchschieben und zweitens ist das Büro von A.M. auf Leitung zwei.«

»Klopf einfach an, bevor du reinkommst!«

»Und was mache ich mit A.M.?«

»Ich rufe zurück.«

»Aber ...«

»Kein aber. Ich setze hier die Prioritäten. Immer noch.«

»Tja, herzlich willkommen in meiner Welt ...«, sagte Victoria seufzend. »Lass es uns da vorn in der Sitzecke gemütlich machen ...«

Sie deutete auf den kleinen Tisch mit der edlen Ledergarnitur. Zwischen den Pflanzen wirkte die Ecke tatsächlich gemütlich, das Gemälde, welches darüber an der Wand thronte, zeigte eine mittelalterliche Turnierszene, den Tjost. Magnus fühlte sich magisch von diesem Bild angezogen und vergaß für einen Augenblick, was ihn in dieses Büro geführt hatte. Wer ihn in dieses Büro geführt hatte.

»Träumerle ...« Victoria lachte und lehnte sich an ihn. In diesem Moment klopfte es, David stellte die Getränke ab und entfernte sich lautlos.

»Danke!«, rief Victoria ihm hinterher. »Setz dich gern«, forderte sie Magnus auf. Sie nahmen über Eck Platz. Magnus auf dem Sofa, Victoria im Ohrensessel.

»Okay, willst du nicht doch erst Leitung zwei verarzten?« Es klang ihm irgendwie zu wichtig, als dass er es unkommentiert stehen lassen wollte. »Ich will nicht, dass du meinetwegen einen Kunden vergrätzt.«

Victoria lachte laut. »Du verstehst dich sicherlich super mit David ... Der zerbricht sich auch andauernd meinen Kopf. Keine Sorge, Frau Merkel kann warten.«

»Merkel. A.M. wie Angela Merkel!?« Magnus hielt die Luft an.

»Ja. Wie Dr. Angela Dorothea Merkel. Ruft immer dann an, wenn sie einen guten Rat braucht und ihre Wirtschaftsweisen sich uneins sind. Das hat Zeit. Glaub mir.«

Magnus schluckte schwer. »Bis gerade war ich einfach nur beeindruckt. Jetzt mache ich mir langsam wirklich in die Hose. Du lässt die Angela Merkel meinetwegen warten?«

»Ja. Aus gutem Grund.« Sie öffnete die Dose und trank einen Schluck. »Weißt du, ich habe gestern eine Weile mit meinem Vater gesprochen, ein paar Dinge reflektiert, insbesondere auch die Geschichte von Elisabeth und Moritz, die in diesen heiligen Hallen hier ihren Anfang genommen hat ... Und ich habe mich die halbe Nacht gefragt, wie ich dir die Firma und meinen Job irgendwie näher bringen kann, ohne dich zu überfahren. Und plötzlich sitzt du in meiner Lobby, duzt meinen Head of Legal Consulting and Compliance und bekommst das alles hier hautnah mit ...« Ihre Stimme schwankte zwischen Bestimmtheit und Schluchzen.

»Ich .... Ich wollte hier nicht eindringen. Der Termin vorhin hat früher stattgefunden und ging so rasant, dass ich hierhergelaufen bin. Ich habe dich nicht gegoogelt, nur nach der Adresse der Firma gesucht und ...« Die Sprachlosigkeit überfiel Magnus.

»Ich hab mir so was schon gedacht ... Weißt du, ich vertraue dir. Frag mich nicht warum, aber ich vertraue dir. Ich traue nur mir selbst nicht und der Situation. Das ist alles ...«

»Wie meinst du das?«

»Als ich dir gesagt habe, dass ich viel arbeite und besser verdiene als die Männer, die ich gedatet habe, habe ich das alles hier weitestgehend heruntergespielt. Ja. Aber das war ein Reflex. Eben aus der Erfahrung heraus, dass ich so oft die Falschen getroffen habe. Mir war zwar bewusst, dass du anders bist, aber ich wusste nicht, wie ich das alles erklären sollte.«

»Hm. Es war ja auch noch nicht so viel Zeit und Möglichkeit dazu ...« Magnus meinte das ernst. Sie schwiegen. Kein peinliches Schweigen. Jeder sortierte seine Gedanken, Emotionen.

»Hast du Hunger?«, fragte Victoria. »Mir knurrt der Magen. Es gibt heute Gefüllte Aubergine mit Reis oder Steak mit Ofengemüse und noch irgendwas Veganes ...«

»Du denkst jetzt nicht wirklich an Essen, oder?« Magnus seufzte lachend.

»Doch. Ständig«, gab Victoria kleinlaut zu.

»Steak. Wann immer es zur Auswahl steht.«

»Wieso überrascht mich das jetzt so rein gar nicht?«

Victoria ging erneut zur Tür und trug David die Essensbestellung auf. Als sie wieder an den Tisch kehrte, blieb sie zwischen Sofa und Sessel stehen.

Magnus sah sie an und streckte den Arm aus, blickte auf den freien Platz neben sich und deutete mit dem Kopf dorthin: »Magst du?«

»Ja ...«, antwortete sie leise und setze sich zu ihm, lehnte sich an und sie setzten ihr Schweigen fort. Minutenlang hielt Magnus sie einfach nur im Arm und hörte ihr zu, wie sie leise atmete, steckte seine Nase in ihr Haar, genoss diesen kleinen Moment der Glückseligkeit. Herzklopfen.

In die Stille drang plötzlich ein klingelndes Handy.

Magnus fluchte leise. Victoria grinste ihn an. »Kommen wir beide jemals zur Ruhe?«

»Ich hoffe es ...«, antwortete er und blickte auf das Display. Anna. »Hey Kleines, was gibt’s?«

Victoria konnte zwar Magnus hören, aber nicht, was die Frau am anderen Ende der Leitung sagte. Kleines!? Sie stutzte. Es wäre ziemlich dreist, vor ihr mit seiner Ex-Noch-Sonst-Was-Freundin oder wen auch immer er womöglich verbarg, zu telefonieren.

Reflexartig stand Victoria auf und wandte sich Richtung Schreibtisch, Magnus hielt sie an der Hand fest und sah sie durchdringend an. »Warte mal kurz, Anna.« Er schaltete auf stumm. »Hey ... Das ist meine kleine Schwester, Anna. Ich spreche kurz mit ihr und bin dann wieder ganz und gar für dich da, okay?«

Erleichtert nickte Victoria. Seine Schwester. Wie sollte es auch anders sein?

Sie setzte sich und lehnte sich wieder an.

»So, Schwesterherz, da bin ich wieder. Also, ja, ich bin gut in Eschberg angekommen. Momentan bin ich aber in Düsseldorf ... Mhm ... Hm. Da wollte ich eigentlich mit Victoria zum Mountainbiken gehen ... Ja, erzähle ich dir in Ruhe ... Okay. Gib Henry eine Umarmung von mir, ja? Fein ... Bis dahin ...«

Magnus schaltete das Handy in den Nachtmodus und lehnte seinen Kopf gegen Victorias, strich langsam über ihren Arm und atmete tief. »Ich hatte noch keine Gelegenheit, dir von Anna zu erzählen. Früher waren wir unzertrennlich, bis ich nach Berlin gegangen bin und sie später nach Köln. Sie ist mittlerweile alleinerziehend und schlägt sich als Sportlehrerin mit einer Halbtagsstelle durch.« Magnus sah sie beschwichtigend an.

»Rechtfertigst du dich gerade?« Victoria schmunzelte.

»Ein bisschen ...«, antwortete er und fuhr mit seinen Fingern über ihren Hals.

»Du bist süß.« Victoria stupste seine Nase mit ihrer an, wand sich unter seiner Berührung und biss ihm vorsichtig in den Finger.

»Du bist nicht du, wenn du hungrig bist ...«, lachte Magnus leise und Victoria fiel ein. Es klopfte und David kam mit zwei großen Tellern hereinbalanciert, stellte sie auf den Tisch und legte das Besteck daneben. Ohne einen weiteren Kommentar verschwand er wieder. Victoria und Magnus kicherten immer noch. »Lass uns essen, bevor es kalt wird. Gehen wir rüber an den Konferenztisch, da sitzt es sich besser!?« Victoria deutete auf den monströsen Glastisch im anderen Teil des Raumes, der Platz für schätzungsweise 20 Personen bot.

»Ja, du hast wahrscheinlich recht.«

Victoria stellte die beiden Teller auf dem Konferenztisch ab und rückte Magnus den Stuhl vor Kopf zurecht. »Bitte.«

»Ist das nicht dein Platz?«

»Heute nicht.« Sie schmunzelte und deutete mit der Hand auf den einzigen weißen Lederstuhl, zwischen all den Schwarzen, die im Design zu ihrem jedoch gleich waren.

»Danke.« Magnus setzte sich und ließ den Blick durch den Raum schweifen. »So fühlt man sich also ... Primus inter Pares ...«

»Lass es dir schmecken ... Das Steak und die Aussicht ...« Victoria zeigte in Richtung des Panoramafensters, öffnete per Fernbedienung die Jalousie komplett und überließ Magnus seinem Staunen.

»Danke ...«, murmelte er, begann zu essen und wandte den Blick kaum ab. Victorias Büro lag zur Wasserfront des Medienhafens, was ihm auf dem Weg dorthin nicht aufgefallen war. »Kannst du eigentlich konzentriert arbeiten, bei dem Ausblick hier?«, fragte er sie.

»Ja, ich gebe zu, es hat etwas sehr Beruhigendes, auf das Wasser zu schauen, fast so meditativ wie ein Zen-Garten. Aber um ehrlich zu sein: Ich habe mich so daran gewöhnt, dass ich mich schon sehr bewusst an das Fenster stellen muss, um den Ausblick überhaupt wahrzunehmen. Richtig schön ist es aber erst, wenn es dunkel ist ...«

»Glaube ich gern ... Die Lage hier ist ein Traum ...«

»Im Prinzip schon. Die Königsallee ist einen Katzensprung entfernt, am Flughafen bin ich, bei günstigem Verkehr, in 10 Minuten ... Nur die Pendelei zwischen hier und Eschberg ist eben nervenraubend.«

»Warum ziehst du nicht hierher?«

»Hab ich mehrfach überlegt. Ich bin eh kaum zu Hause. Aber Eschberg ist mein Rückzugsgebiet, meine Zuflucht. Wenn ich in Düsseldorf wohnen würde, würde ich nur noch arbeiten. Wenn ich hier ausgehe, treffe ich buchstäblich immer Klienten oder Mitarbeiter. Und das Schlimmste: Ich würde dann nach Feierabend nur noch shoppen. Das ist viel zu verführerisch.« Theatralisch verdrehte sie die Augen, Magnus schmunzelte und griff ihre ausgestreckte Hand.

»Natürlich, das wäre das Schlimmste!«, lachte er.

»O ja. Seitdem Frederik Stein auf der Kö einen Flagship-Store aufgemacht hat, laufe ich Elisabeth ihren Rang als umsatzstärkste Kundin ab. Aber was jammere ich ...«

Ja, was jammerst du?, ging es Magnus durch den Kopf. Es war nicht despektierlich gemeint, Victoria wusste ja nicht um seine aktuelle Situation. Aber etwas surreal schien ihm das Ganze für den Moment schon.

Victoria sah ihn an, fragte leise: »Alles okay?«

»Ja, schon. Ich bin halt immer noch nicht ganz hier angekommen ...«, entgegnete er.

»Verstehe.«

Als sie aufgegessen hatten, ließen sie das Geschirr am Konferenztisch zurück und gingen die wenigen Schritte zur Sitzgruppe. »Ich muss in einer halben Stunde los ...«, seufzte Magnus. »Wobei, eigentlich muss ich in zehn Minuten los, ich muss noch zum Gericht zurücklaufen.« Sie standen vor dem Sofa. Victoria hatte sich daran angelehnt, Magnus näherte sich ihr millimeterweise.

»Hm. Wenn einer der Fahrer dich gleich bringt, haben wir aber eine ganze halbe Stunde ...«

»Fahrer?«

»Ja, wir haben hier eine Fahrbereitschaft. Wenn innerhalb Düsseldorfs oder Umgebung Termine wahrzunehmen sind, lassen die Mitarbeiter sich bringen und abholen, das erspart ihnen die lästige Parkplatzsuche, mir unzählige abzurechnende Kilometer in Privatwagen, Ärger mit Versicherungen und vor allem kommen meine Leute entspannt hin und zurück. Also, wenn du magst ...«

»Ich bin um jede Sekunde mit dir froh ...« Er umarmte sie und hielt sie fest. Seine Wange an ihre gelehnt flüsterte er: »Es tut mir leid, dass ich dich heute Nacht so abgewimmelt und mich dann nicht mehr gemeldet habe. Bei mir ist gestern eine Sicherung durchgebrannt und ich wollte nicht, dass du mich von dieser Seite kennenlernst.«

»Klingt nicht gut. Magst du erzählen, was passiert ist?«

»Ein anderes Mal. Ja?«

»Okay.«

»Ich bin nur ganz selten so komisch. Eigentlich nie. Das hat sich alles fürchterlich ungünstig ergeben gestern.«

»Rechtfertigst du dich schon wieder?« So milde wie ihre Stimme klang, so sanft küsste sie ihn auf die Wange.

»Ein bisschen vielleicht.« Magnus hielt sie immer noch fest und seinen Kopf an sie gelehnt, Augenkontakt vermeidend. Wenn sie ihn jetzt ansah, würde er ad hoc in Tränen ausbrechen und ihr alles erzählen. Das wollte er unbedingt vermeiden.

»Ich merke, dass es dir nicht gut geht ...«, flüsterte sie und begann, seinen Nacken zu kraulen.

Nach einer Weile ließ sie von ihm ab, Magnus seufzte und lächelte sie an. Victoria schmunzelte. »Wenn du hier arbeiten würdest, hätte ich dir schon bei ›mir ist eine Sicherung durchgebrannt‹ erst einen Termin bei unserer Physiotherapeutin gemacht und dich dann zu unserem Gesprächstherapeuten geschickt. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass das nicht das ist, was du wollen würdest. Oder?«

»Lass mich kurz überlegen. Also, du hast eine Physiotherapeutin und einen Psychologen für deine Mitarbeiter? Wo muss ich unterschreiben?« Er lachte. Victoria war erleichtert. Der Spaß hätte genauso gut nach hinten losgehen können. »Aber du hast recht, momentan könnte ich das Eine nicht genießen und bräuchte bei dem Anderen auf jeden Fall mehr als die mir noch verbleibenden 15 Minuten.« Für einen Moment hielt er inne. »Nicht, dass du mich für einen Psychopathen hältst, das bei weitem nicht. Gestern Abend sind nur Vergangenheit und Gegenwart wie bei einem Gewitter frontal aufeinandergeprallt und ich stand an der Okklusionsfront. Mittendrin.«

»Magnus, du musst dich weder weiter entschuldigen noch erklären. Mich haben die letzten drei Tage auch aus der Bahn geworfen.« Sie strich über seine Wange und blickte ihn traurig an. »Eigentlich wollte ich dich überraschen und am Wochenende entführen. Ohne Rücksicht auf Verluste, nur du und ich, Kurztrip irgendwohin. Nur – und das wird jetzt eine Bruchlandung auf dem Boden der Tatsachen: es gibt ein Problem mit Dubai. Ich werde schon heute Abend um 21.25 Uhr fliegen und wahrscheinlich trotzdem erst am 01.08. zurückkommen. Die Behörden haben Stress gemacht wegen einer Firmenübernahme im letzten Monat und aus Sicherheitsgründen können die Dokumente dazu nicht per Mail verschickt werden. Außerdem kann ich das wegen der Sprachbarriere besser vor Ort klären.«

Magnus murmelte etwas, das sich wie »Fuck« anhörte und biss sich auf die Zunge.

»So was passiert sehr selten. Eigentlich nie. Ich kenne meine Termine für gewöhnlich Wochen und Monate im Voraus ... Wenn ich es geahnt hätte, hätte ich dir das früher gesagt. Die Info kam zehn Minuten, bevor du hier warst.«

»Schon okay ... Das ist dein Job ...« Wieder vergrub er sein Gesicht zwischen ihrem Hals und ihrer Schulter, in der Hoffnung, dass sie nicht bemerken würde, dass ihm gerade zwei Tränen aus den Augen rannen. Magnus presste sie fest an sich und wiegte sie in seinem Arm und auch Victoria hielt ihn fest, grub ihre Finger auf seinem Rücken ein und weinte.

Als sie sich voneinander lösten und ansahen mussten sie lachen. Die Anspannung war von ihnen abgefallen, für den Moment zumindest.

»Musst du dann nicht auch bald los, packen?«, fragte Magnus sie, mit Blick auf die Uhr.

»Das klingt jetzt so dekadent, wie es ist: Meine Haushälterin packt gerade schon den Koffer und ein Kurier wird ihn gleich abholen und am Flughafen einchecken. Was ich dann nicht dabeihabe, muss ich entweder nachkaufen oder entbehren. Und für die Arbeit brauche ich nur mein Handy, das Tablet und meinen Kopf. Nichts weiter.«

Magnus atmete tief ein. Der Spread zwischen ihrem und seinem Lebensstil wurde immer größer. Einerseits behagte ihm das überhaupt nicht, andererseits war sie so normal, so nett, so bezaubernd und süß. Liebenswert eben.

Victoria stand an ihrem Schreibtisch, Magnus noch immer vor dem Gemälde an der Wand über der Sitzgruppe.

»Ich ruf jetzt den Fahrer, wenn das für dich in Ordnung ist?«, fragte sie und griff zum Hörer.

»Ja. Aber nur, wenn es keine Umstände macht«, antwortete er gedankenversunken.

»Hallo Reik, schickst du mir bitte jemanden hoch, der Herrn Dr. Brandt abholt und ihn zum OLG fährt? ... Prima. Danke.«

Als sie aufgelegt hatte, schlich sie zu Magnus herüber und schloss ihn von hinten in die Arme. »Was fasziniert dich so an dem Bild?«, fragte sie ihn leise.

»Alles. Es ist wunderschön, majestätisch. Dynamisch, imposant. Es strahlt eine immense Kraft aus.« Er drehte sich zu ihr um. »Wie du. Es erinnert mich an dich.«

Um halb drei saß Magnus wieder in seinem Amtszimmer, doch die Ereignisse der Mittagsstunden ließen ihn nicht los. Wie in Trance hatte er den Rückweg bestritten, nachdem der Fahrer der Limousine ihm die Tür aufgehalten hatte und ihn aussteigen ließ. Ihm kam plötzlich alles so klein vor, grau und leblos, im Vergleich zu dieser schillernden und dynamischen Welt, in die er eingetaucht war. Irene Scharnweber riss ihn aus den Gedanken, in die er sich gerade verstrickte.

»Herr Dr. Brandt, hier sind die Akten für morgen. Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie um 15 Uhr die Sitzung mit den Richtern haben?«

»Ja, danke«, murmelte er und unterschrieb den Beschluss. »Frau Scharnweber, warten Sie bitte einen Moment ...«

Magnus war aufgestanden und bot ihr den Platz gegenüber an. »Wir hatten bisher kaum Zeit, uns zu unterhalten. Nicht, dass Sie meinen, ich hätte kein Interesse daran. Es sind nur irgendwie tausend Dinge auf mich eingeprasselt in den letzten drei Tagen und da ging einiges unter. Es tut mir leid.«

»Das ist nett, dass Sie das sagen. Wissen Sie, Ihr Vorgänger Herr Hoffmann und ich haben fast fünfzehn Jahre lang zusammen gearbeitet. Als er vor drei Monaten in den Ruhestand gegangen ist, habe ich es mit der Angst bekommen. Mit 55 noch mal einen Neuanfang unter einem so jungen Chef, habe ich mir gedacht ...« Sie stockte.

Magnus sah sie aufmunternd an und half ihr: »Der dann auch noch so abweisend und chaotisch daherkommt, ein bisschen planlos durch Eschberg stolpert und nicht gerade den Eindruck macht, als würde er das alles hier sonderlich ernst nehmen ...«

Sie blickte ihn konsterniert an. »Na ja, ganz so hart würde ich das nicht formulieren, aber Ihnen eilt ein gewisser Ruf voraus ...«

»So? Lassen Sie mich raten ... Ich sehe Eschberg nur als Sprungbrett zu höheren Weihen und will mich hier gar nicht lange aufhalten und erst recht nicht mit den Menschen befassen!?«

»Ja, so etwas erzählt man sich, wenn ich das so offen sagen darf.«

»Dürfen Sie. Ich bitte Sie sogar darum. Ich will nicht, dass so etwas unausgesprochen im Raum steht. Erst recht nicht zwischen Ihnen und mir. Und ich mag Zweifel an meiner Person nicht. Was jetzt aber kein Angriff auf Sie sein soll.«

»Wenn Sie das so sagen.«

»Das meine ich auch so.« Magnus zwinkerte ihr zu. Sie lächelte.

»Haben Sie schon was gegessen? Ich sehe Sie immer nur mit Kaffee oder dieser Cola und dauernd liegen Aspirin auf Ihrem Schreibtisch.« Irene Scharnweber klang ernstlich besorgt. Da war sie, die mütterliche Seite, die Magnus an ihr vermutet hatte.

»Ja, gerade in Düsseldorf. Aber nett, dass Sie fragen. Ich war übrigens am Montag bei Mutti. Die Currywurst war wirklich gut.« Er lächelte sie an.

Verschämt blickte Frau Scharnweber nach unten. »Ich habe Sie gesehen, mit Frau Dr. Berg. Ich bin zufällig dort vorbeigekommen, als ich zum ›Wollkorb‹ gelaufen bin.«

»Kein Grund den Kopf zu senken. Weder für die zufällige Beobachtung, noch für das Stricken.« Beide kicherten.

»Die Frau Dr. Berg ist eine Nette. Und so hübsch ...«, fuhr sie erleichtert fort.

»Kennen Sie sie?« Magnus wurde neugierig.

»Nur flüchtig. Ihr Vater, Dr. Engwald, und ich begegnen uns manchmal mit den Hunden im Wald. Er hat zwei wunderschöne Weimaraner. Wenn er mal verreist ist, geht Frau Dr. Berg mit den Hunden aus. Manchmal auch der Gärtner oder die Haushälterin. Aber Justus und Jonas kennen meine Luisa und die drei tollen und toben gern miteinander. So bin ich hin und wieder mit ihr ins Gespräch gekommen.«

»Ah.« Magnus lehnte sich zurück. War es unfair, Frau Scharnweber plaudern zu lassen? Nein. Und das Verbot, Victoria zu googeln war passé. Er hörte aufmerksam zu.

»Sie mögen sie, nicht wahr?«, schlussfolgerte sie, lief rot an und zog die Nase kraus.

»Ja, sehr gern sogar. Aber ich will Sie nicht über sie aushorchen.«

»Ach, wo denken Sie hin? So gut kenne ich die Familie ja auch gar nicht. Nur das, was man eben so weiß ....« Sie blickte Magnus an, der zuckte mit den Schultern. »Also, Dr. Engwald und die Mutter von Victoria, ich sag jetzt mal Victoria, das mit dem Frau Dr. Berg ist mir zu lang, also, die Eltern von Victoria waren nie verheiratet. Die Firma war damals noch viel kleiner als heute, aber man kannte die beiden eben. Dr. Engwald war immer schon sehr engagiert im Lions Club und es war kein Geheimnis, dass er und Frau Berg ein Kind erwarteten. Als es dann so weit war, war die Mutter über Nacht spurlos verschwunden und der arme Herr Dr. Engwald stand da, mit dem Säugling im Arm, der Firma am Bein und den Kopf gerade eben noch auf den Schultern. Dass der das alles so hinbekommen hat ... meine Hochachtung. Wirklich. Und von der Mutter hat man nie wieder was gehört oder gesehen.«

»Sehr traurig ...« Magnus war berührt. Hatte er Victoria bisher nur als liebens- und begehrenswert kennengelernt, überwog gerade das Mitleid.

»Ja, Sie sagen es. Wie man als Mutter so was tun kann. Das wäre mir mit meinem Sebastian und dem Kurt im Traum nicht eingefallen. Aber was soll ich sagen, Dr. Engwald hat sich rührend um die Kleine gekümmert, nie auch nur eine Schulaufführung versäumt, nebenbei dieses Imperium aufgebaut und ... Herrje, ja. Die beiden sind so bodenständig geblieben. Reich, ja. Aber immer freundlich, großzügig und vor allem nahbar. Nicht so, wie man das so aus der Zeitung kennt von solchen Leuten ... Aber was rede ich ... Sie haben Victoria ja selbst kennengelernt.« Irene Scharnweber war aufgestanden. Blickte erschrocken auf die Uhr und rief: »Sie müssen los!«

Magnus schmunzelte. »Ja, sofort. Aber erst möchte ich mich noch bei Ihnen für das Gespräch bedanken.« Er nickte ihr zu und lächelte: »Danke.«

»Aaaach, da nicht für.« Kopfschüttelnd und mit geröteten Wangen verließ sie das Amtszimmer.

Magnus gönnte sich noch einen Moment für die Reflexion. Frau Scharnweber hatte sein Bild von Victoria nur bestätigt, was ihn sehr beruhigte. Dennoch lastete die Situation schwer auf seinem Gemüt, Victorias plötzliche Abreise war wie ein unerwarteter Schlag in die Magengrube. Dazu noch die unerfreuliche finanzielle Lage. Es fühlte sich an, als sei sein Leben ein Fisch, den er mit bloßen Händen zu fangen versuchte. Kalt und glitschig, flink und wendig. Und für einen Moment überlegte er, ob er ihn nicht einfach schwimmen lassen sollte.

Victoria würde es vielleicht gar nicht so eng sehen, aber die Welt in der sie lebte, war ihm fremd. Sehr fremd. Seine Eltern lebten seit jeher zur Miete, sein Vater war früher Bergmann gewesen, als die Zeche schloss machte er eine Umschulung und arbeitete seitdem als Fachberater in einem Baustoffhandel. Seine Mutter war seit Jahr und Tag Bäckereifachverkäuferin. Die beiden hatten immer zu ihm und Anna gesagt: »Seht zu, dass ihr es im Leben zu etwas bringt, das euch ernährt, Spaß macht und womit ihr glücklich seid.« Er und seine Schwester hatten es beherzigt. Zu würdigen wusste er die Leistung seiner Eltern erst jetzt. Und schämte sich umso mehr, dass er zumindest einen Teil seines Lebens so in den Sand gesetzt hatte. Ich muss die beiden dringend mal wieder besuchen.

Nachdem Magnus ihr Büro verlassen hatte, setzte sich Victoria an den Schreibtisch, kaute auf dem Rand der Red-Bull-Dose herum und versuchte, sich zu konzentrieren. Er war hier gewesen. Ihr Herz stolperte immer noch vor sich hin. Der Worst Case war eingetreten und entpuppte sich als Glücksfall. Es hatte sich alles von allein ergeben.

Sie schloss die Augen, erinnerte sich an das Gefühl, das seine Lippen auf ihrer Haut hinterlassen hatten, sein Lächeln. Der Abschied war beiden extrem schwergefallen. Was Magnus über sie und das Bild gesagt hatte, hatte sie aus dem Konzept gebracht. Er hatte sie danach ein letztes Mal fest in die Arme geschlossen und sie lang auf die Stirn geküsst. Für den Bruchteil einer Sekunde hatten sich daraufhin ihre Lippen zu einem Kuss gefunden, als sie auch schon wieder voneinander ablassen mussten, weil der Fahrer an die Tür klopfte.

Victorias Handy schellte. Elisabeth von Eschberg.

»Hallo Liebelein. Wie geht es euch?«

»Oh, frag nicht. Ich bin positiv auf müde getestet worden ... Und ich kann gar nicht so viel frische Luft atmen, wie mir übel ist ... Ich bin müde, mir ist speiübel und ich bin müde. Erwähnte ich bereits, dass ich müde bin?«

»Du Arme. Kann ich dir was Gutes tun?«

»Nicht nötig, Moritz trägt uns auf Händen, wo er kann. Aber gegen die Schwangerschaftssymptome ist noch kein Kraut gewachsen. Ich wollte dir eigentlich auch nur kurz hallo sagen und dich und Magnus zum Abendessen bei uns einladen, irgendwann nächste Woche.«

»Oh, das ist nett. Ich flieg aber heute Abend nach Dubai und werde vor dem 01.08. wohl nicht zurück sein.«

»Ach herrje. Wie hält Magnus das aus?«

»Gute Frage ... Ich hoffe, er hält es überhaupt aus.«

»Hm, so eine junge Liebe direkt derart auf den Prüfstand zu stellen ist aber auch gemein ...«

»Ich weiß ja, dass du aus Erfahrung sprichst.« Victoria seufzte. »Sag mal, wie sehr hattest du damals damit zu kämpfen, dass Moritz ... nun ja ...«

»Du meinst ›so reich ist, ein Prinz und Erbe von Eschberg‹?« Elisabeth klang völlig entspannt.

»Ja. Ich meine, eigentlich wollte ich dich das nicht fragen, aber ich zermartere mir das Hirn ...«

»Liebelein, ich war total geschockt, als das herauskam. Und habe mir Bedenkzeit erbeten. Uns beiden war ja klar, dass wir zusammen sein wollten, zusammengehören. Aber ich hatte mächtig Angst davor, Prinzessin von Eschberg zu sein. Ich kam mir vor wie Cinderella ... Und du weißt, dass das nicht mein Ding ist. War. Aber weißt du, Georg hat mich damals beinahe mehr aufgefangen als Moritz. Der war noch ein bisschen zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Irgendwie ging das auch alles etwas schnell, zu schnell. Deswegen ja auch die unrühmliche Trennung zwischenzeitlich. Aber das vorläufige Ende vom Lied kennst du ja.«

»Ja ...« Victoria seufzte erneut. »Danke, dass du mir das noch mal so vor Augen geführt hast. Magnus war nämlich heute hier und hat quasi ›die volle Dröhnung ECG‹ bekommen.«

»Auweia.«

»Ja. Ich hatte mich im Büro eingeschlossen, um abzuschalten. Dann kam die Nachricht von Hakim, dass ich dringend eher kommen muss und plötzlich steht Markus vor meinem Schreibtisch und faselt was von Magnus. Ich hab das erst gar nicht kapiert.«

Elisabeth lachte laut. »Nein ... Und dann?«

»Na ja, dann habe ich Magnus in mein Büro geholt, wir haben was gegessen, ein bisschen geredet und dann musste er auch schon wieder los.«

»Und jetzt hast du Angst, dass er über die zeitliche und räumliche Trennung auf zu viele komische Ideen kommt?«

»Ja.«

»Ich hatte aber den Eindruck, dass du ihm vertraust. Und dir ziemlich sicher seinetwegen bist. Jetzt mal unter uns Pastorentöchtern; du hast noch nie jemanden mit ins Daily gebracht. Ihr habt ja quasi auf dem Präsentierteller gesessen ... und Magnus scheint mir auch niemand zu sein, der sich mit dir in die Öffentlichkeit wagen würde, wenn er sich nicht bereits sicher wäre.«

»Will heißen?«

»Liebelein, auch wenn du das noch nicht so siehst, ich bin mir sicher, dass ihr beide zusammengehört. Punkt.«

»Du bist so weise.«

»Und so müde ...« Elisabeth gähnte wie zum Beweis. »Liebelein, melde dich einfach, wenn du aus den VAE zurück bist. Entweder zum Abendessen zu viert oder, wenn du seelischen Beistand möchtest, auch gern allein. Hm?«

»Mach ich. Dann legt euch mal fein hin und ruht euch aus ...«

»Machen wir, machen wir.«

Magnus sah auf die Uhr. Zehn nach neun.

In einer Viertelstunde würde Victoria fliegen. Er saß immer noch in seinem Büro, hatte Unmengen an Urteilen gefällt, Beschlüsse unterzeichnet und sich durch sechs Gürteltiere gearbeitet. Der Stapel wurde kleiner. Die Unsicherheit wuchs. Vor zwei Stunden hatte sie ihn noch einmal angerufen. Er war froh, ihre Stimme zu hören, aber es schürte die Sehnsucht nach ihr schon so sehr, dass er sich ernsthaft fragte, wie er die nächsten vermutlich zweieinhalb Wochen überleben sollte.

💎 Hey, gleich bin ich für die nächsten knapp 6,5 h offline. Ich werde versuchen, zu schlafen, und dir schreiben, wenn ich in DXB angekommen bin. Du fehlst mir.

🎓 Du mir auch. Habe Dubai bereits in der Weltzeituhr gespeichert, damit ich immer weiß, wie spät es bei dir gerade ist. Bin noch im Gericht. Pass auf dich auf 😚

💎 Mache ich. Und du sei schön fleißig! Wenn ich wieder da bin, wäre es schön, wenn wir ein bisschen Zeit für uns haben.

🎓 Versprochen. Und wenn ich mich krankmelden muss 😉

Er überlegte. Getippt hatte er es schon. »Ich liebe dich«. Dann wieder gelöscht. Wieder getippt. Gelöscht. Victoria war keine Frau, der man das einfach so schrieb. Er wollte es ihr lieber sagen. Persönlich.

💎 Aber erst mal sehen wir uns wohl in Bärenthal, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, oder?

🎓 Ja. Stimmt. Total vergessen. Wobei, ich überlege gerade, das zu verwerfen.

💎 Aber nicht meinetwegen, oder?

🎓 Jein. Ich habe an dem Samstag Geburtstag und eigentlich steht mir dieses Jahr nicht wirklich der Sinn danach, den im Kreise meiner irren Mittelalterfreunde zu feiern. Andererseits habe ich im Juni mein Schwert zerhackt, die Klinge ist unrettbar hinüber. Ich hatte eigentlich gehofft, mir auf dem Markt ein Neues zuzulegen.

Magnus kratzte sich am Kopf. Warum schrieb er ihr das jetzt?

💎 w/Schwert: wie blöd. Wo rohe Kräfte sinnlos walten? Oder wie passiert so was? w/Geburtstag: Ist es dir denn dann überhaupt recht, wenn ich bei euch im Lager rumkomme?

🎓 Das mit dem Schwert war Tobias. Ich bin froh, dass mein Arm noch dran ist. Aber das muss man szenisch erklären, kaum in Worte zu fassen, wie die Aktion abgelaufen ist. Und mit meinem Geburtstag ... Hm. Der ist mir noch nicht mal so wichtig. Die Jungs machen halt nur immer ein ziemliches Theater darum, wenn einer von uns während des Marktes Geburtstag hat. Eigentlich wäre mir viel lieber, wenn du und ich die versprochene Zeit für uns hätten.

💎 Wenn ich das richtig sehe, bleiben uns rein statistisch noch ca. 50 Jahre. Kommt es da auf ein Wochenende an? 💋 Wir rollen übrigens ...

🎓 Nein 😀. Das definitiv nicht. Dann wünsche ich dir jetzt einen guten Flug ... 😚

💎 Danke ...💋

Victoria überlegte. Sollte sie ihm noch schreiben, was ihr gerade in den Sinn kam? Sie wäre in wenigen Sekunden ohne Internetverbindung und könnte eine Antwort erst in Dubai lesen. Sie tippte.

»Ich liebe dich.«

Und weg war die »Senden«-Taste. Offline. Sie seufzte. Vielleicht war es besser so. Eigentlich auch eine blöde Idee, es ihm per SMS zu sagen. Sie wollte ihm dabei in die Augen sehen. In diese funkelnden, grünen Augen, die sie so magisch in ihren Bann gezogen hatten.

Die Stewardess servierte ihr ein Glas Champagner und fragte sie, ob und was sie essen wollte. »Danke, nur einen kleinen Imbiss bitte. Ich würde gleich gern schlafen.«

»Sehr wohl. Möchten Sie den Pyjama und die Decke sofort oder später?«

»Gern jetzt gleich, danke.« Victoria seufzte. Eigentlich fand sie es dekadent, First Class zu fliegen. Das lohnte sich für die sechs Stunden und fünfundzwanzig Minuten fast nicht. Aber andererseits hatte sie einen langen Tag hinter sich und war froh, die Beine gleich ausstrecken zu können. Ihre Gedanken hingen an Magnus. Geburtstag. Und ein zerstörtes Schwert. Sie würde Viktor morgen anrufen, den Schmied, der auch ihre Waffen angefertigt hatte. Ein Meister seines Faches. Zur Sicherheit erstellte sie einen Termin im Kalender, jeder Tag zählte. Für eine Sonderanfertigung würde Viktor wohl etwas länger brauchen. Wenn er bis Bärenthal überhaupt fertig würde. Victoria biss in ihr Hühnchen-Sandwich, spülte den Happen mit dem restlichen Champagner hinunter und lehnte sich zurück. Schnell schlafen, dachte sie. Schnell schlafen, bitte.

Magnus verließ um kurz nach halb zehn das Gerichtsgebäude. Müde, erschlagen von den Eindrücken des Tages und immer noch mit dem Gedanken beschäftigt, wie es mit Victoria weitergehen könnte. Sollte? Würde? Sein Handy klingelte. Eine Eschberger Nummer, aber er kannte sie nicht.

»Magnus Brandt.«

»Engwald, guten Abend Herr Dr. Brandt. Ich hoffe, ich störe so spät nicht?«

»Herr Dr. Engwald. Nein, ganz und gar nicht. Ich bin gerade nur etwas irritiert ...«

»Das denke ich mir und es tut mir aufrichtig leid. Offenbar wissen Sie aber, wer ich bin. Fein. Ich will Sie auch gar nicht lange aufhalten ... Bereiten Sie mir die Freude, morgen zum Abendessen mein Gast zu sein?«

»Ähm ...« Magnus überlegte. Jetzt wo Victoria nicht da war, hatte er eigentlich nichts vor. Aber ohne ihre Anwesenheit ihrem Vater gegenüber zu treten, war ihm nicht ganz geheuer. Und Weimaraner sind große Hunde, schoss es ihm in den Kopf. »Ja, sehr gern.«

Hatte er das gesagt? Magnus biss sich auf die Zunge.

»Schön. Das freut mich. Passt Ihnen 18 Uhr?«

»Ja, sehr gut. Kann ich etwas –«

»Nur sich und Hunger. Mögen Sie Wild?«

»Ich bin omnivor ...«

»Herrlich!« Wilhelm Engwald lachte. »Dann gern um 18 Uhr morgen.«

»Können Sie mir die Adresse eventuell per Nachricht zukommen lassen? Ich habe gerade nichts zu schreiben zur Hand.«

»Oh. Ja, das kann ich wohl. Mein Fahrer wird Sie aber morgen um 18 Uhr abholen. Talstraße 9?«

Magnus schwieg einen Moment. »Ja, Talstraße 9.« Woher wusste er das?

»In Eschberg bleibt nichts lange geheim ... Ich freue mich auf Sie.«

»Ich mich auch ... Bis morgen dann ...«

Wilhelm Engwald hatte aufgelegt. Er kraulte Justus hinter dem Ohr und sah in den Garten hinaus. Eben noch hatte er mit Jo Zeilinger auf der Terrasse gesessen, nachdem er sich mit ihm das neue Falkengehege angesehen hatte. Zeilinger hatte ihm von Magnus und seiner Begegnung mit Victoria erzählt. Eine seiner Angestellten wohnte im selben Haus und hatte ihn darauf angesprochen.

»Wieso wohnt jemand wie er in dieser Gegend?«, hatte Zeilinger ihn gefragt.

Wilhelm Engwald wusste keine Antwort. Den Direktor des Amtsgerichts hätte er auch eher am anderen, schöneren Ende der Stadt angesiedelt, nicht in einem dieser maroden Wohnsilos, anonym, laut, dreckig. Er würde die Sache morgen vorsichtig erörtern, Victoria hatte ja erwähnt, dass die beiden sich erst annäherten. Eigentlich wollte er auch gar nicht dazwischenfunken, aber dadurch, dass sie jetzt so plötzlich nach Dubai aufgebrochen war und Magnus allein mit seinen Gedanken und Eindrücken zurücklassen musste, hatte er das Bedürfnis, ihm ein wenig »Nestwärme« zu geben.

Victorias Vater also, spukte es Magnus durch den Kopf. Er konnte sich nicht vorstellen, dass das ihre Idee gewesen war. Sie hatte erwähnt, dass sie mit ihrem alten Herrn gesprochen hatte, aber Magnus hielt sie für zu offen und ehrlich, als dass sie ihm verschwiegen hätte, wenn sein Plan ihr bekannt gewesen wäre. Was also führte Dr. Engwald im Schilde? Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er es in etwa zwanzig Stunden wissen würde. Zwanzig Stunden. Verglichen mit den fast 400 Stunden bis er Victoria wiedersehen würde, ein Klacks. Aber momentan einfach zu viel für seine Nerven. Nachdem er sich umgezogen hatte, schnürte er seine Laufschuhe und trat vor das Haus, zog die Baseballcap tiefer in die Stirn und joggte los. Ohne Ziel. Die Straße hinunter. Durch das Gewerbegebiet. In die Altstadt. Am Café Daily vorbei. Aus der Stadt raus. Es ging auf zehn Uhr zu.

Magnus wähnte sich allein unterwegs, bis sich aus dem Wald in der Nähe des Schlosses eine dunkle Gestalt näherte. Die Sonne war schon so gut wie untergegangen, die Laternen erhellten die Straße. Autos fuhren sporadisch an ihm vorbei.

Der andere Läufer kam direkt auf ihn zu, ebenfalls eine Baseballcap weit nach unten gezogen. Plötzlich winkte er und rief: »So schnell sieht man sich wieder!«

Moritz.

»Hi ... Auch so spät noch unterwegs?«

»Mhm ... Kopf freikriegen?«

»Du sagst es ...«

»War viel los bei dir, in den letzten Tagen, was?« Sie hatten das Tempo gedrosselt, um nicht zu schnell außer Atem zu kommen.

»Zu viel. Ja. Mir fehlte schon in Berlin der Ausgleich. Aber ich will dich damit nicht nerven ...«

»Quatsch. Alles gut. Ich bin eigentlich froh, nicht alleine laufen zu müssen. Seit Elisabeth schwanger ist, macht sie sich total Sorgen, wenn ich abends allein losjogge. Deswegen versucht sie mich auch immer irgendwie davon abzubringen. Übrigens auch der Grund, warum wir gestern im Daily waren.« Moritz kicherte.

»Und heute?«

»Sie schläft.« Schallendes Gelächter brach aus. »Aber ich hab einen Zettel hinterlassen. Sie killt mich sonst.«

»Na dann. Aber du bist ja auch fast zu Hause ...« Sie nahmen die letzte Kurve hoch zum Schloss.

»Ja, das ist wohl wahr. Hast du es noch weit? Siehst schon ziemlich k. o. aus ...«

»Ganz ehrlich? Ich hab keine Ahnung, wie weit ich gelaufen bin, ich müsste in die App gucken. Und wie weit es nach Hause ist, weiß ich auch nicht ganz genau.«

»Na, dann wurde das mit dem Laufen aber höchste Zeit. So vernebelt?«

»O ja ... Aber nicht nur wegen Victoria.«

Sie hielten auf dem Weg neben dem Schotterparkplatz an. Moritz stoppte seine Aufzeichnung am Handy, Magnus blickte irritiert auf sein Display.

»Okay. 18 Kilometer. Hätte ich nicht gedacht.«

»Runner’s High?« Moritz grinste.

»Wahrscheinlich.«

»Hey, was hältst du davon, wenn wir bei mir schnell was trinken und ich bring dich eben mit dem Auto nach Hause?«

»Hm.« Magnus stutzte.

»Komm, ein alkoholfreies Weizen geht immer ...«

»Da kann ich schlecht nein sagen. Wecken wir Elisabeth nicht?«

»Selbst wenn, dann schleppt sie sich höchstens von der Couch ins Bett. Oder lässt sich tragen.«

»Na gut. Auf deine Verantwortung.«

Wider Erwarten gingen sie nicht ins Schloss, sondern bogen in einen Privatweg ein, an dessen Ende sich eine dezent beleuchtete Villa im Landhausstil auftat. Moritz hielt eine Schlüsselkarte vor die Tür und ließ Magnus ein. Elisabeth stand in der Küche und löffelte einen Becher Ben & Jerry’s leer, grinste und winkte ihm. »Hiiii ...«

Moritz trat hinter ihm in den Flur. »Ich hab jemanden mitgebracht ...«

»Ich seh schon!« Elisabeth kam ihnen entgegen, fiel Moritz um den Hals und küsste ihn. »Wenn du geschrieben hättest, dass du mit Magnus unterwegs bist, hätte ich mir weniger Sorgen gemacht.«

»Ja, Mama ...«, frotzelte Moritz. »Ich hab ihn gerade erst getroffen. Er hat sich quasi verlaufen.«

»Oh. Na dann bring ihn gleich mal heim ... Trinkt ihr noch einen Absacker?«

»Ja, hatten wir vor.«

»Mein Auto steht noch draußen, wenn du magst. Ich geh jetzt ins Bett. Viel Spaß noch euch zweien und Schuhe aus!«, rief sie lachend, umarmte beide und machte sich auf den Weg nach oben.

»Du hast es gehört!«, zwinkerte Moritz Magnus zu und stellte seine Schuhe in den Flur. Er schob Magnus ein Paar Hausschuhe zu und deutete ins Wohnzimmer. »Setz dich schon mal, ich komm sofort.«

»So ungeduscht auf die Couch?«

»Kein Ding. Wenn hier erst mal der Nachwuchs Einzug gehalten hat, nimmt darauf auch niemand mehr Rücksicht.« Moritz lachte, nahm zwei Bier aus dem Kühlschrank und ließ sie nacheinander waagerecht in die Gläser laufen. »Jetzt wo ich Elisabeth mit dem Eis gesehen habe ... Willst du auch eins?«

»Eis und Bier? Nee, lass mal. Danke.« Magnus winkte ab. »Bist du mitschwanger?«

»Ich befürchte es ...« Moritz hielt ihm das erste Glas hin. »Ich steh teilweise mitten in der Nacht mit ihr auf und sehe ihr dabei zu, wie sie Selleriesalat aus dem Glas isst.«

»Iiiih.«

»Mhm. Ich muss dazu sagen: Sie ist eine begnadete Köchin, dass sie so was überhaupt anrührt, ist schon seltsam. Aber mitten in der Nacht ... Bedenklich ...«

»Geht sicherlich auch vorbei ... Wievielte Woche?«

»Elfte. 29 weeks to go.« Moritz rollte mit den Augen.

»Denn man tau ...«, stießen sie die Gläser an und Stille legte sich über den Raum.

Einen Moment später ließ Magnus vor Schreck fast das Glas fallen und Moritz prustete vor Lachen. Gringer hatte sich angeschlichen und vor Magnus‹ Füßen saß er nun schwanzwedelnd und bettelnd: »Miau?«

»Fuck, was hab ich mich erschreckt!«

»Sorry, ich hab an den Dicken nicht gedacht. Das ist Gringer.«

»Der aus He-Man?« Magnus grinste und bestaunte den riesigen Kater.

»Ich seh schon, wir verstehen uns ...« Moritz war zum Küchenschrank gegangen und raschelte mit einer kleinen Box. »Komm her, Dicker.«

Gringer tapste auf ihn zu und sah ihn erwartungsvoll an. »Peng, tote Katze!«

Gringer fiel um, alle Viere von sich und verharrte so.

»Fein hat er das gemacht.« Moritz warf ihm ein Leckerli hin und wandte sich breit grinsend zu Magnus. »Hat Elisabeth ihm beigebracht ...«

»Cool. Norwegische Waldkatze?«

»Mhm. Anhänglich wie ein kleines Kind. Er liebt sie abgöttisch ... Und leidet total darunter, dass sie momentan nicht so viel mit ihm kuschelt.«

»Angst vor Toxoplasmose? Kann ich verstehen. Ist ja auch nicht ungefährlich.«

Moritz neigte den Kopf und sah Magnus fragend an. »Hast du selber Kinder?«

»Ich? Nein. Wie kommst du darauf?«

»Du fragst nach der Schwangerschaftswoche, nicht nach dem Monat. Toxoplasmose ist dir ein Begriff ... Ich musste mich dafür erst durch so ein quietschiges Schwangerschaftsbuch quälen ...«

»Lass mich raten, so ein rosafarbenes, Comicstil, Sanssouci-Verlag. Schwangerschaft und Geburt.«

»Exakt ... Also, raus mit der Sprache ... Wieso hast du das gelesen?«

»Meine Schwester hat ein Kind, Henry. Fast vier inzwischen. Sie hat es damals in der Schwangerschaft bei mir und –«

»Und?« Moritz schaute aufmerksam.

»Bei mir und Ilona liegen lassen.«

»Ilona, deine Ex?«

»Ilona meine noch.«

»Hey, stopp. Was meinst du genau?« Moritz‹ Ton hatte sich ein wenig verschärft.

»Nicht, was du jetzt denken könntest. Ich fahr nicht zweigleisig.«

»Sorry, wollte nichts unterstellen. Klang nur so seltsam«, ruderte Moritz zurück.

»Ja, deswegen hab ich auch einen Moment gezögert. Ilona und ich sind offiziell noch verheiratet, aber der Termin für die Scheidung müsste jetzt bald anberaumt werden. Und bevor du fragst: Nein, Victoria weiß davon noch nichts.«

»Autsch.«

»Exakt. Und ich hab auch noch keine Ahnung, wie ich ihr das beibringen soll. Eigentlich ist alles in trockenen Tüchern.«

»Eigentlich?«

»Herrje, du hörst echt zu gut zu ...«

»Hab ich von Elisabeth.«

»Bester Einfluss ...«

Beide lachten. Magnus sah in sein Glas. »Nichts, was sich nicht in den nächsten Tagen klären wird. Wir kommunizieren nur noch über unsere Anwälte.«

»Ein Richter, der einen Anwalt braucht?«

»Ja, das hört sich bescheuert an, ich weiß. Aber Tobias und ich haben zusammen studiert und ich vertraue ihm voll und ganz. Es ist schon besser, wenn sich jemand der Sache annimmt, der emotional nicht so involviert ist. Außerdem ist es so vorgeschrieben ...«

»Klingt logisch. Und verdammt traurig.«

»Na ja, Scheidungen gehören bei mir ja indirekt auch zum Geschäft, ich mach zwar eigentlich Strafrecht, aber muss mich halt auch im Zivilrecht sicher bewegen. Insofern nichts, was mir von der Sache her fremd ist. Wie die Eheschließung an sich auch nur ein formaljuristischer Akt.«

»So nüchtern, wie du das betrachtest, bist du echt drüber hinweg, oder?«

»Aber so was von. Sonst hätte ich mich auch gar nicht auf Victoria eingelassen. Das kannst du mir glauben.«

»Tue ich. Ohne Zweifel. Noch eins?« Moritz deutete auf das Bier.

»Hm. Nur wenn du noch Zeit hast und auch eins mittrinkst.«

»Sonst würde ich kaum fragen ...«

Mit den frisch befüllten Gläsern in der Hand steuerte Moritz auf den Wohnzimmertisch zu. Gringer hatte es sich inzwischen neben Magnus bequem gemacht und miaute.

»Wenn du magst, kannst du ihn kraulen. Der stirbt sonst vor Verzweiflung ...«, lachte Moritz und Magnus fing an, dem Kater vorsichtig über das Fell zu streichen. Das Miauen verstummte und Gringer fing leise an zu schnurren.

»Wenn ich das jetzt alles richtig zusammenfüge, war Victoria früher eure Chefin?«, fragte Magnus. Moritz grinste.

»Ja, das stimmt wohl. Elisabeth und ich haben beide in der Firma angefangen, als ihr Vater sie noch geführt hat. Hast du Wilhelm schon kennengelernt?«

»Nein. Morgen.«

»Ohne Victoria?«

»Sieht so aus ... Er hat mich vorhin angerufen und zum Abendessen eingeladen. Einer der Gründe, warum ich vorhin unbedingt vor die Tür wollte.«

»Mach dir mal keinen Kopf. Wilhelm ist im Prinzip eine Blaupause von Victoria. Er wird dich schon nicht fressen.«

»Das sagst du so ...«

»Im Ernst. Ich bin mir sicher, dass er dich einfach nur kennenlernen will. Vielleicht ist es sogar ganz gut, dass Victoria nicht dabei ist. So ein Gespräch unter Männern hat ja manchmal was für sich.«

»Auch wieder wahr. Nur, jetzt mal unter uns, in unserem Männergespräch ...« Magnus zögerte.

»Schieß los ...«

»Mir behagt das alles irgendwie nicht. Nur damit wir uns richtig verstehen, in Relation zu dem, was ich über Victoria weiß und bisher hier in Eschberg und Düsseldorf erlebt und gesehen habe, komme ich aus sehr einfachen Verhältnissen. Und auf gut Deutsch gesagt, geht mir gerade echt die Flatter. Ich hab keinen Plan, wie ich neben einer Frau bestehen soll, die eine schwarze American Express besitzt und Angela Merkel für mich warten lässt.«

»Was, das hat sie echt getan? Cool.« Moritz lachte laut.

»Hat sie. Zwar nur am Telefon, aber sie meinte nur ganz trocken ›Ich ruf zurück.‹.«

»Und wieso hast du da jetzt noch Zweifel?«

»Das ist irgendwie nicht meine Welt. Wie gesagt, ich bin in einem bescheidenen Umfeld groß geworden, mein Studium kreditfinanziert. Und irgendwie von einer Misere in die nächste geschlittert, die Scheidung ist finanziell gerade relativ ungünstig, deswegen habe ich hier auch erst mal nur eine Mini-Wohnung Downtown genommen ...«

»Verstehe. Und davon weiß Victoria auch noch nichts!?«

»Nein. Und ich wäre dir sehr verbunden, wenn das auch erst mal so bliebe.«

»Kein Ding. Ich muss mich zwar zusammenreißen, das nicht Elisabeth zu erzählen, weil Victoria es sonst sofort weiß, aber ich denke, dass ich das vertreten kann.« Moritz dachte an seine eigene Situation und seinen Freund Markus, der ihn immer gedeckt hatte. Er nickte Magnus aufmunternd zu, der aber rollte nur mit den Augen.

»Mann, Mann, Mann ... Du steckst echt in der Klemme, was?«, seufzte Moritz.

»Gefühlt zumindest. Aber ich bin wirklich froh, dass du mich noch überredet hast, mitzukommen.«

»Weißt du, ich glaube, du solltest dich mal mit Elisabeth unterhalten. Die hatte am Anfang auch ein paar – nennen wir es mal – Akklimatisierungsschwierigkeiten. Ich meine das nicht despektierlich, auf keinen Fall. Ihr war halt auch nur das alles hier nicht sonderlich geheuer und ich hab es leider alles andere als gut verstanden, ihr das Schloss, die Holding und meine, beziehungsweise ihre Rolle, hier nahezubringen. Mein Vater hat großen Anteil daran, dass sie und ich glücklich miteinander sind. Geworden sind. Er hat sich übrigens auch ungebeten eingemischt. Und er ist ein Freund von Wilhelm.«

»Nachtigall ick hör dir trapsen ... Du meinst also, ich soll das alles auf mich zukommen lassen und wenn ich dann erst mal so weit involviert bin, dass ich einen Überblick habe, will ich auch gar nichts anderes mehr?«

»Wunderbar auf den Punkt gebracht.«

Mit dem letzten Rest Bier stießen sie an und ergingen sich in Schweigen. Gringer rieb seinen Kopf an Magnus‹ Hand und als es auf Mitternacht zuging, erlosch die Außenbeleuchtung.

Magnus richtete sich auf: »Ich werd dann mal langsam ...«

»Hey, ich hab gesagt, ich fahr dich, also fahr ich dich. War ja alkoholfrei.«

»Quatsch, bleib hier, ich lauf ...«

»Keine Widerrede. Ich krieg sonst obendrein Ärger mit Elisabeth. Und ganz ehrlich ... Mir ist egal wo und wie du wohnst, wenn du wüsstest, wie ich in meiner Studentenzeit gehaust habe ...«

»Wie meinen?«

»Erzähl ich dir Dienstag, nach dem Boxen.«

»Na dann ...«

Sie schlüpften in ihre Trainingsschuhe und Moritz schloss leise die Tür hinter ihnen. Mit wenigen Schritten waren sie halb um das Haus herumgelaufen und Moritz drückte auf die Fernbedienung von Elisabeths Jaguar.

»Nett«, entfuhr es Magnus. »F-Type R, V8, 550 PS?«

»Ich sehe, du bist im Bilde. Elisabeth trauert dem Wagen jetzt schon hinterher. Wenn die Kids erst mal da sind, wird sie ihn nur noch selten fahren können und bisher hat sie immer einen Riesenspaß damit gehabt. Haben wir immer einen Riesenspaß damit gehabt.«

»Glaub ich gern ...«

Sie stiegen ein, Moritz fuhr los.

»Ganz offen gesprochen: Ich sitze jetzt zum zweiten Mal innerhalb einer Woche in einem meiner Traumautos. Langsam kommt mir Eschberg vor, wie das Land in dem Milch und Honig fließen.«

»Ein bisschen ist es auch so ... Aber lass dich davon nicht überfahren. Wir kochen alle nur mit Wasser. Außer Elisabeth. Die hat noch irgendwelche Geheimzutaten, mit denen sie selbst unseren Sternekoch hin und wieder neidisch macht.«

»Okaaaayyy ...Ich lass das jetzt mal so stehen. Wenn du mir dann nur noch eine Sache verrätst: wer ist Frederik Stein?«

Donnerstag, 18.07.

Victoria schlug die Augen auf. Ein Luftloch. Sie hasste Turbulenzen. Es war zwei Uhr in der Nacht, MESZ. Dubai war zwei Stunden weiter. Wieder ein Luftloch. Die Anschnallzeichen leuchteten auf. Na, danke. Sie legte den Gurt um und brachte den Sitz in eine aufrechte Position.

Magnus. Wenn sie jetzt abstürzen würde – unwahrscheinlich, aber immerhin möglich, Elisabeths Mann war schließlich auch bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen – Magnus würde nie erfahren, dass sie ihn liebte. Ein Moment freier Fall. Ein Aufschrei ging durch die Kabine.

Sie kämpfte mit den Tränen. Sollte sie ihm eine Videobotschaft aufnehmen? Vielleicht würde man ihr Handy im Trümmerfeld finden und so könnte sie ihm wenigstens mitteilen, was ihr auf dem Herzen lag.

Ein Moment Ruhe.

Eine Minute Ruhe.

Victoria atmete durch und lachte über sich selbst. Sie würde bei ihrer Rückkehr dringend mit Peter Knoll, dem Therapeuten bei ECG, reden müssen.

Als sie planmäßig um 5.50 Uhr in Dubai landete und aus dem Flugzeug stieg, war sie ermattet und die Hitze, die ihr mit schon über 30 Grad entgegenschlug, machte ihr alsbald zu schaffen. Das kurze Stück bis in den Terminal legte sie schnellen Fußes zurück, sie hoffte, dass ihr Koffer zeitnah auf dem Band vorbeikommen würde und der Tag besser verlief, als er angefangen hatte. Noch allerdings war das Transportband nicht angeschaltet. Sie zückte ihr Handy. In Deutschland war es noch mitten in der Nacht, aber sie hatte versprochen sich zu melden.

💎 Guten Morgen, mein Herz. Bin gelandet und stehend k. o. – furchtbarer Flug. Warte auf meinen Koffer und denke an dich. Habe die ganze Zeit an dich gedacht ... 💋

Was sollte sie ihm auch mehr mitteilen? Zumindest für den Anfang gab es nichts zu erzählen. Das Kofferband begann zu rotieren und bereits nach den ersten Gepäckstücken sah sie ihren silbernen Alutrolley, hievte ihn herunter und zog den Griff aus.

Ihr Handy piepste.

🏎 Hobbi, ich warte vor der Ankunftshalle. Bis gleich. H.

Hakim. Ihr Herz raste. Victoria hatte sich noch keine Gedanken gemacht, wann und wie sie ihm erklären wollte, dass es tatsächlich endgültig aus war. Als sie durch den Zoll und die Ankunftshalle lief, fühlte sie sich wie in Watte gehüllt, nahm kaum Notiz von den Dingen um sich herum. Im Flugzeug hatte sie Radio gehört. Und wie auf Bestellung lief das Lied, das sie seit vorgestern automatisch mit Magnus verband. Chicago – You’re the inspiration. Ein Ohrwurm. Bis zu dem Moment, in dem sie Hakim draußen durch die Glastür erspähte. Sie öffnete sich und die angezeigten 34 Grad schlugen Victoria wieder entgegen. Hakim hatte sie gesehen und lief auf sie zu. Er nahm sie bei der Hand und drehte Victoria einmal um ihre eigene Achse, als wollte er mit ihr tanzen.

»Schön dich zu sehen ...« Ein breites Lächeln huschte über sein gebräuntes Gesicht.

»Hi ...« Sie lächelte müde und schüchtern zurück. Er winkte einen seiner Bodyguards heran, deutete auf den Koffer und blickte Victoria an. Sie standen sich gegenüber, er hielt ihre Hand, aber war einen Schritt zurückgegangen. Seine goldbraunen Augen musterten sie, er legte die Stirn in Falten.

»Hobbi, was ist mit dir passiert? Du hast dich verändert.«

»Nein, alles wie immer: gleiche Größe, gleiches Gewicht, nicht mehr oder weniger Stress, keine neue Frisur ...«

»Ich sehe es in deinen Augen, deinem Blick ...«

»Ich weiß nicht, was du meinst ...«, log sie. Und sie wusste, dass er ihr ansah, wenn sie log.

»Victoria, wer hat dein Herz geraubt? In deinem Blick liegt plötzlich etwas, das ich sehr lange nicht gesehen habe ...«

»Hakim, können wir das später besprechen? Der Flug war nicht gerade arm an Turbulenzen und ich würde liebend gern erst frühstücken.« Das fängt ja gut an.

»Verzeih, Hobbi. Das war unhöflich von mir. Natürlich.« Er küsste sie auf die Stirn und deutete auf den Wagen, vor dem sie standen. »Komm!«

»Moooment.« Sie hielt die Luft an. »Das ist ein McLaren P1 GTR. Das ist unmöglich ...« Der weiße Supersportwagen glänzte in der noch tief stehenden Sonne und zog einige Blicke auf sich.

»Doch. Wie du siehst.«

»Wow.«

Hakim hielt ihr den Schlüssel hin. »Möchtest du?«

»Später, ich bin so müde, ich setz den Wagen vor die Wand, bevor sich überhaupt eine auftut.«

»Schon gut. Spring rein, mal sehen, ob und wie wir die Jungs abgehängt bekommen.« Er wusste, dass seine Leibwächter notwendig waren, es gab in diesen Tagen zu viele Verrückte auf der Welt und leider auch hin und wieder in seiner Nähe. Aber es konnte nicht schaden, sie ein bisschen auf die Probe zu stellen. Er bog auf die Autobahn ab, beschleunigte.

Victorias Herz schlug bis zum Hals. Sie wurde förmlich in den Sitz gepresst und hielt die Luft an. Hakim lachte laut und rief: »Von Null auf Hundert in 2,8 Sekunden, Null auf Dreihundert in 16,5. Ist das was für dich, Hobbi?«

Victoria schrie nur noch, halb aus Spaß, halb aus Panik. Hakim fuhr wie ein Irrer. Sie zweifelte nicht daran, dass er den Wagen unter Kontrolle hatte, aber nach dem unangenehmen Flug war ihr eigentlich nicht nach einer Schleuderfahrt auf der Autobahn in einem Geschoss, das ihrer Meinung nach auf die Rennstrecke gehörte und nicht in den Straßenverkehr.

Hakim drosselte die Geschwindigkeit und blickte zu ihr hinüber. »Du bist sooo tapfer.«

Er sah, wie blass sie geworden war und lächelte sie aufmunternd an. Im Rückspiegel versuchte er, seine Leibwächter auszumachen, aber von ihnen war weit und breit keine Spur.

»Und du bist so ein Kindskopf!«

Er kicherte. »Hey, werd nicht frech!«

»Ich war immer frech und ich werde immer frech bleiben ...«, gab sie zynisch zurück.

»Hobbi, was ist nur mit dir passiert ...?« In seinem Blick lag Sorge.

»Später.«

Als sie vor den Toren des Palastes ankamen, schwangen diese wie von Geisterhand auf. Die Leibwächter hatten sie vor ein paar Kilometern eingeholt und fuhren hinter ihnen auf das Gelände. Vor Victorias innerem Auge flammten beim Anblick des Arabischen Golfs plötzlich die Erinnerungen an ihren letzten Besuch auf. Sie sah den blauen Himmel, die Palmen, das kristallklare Wasser, schmeckte mit einem Mal das Salz in der Luft, grünen Tee und Granatapfel. Hakim und sie hatten im Sonnenuntergang am Strand gesessen, waren einander ein letztes Mal näher gekommen.

Victoria schüttelte sich. Es war keine unangenehme Erinnerung, aber eindeutig vorbei. Von der Seite lächelte sie Hakim an, er wiegte den Kopf und schwieg. Er schwieg auch, als sie vor dem Palast hielten, er ihr beim Aussteigen behilflich war, seine Angestellten ihn und Victoria begrüßten, er schwieg, als sie durch die kühle Eingangshalle kamen, an den Marmorsäulen vorbeigingen, durch das Portal zum Atrium ins Freie schritten und sich an den Tisch setzten, der bereits für sie gedeckt war. Hakim schüttete ihr einen Kaffee ein und lehnte sich mit seiner Tasse im Stuhl zurück. Und er schwieg.

Erst, als Victoria ihr Croissant aufgegessen und den Joghurt ausgelöffelt hatte, beugte er sich wieder vor, nahm ihre Hand und sah ihr tief in die Augen.

»Hobbi, wer ist es?«

Nun war sie es, die sich zurücklehnte, dabei seine Hand langsam losließ und sich hinter der Kaffeetasse verschanzte.

»Weißt du ... Wenn ich das so einfach sagen könnte. Natürlich hat er einen Namen. Magnus ... Aber das ist nicht, was du meinst. Ich weiß.«

»Also?«

»Er hat mich verzaubert. Völlig in seinen Bann gezogen. War plötzlich da und hat restlos Besitz von mir ergriffen. Einfach so. Und das, ohne es irgendwie zu forcieren. Du würdest sagen: Erwischt!«

Hakim lachte. Obwohl ihm eigentlich nicht zum Lachen zumute war. Das Spiel war aus, er sah Victoria an, dass er sie verloren hatte. Doch er konnte nicht böse mit ihr sein, wie auch? Sie hatten es lose gehandhabt, sich gegenseitig Zeit und Raum gelassen und keinerlei Ansprüche aneinander gestellt. Er hatte ihr Ultimatum verstreichen lassen. Bewusst? Vielleicht. Ärgerte er sich? Nein. War er traurig? Ja.

»Erzähl mir mehr, Hobbi. Oder möchtest du, dass ich aufhöre, dich so zu nennen, Victoria?«

»Du hast mich fast zehn Jahre so genannt, mein eigener Name klingt aus deinem Mund so fremd ...« Ihr war es kalt den Rücken hinunter gelaufen, als er »Victoria« gesagt hatte. »Wenn es dir gefällt, nenn mich gern weiter so.«

»Nichts lieber als das, Hobbi. Magnus also. Klingt so ›groß‹, wenn ich mich an meine spärlichen Lateinkenntnisse erinnere.«

»Du erinnerst dich richtig. Und ja, er ist groß. Und großartig.«

»Du vermisst ihn jetzt schon, hab ich recht?«

»Ja, hast du.«

»Hobbi, warum so verschwiegen?«

»Was soll ich sagen? Ich kenne ihn seit Montag. Aber es ist, als wäre er schon ewig da. Wir sind uns noch nicht einmal wirklich nahegekommen bisher und trotzdem übt er diese wahnsinnige Anziehungskraft auf mich aus. Er ist so zurückhaltend und überlegt. Trotzdem weiß ich, dass ich ihm vertrauen kann und ...«

»Dass du ihn liebst?«

»Ja.«

Hakim erhob sich aus dem Stuhl, ging um den Tisch und kniete vor Victoria nieder.

»Hobbi, dann soll es so sein.« Er küsste ihre Hand und sah ihr tief in die Augen.

Gerührt stand sie auf, zog ihn am Arm zu sich hoch und lehnte sich an ihn.

Sie vermochte nicht zu sagen, wie lange sie dort so gestanden hatten, als sie sich jedoch voneinander lösten, war es gut. Hakim küsste sie auf die Stirn und strich über ihre Arme. »Hobbi, ich will jetzt nicht unromantisch werden ...«

»Aber?«

»Zwei Sachen: Die eine ist, dass ich möchte, dass du weiterhin meine Geschäfte betreust. Die andere ist der Grund, warum ich dich so dringend herbestellt habe.«

»Ad eins: Wenn das für dich in Ordnung ist, gern. Auch wenn ich mir bis heute nicht erklären kann, warum du, mit einem MBA aus Oxford und extrem fähigen Beratern an deiner Seite das nicht selber machst. Ad zwei: Ich habe mir Sorgen gemacht, als du was von dringend sagtest. Was ist passiert?«

»Ad eins: Ich will keine fähigen Berater, ich will die Beste. Und vor allem will ich das Risiko nicht selber tragen.« Das saß. Und Hakim lachte. Victoria verstand. Und grinste.

Hakim fuhr fort. »Ad zwei: Die Behörden haben nachträglich versucht, mir eine Kartellstrafe aufzubürden; sie meinen, ich hätte bei der Firmenübernahme falsche Zahlen vorgelegt. Entweder ich zahle oder die Sache geht vor Gericht.«

»Wie viel?«

»In Euro? Dreihundert Millionen.«

»Hm.« Sie überlegte kurz. In Hakims Welt eine überschaubare Summe. Für sie ein guter Teil ihres Vermögens. »Du willst aus Prinzip nicht zahlen. Oder?«

»Exakt. Vor allem, weil ich weiß, woher der Wind weht.«

Hakim begann bei einer Tasse Apfeltee zu erzählen. In den Emiraten lief vieles über »Gebühren«, kleinere Deals, Handschlaggeschäfte und Beziehungen. Nichts, was Victoria dort fremd war, aber wie er andeutete, steckten in diesem Fall eine kleinere Verschwörung, gekränkte Eitelkeit eines anderen Scheichs und eine verzwickte Interessenlage dahinter. Auf einen Wink hin brachte einer der Diener ein Tablet an den Tisch, via Bluetooth übertrug Hakim eine Menge Dokumente auf Victorias und gemeinsam verschafften sie sich einen groben Überblick.

»Ich werde dir Hasan zur Seite stellen, er wird dir die Sachen übersetzen, wenn ich gerade nicht greifbar sein sollte.«

»Ja, bitte.« Victoria kannte Hasan von den früheren Besuchen, er war einer der jüngeren Brüder von Hakim, hatte ebenfalls in Deutschland studiert und war Head of Accounting and Controlling in dessen Konglomerat. Auch er hatte eine heimliche Liebe zu Currywurst entwickelt, als er damals in Bochum studierte. Wenn Hasan Hakim nach Deutschland begleitete, führte ihr erster Weg nach dem Passieren des Zolls direkt zum Würstchenstand. Beide sprachen akzentfrei Deutsch, Verdienst ihres deutschen Kindermädchens Maria, die ihnen die westliche Kultur nahegebracht hatte und einer der Gründe für die Auslandssemester der beiden jungen Männer gewesen war. Maria war schon lange im Ruhestand, nachdem sie auch einige Nichten und Neffen der Familie großgezogen hatte, aber Hakim und Hasan pflegten einen engen Kontakt zu ihr, sorgten dafür, dass es ihr an nichts mangelte und sie ihren Lebensabend im Orient genießen konnte.

Als die Sonne in den Zenit schritt, legten beide eine Pause ein. Vom Golf her wehte ein leichter Wind, aber das Thermometer war auf knapp 40 Grad geklettert. Victoria bezog ein Zimmer im Westflügel des Palastes, wie jedes Mal, wenn sie Hakim besuchte. Nur, dass er sie dort nicht mehr besuchen würde.

In Deutschland war es gerade neun Uhr, also telefonierte sie kurz mit David, nur um zu hören, ob alles in Ordnung sei. Ihrem Vater hatte sie auf der Fahrt vom Flughafen eine kurze Nachricht geschickt, er würde sich aber ohnehin erst dann Sorgen um sie machen, wenn sie sich länger als zwei Tage nicht meldete. Sie öffnete den Nachrichteneingang.

🎓 Guten Morgen ... Ich hoffe, du hast dich inzwischen ein bisschen erholt. Arbeite nicht zu viel – ich denk an dich. 😚

💎 Hey, mache gerade eine Pause. Hier sind 40 Grad und mir steckt der Flug noch in den Knochen ... Würde dich jetzt zu gern sehen ...

Magnus war online. Ihr Herz tat einen Sprung.

🎓 Hast du Skype?

💎 Ja ... Warum bin ich da nicht selber drauf gekommen?

Und schon kündigte sich der Videoanruf an. Auf dem kleinen Display lugte ein verschlafener Magnus, offenbar in seinem Amtszimmer, in schwarzer Robe und mit kleinen Augen in die Kamera.

»Hi ...«, quiekte sie vergnügt und strich über das Display.

»Hi ... Sag mal, streichelst du gerade dein Handy???«

»Ich gestehe. Ja.«

»O je, das fängt ja gut an.«

»Ich vermisse dich halt ... Schlimm?«

»Nein, ich vermisse dich doch auch ... Muss ich mir eigentlich Sorgen machen oder kommst du wieder auf die Beine?«

»Du meinst wegen der Reise? Das wird schon wieder. Heute Abend bin ich wahrscheinlich wieder fit. Der Flug war nur sehr turbulent und ich konnte kaum schlafen. Hakim und ich haben schon ein bisschen gearbeitet und ich werde mich gleich ein Stündchen hinlegen ...«

»Hakim? Der geheimnisvolle Scheich?«

»Scheich ja, geheimnisvoll nein.« Sie zog einen Schmollmund. »Werd mir bloß nicht eifersüchtig, mein Herz!«

»Gibt es einen Grund?«

»Nicht mehr.«

Magnus zwinkerte und warf ihr einen Kuss zu. Victoria schloss die Augen und küsste Richtung Kamera zurück. »Du fehlst mir ...«

»Und du mir erst ... Ich werde mich mit Arbeit ablenken und mit Sport. Gestern Abend hab ich beim Joggen übrigens Moritz getroffen.«

»Oh, und?«

»Wir haben noch einen Absacker getrunken und er hat mich dann nach Hause gefahren. Haben uns nett unterhalten.«

»Grüß die beiden bitte ganz lieb, wenn du sie siehst. Elisabeth hat uns übrigens, erst mal ohne Termin, zum Essen eingeladen, ich hab gestern noch mit ihr telefoniert.«

»Ah, klingt fein. Apropos Essen ...« Magnus druckste herum.

»Ja?«

»Dein Vater hat mich für heute Abend eingeladen.«

»Bitte wie?«

»Mhm.«

»Interessant. Wie kam das denn zustande?«

»Keine Ahnung. Ich kam gestern aus dem Gericht und er hat mich angerufen. Heute Abend um 18 Uhr holt mich jemand ab.«

»Kaum ist die Katze aus dem Haus, tanzt das Mäusevolk auf dem Tisch. Wenn ich den in die Finger kriege ...«

»Soll ich ihm absagen?«

»Nein. Nicht, wenn du nicht willst. Den Hals werde ich ihm so oder so umdrehen.«

»Ich würde ihn gern kennenlernen.«

»Dann mach das ruhig. Es gibt eigentlich auch keinen Grund, warum du das nicht solltest. Ich wäre nur gern dabei gewesen. Aber mein alter Herr denkt sich sicherlich was dabei. Wenn ich nur wüsste was ...«

Der Abschied kam abrupt. Irene Scharnweber erinnerte Magnus an seinen nächsten Termin. Essen. Sie hatte Käsekuchen gebacken und verteilte ihn nun in der »kleinen Donnerstagsrunde«. Das hatte sich so eingebürgert und Magnus wollte gern daran festhalten. Die Richter, die auf dem Flur ihre Amtszimmer hatten, kamen auf einen Kaffee um die Mittagszeit vorbei und man aß in munterer Runde ein Stück Kuchen, plauderte ungezwungen. Für Magnus eine gute Gelegenheit, die allesamt älteren Kolleginnen und Kollegen besser kennenzulernen und ein Gespür für die heimliche Hierarchie zu bekommen. Man war hier weit entfernt von einem Duktus wie bei ECG, sich mal eben so zu duzen war undenkbar. Der Gedanke an Victoria wiederum zauberte ihm das Schmunzeln ins Gesicht, das Irene Scharnweber an ihm so mochte.

Sie hatte sich in ihm verschätzt, gestand sie sich ein. In den ersten zwei Tagen hatte sie ihn tatsächlich als arrogant und unsympathisch empfunden. Den »Herrn Doktor«. Mit Walther Hoffmann war sie immer gut zurechtgekommen, ein höflicher Mann, still, aber freundlich. Sie waren ein eingespieltes Team, es bedurfte nicht vieler Worte und die Rädchen im Getriebe der Direktion liefen. Als Dr. Brandt aufgetaucht war, kam jedoch der Motor ins Stocken, er war ihr nicht ganz geheuer und was man so über ihn gehört hatte noch viel weniger. Unangepasst, unkonventionell, ungerührt. Irene Scharnweber hatte tatsächlich Angst gehabt, als sie am Montagmorgen in das Büro gekommen war. Und dann war ihr dieser dumme Fehler passiert, sie hatte ihn ausgesperrt, ihm den falschen Schlüssel ausgehändigt. Er kam nach der Angelegenheit mit seinem Auto, über die er sich schon so aufgeregt hatte, nicht mehr in das Gerichtsgebäude und sie war kurz ins Rathaus geeilt, um etwas zu erledigen. Als sie zurückgekehrt war, spürte sie, dass zwischen ihm und ihr die Chemie einfach nicht stimmte. Als sie ihn abends mit Victoria Berg bei Mutti sah, traute sie ihren Augen nicht. Was wollte dieses nette Mädchen mit so einem? Seine ungehaltene Reaktion vom Mittag verursachte ihr eine schlaflose Nacht. Am Dienstag hatte sie ihn darauf ansprechen wollen, allein: Ihr fehlte die Gelegenheit dazu. Abends, als sie die letzte Runde mit ihrer Labradorhündin Luisa beendet hatte, setzte sie sich auf die Couch und weinte bitterlich. Das Bild ihres verstorbenen Mannes in den Händen haltend, dachte sie an ihren Sohn.

Dr. Brandt war so alt wie ihr Sebastian. Aber so anders. Überheblich und – sie hatte lange überlegt. War es nur, weil er ihr so fremd war? Oder war er wirklich so ein Ekel? Was sah Victoria Berg bloß in ihm?

Für den Mittwoch hatte sie sich fest vorgenommen, ihn anzusprechen, komme was wolle. Und dann – dann hatte er das Gespräch eröffnet. Nett, höflich. Um Entschuldigung gebeten. Und er hatte sie angelächelt. Freundlich. Ihr zugezwinkert. Das Eis war gebrochen und Irene Scharnweber hatte sich geschworen, nichts, aber auch rein gar nichts auf ihren Chef kommen zu lassen. Als sie am Mittwochnachmittag das Büro verließ, saß er noch tief in seine Akten versunken. Eigentlich ein hübscher Mann, dachte sie sich, ein bisschen blass vielleicht.

Und nun aß er ihren Käsekuchen und lächelte sie wieder aus diesen strahlend grünen Augen an. »Sehr lecker ... Besser als der von meiner Mama ...«

Wäre er nicht so verdammt jung, würde ich mich in ihn verlieben, dachte sich Irene Scharnweber, nippte an ihrem Kaffee und tat Frau Möller noch ein weiteres Stück Kuchen auf.

Von dem Erinnerungssignal für den Kalendereintrag geweckt, stand Victoria nach einer viel zu kurzen Stunde Mittagsschlaf auf und sah auf das Display. Viktor anrufen. Da war ja was. In Ungarn war es gerade Mittag, sie hatte gute Chancen, ihn zu erreichen. Und Glück. Ein paar Minuten später hatte sie ihre Ideen und Wünsche für Magnus‹ neues Schwert mitgeteilt, ihm das Versprechen abgerungen, bis zum Abend einen Entwurf vorzulegen und ihm ein Bild von Magnus geschickt. Viktor hatte sie darum gebeten, damit er einen Eindruck vom zukünftigen Träger gewinnen konnte. Er war mehr Künstler denn Handwerker, seinen Schwertern hauchte er gern Leben ein. Victoria nahm es so hin und dachte nicht weiter darüber nach. Alles, was er bisher für sie angefertigt hatte, war wunderschön, bestens verarbeitet und einzigartig. Er würde sie nicht enttäuschen.

Als nächstes visierte sie das Gespräch mit ihrem Vater an.

»Hallo, Liebes.«

»Einen wunderschönen guten Tag, Verräter.«

»Victoria, sei nicht albern ...«

»Ich, albern? Ich glaube nicht. Du bist doch derjenige, der hinter meinem Rücken taktiert.«

»Liebes, lass mir entweder die Chance mich zu erklären oder ich beende das Gespräch.«

Kleinlaut antwortete sie: »Ist ja gut. Entschuldige bitte. Ich habe gerade mit Magnus telefoniert und er hat es mir gesagt. Papa, was soll das?«

Wilhelm Engwald atmete tief durch. »Weißt du, Liebes, ich habe gespürt, wie wichtig er dir ist und dass du Angst hast, ihn zu verlieren. Als du mir erzählt hast, wie befangen ihr beide seid oder wart, ob der Gesamtsituation und im Speziellen wegen deiner Reise, hatte ich das Bedürfnis, ihn kennenzulernen, ihm das Gefühl zu geben, dass er hier nicht allein ist.«

Sie seufzte. »Das ist lieb von dir. Ich bin nur solche Alleingänge von dir nicht gewohnt und habe mich gefragt, was dich dazu bewogen hat.«

»Das weißt du ja jetzt. Sei unbesorgt. Ich werde ihn schon nicht aus der Spur bringen. Und jetzt erzähl! Wie ist es dir ergangen?«

»Hakim trägt es mit Fassung. Er ist wunderbar, wie immer. Ich glaube aber inzwischen, dass er auch ganz froh ist, dass wir reinen Tisch gemacht haben. Anfänglich schien er noch irritiert, aber ich schätze, es tut uns beiden gut, zu wissen, woran wir sind. Ich habe ihm von Magnus erzählt und meinen Gefühlen für ihn. Wir konnten beide loslassen.«

»Das ist gut. Weiß Magnus es?«

»Verklausuliert ja. Wirklich aussprechen werden wir uns wohl erst nach meiner Rückkehr. Aber das ist in Ordnung.«

»Schön. Also bist du mir auch nicht mehr böse?«

»Nein. Nur sag mir bitte demnächst vorher Bescheid, ja?«

»Versprochen.«

Erleichtert beendete Victoria das Telefonat. Alles lief wieder in die richtige Richtung. Für Hakims Kartellproblem hatte sie bereits eine Lösung im Hinterkopf, vielmehr einen Lösungsansatz, aber gleich beim Lunch würde sie ihm die Idee unterbreiten und gemeinsam könnten sie an der Ausgestaltung arbeiten.

Auf dem Weg zu seinem Büro lief ihr Hasan über den Weg.

»Hey, schön dich zu sehen«, begrüßte er sie, Küsschen links, rechts, links.

Sie herzte ihn. »Schön, dich zu sehen. Wie geht es dir?«

»Hervorragend. Und wie ich sehe und höre, scheint es dir auch bestens zu gehen?«

»Prächtig. Du hast also schon mit Hakim gesprochen?«

»Habe ich. Er hat mich quasi abkommandiert, um dir zur Verfügung zu stehen. Im Moment ist er im Gespräch, aber er hat mich gebeten, dir auszurichten, dass er heute gern mit dir zu Abend essen und dann auf den Yas Marina Circuit möchte.«

»So, möchte er das ... Ich kann mir denken, warum.« Victoria freute sich. Die Formel-1-Rennstrecke in Abu Dhabi war berüchtigt für ihre hängenden Kurven und den heißen Asphalt. Auf dem Kurs machte der McLaren sicherlich einen Riesenspaß, dafür nahm sie auch gern die gute Stunde Anreise in Kauf, die ihnen von Dubai bis Abu Dhabi bevorstand. »Möchtest du mit mir zu Mittag essen?«, fragte Hasan.

»Gern. Bleiben wir hier oder wolltest du auswärts lunchen?«

»Ich bin für hierbleiben. Für morgen kann ich aber gern einen Tisch im At.Mosphere reservieren!?«

»Klingt prima. By the way, hast du dich in den Fall schon eingearbeitet oder soll ich dich beim Essen briefen?«

»Was denkst du von mir?« Im Gehen rempelte er sie freundschaftlich an.

»Hm. Wenn ich das auf frühere Begegnungen reduziere, denke ich, dass du nicht annäherungsweise weißt, worum es geht. Da du dir aber schon so oft eine Ohrlasche von Hakim abgeholt hast, kann es ja durchaus sein, auch wenn das irgendwie an ein Wunder grenzen würde, dass du mal ausnahmsweise deine Arbeit gemacht hast.«

»Du bist so weise ...«

Sie rempelte zurück. »Also?«

»Ich weiß, worum es geht. Erzähl mir beim Essen also lieber von Magnus. Arbeiten werden wir später noch genug.«

Um fünf verließ Magnus sein Büro und fuhr nach Hause. Der Tag war beinahe wie im Flug vergangen, das Telefonat mit Victoria hatte ihm den Vormittag versüßt und nun hatte er vor allem eins: Hunger. In einer Stunde würde er abgeholt werden. Ein bisschen kam er sich vor wie im Film. Aber da werden eigentlich die Frauen herumkutschiert. Bei dem Gedanken musste er lachen. Die Wohnungstür war gerade hinter ihm ins Schloss gefallen, als sein Handy klingelte. Tobias.

»Moin, Sportsfreund. Wollte nur mal hören, wie es dir geht. Alles klar bei dir?«

»Moin. Ja, eigentlich schon. Bin aber gerade quasi auf dem Sprung.«

»Victoria?«

»Ihr Vater.«

»Wow. Das geht ja fix. Hältst du um ihre Hand an?« Tobias kicherte wie ein Schulmädchen.

»Nein, er hat mich zum Abendessen eingeladen. Der Fahrer kommt um sechs und ich muss noch duschen.« So, Tobias, jetzt denk nach.

»Moment. Vater? Abendessen? Fahrer? In was für eine Welt tauchst du denn gerade ab?«

»So richtig geheuer ist mir das auch noch nicht ... Ich habe ziemlich komische 48 Stunden hinter mir, das glaub mal ...«

Magnus fasste die Ereignisse der letzten zwei Tage so gut es ging zusammen und hoffte, nichts Wichtiges vergessen zu haben. Tobias war verstummt.

»Bist du noch da?«

»Ja. So gerade eben noch. Du willst mir jetzt nicht ernsthaft erzählen, dass du die Victoria Berg datest, sie unsere hochverehrte Frau Bundeskanzlerin für dich warten lässt, ihr Vater dich zum Abendessen einlädt und du hast sie noch nicht mal geküsst?«

»Doch.«

»Mann, Mann, Mann ... Was ist aus dir geworden?«

»Was meinst du eigentlich mit die Victoria Berg?«

»Hast du die etwa nicht gegoogelt bis jetzt? Mensch, Magnus ...«

»Nein, warum sollte ich?«

»Nach allem was ich über sie weiß, ist sie übelst reich, also wirklich übelst. Allein die Firma hat eine Bilanzsumme über einer Milliarde. Außerdem wird gemunkelt, dass sie sich aus einer Steueraffäre rausgekauft, mit ihrem Doktorvater geschlafen und ein Verhältnis mit Scheich Hakim bin Mohammed Al Hazim hat.«

»Hm. Das mit der Steueraffäre ist mir neu, traue ich ihr aber prinzipiell erst mal nicht zu. Was vor meiner Zeit war, soll mir egal sein und das mit Hakim hat sich erledigt.«

»Sicher?«

»Ich vertraue ihr.«

»Hast du bei Ilona auch. Ich würde sie an deiner Stelle gleich darauf ansprechen und sehen wie sie reagiert.«

»Ich bin allein mit ihrem Vater verabredet. Sie ist in Dubai, bei Hakim. Hab ich das nicht erwähnt?«

»Sag mal Magnus, hörst du dir eigentlich selber zu? Bist du so naiv oder tust du nur so?«

»Tobias, was soll das?«

»Klar, die ist wahrscheinlich ›beruflich‹ in Dubai. Und ihr Vater will dich ›nur mal kennenlernen‹. Du bist so unbedarft ...«

»Unbedarft genug zu glauben, du wärst mein Freund. Tobias, für mich ist das Gespräch an dieser Stelle beendet. Ruf an, wenn du wieder normal bist.« Ohne seine Reaktion abzuwarten, legte Magnus auf, warf das Handy auf die Kommode und ging ins Bad.

Es tat weh. Er hielt Tobias für seinen besten Freund und hatte eigentlich erwartet, dass er ihm den Rücken stärkte. Das Gegenteil war passiert. Ihm lief das warme Wasser wohlig über den Kopf und die breiten Schultern, als ihm bewusst wurde, dass sich sein Leben verändert hatte. Anders, als erwartet, aber er konnte deutlich die Zäsur erkennen. Fragte sich nur, ob Tobias am Ende des Tages noch Teil davon bliebe oder nicht.

Sechs Minuten vor sechs. Magnus kam aus dem Fünfzig-Parteien-Haus und sah sich um. Niemand da, zumindest niemand, der offensichtlich auf ihn wartete. Ein paar Teenager lungerten herum, schubsten einander durch die Gegend und nahmen keine Notiz von ihm, auch wenn Magnus in seinem Auftreten völlig deplatziert wirkte. Moritz hatte ihn gestern hier abgesetzt und versucht, ihn zu motivieren. Während seiner Studienzeit hatte er wohl eine finanzielle Krise erlebt, als er unabhängig vom Namen »von Eschberg« durch die Welt ging und er musste in ähnlichen Verhältnissen gewohnt haben. Was ihm aber nicht aus dem Kopf wollte, war die Tatsache, dass beide zur ungefähr gleichen Zeit mit dem Studium fertig gewesen waren und er selbst immer noch beziehungsweise erneut so lebte. Als sie sich verabschiedeten, schloss Moritz mit den Worten: »Magnus und Victoria. Der Große und die Siegerin. Den Mutigen gehört die Welt!«

Magnus und Victoria. Es klang zu schön, um wahr zu sein. Andererseits – was ließ ihn plötzlich, nach diesem zwielichtigen Telefonat mit Tobias, zweifeln?

Nichts mehr.

Denn in diesem Moment tauchte ein Wagen auf. Schwarze Limousine. Kennzeichen ESC-WE-2. Ein Mercedes S65 AMG. Noch ein Traumauto. Magnus kniff sich kurz, rief sich innerlich zur Beherrschung und winkte dem Fahrer zu.

Der stieg aus, schritt um das Fahrzeug und öffnete die Tür im Fond. »Guten Abend, Herr Dr. Brandt. Dr. Engwald schickt mich. Wenn ich bitten darf?«

»Guten Abend. Ja, vielen Dank.« Magnus stieg ein und schnallte sich an, bereit, wieder in diese fremde Welt »abzutauchen« wie Tobias es nannte.

Wenige Minuten später hatten sie die Stadt durchquert und fuhren bergauf, in die Richtung, in die auch Victoria am Montagabend gefahren war. Ob sie vielleicht an ihrem Haus vorbeikämen? Aber wie sollte er es erkennen? Eigentlich war es auch egal. Sein Handy klingelte. Anna.

»Hey, Schwesterherz, ich bin grad busy. Ist es dringend?«

»Nur kurz, ich besuche morgen Mama und Papa und habe überlegt, ob ich danach bei dir rumkommen soll? So gegen sechs?«

»Gern. Adresse hast du?«

»Hab ich. Ich bring Henry mit!«

»Super. Bis morgen dann!«

Für den Abend mit Victorias Vater schaltete er das Handy in den Schlafmodus. Gut, dass Anna jetzt angerufen hatte, beim Essen wäre es ihm peinlich gewesen. Wo war er nur mit seinen Gedanken?

Bei Victoria. Wo sonst.

»Herr Dr. Brandt, wir sind da.« Der Chauffeur fuhr in eine Sackgasse, hielt kurz vor einer Natursteinmauer mit schmiedeeisernen Toren. Das breitere Tor öffnete sich und sie fuhren hindurch, ein paar Meter. Ehe sich Magnus versah, hatten sie angehalten, der Fahrer war wieder um das Auto gelaufen und hielt ihm die Tür auf.

»Danke sehr.« Magnus stieg aus und sah sich um. Vereinzelt konnte er ausmachen, dass sich am Ende der Einfahrten in diesem Viertel ein paar Villen befanden, ähnlich wie die, auf die er sich gerade zubewegte.

Doch bevor er zu Ende denken konnte, öffnete sich die Tür des Gründerzeitanwesens, das ähnlich beleuchtet war, wie das Landhaus von Moritz und Elisabeth. Zwei Hunde schossen ihm entgegen und wedelten fröhlich mit dem Schwanz.

»Justus, Jonas, zurück!«, rief der ältere Herr, der in der Tür stand. Die Hunde gehorchten. »Keine Angst, die sind lieb. Nur etwas neugierig!«

»Guten Abend, Herr Dr. Engwald. Was für eine Begrüßung.« Magnus grinste und schüttelte die ausgestreckte Hand.

»Schön, Sie zu sehen. Kommen Sie doch bitte rein. Und stolpern Sie nicht über die beiden Tollpatsche ...« Wilhelm Engwald lachte und führte Magnus in den Wohnbereich. Justus und Jonas folgten ihnen und legten sich auf Befehl in ihre Körbchen.

»Eigentlich sind sie sehr gehorsam. Nur, wenn Besuch kommt, geraten sie außer Rand und Band.«

»Schon in Ordnung. Ist ja nichts passiert«, beschwichtigte ihn Magnus. Was hatte Moritz über Wilhelm Engwald gesagt? Die Blaupause zu Victoria. Eindeutig. Er entschuldigte sich für Dinge, die nicht passiert waren, hatte diese warme, herzliche Art und definitiv dieselben Augen wie sie.

Wilhelm Engwald war fast so groß wie Magnus und für sein Alter wirkte er agil, sportlich. Eine gepflegte Erscheinung. Etwas anderes hatte Magnus allerdings auch nicht erwartet.

Victorias Vater fasste ihn bei der Schulter und sah ihn an.

»Ich habe mir das mit der Duzerei von meiner Tochter abgeschaut. Ich bin Wilhelm.« Er hielt Magnus erneut die Hand hin und lächelte.

»Sehr erfreut. Magnus.«

»Fein. Dann können wir ja essen. Es gibt Rehrücken ...« Wilhelm wies Magnus an den Tisch und setzte sich über Eck zu ihm. »Rotwein?«

»Da ich wohl nicht mehr fahren muss, gern.«

»Das war meine Absicht«, zwinkerte er und schenkte ein. »Der Wein passt herrlich zu den Pfifferlingen im Salat ...« Und bevor er zu Ende gesprochen hatte, servierte eine Hausangestellte die ersten beiden Teller. Noch ein wenig verhalten sah sich Magnus um, aß seinen Salat und versuchte, nicht negativ aufzufallen. Er fühlte sich an ein kleines Jagdschloss in Bayern erinnert, in dem er als Kind einmal bei einem Schulausflug gewesen war. Ein paar Geweihe an den Wänden, stilvolle, schwere Eichenmöbel, ein gemauerter Kamin mit Sitzbank und die großen Teppiche auf dem Steinboden. Ob Victoria hier aufgewachsen war? Wie mochte sie wohl eingerichtet sein? Bei ECG war alles hochmodern, feinste Materialien, edelstes Design.

»Du bist aber nicht immer so schweigsam, oder?«, fragte Wilhelm plötzlich, als die Vorspeisenteller abgeräumt waren und Magnus vor sich hin starrte.

»Entschuldige bitte, ich habe nur gerade an einen Schulausflug gedacht, ein kleines Jagdschloss, das wir besichtigt haben. Die Einrichtung erinnert mich ein wenig daran.«

»Wallersee?«, fragte Wilhelm.

»Ja, genau. So hieß es.«

»Gehört den von Eschbergs. Ich war früher oft mit Georg dort. Und ich gebe zu, es hat mich inspiriert.«

Wie klein die Welt doch ist!, schoss es Magnus wieder in den Sinn und er nahm einen Schluck Rotwein. Wilhelm blickte in sein Glas, dann zu Magnus und rieb sich das Kinn.

»Ich kann mir vorstellen, wie seltsam das alles für dich ist, mein Lieber. Ein völlig fremder Mann ruft dich unvermittelt an und lädt dich zum Essen ein, nur weil du seine Tochter kennengelernt hast. Tausend Eindrücke in den letzten Tagen, kaum Zeit, das zu verarbeiten und dann noch ›ein Koffer in Berlin‹.«

»Du sprichst mir aus der Seele, um offen zu sein. Das Schlimmste ist aber, dass ich Victoria wahnsinnig vermisse.«

»Verstehe. Es war ein ungünstiger Zeitpunkt für euer Kennenlernen. Wohl wahr.«

»Und doch war er genau richtig. Schätze ich. Die zweieinhalb Wochen kann ich eigentlich bestens dazu nutzen, mich weiter einzuarbeiten. Dass sie also abends nicht auf mich warten muss oder ich auf sie, ist eigentlich ganz gut. Und auf der anderen Seite ist es wunderschön zu wissen, dass es sie gibt, dass sie da ist.« Melancholisch besah er den Wein im Glas. Der Rehrücken wurde aufgetragen, sie begannen zu essen und Wilhelm ergriff das Wort.

»Weißt du, meine Einladung kam ja nicht von ungefähr. Ich gebe zu, dass ich Victoria bewusst im Unklaren gelassen habe, dass ich dich treffen wollte, insofern bin ich ganz froh, dass sie nicht da ist.«

»Weil?«

»Sie versteht es ganz prächtig, Dinge zu verkomplizieren. Zumindest in Herzensangelegenheiten. Victoria hat mich am Dienstagabend aufgesucht und um Rat gebeten, wie sie dir die Firma und ihren Lebensstil schonend beibringen kann. Durch dein Erscheinen bei ECG hat sich das ja dann von allein erledigt, aber sie ist immer noch hin- und hergerissen, ob du das für dich so akzeptieren kannst.«

»Womit sie nicht ganz Unrecht hat. Ich habe gestern Moritz von Eschberg getroffen, wir haben uns lange unterhalten. Insbesondere darüber. Seine Frau hatte wohl am Anfang ähnliche Bedenken.«

»O ja ... Und wie du wahrscheinlich auch weißt, hat mein guter Freund Georg sich ebenfalls ungefragt eingemischt.«

»Du meinst also, dass wir allesamt ein bisschen Starthilfe benötigen?« Magnus schmunzelte.

»Stimmt’s oder hab ich recht, hohes Gericht?« Milde lächelte er ihn an.

»Ja ... Im Großen und Ganzen. Nur, das mit meinem Koffer in Berlin muss ich wohl alleine klären ...«

»Wobei genau das der einzige Punkt ist, an dem ich mit Victoria nicht einer Meinung bin. Ihr ist deine Vergangenheit weitestgehend gleich, sie denkt und fühlt ab Montag. Nur ...«

»Ja?«

»Magnus, Victoria und ich pflegen eine offene Kommunikation. Ich weiß bei weitem nicht alles von ihr, will ich auch gar nicht. Aber in den wichtigen Lebensfragen hatten und haben wir keine Geheimnisse voreinander ...«

»Was in Bezug auf mich bedeutet?«

»Von Jurist zu Jurist – ich erwarte nicht, dass du vor mir einen völligen Seelenstriptease hinlegst. Aber ich erwarte Ehrlichkeit von dir. Was jetzt allerdings keine Unterstellung beinhaltet ...«

»Habe ich auch so nicht aufgefasst. Nichts läge mir ferner, als Victoria oder dir mit Unehrlichkeit oder Unaufrichtigkeit entgegenzutreten. Egal wie kurz oder lang wir uns kennen. Ganz nebenbei, du bist Jurist?«

»Ja, auch wenn alle Welt glaubt, ich sei ein Dr. oec., promoviert habe ich in Wirtschaftsrecht, mit Schwerpunkt auf dem rechtlichen Thema. Von Haus aus bin ich ursprünglich Rechtsanwalt gewesen. Zur Wirtschaftsberatung bin ich gekommen, wie die Jungfrau zum Kinde. Anders als Victoria, die von klein auf in diesem Sektor stand.«

»Meine Vorzimmerdame hat mir gestern ein bisschen darüber erzählt. Und, wenn ich das ansprechen darf, auch den Teil mit Victorias Mutter ...«

»Natürlich darfst du. Schon vergessen? Offen und ehrlich ...« Wilhelm lachte. »Schon gut, ich wollte dich nicht verunsichern. Victorias Mutter gehört dazu und doch auch irgendwie nicht. Wir schweigen das nicht tot, aber es zählt definitiv nicht zu unseren Lieblingsthemen. Noch Fragen?«

Lachend schüttelte Magnus den Kopf. »Nein, erst mal nicht. Danke.«

In der Zwischenzeit hatten sie auch den Hauptgang beendet und bereits das zweite – oder war es das dritte? – Glas Wein geleert.

»Es schmeckt übrigens vorzüglich!«, bedankte sich Magnus und hob nickend sein Glas.

»Warte ab, bis du die Mousse au Chocolat gegessen hast. Ein Jammer, dass Victoria nicht da ist. Sie liebt sie ...«

»Ich kann gar nicht fassen, was sie alles isst. Wie macht sie das?«

»Keine Ahnung, mein Lieber. Gute Gene, wahrscheinlich. Aber ich bin sehr froh, dass sie so einen gesunden Appetit hat. Für das, was sie leistet, wäre es tödlich, wenn sie sich nicht gescheit ernähren würde ...«

»Wohl wahr ...« Magnus ließ den Blick zum Panoramafenster am anderen Ende des Raumes hinausschweifen. Victoria war so unbeschreiblich weit weg. 5.000 Kilometer.

»Magnus, ich frage mich, was dich wohl so schwer belastet!? Abgesehen von der Tatsache, dass du in Gedanken gerade in Dubai bist ...«

»Ich hatte vorhin ein komisches Gespräch mit jemandem, von dem ich bis dahin glaubte, er sei mein bester Freund.«

»Möchtest du davon erzählen?«

»Tobias und ich haben zusammen studiert, er stammt aus einer Juristenfamilie. Sein Vater hat mich inspiriert und den Wunsch in mir geweckt, an den BGH nach Karlsruhe zu gehen, eines Tages. Wir waren immer ein Team. Bis ich ihm von Victoria erzählt habe. Mit drei Sätzen hat er mich völlig verunsichert und unsere Freundschaft auf die Probe gestellt. Victoria hatte mich gebeten, nicht im Internet nach ihr zu suchen. Was ich auch nicht getan habe und auch nicht tun werde. Aber Tobias hat sich erkundigt und versucht, mich runterzuziehen.«

»Nicht die feine englische Art. Was hat er erzählt? Ich meine, was hat er gefunden, das dich offenbar so aus dem Konzept gebracht hat?«

Seufzend löffelte Magnus die Mousse au Chocolat leer. »Das ist es ja, er konnte mich noch nicht mal wirklich aus dem Konzept bringen. Zumindest nicht in meiner Haltung Victoria gegenüber. Er hat etwas von einer Steueraffäre erzählt, aus der sie sich freigekauft haben soll. Das kann ich mir nicht vorstellen, sonst würde doch Angela Merkel nicht bei ihr anrufen und sie um ihre Meinung bitten. Oder?«

»Eine kluge Schlussfolgerung. Und eine niedliche Geschichte, die von der Presse enorm aufgebauscht wurde vor zwei Jahren. Victoria –« Wilhelm bekam mit einem Mal einen Lachanfall, hielt sich den Bauch und hörte erst wieder auf, als er husten musste. Magnus saß mit weit aufgerissenen Augen daneben und versuchte, zu ergründen, was daran so witzig sein sollte.

»Also, Victoria hatte vor zwei Jahren tatsächlich vergessen, ihre Einkommensteuererklärung einzureichen. Stell dir vor, sie macht tagtäglich nichts anderes, als ihre Klienten vor dem Zugriff durch den Fiskus oder andere Organe zu bewahren, und vergisst selber, dass das Finanzamt ein Interesse an ihren Einkünften hat. Nun ja. Erstellt und abgegeben war die Erklärung natürlich in Rekordzeit, nachdem sie die Mahnung erhalten hatte, aber der Leiter des Finanzamtes bestand auf der Zahlung der dafür vorgesehenen Strafe. Und Victoria hat sich darüber zwar fürchterlich geärgert, es aber so hingenommen. Die Zahlung jedoch ist irgendwie öffentlich geworden; das Ganze wurde zu einem kleinen Skandal aufgepumpt und nur sporadisch richtiggestellt.«

»Viel Lärm um Nichts also.«

»Du sagst es ...« Wilhelm rollte mit den Augen und seufzte. »Was hat Tobias noch gesagt?«

»O je ... Gut. Du hast gefragt. Also, er hat ihr noch ein früheres Verhältnis mit ihrem Doktorvater unterstellt und mich naiv geschimpft, dass ich glaube, sie sei beruflich in Dubai, nicht zu ihrem Vergnügen.«

»Starker Tobak. Wobei. Hm. Über das Verhältnis zu oder mit ihrem Professor haben wir nur wenig gesprochen. Ich weiß, dass die beiden keinen Kontakt mehr haben und auch keinen Wert mehr darauf legen. Das liegt aber auch an ihren unterschiedlichen Sichtweisen in Bezug auf ein paar wissenschaftliche Fragestellungen.«

»Und selbst, wenn es so gewesen wäre, ich kann an dieser Stelle die Vergangenheit sehr gut ruhen lassen ...«

»Ich habe mit nichts anderem gerechnet, Magnus. Aber ich sehe, dass dich die Gegenwart umtreibt ...«

»Sie hat mir am Telefon heute zu verstehen gegeben, dass ich keinen Grund hätte, eifersüchtig zu sein. Nicht mehr.«

»Dann ist es auch so. Mein Lieber, das mit Hakim hat eine Vorgeschichte, die fast 10 Jahre zurückreicht und bei der selbst Victoria, fürchte ich, hin und wieder den Faden verloren hat. Aber das kann sie dir lieber selber erläutern. Was ich dir aber sagen kann, ist Folgendes: Du bist der einzige Mann, von dem sie mir seit Hakim ausführlich erzählt hat. Ja, es gab Dates und ich weiß auch, wie sie gelaufen sind. Sie hat sich dir gegenüber geöffnet und ist bereit, ihr Herz in deine Hände zu legen. Dafür musste sie erst ein anderes brechen, so traurig das auch klingen mag. Eine absurde On-Off-Beziehung, die endgültig abgeschaltet wurde. Und Victoria ist glücklich damit.«

»O mein ...« Magnus fehlten die Worte.

»Versteh das nicht falsch. Es war für beide immer in Ordnung, wie es war. Und wenn ich es richtig verstanden habe, konnten beide loslassen. Zerbrich dir nicht den Kopf.«

»Leichter gesagt, als getan ... Ich habe ihr gestern schreiben wollen, dass ich sie liebe, und es dann doch nicht getan, weil ich es ihr lieber von Angesicht zu Angesicht sagen will. Und weil ich Angst hatte, dass es zu früh wäre oder ich sie damit überfahre ... Aber nach allem was du sagst. Hm. 5.000 Kilometer ...«

»Es ist schön, zu hören, dass ihr beide so empfindet. Nur ist das nicht alles, was dir unter den Nägeln brennt. Oder?«

»Nein. Leider nicht.«

»Also. Raus mit der Sprache! Wo liegt dein Problem? Drogen? Verheiratet? Kind oder Kinder? Geldsorgen? Hast du dich auf die falschen Leute eingelassen?«

»In der Reihenfolge: Nein, ja, nein, ja, nein.«

»Also, war doch ganz einfach.« Wilhelm klopfte ihm lachend auf die Schulter und Magnus schüttelte mit dem Kopf.

»Wenn dem so wäre ...«

»Ich bin eigentlich kein Freund von Kettenfragen, schlechte Technik, aber wenigstens haben wir jetzt eine Grundlage.«

»Grundlage wozu?«

»Deine Probleme anzugehen. Bis Victoria wieder da ist, sollten wir das im Griff haben.«

»Wir?«

»Ja, wir. Starthilfe. Schon vergessen?«

»Ich weiß nicht, ob ich das will ...«, antwortete Magnus zögerlich.

»Du solltest es wollen, zumindest, wenn du Victoria willst. Versteh mich nicht falsch, du kannst es auch allein mit dir ausmachen, aber so problemorientiert wie ihr beide momentan denkt, solltet ihr über jeden Menschen dankbar sein, der euch auf dem Weg zur Lösung hilft.«

»So gesehen ... ja.«

»Na also. Noch Wein?«

»Eins geht noch.« Magnus reichte ihm das Glas und sie zwinkerten sich zu.

»Fangen wir von vorn an. Drogen sind also kein Thema. Hätte mich auch gewundert«, setzte sich Wilhelm wieder zu ihm, nachdem er die Gläser gefüllt hatte.

»Um Himmels willen ... Solange Aspirin und Dr. Pepper nicht darunter fallen, bin ich clean.«

»Gut. Du bist also verheiratet.«

Magnus deutete schweigend ein Nicken an.

»Und das weiß Victoria noch nicht?«

Magnus nickte erneut stumm mit dem Kopf. Seufzte dann. Fasste sich ein Herz und erzählte Wilhelm von Ilona. Als er fertig war, sahen sie sich an.

»Und wo ist da jetzt das Problem?«, fragte Wilhelm ihn.

»Ich komme mir so vorbelastet vor. So unwürdig und unpassend für Victoria. Sie muss sich doch nicht mit einem fast-geschiedenen Typen abgeben ...«

»Muss sie nicht. Nein. Aber wenn es nun mal ihr Wunsch ist?«

»Sie weiß ja noch nichts von ihrem Glück ...«

»Magnus, ich will dir was verraten: Es ist ihr völlig egal, was du an Altlasten mitbringst. Das weiß ich sicher. Aber du solltest langsam mit der Sprache rüberkommen, ihr gegenüber. Es gibt für so etwas nie den perfekten Zeitpunkt, aber je früher, desto besser.«

»Langsam wirst du mir unheimlich ... Du zerstreust meine Bedenken und Einwände, bevor ich sie geäußert habe ...«

»Die Würde und die Bürde des Alters, mein Lieber. So. Kinder sind also keine im Spiel, das hast du ja gerade erzählt. Und dass eine Scheidung teuer ist, ist kein Geheimnis.«

»Hm. Mich treibt sie gerade an den Rand des Ruins. Und der Verzweiflung ...«

Wilhelm blickte ihn auffordernd an.

»Kurzversion: Ich habe mich auf die Zahlung von Trennungsunterhalt eingelassen, obwohl ich nicht musste. Sicher ist sicher, habe ich mir gedacht. Dummerweise lief die Baufinanzierung allein über mich, also musste ich den Differenzbetrag zum Verkaufswert auch allein umschulden. Dazu kommt mein Hochschulabsolventendarlehen, das ich noch abbezahlen muss. Plus Kreditkarte und Konto. In Summe stehe ich bei meiner Bank aktuell mit 70.000 Euro in der Kreide. Davon müssten 50.000 durch eine Ausgleichszahlung meiner Ex-Frau über kurz oder lang wieder reinkommen. Den Rest kann ich problemlos stemmen, den Unterhalt habe ich eingestellt und auch nachehelich werde ich nicht zahlen müssen.«

»Aber?«

»Die Bank sitzt mir im Nacken. Durch den Umzug ging mir Post verloren und innerhalb der nächsten Woche stehen die Kredite und damit einhergehend die restliche Geschäftsverbindung zur Kündigung an. Da ich bereits das Baudarlehen umgeschuldet habe, will die Bank mir keinen neuen Kredit geben, auch wenn ich eigentlich genügend Geld verdiene.«

»Welche Bank?«

»Deutsche Bank. Inzwischen Kreditbetreuung in Essen. Wieso?«

Wilhelm blickte auf die Uhr. »Viertel nach sieben, da werden wir jetzt niemanden mehr erreichen.«

»Wir?«

»In diesem Fall eher ich. Aber lass das meine Sorge sein. Morgen früh ist das Thema Geschichte.«

»Inwiefern?«

»Ich würde dir nicht helfen, wenn es dein eigenes, sorgloses Verschulden wäre. Nur, so wie sich die Lage präsentiert, kommen hier Pech und Unglück zusammen. Aber nichts, was sich nicht mit ein, zwei Anrufen klären ließe.«

Magnus suchte nach Worten. Wilhelm fand sie.

»Das klang überheblich, ich weiß«, lachte er. »Aber wozu sollen Beziehungen sonst dienen? Magnus, dir ist sicherlich auch ohne meine Hilfe klar, dass Victoria eine einflussreiche Person ist. Ich für meinen Teil nicht minder, wie du dir denken kannst. Also, warum sollten wir die Möglichkeiten und Mittel, die uns zur Verfügung stehen, nicht nutzen? Mach dir wegen Vorteilsnahme oder anderer Dinge mal keine Sorgen. Ich habe nur versprochen, das zu klären. Mehr nicht.«

Magnus atmete tief durch. Was auch immer Wilhelm damit meinte. Aber er konnte es sich denken.

*

Die Fluchtlichtstrahler ließen den Asphalt weiß scheinen, der Geruch von Beschleunigung und Geschwindigkeit hing noch in der glühend heißen Luft. Im Hintergrund hörte man Motoren aufheulen, Reifen quietschten. Mit Benzin im Blut und einem Puls jenseits der Tachoanzeige stieg Victoria aus dem McLaren und fiel Hakim um den Hals, als er Beifall klatschend vom Streckenrand zur Ziellinie gelaufen kam.

»Hobbi, das war verdammt schnell ...«

»Wie schnell?« Völlig außer Atem und high versuchte sich Victoria auf den Beinen zu halten.

»Schneller als ich es jemals war.«

Er küsste ihre Stirn und winkte einen seiner Leibwächter heran, um Victoria den Helm und die Handschuhe abzunehmen.

»Wie schnell?«

»Knapp zwei Minuten. Noch eine Ecke weg vom Streckenrekord, aber drei Sekunden besser als ich.« Mit einer angedeuteten Verneigung nahm er ihre Hand und führte sie an den Streckenrand. »Lassen wir Hasan auch noch seinen Spaß und trinken etwas, in Ordnung?«

»Ja, gern. Lass mich aber kurz noch ein paar Bilder machen ...«

Hakim fotografierte sie vor dem P1, dann schossen sie ein Selfie mit dem Circuit im Hintergrund und verfolgten Hasans Trainingsrunden an den Monitoren im Truck. Hakim hatte den McLaren schon mittags nach Abu Dhabi bringen lassen und nach dem Abendessen im Palast waren sie zur Rennstrecke geflogen.

Victoria sah Hakim an und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. »Danke!«

»Gern geschehen, Hobbi. Irgendwie muss ich dich ja bei Laune halten.«

»Hey ...« Sie knuffte ihn in die Seite und sah ihn gespielt böse an. »Bin ich so schlimm momentan?«

»Nein, als ›schlimm‹ würde ich das nicht bezeichnen. Aber ich sehe dir an, dass du mit den Gedanken ungefähr 5.000 Kilometer weit weg bist. Er fehlt dir.«

»Das klingt so undankbar jetzt, aber ja, Magnus fehlt mir.« Mit ernster Miene fuhr sie fort. »Hakim, ich bin immer gern hier gewesen, ich bin es auch jetzt und werde auch ebenso gern wiederkommen. Du weißt, dass ich ohne weiteres mit dir und für dich arbeite. Ich genieße auch die Stunden außerhalb des Jobs hier sehr.«

»Aber?«

»Es gibt hin und wieder Augenblicke, die ich gern teilen würde. Nicht nur auf einem Foto oder via Skype.«

»Verstehe, Hobbi. Bring Magnus doch beim nächsten Mal einfach mit!?«

*

Wieder in seiner Wohnung angekommen, ließ Magnus den Abend Revue passieren. Sollte es wirklich alles so einfach sein? Je weiter die Zeiger auf der Uhr vorgerückt waren, desto mehr war seine Unsicherheit geschwunden, desto besser hatten er und Wilhelm sich verstanden und desto klarer wurde ihm, auf was er sich da eingelassen hatte. Auf wen. Nach dem letzten Glas Rotwein waren sie noch eine späte Runde mit den Hunden aus gewesen, hatten Irene Scharnweber getroffen, kurz geplaudert und die kühle Nachtluft genossen. Der Abschied verlief mehr als herzlich, Wilhelm hätte Magnus wohl am liebsten interniert.

Mit müden Augen, aber immer noch aufgewühltem Geist, lag Magnus im Bett und schaute auf sein Handy; er hatte Victorias Bild gespeichert und strich darüber. Als er sich selbst dabei ertappte, schmunzelte er. Während des Spaziergangs hatten sie kurz geschrieben und sich eine gute Nacht gewünscht, Küsse auf die 5.000 Kilometer weite Reise geschickt und die Sehnsucht ein weiteres Mal geschürt.

Im Schein seiner Nachttischlampe, das Handy in der Hand, schlief Magnus ein.

Freitag, 19.07.

»Damit ist die Sache vom Tisch.«

Hakim rieb sich die Hände, nachdem er aufgelegt hatte. 300 Millionen Euro gespart. Na ja, nicht ganz, wenn er Victorias Rechnung in Abzug stellte. Ohne sie jedoch wäre ihm die Kartellstrafe sicher gewesen. Es war Freitagmorgen, gerade eben acht Uhr, als sich der zuständige Staatsanwalt gemeldet und ihm mit diesem einen Satz den Tag versüßt hatte. In nur 24 Stunden hatte Victoria den Fall zu den Akten befördert, mit Hasans Hilfe und den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, aber im Vergleich zu dem, was er an Verfahrensdauer angenommen hatte, war das ungefähr so schnell wie ihre Runde auf dem Yas Marina Circuit am Abend zuvor.

»Guten Morgen, Hobbi«, begrüßte er sie, mit dem immer noch vertrauten Kuss auf die Stirn. Victoria saß seit zwei Stunden über den Vorbereitungen für die Halbjahresbilanz, bereits die zweite Dose Red Bull auf dem Tisch und in Bestform.

»Guten Morgen. Was bereitet dir so gute Laune?« Sie sah ihm an, dass er etwas im Schilde führte. Nur, was?

»Die Sache hat sich erledigt. Der Staatsanwalt hat gerade angerufen.«

»Tja, dann herzlichen Glückwunsch ... Meine Kontonummer kennst du ja«, lachte sie und tippte mit links auf der Tastatur, während sie mit rechts etwas in ihren Block schrieb.

»Wie hast du das gemacht?«, fragte er, während er im Türrahmen des Büros lehnte und sie beobachtete.

»Hasan war äußerst gut vorbereitet diesmal und hat mich schnell auf die sensiblen Punkte gebracht. Wir haben eine kleine Gebühr bezahlt, damit noch kurzfristig eine erneute Prüfung stattfinden konnte und offensichtlich waren unsere Papiere doch nicht so falsch, wie der Staatsanwalt angenommen hat.«

»Wie klein war denn die Gebühr?«

»Steht auf der Rechnung ...«

»Gut, dass ich dir vertraue ...« Im Gehen drehte er sich noch einmal um. »Hobbi, ich werde die nächsten paar Tage verreisen, Hasan wird für dich da sein und du erreichst mich jederzeit auf dem Handy, wenn was sein sollte.«

»Du lässt mich allein?« Ihr Ton klang zur einen Hälfte traurig, zur anderen neugierig.

»Ja, ein paar Dinge, die keinen Aufschub dulden. Mach dir keine Sorgen. Ich komme bald zurück und du wirst gar nicht merken, dass ich nicht da bin ...«

»Wenn du das sagst ... Ich hab genügend Beschäftigung, das ist wahr. Pass auf dich auf.«

»Und du auf dich.«

Getröstet winkte sie ihm zum Abschied und schlug die Augen nieder. Hakim ging tänzelnd den Flur entlang, griff zum Handy und begann eine lange Reihe von Gesprächen.

*

Wochenende, dachte Magnus erleichtert, als er am Freitagnachmittag das Gerichtsgebäude verließ und mit einer Handvoll Akten in das Auto stieg. Er konnte noch gar nicht fassen, wie sehr sich zum x-ten Male in dieser Woche die Ereignisse überschlagen hatten. Erst recht in den letzten 24 Stunden. Ganz nebenbei, an einem ganz normalen Arbeitstag.

Um neun hatte sich Wilhelm gemeldet: »Die Sache ist vom Tisch.«

Erst wollte er sich nicht auf Nachfragen einlassen, dann jedoch hatte er ein Einsehen und wurde gesprächiger. »Weißt du, wenn Georg von Eschberg mir damals nicht im entscheidenden Moment unter die Arme gegriffen hätte, hätte es ECG wahrscheinlich nie gegeben.«

Zauberhaft - Victoria

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