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1.1 Forschungsgegenstand der Musikethnologie

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Zentrale Methode der Musikethnologie

In wissenschaftlicher Perspektive auf den Gegenstand Musik steht heute in musikethnologischer Forschung nicht mehr die sogenannte „außereuropäische“, „nicht-westliche“ oder „traditionelle Musik“ im Zentrum der Betrachtungen, sondern Musik in seiner kulturellen Vielfältigkeit. Dementsprechend kann jede Art von Musik Gegenstand musikethnologischer Forschung sein. Dabei ist die aktiv teilnehmende Beobachtung in Sinne der Kulturanthropologie eine zentrale Methode der Musikethnologie, bei der eine kulturrelativistische Perspektive im Rahmen empirischer Methoden den wissenschaftlichen Ansatz bildet. Das soll im idealen Fall zu einer ihre Gegenstände nicht wertenden, sondern die sozialen Akteure verstehenden Perspektive führen. Der eigentliche Forschungsbereich Musik ist schon als solcher problematisch, da sich nicht in allen Kulturen ein sprachliches bzw. konzeptuelles Gegenüber nachweisen lässt. Dennoch sei zunächst eine allgemeingültige Definition versucht.

Stichwort

Musik

John Blacking (1973) versteht unter Musik menschlich organisierten Klang. Dazu gehört dessen kognitive Organisation, kreative Gestaltung und Umsetzung – in den meisten Fällen in Form von Aufführungen und gegebenenfalls deren Aufzeichnung – dieser Konzepte sowie deren physische und emotionale Reaktionen darauf, die wiederum zu einer bedeutungsvollen Interpretation derselben führen. In dieser Konzeptualisierung betrifft Musik die gesamte Kultur und lässt sich auf alle Mitglieder einer Gemeinschaft übertragen. Daraus ergibt sich ein Konzept Musik als Kultur, da viele oder alle kulturellen Bereiche von Musik berührt werden und im Umkehrschluss Musik viele oder alle kulturellen Bereiche beeinflusst. Das trifft auch auf Phänomene der Abgrenzung von Klang und Stille, z.B. in situativ konstruierten Klangräumen etwa in rituellen Kontexten zu.

Begriff Musik

Es sollte immer bewusst sein, dass sich der Begriff Musik in historischer Perspektive auf Konzepte des europäischen Kulturraums bezieht, beginnend im antiken Griechenland, über Rezeptionen im arabischen Kulturraum, das europäische Mittelalter bis hin zu gegenwärtigen Ausprägungen in westlichen Kulturen. In asiatischen oder afrikanischen Kulturen können vergleichbare Konzepte in ihren Grundlagen sehr viel weiter oder auch enger gefasst sein. Im muslimisch geprägten Raum ist Musik im Sinne einer „unterhaltenden“ kulturellen Praxis oft negativ belegt, während die Rezitation des Koran nicht als Musik betrachtet wird. Ähnliches trifft auf die Rezitation der indischen Veden zu wie auch auf den buddhistischen yombul Koreas. Der Begriff sangita in Kulturen des indischen Subkontinents bezeichnet Instrumental-, Vokalmusik und Tanz und hat so ein weites Betrachtungsfeld. Musikethnologen müssen daher möglichst alle musikkulturellen Ausprägungen weltweit in allen geographischen und auch historischen Aspekten untersuchen. Nur so lässt sich Musik als alle Kulturen umfassendes Phänomen verstehen, dass in seiner Gesamtheit ein Verständnis menschlicher Kultur ermöglicht.

Musikethnologie bezeichnet analog zur Terminologie das Studium (logos) von Musik (mousiké) einer Gruppe von Menschen (ethnos). Dazu gehören Musiken von Nationen, ethnischen Gruppen, fragmentierten Gesellschaften (Subkulturen, Mikrokulturen, Partialkulturen, virtuellen Kulturen etc.) in ihren jeweiligen kulturellen Umgebungen. Betrachten wir in diesem Zusammenhang Musik als menschlich organisierten Klang, müssen Kulturen mit eingeschlossen werden, die Umgebungsgeräusche (Tiere, Wind, Flüsse etc.) in ihre Konzepte von Musik mit einbeziehen, also auch nicht durch den Menschen erzeugte Klänge.

Musik ist nicht vornehmlich ein Produkt, bzw. definiert sich aus Produkten (Notationen, Aufnahmen etc.), die untersucht werden, so wie es noch in der Vergleichenden Musikwissenschaft getan wurde, wenn es um Strukturen und Gestaltungselemente musikalischer Äußerungen ging, die in Form von Verschriftlichung (Notationen, Transkriptionen) begreifbar wurden. Vielmehr muss Musik als kultureller Prozess verstanden werden. Um dies zu verdeutlichen, machte Christopher Small aus dem Nomen music das Verb musicking, um alle Aspekte, in denen menschlich organisierter Klang aktiv kulturell verhandelt wird, als Prozess darzustellen und verstehen zu können.

Musikethnologie als Wissenschaft

Musikethnologie als das Studium traditioneller – ein Begriff, der im folgenden Kapitel diskutiert wird – nicht westlicher bzw. außereuropäischer Musik, wie es noch von Jaap Kunst vorgeschlagen wurde, ist in seiner Grundtendenz eine eurozentrische und nicht mehr zeitgemäße Auffassung vom Fach. Musikethnologie ist als Wissenschaft eine diskursive Praxis, basierend auf grundlegenden Methoden wie Feldforschung und damit verbundene wie auch immer geartete Dokumentations- und Analysemethoden, die im Idealfall auch selbstreflexiv untersuchen, wer wann wie über Musik spricht, wie sich dies im Denken über Musik widerspiegelt und wie sich Sprechen und Denken über Musik wiederum in der kulturellen Praxis niederschlägt. Dabei ist heute zu beachten, dass Gemeinschaften nicht zwingend geographisch verortet sein müssen; sie können national, transnational, an Orte oder Landschaften gebunden (dörflich, urban etc.) sein, sprachliche oder religiöse Gemeinschaften bilden, durch race, Klasse, Verwandschaft definiert werden, oder sich lokal eingrenzen (Club, Bar) wie auch an ein Genre (Punk) gebunden sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Musikethnologe indem er/sie eine ihm/ihr fremde Musikkultur studiert, er/sie im Gegenzug ähnlich bewertet und „untersucht“ wie die Akteure vor Ort. Die Musikethnologin oder der Musikethnologe können einen direkten Einfluss auf die Dynamiken innerhalb einer Musikkultur haben. Diese Erkenntnis der Beeinflussung des Feldes durch die Feldforschung muss in zeitgenössischer Forschung immer mit berücksichtigt werden.

Musikethnologie

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