Читать книгу Sportsoziologie in 60 Minuten - Lars Riedl - Страница 4
ОглавлениеSportsoziologie in 60 Minuten
Vermutlich sind die wenigsten Leser dieses Buches bereits vor ihrem sportwissenschaftlichen Studium mit der Sportsoziologie in Kontakt gekommen. So manch einer mag sich daher fragen, was sich dahinter verbirgt und warum man sich damit überhaupt befassen solle. Sport ist doch in erster Linie eine körperliche Angelegenheit. Beim Laufen, Fußballspielen oder Skifahren erproben sich vor allem menschliche Körper. Meistens geht es dabei um die Steigerung der Leistung, des Wohlbefindens oder der Gesundheit eben dieser Körper. Und für viele Studierende der Sportwissenschaft scheinen gerade diese Aspekte eine latente, wenn nicht gar manifeste Motivation zur Aufnahme ihres Studiums zu sein. Insofern interessieren sie sich vor allem für die körper- und individuumsbezogenen Teildisziplinen, z.B. Sportpädagogik, Bewegungswissenschaft, Trainingswissenschaft oder auch Sportpsychologie, versprechen diese doch nützliches Wissen für das eigene Sporttreiben. Weit weniger offensichtlich ist, welchen Beitrag die Sportsoziologie leisten kann.
Die soziale Dimension des Sports wird oftmals unhinterfragt vorausgesetzt bzw. nur selten explizit wahrgenommen. Dabei lassen sich im Sport mannigfaltige soziale Phänomene entdecken. Dies beginnt bereits mit den Fragen, was denn Sport überhaupt sei und wie man ihn von anderen körperlichen Bewegungspraktiken unterscheiden könnte: Was macht beispielsweise den Unterschied zwischen der Leichtathletikdisziplin Gehen, dem Nordic Walking und dem sonntäglichen Spaziergang im Park aus? Wie verhält es sich mit Wrestling und Ballett? Handelt es sich dabei um Sport oder sind es vielmehr körperlich höchst anspruchsvolle Darbietungen aus den Bereichen Show und Kunst?
Um auf diese Fragen eine Antwort geben zu können, bedarf es einer Definition von Sport. Und damit ist man bereits bei den sozialen Aspekten des Sports, denn Definitionen sind immer sozial ausgehandelte Festlegungen. Es lässt sich nämlich gar nicht „objektiv“ das Wesen des Sports ergründen, sondern es handelt sich immer um soziale Beschreibungen und Verständigungen darüber, was als Sport gelten soll. Dies wird nicht zuletzt auch daran deutlich, dass sich das Sportverständnis in der Gesellschaft immer wieder verändert.
An der Grundkonstellation des sportlichen Wettkampfs wird die basale Sozialität des Sports deutlich: Mindestens zwei Sportler treten gegeneinander an und konkurrieren um das knappe soziale Gut sportlicher Erfolg. Dabei werden sachliche Leistungsunterschiede in die soziale Differenz von Siegern und Verlieren transformiert. Die Wettkämpfe folgen dabei bestimmten, sportartenspezifischen Regeln. Neben der Rolle des Sportlers lassen sich weitere soziale Rollen bzw. Sozialfiguren identifizieren, z.B. Schiedsrichter, Trainer, Manager und Zuschauer. Und es gibt mit dem Fairplay sogar eine dem Sport eigene Moral (Schimank, 1988, S.189).
Der Sport verfügt auch über eigene Organisationsformen. Zu nennen sind hier vor allem die derzeit über 90.000 Sportvereine, die sportartenübergreifenden Sportverbände, z.B. der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), Landessportverbände/-bünde, Stadtsportbünde, und die sportartenspezifischen Fachverbände, wie der Deutscher Fußball-Bund (DFB) oder der Deutsche Eishockey-Bund (DEB). Darüber hinaus existiert eine enorme Anzahl kommerzieller Sportanbieter, z.B. Fitness-Studios, Soccer Domes, Tennishallen. Und selbstverständlich wird Sport oftmals auch in informellen bzw. selbstorganisierten Arrangements, beispielsweise in Laufgruppen oder in gerade für Trendsportarten typischen „Szenen“ betrieben.
Die enorme gesellschaftliche Bedeutung des Sports wird schon an der großen Zahl an aktiven Sportlern wie auch an Zuschauern und Fans deutlich. Allein der DOSB verzeichnete 2017 über 27 Mio. Mitgliedschaften1, Länderspiele der deutschen Fußballnationalmannschaft erreichen oftmals ein ähnlich großes Publikum. Es gibt offensichtlich eine große gesellschaftliche Nachfrage nach Sport. Beispielsweise interessieren sich Wirtschaft und Massenmedien vor allem für den Spitzensport, weil sie das Sportpublikum für sich als Kunden oder als TV-Zuschauer und Zeitungsleser gewinnen wollen. Die Politik fördert Spitzen- wie auch Breitensport mit enormen Beträgen beispielsweise zum Zwecke des Aufbaus einer kollektiven Identität, der Repräsentation in der internationalen Gemeinschaft oder der Integration von Menschen, die sonst aus der Gesellschaft weitgehend exkludiert sind. Und im Erziehungssystem wird Sport als geeignetes Erziehungsmittel gesehen, auch wenn um Form und Umfang des Sportunterrichts gern gestritten wird.
Und schließlich unterliegt der Sport selbst dem sozialen Wandel. Es entstehen neue Sportarten und Bewegungspraktiken, immer größere Bevölkerungsgruppen werden einbezogen und neue Sporträume erschlossen – unberührte Landschaften (z.B. Klettern, Canyoning) ebenso wie innerstädtische Räume (z.B. beim Stadtmarathon, Parcours).
All diese Beispiele deuten an, wie vielschichtig sich die soziale Dimension des Sports beobachten lässt. Aufgabe der Sportsoziologie ist es, auf der Grundlage von soziologischen Theorien und Methoden diese Phänomene in den Blick zu bekommen und zu analysieren. Es gilt also die klassische Frage der Soziologie – „Was ist der Fall und was steckt dahinter?“ (Luhmann, 1993) – mit Blick auf den Sport zu beantworten.
Lernziele
Die Leser bekommen einen Einblick in die Vielfalt sozialer Aspekte des Sports und erfahren, welche Phänomene und Themen für die Sportsoziologie relevant sind.
Sie erkennen, wie die Sportsoziologie entstanden ist, inwieweit sie sich an den Universitäten etabliert hat und wie sich ihr Verhältnis zur allgemeinen Soziologie einerseits und zur Sportwissenschaft andererseits darstellt.
Sie lernen anhand zentraler Forschungsthemen wichtige Erkenntnisse der Sportsoziologie kennen und bekommen ihre grundlegenden Theorierichtungen sowie die wichtigsten Forschungsmethoden aufgezeigt.
Sie erfahren, in welchem Verhältnis die Sportsoziologie zur Sportpraxis steht, insbesondere welche Bedeutung die Sportpraxis ihren Forschungsergebnissen beimisst.