Читать книгу "Haben Sie den Rollstuhl auch mal unbeaufsichtigt gelassen?" - Laura Chrobok - Страница 5
Das „System für intensive neurophysiologische Rehabilitation“
ОглавлениеDen wichtigsten Faktor bei der Therapie könnte man salopp auch als „Knochenbrechen“ bezeichnen. Gelenk- und Wirbelkörper werden manipuliert – also von Hand so durchbewegt, wie ein Patient selbst es nicht könnte – und auf diese Weise neurologische Blockaden und Spasmen in der Muskulatur gelöst. Die Folge solcher Einrenkungen, wie ich es nennen möchte, ist tatsächlich völlige Entspannung. Wie lange diese jedoch anhält, ist von Patient zu Patient verschieden. Parallel zu solchen (etwas rabiat anmutenden) Maßnahmen werden Massagen, Krankengymnastik, Ergotherapie und Ähnliches durchgeführt. Zu meiner Zeit wurden auch noch die "Verabreichung" wärmender Bienenwachsumschläge und Bienenstiche praktiziert. Ähnlich einer Akupunkturnadel wurde der Stachel einer Biene an den Gelenken unter die Haut gedrückt, wodurch die jeweilige Gelenkfunktion verbessert werden sollte.
Als Kind waren diese Bienenstiche für mich ungleich schlimmer als das eigentliche Knochenbrechen, unabhängig davon, dass die Therapeuten sofort bemüht waren, meine Schmerzen durch großzügiges Auftragen von Wundsalbe zu lindern. Eine regelmäßige Folge der Therapie waren für mich auch Kopfschmerzen zu Beginn eines jeden Turnus, da meine Muskulatur den Zustand der Entspannung offenbar schon im Kindesalter nicht mehr gewohnt war.
Später, als solche Reisen meiner Mutter aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zuzumuten waren, flog ich in Begleitung ihrer Nichte Anna, „Ania“ genannt, und meines Vaters. Und schließlich mit ihm und meiner Stiefmutter, die ich nur Angela nenne. Immer empfand ich es als Opferung von einem Drittel meiner Sommerferien. Doch dies geschah (zum Glück, aus meiner damaligen Sicht) zumindest nicht in neun aufeinander folgenden Jahren.
Im Laufe der Jahre hatte Professor Kozijavkin dem in Teilen angemieteten „Kurhotel Karpaty“ zunächst einen Anbau anfügen lassen, welcher moderne Therapieräume beherbergte. Dann ließ er unweit des alten Kurhotels ein neues Therapiezentrum errichten. (Im Internet gibt es viele nützliche Verweise auf ihn und seine Vorgehensweise, welche Ihnen vielleicht auch aus der Veterinärmedizin bekannt vorkommt.) Sozusagen zum krönenden Abschluss wollte ich noch eine therapeutische Ukraine-Reise unternehmen, welche mich vor etwa fünfzehn Jahren auch in den Neubau führen sollte. Um ehrlich zu sein fand ich diesen fast ein bisschen zu protzig, irgendwie deplatziert. Angesichts der momentanen politischen Lage in der Ostukraine kann ich mir nicht vorstellen ob, bzw. inwieweit, die Arbeit der Therapeuten und Therapeutinnen in der Westukraine beeinträchtigt sein mag. Doch ich denke häufiger darüber nach, weil die Mitarbeiter auf mich, trotz vereinzelter Sprachbarrieren, stets einen sympathischen und fachlich kompetenten Eindruck machten. Überdies vermute ich, dass sie auch meine Psyche geprägt haben. Ich bin kein großer Fan von körperlicher Nähe oder Berührungen und vermute, es könnte daran liegen, dass mich schon in frühster Kindheit verschiedene Menschen zu therapeutischen Zwecken berührt (und mir dabei auch unvermeidbare Schmerzen zugefügt) haben, ohne dass ich sie darum gebeten hätte. Meine Eltern hatten ihr Einverständnis gegeben. Obwohl ich mir mit zunehmendem Alter des Zwecks der Therapien natürlich bewusst wurde, denke ich unbewusst eine Art innere Abwehrhaltung angenommen zu haben. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass ich mich gänzlich verweigere. Meine kleine Halbschwester und unsere Nichten knuddele ich, wann immer es ihnen ein Bedürfnis zu sein scheint. So wie sie mich im Übrigen auch. Als Angehörige ein Teil meines „Jobs“ im positivsten Sinne, finde ich. Nun aber genug der Hobby-Psychologie.