Читать книгу Die Kinder Paxias - Laura Feder - Страница 5
Kapitel 1
ОглавлениеEndlich würde es einmal keinen Zeitverlust geben.
Es galt lediglich eine realistisch ausführbare Möglichkeit zu finden, die sie auf die Spur des Betreffenden brachte.
Dem Ratsmitglied, dem der Aufenthaltsort der Herrscherin der Dämonen bekannt war.
Und diesen musste sie dann auch noch davon überzeugen, ihr diese Information zu überlassen – ungeachtet der zu diesem Zweck erforderlichen Mittel.
Entschlossen verstärkte sie den Druck ihrer Finger um den Stab und machte sich der Existenz ihres im Rhythmus der Hüftbewegungen wiegenden Messers am Gürtel bewusst.
„Das Haus des Ratsvorstehers sollte auffällig genug sein.
Wie ich in Erfahrung bringen konnte, ist es beim Erbauen mit den Steinen der Mauer an einer Seite verbunden worden und als solches einzigartig“, unterbrach Kaeli den gewaltbereiten Gedankengang Sayas. Ihr überschäumender Mitteilungsdrang ergab sich aus der nahenden Reichweite der schmerzlich ersehnten Zuflucht, die mit dem Versprechen nach Ruhe, Erholung und Heilung ihrer Verletzungen lockte.
Ohne es selbst zu bemerken, beschleunigte sie das Tempo ihrer Schritte.
In ihrer Vorstellung hatte sie sich die Hauptstadt stets mit beachtlicheren Ausmaßen vorgestellt, auch wenn sie wusste, dass Resus lediglich die drittgrößte Stadt der Paxianer und wesentlich kleiner als ihre eigene Heimat war.
Es war ihre Zentralität, die ihr den Titel verlieh. Die Tatsache, dass sie von allen Teilen der Welt leicht zu erreichen war. Nicht ihre Einwohnerzahl, die die tausend wahrscheinlich nicht einmal füllte.
Viel zu besichtigen würde es also nicht geben, dafür aber war es auch unmöglich, sich auf dem einfachen Weg rund um die Außenmauer zu verirren.
Sayas abruptes Verharren war der Beweis.
„Ich denke, wir haben es gefunden.“
Kaeli folgte dem erhobenen Gesicht der Gelehrten.
Unmittelbar über dem massiven Steinwall erstreckte sich ein weitläufiges schwarz geschindeltes Spitzdach mit großen, lichflutenden Bleiglasfenstern.
In beiden erwachte bei diesem Anblick die Neugierde, wie das Gebäude von vorne aussah.
Ihre Erwartungen und Vorstellungen sollten mehr als bestätigt – übertroffen – werden.
Direkt neben dem Nordtor befand sich eine schmiedeeiserne Pforte, die in einen weitläufigen, umzäunten, wild wachsenden Garten führte.
Beeindruckt betraten die Reisegefährtinnen einen gewundenen, mit verschiedenen Farnen gesäumten Kiesweg, der sie mehr und mehr von der groben Mauer zu ihrer Rechten, zu der erhöhten Veranda des massiven Steinhauses führte, welches an der Seite mit der Stadtmauer eine Einheit bildete.
Kaeli hielt einen Augenblick inne, um den alten Baumbestand, der einem kleinen Wald glich, zu bewundern. Eine Art Lichtung war in diesen eingelassen, den ein wunderschöner Pavillon aus unbehandeltem Waldholz zierte.
Auch Sayas erstaunte Aufmerksamkeit galt für wenige Momente dem künstlich angelegten Bachlauf, der in einem mit Seeblüten bewachsenen Naturteich mündete. Eine sorgfältig gestaltete Steinbank inmitten einer Wildblumenwiese stand nah genug, um von ihr aus die Aussicht auf diesen genießen zu können.
Zu ihrem Bedauern war der Rest des Gartens an der Rückseite des Gebäudes nicht weiter einsehbar, und sie konzentrierten sich wieder auf das stattliche Wohnhaus.
Auch dieses überraschte in seinem Erscheinungsbild.
Hatte die an der Außenmauer sichtbare Wand vermuten lassen, einen düsteren, klobigen Steinklotz zu finden, beseitigte die an den ersten beiden Etagen angebrachte, ausgedehnte Fensterfront diesen Eindruck ohne jeden Zweifel.
Dieser Bau war einst mit unglaublich viel Mühe, Liebe zum Detail und Sorgfalt errichtet worden und strahlte den soliden Wohlstand der Bewohner wider.
Mit gemessenen Schritten überwand Kaeli die Stufen der Veranda zur doppelflügeligen Haustür. Sie tauschte einen kurzen bestätigenden Blick mit Saya, die ein wenig versteckt wachsam Position bezogen hatte, und betätigte den schweren Türklopfer in Form eines Blattes.
Das Bleiglas an dieser Tür war gefärbt und stellte ein kunstvolles Mosaik einer Festung inmitten eines Waldes dar, so dass sie das Innere nur schemenhaft erkennen konnte.
„Wahrscheinlich ist der Vorsteher bereits auf der Versammlung“, bemerkte Kaeli ein wenig enttäuscht, als keine Reaktion erfolgte, und wandte sich Saya hilflos schulterzuckend zu.
„Wahrscheinlich“, gab ihr Saya ungerührt Recht, bewegte sich jedoch nicht von der Stelle. „Wahrscheinlich lebt er aber auch nicht allein.
Ich habe mittlerweile einige Beobachtungen gemacht, die sich auf die starke Paarbildungstendenz und Familiengründungsbedürfnisse der Bewohner dieser Welt beziehen.“
Die Wortwahl der Gelehrten belustigte Kaeli. Fröhlich lachte sie auf und wiederholte, Mut fassend, ihr erstes zaghaftes Klopfen mit deutlichem Nachdruck.
Beide vernahmen gleichzeitig die nähernden Schritte. Eine schmale Silhouette schob sich ins Zentrum des Mosaiks.
„Ja?“ Augen strahlenden Blaus musterten Kaeli aufmerksam fragend. „Kann ich Euch helfen?“
Sprachlos starrte Kaeli die Erscheinung mit der weichen Stimme an der Tür an.
In der Blüte der Schönheit. Diese Frau mit dem feingeschnittenen Gesicht, dem reinen Profil, ihrer geraden Nase, dem filigran gezeichneten Mund und diesen unglaublich langen, dunklen Wimpern machte diesen Begriff zur Perfektion.
Ihre dunkelbraunen Haare, die sie so hochgesteckt trug, dass sie ihr lockig über den Rücken fielen, mussten ihr mindestens bis zur schmalen Taille reichen. Auch in der zart gebräunten Haut fand Kaeli keinen Makel.
Ihre Statur war vergleichbar mit Sayas, und ihre Kleidung unterschied sich von den anderen Stadtbewohnern in Form, Farbe und Material derart grundsätzlich, dass Kaeli einen kurzen Moment glaubte, einem weiteren Sagenwesen gegenüberzustehen.
Über einem grauen Faltenrock trug sie ein an der Seite spitz zulaufendes, tiefblaues Überkleid, welches den Schulteransatz freiließ und an den Ärmeln, unterhalb der Ellbogen, in kleinen Volants endete. Der graue Ledergürtel war, genau wie die ungewöhnlichen Armschoner und das Band, das sich am breiten Ausschnitt von einer Schulter zur anderen zog, mit silbernen Nieten besetzt und fasste einen kleinen Beutel und einen stattlichen Dolch.
Kaeli fasste sich mühsam.
Sie spürte förmlich Sayas bedrohlichen Blick und ihre angriffsbereite Haltung im Rücken. Ihre Situation duldete keinen Fehler. Nervös verdunkelten sich ihre Augen in ein verschwommenes Blaugrün.
„Ich suche Cedric. Meine Mutter schickt mich. Wenn ich in Not geraten sollte, riet sie mir ihn aufzusuchen.“
Das Mädchen strafte sich im Geiste für ihre stammelnde Ausdrucksweise, aber sie wollte der Unbekannten nicht sofort alles preisgeben, da sie ihrem Instinkt nicht recht glauben wollte, der sie zu Vertrauen animierte.
Viel weniger jedoch wollte sie beim ersten Versuch versagen und das Feld Sayas „Diplomatie“ überlassen. Wohin das führen würde, mochte sie sich nicht einmal vorstellen.
Ihre Sorge war grundlos.
Ein warmes Lächeln erschien in der Miene der Angesprochenen.
„Wie ist Euer Name?“
„Kaeli.“
„Es freut mich, Kaeli. Ich bin Maya, Cedrics Gemahlin. Leider ist er bereits bei der Ratsversammlung und wird erst heute Abend zurückkehren.
Wenn Ihr für einige Stunden mit meiner Gesellschaft vorlieb nehmen wollt, biete ich Euch gerne eine Mahlzeit und ein Zimmer, in dem Ihr ruhen könnt.
Ihr wirkt, als hättet Ihr eine anstrengende Reise hinter Euch.“ Mit diesen freundlichen Worten, ging die schöne Frau einen Schritt zurück in die offene Tür und lud Kaeli mit einer anmutigen Geste zum Eintritt ein.
Zutiefst bewegt von der Selbstverständlichkeit Mayas bereitwilliger Einladung ohne jede weitere Frage, legte das Mädchen ihre Hand aufs Herz und verneigte sich leicht – eine Geste der Ehrerbietung in ihrem Reich. Ihr erwiderndes Lächeln war allerdings noch etwas zaghaft.
„Ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft, Maya, aber ich bin nicht allein gekommen.“
„Ich weiß. Eure Freundin ist mir ebenso willkommen.“ Bei Mayas ruhiger Feststellung entfuhr Kaeli ein fassungsloser Ausruf. In Saya erwachte ehrlicher Respekt über die Wahrnehmungsfähigkeit der Paxianerin. Aber auch sie wollte nicht zu viel offenbaren und behielt ihre Augenbinde an.
Eine Blinde imitierend, tastete sie sich mit ihrem Stab über die Stufen zu den beiden und überließ Kaeli eine kurze Vorstellung.
„Cedrics Gemahlin also. Ich hätte sie eher für seine Tochter gehalten, sie muss viele Jahre jünger sein als er.“ Sinnierend blickte Kaeli in den abgedunkelten Raum.
Sie hockte mit angewinkelten Knien auf einem breiten Ruhelager, eine Schale mit warmem Brot und Früchten vor sich, aus der sie sich ausgehungert bediente.
Ihr Cape hing neben Sayas Umhang und deren Augenbinde über einem Holzstuhl, der mit einer gepolsterten Bank, einem niedrigen runden Tisch und einem weiteren Stuhl eine kleine Sitzgruppe bildete. Ein gewebter Teppich bedeckte den polierten Dielenboden und erlaubte den beiden eine bequeme Fortbewegung ohne Schuhwerk.
Es war ein fürwahr geräumiges Gemach, in welches Maya sie geführt hatte, nachdem sie in Erfahrung gebracht hatte, dass sie seit zwei Tagen nur mit einer kurzen Unterbrechung gewandert waren. Mit sanftem Nachdruck hatte sie die beiden aufgefordert, erst einmal ihrem Ruhebedürfnis nachzukommen.
Danach würde ihr Gemahl sicher auch wieder eingetroffen sein, und sie könnten sich bei einem ausgiebigen Abendessen ungehindert unterhalten.
Doch trotz ihrer physischen Erschöpfung und den schmerzhaft pochenden Gliedern fühlte sich das Meereswesen viel zu aufgewühlt, um sich schlafen zu legen. Das Bewusstsein, ihr Ziel erreicht zu haben, füllte ihre Kraftreserven wie von allein und verlieh ihr das aufregende Gefühl, Wellen durchbrechen zu können.
Saya dagegen verhielt sich völlig gegensätzlich.
Sie lag, mit hinter dem Kopf verschränkten Armen, ausgestreckt neben dem jungen Mädchen und ignorierte bedürfnislos angebotene Speise und Trank.
Aber auch sie beschäftigte ein Thema, wenn auch ein ganz anderes als Kaeli, was sie veranlasste, als Reaktion zu deren mutmaßenden Worten lediglich gleichgültig die Schultern zu heben. Sie waren fernab ihrer eigenen Überlegungen, wie sie innerhalb der vor ihr liegenden Woche auf einem paxianisch angepassten Weg ihre entscheidenden Antworten erhielt.
Eventuell konnte Kaeli sich dabei als Schlüsselfigur nützlich erweisen.
Sie rang sich zu weiteren Nachforschungen durch.
Wie sie Konversation hasste!
„Wann ist deine Mutter dem Ratsvorsteher eigentlich erstmals begegnet?“
„Ehrlich gesagt, habe ich gerade genau darüber nachgedacht.“ Kaeli lachte vergnügt über den Zufall, schob sich ein abgebrochenes Stück Brot in den Mund und bot auch Saya von dem Gebäck an. Diese hob ablehnend die Hand, der Nahrung nicht einmal einen Blick gönnend.
„Du bist keine große Esserin, richtig?“, stellte Kaeli ein wenig verwundert fest.
„Ich bedarf erst in einigen Wochen weiterer Nährstoffe. Außerdem werde ich heute Abend sicher nicht umhinkommen, etwas zu mir zu nehmen, da wir ja zu einer Teilnahme an der Tafel aufgefordert worden sind.“
Belustigt über Sayas genervte Exkursion ihrer Stoffwechselgegebenheiten und dem damit verbundenen Frust einer überflüssigen Nahrungsaufnahme, schillerten Kaelis Augen. Aber sie hütete sich vernünftigerweise, diesem Gefühl Laut zu verleihen. Stattdessen kehrte sie zur ursprünglichen Frage zurück.
„Den Erzählungen meiner Mutter zufolge war Cedric damals kein Ratsmitglied – geschweige denn sein Vorstand. Also muss es mehr als 250 Jahre zurück liegen.
Sie war damals noch ein Mädchen, kannte meinen Vater nicht einmal – wenn sie ihm wohl auch versprochen gewesen sein sollte, und sie hatte für Cedric im Geheimen geschwärmt.
Jedenfalls brachte sie ihm ehrliche Bewunderung entgegen, beschrieb ihn als aufregenden Mann: kühn im Kampf, weise in den Handlungen und hingebungsvoll gegenüber seiner Familie.“
„Klingt für mich beinahe zu perfekt. Zweifelhaft, ob er mir eine sinnvolle Hilfe sein kann“, murmelte Saya missmutig. Die Idylle in romantisch verzerrten Schilderungen erwies sich meistens als trügerisch. Erst recht, wenn sie aus den Erinnerungen einer jugendlichen Schwärmerei entsprangen. Wahrscheinlich würden sie einem arroganten alten Muskelprotz mit ausgeprägtem Sexualtrieb gegenüberstehen, der den Verlust seiner vitalen Attraktivität mit einer deutlich jüngeren Gemahlin zu kompensieren suchte.
„Warum? Die Idee ist großartig!“ Kaeli klatschte mit zustimmendem Elan in die Hände und machte einen kleinen Hüpfer.
Konsterniert verengte Saya die Augen – überlegend, ob es lohnenswert wäre, weitere Ausführungen der energiegeladenen kleinen Person zuzulassen oder sie endlich mit einem geschickt platzierten Griff zum Schweigen zu bringen. Einige Stunden Schlaf würden beiden nicht schaden.
Die schleichende Müdigkeit musste ihre Entscheidungsfreudigkeit getrübt haben, denn leider fuhr Kaeli fort, bevor sie sich zu einem Urteil durchgerungen hatte.
„Heute Abend wird sich sicher die Möglichkeit zu einem unbefangenen Gespräch ergeben, in dem ich Cedric vorsichtig über die Mitglieder des Rates ausforschen kann. So könnte ich die Anzahl der potenziellen Wissenden eingrenzen. Du weißt schon: Alter, Herkunft, Dauer der Mitgliedschaft im Rat …“
„Ein Ausschlussverfahren.“
„Genau.“ Das Mädchen nickte nachdrücklich, erleichtert über Sayas fast aufgeschlossene Reaktion.
Die Gelehrte gab ihre ablehnende Haltung auf.
„Manchmal, Kaeli“ – schimmernde Augen betrachteten das Mädchen in leiser Anerkennung – „manchmal erweist sich deine Art, schneller zu reden als ich denke, als äußerst lukrativ.“
Sie fanden Maya webend auf der Veranda an der Rückseite des Hauses, die den Blick auf eine weite Rasenfläche, mit einer umschließenden, dichten Hecke vom Rest der Stadt visuell getrennt, freigab.
Um zu ihr zu gelangen, mussten sie die hohen, weit geöffneten Fenstertüren des saalartigen Wohnraumes passieren, der selbst wie ein Kunstwerk wirkte, mit seinem an filigranen Schnitzereien reich verzierten Holzmobilar, seinen mit bunten Szenen bestickten Wandvorhängen und seinen vielförmigen, motivgewebten Läufern.
Aber weder Saya noch Kaeli nahmen sich Zeit, diesen individuell gestalteten, für die Bewohner sicher unschätzbar wertvollen Raum genauer anzusehen.
Bei dem Anblick ihrer Besucherinnen erhob sich die Paxianerin sofort und begrüßte sie mit einem leicht verwunderten, aber eindeutig herzlichen Lächeln.
„Euch hätte ich frühestens in zwei Stunden erwartet. Viel Erholung habt ihr euch ja nicht gegönnt.“
„Würde es mir darum gehen, hättet Ihr mich frühestens in zwei Tagen erwarten dürfen, das versichere ich Euch. Aber für eine Auffrischung meiner Kräfte war es ausreichend.
Ich danke Euch nochmals für die freundliche Aufnahme.“ Kaelis scherzende Worte brachten Maya zum Lachen. Sie trat von ihrem Webstuhl fort zu einer gepolsterten, schmiedeeisernen Sitzgruppe um einen runden Tisch.
„Ihr scheint Schnabel und Herz am rechten Fleck zu haben, Kaeli.
Cedric ist leider noch nicht zurück, aber ich erwarte ihn jeden Moment. Setzt euch doch so lange zu mir und leistet mir Gesellschaft. Vielleicht wollt ihr mir ein wenig über euch erzählen.“
Der ersten Aufforderung leisteten die beiden widerspruchslos Folge, bei der anderen zögerte Kaeli merklich und sah unsicher zu Saya, die im Gegensatz zu ihr überhaupt keine Reaktion zeigte und schwieg. Die Augen waren natürlich wieder bedeckt, so dass das Mädchen auch aus der Miene der Gelehrten keine Weisheit ziehen konnte.
Also oblag es ihr, eine Entscheidung zu treffen, wie weit sie sich des unaufdringlichen Interesses Mayas offenbaren wollte.
Im Kopf überschlug Kaeli die Auswirkungen, die ihre Geschichte in den Händen einer Falschen – also einer uneingeweihten Paxianerin – zur Folge haben konnten.
Maya, offenbar sensibel genug, das Dilemma des kindlichen Wesens zu erkennen, beendete ihre Erwägungen.
„Das war kein Befehl, Kaeli. Wenn Ihr Schwierigkeiten befürchtet, weil es ein Geheimnis zu bewahren gilt und Ihr nur meinem Gatten in dieser Angelegenheit Vertrauen entgegenbringt, ignoriert meine letzte Bemerkung einfach.
Es liegt mir fern, Euch in Unruhe zu versetzen.“
Erleichtert strahlte das Mädchen sie an und nickte ihrer Sorgen enthoben.
Sich wesentlich bewusster als bei ihrem Eintreffen umsehend, fand sie schnell ein neutrales Gesprächsthema.
„Euer Garten ist sehr vielfältig, das habe ich schon auf der anderen Seite des Hauses bemerkt. Er beinhaltet die grundlegenden Aspekte der Natur, nicht wahr?“
„Er ist ein Sinnbild meiner Heimat.“
So neutral war dieser Gegenstand wohl auch nicht.
Kaeli fühlte leise Betretenheit, als sie die Hausherrin plötzlich so wortkarg erlebte. Eine tief begründete Verschlossenheit versteinerte ihre Miene zu einer ausdruckslosen Maske.
Eine verlegene Stille entstand.
„Maya!“ Eine klangvolle Männerstimme durchbrach die verirrte Stimmung, bevor sie Manifestation fand.
Mit zärtlich aufblitzenden Augen erhob sich Maya.
„Auf der Veranda!“, rief sie sichtlich erfreut, und beide Reisegefährtinnen wandten sich unverhohlen gespannt um, den Blick gleich der Paxianerin zur Tür richtend.
Der Mann, der nun erschien, wirkte nur unwesentlich älter als Maya und war von durchschnittlicher Größe.
Aber damit endete auch schon seine Gewöhnlichkeit.
War Maya ein Sinnbild weiblicher Schönheit, so glich er dem Ideal eines attraktiven Mannes.
Das weite, naturfarbene Hemd mit dem darüber geschnürten, nur wenig dunkleren Lederwams und die gleichfarbigen engen Stiefelhosen verbargen den athletischen Körperbau nicht.
Ein gut geschnittenes Gesicht, welches seit mindestens drei Tagen keine Rasur mehr erlebt hatte, mit festen Zügen, energischem Kinn und dem, diesen Merkmalen völlig gegensätzlichen, weichen, fast sinnlich geformten Mund perfektionierten seine beeindruckende Erscheinung.
Seine hellbraunen Haare waren mit blonden Strähnen durchzogen, sahen aus, als könnte kein Kamm sie bändigen, und endeten kurz oberhalb der auffallenden Augen. Ihr leuchtendes Türkisgrau stach von der gebräunten Haut deutlich ab und verbarg nur schlecht – wenn überhaupt – ein reiches Gefühlspotential.
Wie um dies zu beweisen, trat ein inniges Leuchten in diese, als er auf Maya traf, die ihm beide Hände entgegenstreckte.
Verwirrt und sprachlos beobachtete Kaeli, wie der Neuankömmling die vermeintliche Gattin des Ratsvorstehers an sich zog und sie in sanfter Ausführlichkeit küsste, ungeachtet Sayas und ihrer Anwesenheit.
„Es ist sehr spät geworden heute, verzeih meine Unpünktlichkeit.
Du kennst ja den Auftakt unserer Hauptversammlung. Alle meinen, ihre Anliegen bis ins kleinste Detail vortragen zu müssen, um dann den Rest dieser Woche damit zu verbringen, Diskussionen über deren Sinn und Unsinn zu führen.“ Der Inhalt seiner entschuldigenden Worte stürzte Kaeli noch tiefer in das Chaos wirrer Gedanken und Erinnerungsfetzen, die bei steigender Anstrengung lediglich verschwommener wurden und ihr den Rest Klarheit raubten.
„Ich habe auch nicht früher mit dir gerechnet. Und doch wirst du mit Sehnsucht erwartet. Du hast Gäste.“ Erst Mayas lächelnde Worte lenkten die Aufmerksamkeit des liebevoll auf die schöne Frau fixierten Mannes von ihr ab – zu Kaeli und Saya.
Ein eindringlich forschender Blick traf die beiden, und ein zurückhaltendes, wenn auch vorbehaltloses Lächeln trat in seine Miene, während er sich, Mayas Hand fest in seiner verschränkt, ihnen erklärend zuführen ließ.
„Die junge Dame hier ist Kaeli, ihre Freundin Saya begleitet sie. Sie sind heute morgen hier eingetroffen – kurz nachdem du zur Versammlung aufgebrochen bist.“
Saya, die die Situation mit mehr Distanz als Kaeli beobachtete, ahnte die Wahrheit, noch bevor Maya sie mit ihren nächsten Worten aussprach.
„Kaeli, Saya, hier stelle ich Euch Cedric vor, meinen Gatten und Vorsteher des hohen Rates.“
Cedric, der Ratsvorsitzende, schien ein noch recht junger Mann zu sein.
Kaeli starrte die unerwartete Gestalt des Paxianers offenen Mundes fassungslos an. Ihre impulsive Art machte es ihr unmöglich, ihren perplexen Ausruf rechtzeitig zu unterbinden und ihn in ihrer Gedankenwelt zu belassen, wie ihr Taktgefühl es ihr im Regelfall geboten hätte.
Doch dies war kein Regelfall.
„Ihr seid Cedric?! Euch hätte ich für viel älter gehalten – sehr viel älter!“
Saya verdrehte in der Verborgenheit ihrer Binde die Augen, wenn sie der mangelnden Beherrschung des Mädchens auch ein widerwilliges Verständnis gegenüber empfand.
Cedric und Maya dagegen lachten fröhlich auf, bezaubert von dem Charme des jungen Meereswesens.
Saya überlegte einen Moment, ob es an der Wirkung Kaelis Stimme lag, verwarf diesen Verdacht aber sofort wieder, da ihr keine Veränderungen im Timbre der Lautformung aufgefallen waren.
Außerdem wirkten weder Maya noch Cedric mental schwach genug, um empfänglich auf die hypnotischen Künste einer wahrscheinlich sehr unerfahrenen Anwenderin zu reagieren.
„Für diese Unterstellung fordere ich eine Erklärung“, meinte Cedric mit humorvoll hochgezogenen Brauen. Obwohl seine Entrüstung eindeutig gespielt war, brachte sie Kaeli ihr Fehlverhalten ins Bewusstsein. Komisch entsetzt schlug sie ihre Hand vor den Mund.
„Das hätte ich so wohl besser nicht ausdrücken sollen. Meine Mutter wäre entsetzt über mein Benehmen. Ich bitte um Vergebung.“
Saya murmelte in ihrem Rücken, nur für sie verständlich, einige prägnante Sätze. Etwas über die Dummheit, sich auf andere zu verlassen, dass sie diese erste Begegnung auch nicht ungeschickter hätte beginnen können. Kaeli wäre eine Steigerung ihrer eigenen mangelhaften diplomatischen Fähigkeiten. Und dann folgte eine Aufzählung deren begangener Fehler, mit reichlich Kraftausdrücken unterstrichen.
Ein entsetztes Auflachen entfuhr Kaeli, welchem sie gerade noch den Anschein eines Hustens verleihen konnte.
Ihre abweisende Handbewegung nach hinten, brachte die Gelehrte, die nach diesem Ausrutscher erneut zu einer weiteren zerfleischenden Kritik angesetzt hatte, endlich zum Schweigen und ihr selbst die Sicherheit zurück, dem paxianischen Paar in die amüsiert fragenden Augen zu blicken.
Ihr Ausdruck wich tiefem Ernst, als sie die Einleitung ihrer Erklärung aussprach – ihre Lage ins Bewusstsein einkehren lassend.
„Ich bin Kaeli, Tochter von Anameg.
Ich bin ungewollt in Not geraten, eine Rückkehr nach Hause ist mir verwehrt.“
„Megs Tochter? Du bist Megs Tochter?“ Mit beiden Händen wurden Kaelis schmale Schultern umfasst, und seine Augen tauchten in tiefstem Erstaunen in ihre.
Hatte sie selbst bis eben noch Zweifel an der Echtheit Cedrics als Freund ihrer Mutter gehabt, so waren diese im Nichts verschwunden bei der Erwähnung des alten Spitznamens ihrer Mutter, den seit ihrer Heirat vor vielen Jahren niemand mehr zu verwenden wagte.
Ihr bestätigendes Nicken kaum abwartend, führte der Paxianer sie seiner Gemahlin sichtlich freudig erregt zu.
„Hast du gehört? Sie kommt von Meg!“
„Unglaublich.“ Maya fasste die Hände des Mädchens, sie eingehend betrachtend. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen.
„Ich hätte es ahnen können. Ihre Augen – sie verändern sich auf die wundersame Weise, die du mir so oft als ein Merkmal Megs Abstammung beschrieben hast.
Es ist mir bereits bei ihrem Eintreffen aufgefallen, ohne es zugeordnet zu haben.
Meine Talente müssen mittlerweile ziemlich eingerostet sein.“ Dann wandte sie sich Kaeli erklärend zu.
„Ich kenne deine Mutter nicht persönlich wie Ceddy, aber er hat mir ihr Bild so eingehend geschildert, dass ich sie wie eine Vision vor mir sehe, wenn er über sie redet.“
„Du musst uns von ihrem Ergehen berichten, ich habe sie seit … etlichen Jahren nicht mehr getroffen“, unterbrach Cedric seine Gemahlin.
Überwältigt von der Aufregung und sichtlich überfordert, trat Kaeli unsicher einen Schritt zurück, aus dem intimen Bereich der Paxianer und blickte reichlich verwirrt von einem zum andern.
„Vergebt mir, ich weiß nicht … ich kann nicht … Ihr müsst mir …“
„Eine Chance zum Ordnen deiner Gedanken geben“, ergänzte Maya ihre gestammelte Entschuldigung nüchtern. Sie legte ihre Hand auf den Arm ihres Gemahls, der ungeduldig zu weiteren Nachforschungen ansetzen wollte, und sah mahnend zu ihm auf.
Verlegen in schneller Einsicht, kratzte er sich am Hinterkopf und lächelte schief. Er deutete eine leichte Verbeugung in Kaelis Richtung an.
„Es ist an uns, eine Bitte um Verzeihung auszusprechen.
Es lag nicht in unserer Absicht, dich zu bedrängen. – Es ist nur so, dass eine Nachricht über Meg ein unglaubliches Ereignis für uns bedeutet.“
„Ich glaube, ich verstehe.“ Kaeli nickte beruhigt. „Und ich werde versuchen Eure Fragen so gut es geht zu beantworten. Mein Vermögen in dieser Hinsicht wird allerdings unbefriedigend begrenzt sein, da ich als jüngster Nachzügler nicht besonders ausführlich in die Familienchronik eingeweiht bin.“
„Bitte verzichte erst einmal auf diese formelle Anrede. Förmlichkeiten zwischen Megs Familie und der meinen sollte es wirklich nicht geben.“
„Einverstanden.“ Kaeli strahlte die beiden Paxianer nach der herzlichen Aufforderung Cedrics befreit an. Ihre nervöse Befangenheit wich mit der abgrenzenden Distanz.
„Ich habe einen Vorschlag, der hoffentlich alle Seiten zufriedenstellen wird und gleichzeitig Ceddys angeborener Ungeduld und deinem Anliegen gerecht werden kann“, ergriff Maya abermals das Wort, bevor eine weitere Spannungsladung einen der Anwesenden aus der Fassung brachte. Wartend, bis sie der Aufmerksamkeit der anderen sicher war, führte sie ihre Überlegung aus.
„Das Essen wird mittlerweile angerichtet sein. Lasst uns an den Tisch im Wohnraum begeben, und während des Mahls erzählt Kaeli von Anameg und stillt deinen Wissensdurst, Ceddy.
Danach haben wir Ruhe und Muße, uns dem Grund für Kaelis Anwesenheit und dem ihrer Freundin zu widmen und ihre Geschichte anzuhören, in der Hoffnung, uns ihnen als hilfreich zu erweisen.
Ist dieses Vorgehen akzeptabel?“
Der unkontrolliert zustimmende Laut Sayas, der einiges an Erlösung verriet, entging Kaeli nicht. Auch ihr gefiel Mayas Plan, den sie mit einem Nicken guthieß.
Cedric beugte sich zu seiner Gemahlin hinab und strich sanft mit seinem Mund über ihren.
„Wie immer spricht meine Stimme der Vernunft aus dir. Natürlich hast du Recht, und wir nehmen deine Idee zur Umsetzung an.“
Der Tisch im Wohnraum war gedeckt und die Speisen bereits aufgetragen. Kaeli kicherte leise, sie konnte Sayas inneres Stöhnen förmlich in ihrer eigenen Kehle spüren beim Anblick der zahlreichen dampfenden Schüsseln mit gedünstetem Gemüse, frischem Brot und der in Paxia unvermeidbaren Terrine, die einen kräftigenden Eintopf enthielt.
Obst und ein frisch angerührter Joghurt standen bereits auf der ausladenden Anrichte zum Nachtisch bereit, ebenso wie Karaffen mit unterschiedlichen Getränken. Wasser natürlich, aber auch verschiedene Obstsäfte und ein duftender Kräutertee in einer silbernen Kanne, die ein wenig abseits auf einem Stövchen platziert war.
Eine Tischordnung ergab sich wenig formell von ganz allein, in der das Paar auf der einen Seite saß und die beiden Gefährtinnen sich gegenüber niederließen.
Ohne weitere Umstände bediente Maya die Anwesenden und legte ihnen den ersten Gang vor, während Cedric die Gläser mit Wasser füllte.
Zähneknirschend ertrug Saya es, die zweite Kelle mit Eintopf den Pegel ihrer Schüssel erhöhen zu sehen und mit der Ohnmacht ihrer Tarnung nicht eingreifen zu können.
Sie war weit entfernt, alles dafür zu tun, nicht unangenehm aufzufallen, wozu auch ihr Unwille gehörte, maßlos zu werden, was überflüssige Nahrungsaufnahme betraf.
Mit betonter Langsamkeit führte sie den ersten Löffel an ihre Lippen. Bei dieser Geschwindigkeit würden die anderen längst ihre Nachspeise verzehrt haben und darauf verzichten, sie zu weiteren Gängen zu animieren, wenn sie ihr Besteck sinken ließ – mindestens die Hälfte des Inhaltes übrig lassend.
Dieser Plan beruhigte ihr stürmisches Temperament ausreichend, um ihren Fokus auf das Gespräch zwischen Kaeli und Cedric zu konzentrieren – in unterschwellig drohender Haltung, die Kaeli an ihr Versprechen, Nachforschungen anzustellen, mahnte.
Mayas nachdenklich beobachtender Blick entging ihr.
Cedric zügelte seine drängende Neugier nicht länger, ließ Kaeli kaum Zeit, sich zu stärken.
„Ich brenne darauf zu hören, wie es Meg in den über 250 Jahren ergangen ist, die wir uns nicht gesehen haben. Bei unserer letzten Begegnung teilte sie mir mit, dass ihre Eltern dem Werben eines annehmbaren Gemahls nachgegeben haben und einen Verlobungskontrakt aushandelten.“
„Annehmbarer Gemahl!“ Kaeli verschluckte sich fast an einem Bissen Brot und blickte den gutaussehenden Paxianer in komischem Entsetzen an.
„Diese Formulierung scheint mir reichlich untertrieben angesichts der Tatsache, dass es sich bei jenem Kandidaten, meinem Vater, bereits zu jener Zeit um den Herrscher des Meeres handelte.“
„Ist das dein Ernst? Darüber hat Meg niemals ein Wort verloren.“ Nicht nur Cedric, auch Maya und Saya fixierten ihre überraschte Aufmerksamkeit abrupt auf Kaeli, die sich ein wenig verlegen lächelnd die Nase rieb.
„Um bei der Wahrheit zu bleiben, gestehe ich ungern, dass sie ursprünglich nicht sonderlich erpicht auf diese Eheschließung war.“
„Ich erinnere mich. Meg erwähnte ein einziges Mal ihre Angst vor der bevorstehenden Vermählung. Bei ihrem Abschied damals.“
„Mein Vater, Sher-Qa, war über 120 Jahre älter als sie. Außerdem war sie ihm kaum begegnet, hatte niemals ein Wort mit ihm gewechselt und nur andeutungsweise und dann auch nur Schreckliches von seinem Jähzorn gehört“, erläuterte Kaeli die vergangene Situation ihrer Mutter.
„Aber meine Großeltern lockte die Machtstellung, die ihre Tochter einnehmen würde. Sie sahen sich nicht veranlasst, von ihrem Widerstreben Notiz zu nehmen. Sie waren der festen Überzeugung, jedes Mädchen müsste in sprudelndes Entzücken ausbrechen, erwiese man ihm die Ehre, dem Herrscher die Hand zum Bund fürs Leben reichen zu dürfen.“
„Ich begreife das nicht wirklich. In Megs Wesen existierte Unterwürfigkeit doch gar nicht. Es passte nicht zu ihr, demutsvoll ihr Schicksal anzunehmen, das ihre Eltern ihr bestimmt hatten“, sinnierte Cedric gedankenvoll. Beunruhigte Sorge und echtes Interesse an dem Schicksal ihrer Mutter zeichneten sich in seiner Miene ab und öffneten ihm letzte verschlossene Pforten in Kaelis Wesen, deren innige Zuneigung zu ihrer Familie sich in ihren ausdrucksvollen Augen spiegelte. Bei seiner Ablehnung mangelndes Rückgrat als Keim Anamegs Verhalten anzuerkennen, huschte ein wissendes Lächeln über Kaelis Züge.
„Eine Begründung mag ich aus den Erzählungen über die Vergangenheit meiner Mutter deuten, die ich ihres Wissens nach noch gar nicht kennen – geschweige denn wiedergeben sollte.
Glücklicherweise tratschen meine Schwestern oft genug, ohne meine Anwesenheit wahrzunehmen. Die Geschichte meiner Eltern ist dabei ihr Lieblingsthema.
Tatsächlich war, oder besser gesagt, ist mein Vater ein außerordentlich attraktiver Mann, und sie hatte sich, trotz aller Gegenwehr, immer mehr von ihm angezogen gefühlt.
Das Unbekannte an ihm war ihr wohl lediglich mahnende Warnung, aber kein endgültiges Hindernis.
Außerdem wich meine Mutter vor einer möglichen Gefahr niemals zurück, eliminierte sie lediglich.“
„Hat sie dieses Ziel erreicht? Die Gefahr entschärft?“
„Mein Vater bedeutete nie eine Gefahr für sie.“ Cedrics nachhakende Frage wurde fröhlich auflachend von dem Mädchen abgewunken. „Die Zeremonie ihrer Vermählung fand statt, sobald sie die Heimat im Meer erreicht hatte, und meine Mutter hielt ihren glanzvollen Einzug in den Meerespalast.
Mein Vater aber wahrte geduldig Distanz zu ihr und suchte nur selten ihre Nähe, wenn sie ihren Pflichten als Regenten entbunden waren. Sie erhielt auf diese Art die Gelegenheit, ihn ruhig kennenzulernen und seinem aufbrausenden Wesen mit zunehmender Sicherheit zu begegnen.
Er mag ein gebietender, Macht gewohnter, manchmal auch arroganter Mann mit Tendenz zur Selbstherrlichkeit sein, aber er ist ebenso ein sanfter Gemahl und zärtlicher Vater, der keine Scheu hat, seine Liebe zu zeigen.
Nachdem eine Verbindung mit dir, Cedric, sich meiner Mutter als endgültig unmöglich erwies, wandte sie ihr Herz endlich nach und nach meinem Vater zu, bis es sich ihm in Liebe ergab.“
„Meg und ich? Ich lernte sie in einer Zeit kennen, wo mir sogar der Gedanke an jedwede Verbindung verboten schien“, murmelte Cedric mehr zu sich selbst, fuhr dann aber, sich schnell besinnend, deutlicher und eindeutig wieder an Kaeli gerichtet fort.
„Ich bin sehr froh, dass sie glücklich in ihrer Vereinigung mit Sher-Qa geworden ist, so wie auch ich meine Liebe gefunden habe.“ Seine Finger umschlossen die feingliedrige Hand Mayas, und die Blicke der beiden tauchten einen Moment selbstvergessen ineinander.
Kaeli betrachtete das schöne Paar mit aufrichtigem Wohlgefallen. Diese beiden ästhetischen Gestalten strahlten Harmonie in jeder Ebene ihrer Persönlichkeit aus.
Ihre erste Vermutung zum Altersunterschied der beiden nach der Begegnung mit Maya kam ihr in den Sinn, und sie lachte vergnügt. Ihr eigener Irrtum, basierend auf fehlgeleiteter Schlussfolgerungen, belustigte sie nach wie vor. Als sie die forschenden Blicke der anderen bemerkte, verlieh sie diesen erklärende Worte.
„Ich habe dich immer als Jugendschwarm meiner Mutter betrachtet und daraus resultierend für viel älter als sie gehalten. Tatsächlich aber vermute ich, bist du im gleichen Alter mit ihr, vielleicht sogar einige Jahre jünger. Jetzt, in diesem Moment, sitze ich einem Mann in der Blüte seines Lebens gegenüber, und noch heute morgen war meine größte Angst, du wärst bereits in einem neuen Kreislauf Paxias.“
„Das hat noch lange Zeit – wie ich hoffe“, erklärte Cedric trocken, das leise Lachen Mayas an seiner Seite mit einem gutmütigen Knuff scherzhaft strafend. Sie blitzte ihn humorvoll an, bevor sie sich selbst an Kaeli wandte.
„Die Vergangenheit haben wir dann hoffentlich ausreichend aufgeholt, um Ceddys Ungeduld zu besänftigen und seine Wissbegier zu stillen.
Ich denke, wir alle sind dankbar, wenn wir uns endlich der Gegenwart widmen dürfen.
Willst du uns berichten, was dir passiert ist, Kaeli, dass deine Rückkehr in die Heimat dir keine Option ist?“
Kaeli nickte, erlöst, dass ihr detailliertere Ausführungen erspart blieben.
In der ungewohnten Entfernung zwischen ihr und ihren Angehörigen würde jedes weitere Eingehen auf einzelne Familienmitglieder bewegende Bilder vor ihr geistiges Auge projizieren, die quälend schmerzhaft in ihrer sehnsüchtigen Intensität sein würden.
Mit einem tiefen Zug leerte sie ihr Glas, linderte das ausgetrocknete Kratzen in ihrer Kehle und nahm freudig nickend das auffüllende Angebot Mayas an.
„Leider kann ich euch nur erzählen, wie meine Anwesenheit an Paxias Oberfläche entstanden ist, aber nichts zu der Ursache. Das Warum entzieht sich meiner Kenntnis“, schränkte sie den Inhalt ihrer kommenden Erlebnisschilderung ein und wartete auf ein Zeichen der Akzeptanz.
„Fehlendes Wissen bedarf keiner Ausführung. Mutmaßungen zu erörtern, ließe uns vom Kern abschweifen. Vielleicht schaffen wir zu einem späteren Zeitpunkt eine Plattform dafür“, meinte Maya einsichtsvoll und forderte Kaeli mit einer weisenden Geste auf, ihre eigentliche Geschichte zu beginnen.
„Ich befand mich auf dem Weg, eine junge Freundin zu treffen – eine Paxianerin, Cassia.
Das Meer erwies sich als widerspenstig und anstrengend in der tauchenden Fortbewegung an diesem Tag.
Ich schrieb dies meiner Aufregung über ein baldiges Ereignis zu und entfernte mich unbedacht und leichtsinnig meiner sicheren Heimat.
Früher als sonst bewegte ich mich deshalb an die Oberfläche, in der Hoffnung, dass mir das Schwimmen leichter fallen würde.
Dies erwies sich als entscheidender Fehler, denn das Meer nutzte meine schwache Position, um mich gewaltsam abzustoßen.
Nur einer glücklichen Schicksalsfügung ist es zu verdanken, dass ich nicht an den Klippen zerschellte oder von einer Steinspitze aufgespießt wurde.
Cassia und Saya fanden mich verletzt auf einem Felsen. Mit Cassias Unterstützung versorgte Saya meine Wunden, die sich als zahlreich aber wundersamerweise nicht verheerend erwiesen.
Meiner Macht beraubt stand ich dieser Verbannung gegenüber und besaß nichts als die Erinnerung an die Anweisung meiner Mutter, mich in einer Notlage an Cedric zu wenden, den Ratsvorsteher der Hauptstadt.
Auch Saya strebte nach Resus, und wir entschlossen uns, den Weg gemeinsam anzutreten.“
„Und nun seid ihr nach anstrengender Wanderung angekommen und habt endlich die Zielperson gefunden“, schloss Maya ergänzend ab.
„Was mich betrifft, so ist das richtig“, bestätigte Kaeli andeutungsweise und eindeutig zu offensiv für Sayas Erwartungen an einen taktvollen Übergang zu den Bedürfnissen der Gelehrten. Sie handelte sich ein schmerzhaft nachdrückliches Packen ihres Handgelenkes versteckt unter dem Tisch ein. Stumm zusammenzuckend, warf sie Saya einen vorwurfsvollen und gleichzeitig um Vergebung heischenden Blick zu, während sie sich die attackierte Stelle rieb.
Weder diese Drohgebärde noch ihre ungeschickte Äußerung schien von den Gastgebern registriert worden zu sein.
Eine fast greifbare Spannung war plötzlich zwischen ihnen entstanden.
Obwohl sie sich äußerlich lediglich nachdenklich ansahen, schienen sie eine nur für sie verständliche Zwiesprache zu führen.
Maya zuckte mit gezogenen Brauen wie abschließend die Schultern, worauf Cedric sich mit verschränkten Armen in seinem Stuhl zurücklehnte und die trübe Flüssigkeit des fruchtigen Getränks in seinem Glas sinnend fixierte.
„Was ist mit dem Rat? Gibt es da Auffälligkeiten?“, fragte Maya für Kaeli und Saya völlig zusammenhanglos. Langsam bewegte Cedric ablehnend den Kopf, auch seine Worte kamen sehr zögernd.
„Nein nichts. Zumindest haben die Ratsmitglieder in ihren Berichten nichts Vergleichbares erwähnt.“
Verständnislos blickte Kaeli von einem zum anderen, der Hintergrund dieses knappen Austausches befremdete sie in seiner Verschlossenheit. Aber sie wollte die Erwähnung des Rates auch nicht ungenutzt verstreichen lassen – selbst auf die Gefahr hin, völlig vom Thema abzuweichen.
„Der Rat ist schon sehr alt oder?“
„Die Historie des Rates ist in ihrem Ursprung nicht mehr nachvollziehbar, aber die derzeitige Komposition existiert erst 250 Jahre. Ich gehöre zu den neuen Gründern“, korrigierte Ceddy abwesend.
Bei diesen Worten richtete sich Saya einigermaßen überrascht und spannungsgeladen in ihrem Stuhl auf. Fragen, die der Bestätigung dunkler Ahnungen galten, hielt sie mühsam zurück in ihrer schwer zähmbaren Unruhe.
Und diesmal machte Kaeli keinen Fehler in dem Bestreben, den Fokus des Gespräches auf den Kern Sayas erwachten Interesses zu lenken.
„Mir scheint diese 250 eine auffallend mysteriöse Jahreszahl zu sein. Ich allein hatte sie an diesem Tag mehrfach im Mund – und nun ergeht es dir nicht anders.
Was ist eigentlich mit der Zeit vor diesen 250 Jahren?
Mir ist die Geschichte der Paxianer nicht sehr geläufig, aber über diesen Teil eurer Vergangenheit liegt etwas Undurchdringliches, wie die Trübheit aufgewühlten Wassers.
Es gibt Überlieferungen ferner Urzeit, die ausführlicher behandelt worden sind als das Kapitel Feluzios Schreckensherrschaft, obwohl viele Paxianer ihrem Alter nach diese miterlebt haben müssen – Maya und du eingeschlossen. Wahrscheinlich auch die anderen Mitglieder des Rates, der sich, wie du andeutetest, unmittelbar nach eurer Befreiung neu formiert hat.
Ich vermute, alle Beteiligten der aktuellen Ratsversammlung stammen aus dieser Ursprungsgruppierung.“
Bei der Erwähnung des Herrschers der Dämonen war Cedric merklich zusammengezuckt und sein Blick hatte den seiner Gemahlin mit offenkundiger Unsicherheit gesucht.
Doch deren Augen ruhten unverwandt auf einem anderen Objekt und überließen ihm die Entscheidung der Art und Komplexität seiner Antwort.
Seine Reaktion schließlich erfolgte verhalten, nur auf einen geringen Teil Kaelis Äußerungen eingehend.
„Du irrst dich, was deine letzte Bemerkung betrifft.
Ich bin einer von drei verbliebenen Gründern: Resus, Talonan und Soris. Alle anderen Städte und Dörfer entschieden sich damals, ihre Ältesten in den Rat zu entsenden. Diese sind bereits vor vielen Dekaden nach und nach verstorben.“
Triumph – ein passender Begriff, um Sayas Seelenzustand zu beschreiben.
Ein einziger konfrontierender Redefluss, zu mehr war Kaeli nicht genötigt gewesen, um die Eingrenzung auf kümmerliche drei Kandidaten zu erreichen.
Aus anerkennendem Respekt heraus nickte sie dem Mädchen leicht zu – gleichzeitig als Zeichen, ihre Forschungsarbeit zu beenden.
Nun oblag es ihr, die verbliebene Arbeit zu erledigen. Das Auffinden des Eingeweihten und dann, in endgültigem Besitz der erforderlichen Information, ihre Mission erfolgreich zu erfüllen.
Einzig die Wahl der Methode würde ihr einiges an Überwindung abringen.
Einen gänzlich Unbekannten oder einen Feind mit Folter und brutaler Gewalt zum Reden zu bringen, stellte sie vor kein nennenswertes Problem.
Einem Mann aber, der seine freundliche Hilfsbereitschaft mit einer unbekümmerten Selbstverständlichkeit unter Beweis gestellt hatte und ihr offenbar mit einem gewissen Vertrauen begegnete, physische Schmerzen zu bereiten und das mit ihrem Gewissen zu vereinbaren, war eine ganz andere Sache.
Entgegen ihrem Charakter, fühlte sie sich gezwungen auch diplomatischere Wege in Betracht zu ziehen. Da eine strategische Vorgehensweise unverändert fremdes Gebiet für ihr Wesen bedeutete, würde sie sich die Ruhe nehmen müssen, ihre Gedanken auf das Wie eben dieses Betretens unbekannten Terrains zu konzentrieren.
„Sagt, Saya, was ist es, das Euch hierher geführt hat? Eine Paxianerin seid Ihr sicher ebensowenig wie Kaeli.“
Überrumpelt von dem beiläufigen Einwurf Mayas, wandte die Gelehrte sich dieser unbedacht voll zu, ihre blinde Tarnung ein weiteres Mal schmählichst vergessend.
Maya lehnte über dem Tisch, ihr Kinn auf der Rückseite ihrer Hand abgestützt und musterte Saya mit einem hintergründigen Lächeln.
Verdammt, sie hatte die Weisheit der Paxianer eindeutig unterschätzt.
Ihre Unfähigkeit, diese Maskierung konstant aufrechzuerhalten, entwickelte sich in ein ernstzunehmendes Problem.
Sie bedeutete ihre eigene Glaubwürdigkeit und Sicherheit, aber auch die Sicherheit und Schonung ihres Gegenübers, da sie nicht die Absicht hatte, ihre Anwesenheit auf Paxia gleichbedeutend mit der Enthüllung der realen Existenz der Sagenwesen werden zu lassen.
Für die Zukunft musste ihr definitiv etwas anderes einfallen, was ihre Augen verbarg, ohne sie zwingend als erblindet zu kennzeichnen.
Oder alternativ, sie mied die Paxianer fernerhin.
Einzig einem ausgesprochen gut gesonnenem Schicksal war es zu verdanken, dass sie seit ihrem Reiseantritt nur wissenden Bewohnern dieser Welt in einer offenen Begegnung gegenübergestanden hatte.
Eine solche sollte diese nun wohl auch werden.
Mit einer entschlossenen Handbewegung streifte sie die Binde von ihren Augen und sah Maya an. Die sternleuchtenden Tiefen raubten der Paxianerin momentelang den Atem. Sprachlos fixierte sie das außergewöhnliche Lichtspiel. Helles Glitzern, flimmerndes Illuminieren und spiegelndes Schimmern durchbrachen das finstere Schwarz der Aufsehen erregenden Augen, bei denen Sclera, Iris und Pupille zu einer Einheit verschmolzen waren.
Saya nutzte die Fassungslosigkeit des paxianischen Paares – auch Cedric starrte sie gebannt an –, um Herrschaft über die Situation zu erlangen.
„Ihr habt recht, Maya, als Paxianerin kann man mich fürwahr nicht bezeichnen, in keiner Auslegung dieser Worte.
Ich bin eine Gelehrte vom Volk der Sternwächter.“
„Sternwächter! Auf diese Abstammung wäre ich niemals gekommen!“, rief Maya mit einer seltsamen Spur Erleichterung aus, um gleich darauf augenzwinkernd einzuschränken. „Zumal ich nicht allzu sehr über die Kinder Paxias bewandert bin und dementsprechend niemals etwas von Eurem Volk vernommen oder gelesen habe.“
„Eine nicht unbekannte, sich gern wiederholende Variable meines Daseins auf dieser Welt“, kommentierte Saya in murmelndem Selbstgespräch.
Kaeli lachte fröhlich auf, natürlich war ihr weder der Inhalt noch der Sinn dieser Bemerkung entgangen. „Kein Grund zur Sorge, Maya, mir erging es bei meiner ersten Begegnung mit Saya nicht anders.“
„Sorge? Die hat sich gerade buchstäblich in Luft aufgelöst“, erklärte Maya ausgelassen und tauschte einen verständnisinnigen Blick mit Cedric. „Seit Eurer Ankunft wurde ich den Verdacht nicht los, Ihr seid ein Dämon aus dem Reich der Finsternis.“
„In der Tat, die Ähnlichkeit ist verblüffend – verleugne man diese Augen“, bestätigte Cedric ernst.
„Dämon? Finsternis?“, entfuhr es Saya, ungläubig in die Runde blickend. Auch Kaeli setzte sich gespannt auf, unverhohlenes Staunen in der Miene.
„Was wisst ihr über das Volk der Finsternis?“
„Volk?“ Maya lachte kurz in schlecht verborgener Bitterkeit. „Von einem Volk kann man in diesem Zusammenhang wahrlich nicht sprechen. Eher von einer Heerschar böswilliger Geister, die nach geschwächten Opfern lechzen. Ihr Dasein der hemmungslos gierigen Suche nach possessivem Besitz gewidmet und der ihr vorhergehenden Überwältigung des Willens ihrer ewigen Herrin.“
„Das klingt, als wäret ihr in die zweifelhafte Ehre geraten, Bekanntschaft mit diesen Kreaturen geschlossen zu haben.“ Die erregten Worte Kaelis waren mehr Feststellung als Frage. Aber weder sie noch Saya reagierten wirklich verblüfft auf das grimmige Nicken der schönen Frau. Diese Heimstatt der beiden Paxianer entwickelte sich mehr und mehr zu einem Haus der enthüllenden Wunder.
Es offenbarte sich als ein Ort, an dem die Schicksalsfäden der Reisegefährtinnen nicht nur zusammenlaufen sollten, sondern regelrecht miteinander verwoben wurden, was sie vorerst mit einer passiven Starre duldeten – ungewiss ihrer Zukunft harrend.
Und jede Aussage in Mayas Erzählung bedeutete ein weiterer Schritt in dieses Dunkel, das sich undurchdringlich vor ihnen auftat.
Während Saya allerdings in erwartungsvoller Bereitwilligkeit eintauchte, einzig ihre Mission im Auge, in dem Bestreben, Wissen und Aufklärung zu finden, empfand Kaeli den verschlingenden Sog beängstigend, in den sie hilflos hineingezogen zu werden drohte.
Für sie gab es noch keine erkennbaren Zusammenhänge, ihr erschien die gesamte Situation, nach wie vor, als einziges, überwältigendes Chaos.
„Mehr als das. Uns ist die unzweifelhafte Ehre zuteil geworden, ihnen im Kampf gegenübergestanden zu haben.“
„Ihr wart das? Ihr habt Paxia von der Dämonenherrschaft befreit? Im Heer der Herrscherin der Dämonen?“ Erregt über die mögliche Tatsache, das in den Aufenthaltsort der Herrscherin der Dämonen eingeweihte Ratsmitglied unmittelbar vor sich zu haben, ohne bisher wirklich aktiv gewesen zu sein, ließ Saya ihre streng auferlegte Zurückhaltung vergessen und sich erstmals selbst an die beiden wenden.
Eine Realität, die fast zu schön wäre, um wahr zu sein. Zu leicht, im Rückblick auf ihren hindernisüberwucherten Weg.
Und doch …
„Heer?“ Maya und Cedric blinzelten sich schmunzelnd zu.
„Es existierte kein Heer. Nur wir, ein paar wenige Verbündete und eine geduldige Strategie. Der Krieg hat Jahre gedauert.“
„Allein ich bin im Krieg geboren und erwachsen geworden“, ergänzte Cedric Mayas vage Ausführung.
„Die Überlieferungen sprechen von Elfen als Alliierte der Dämonenherrscherin. Keine Erwähnung von Paxianern, außer einem Ratsmitglied, welches Kenntnis ihres Verbleibs hat“, murmelte Saya, konsterniert über diese gänzlich neue Nachricht und der damit verbundenen Feststellung, dass die Schriftrollen ihres Volkes bezüglich dieses historischen Ereignisses nicht nur nebulös, unklar formuliert und lakonisch waren, sondern auch inhaltlich falsch.
Ihr Monolog entging den anderen natürlich nicht.
„Diesem Ratsmitglied sitzt Ihr gegenüber, Saya“, erklärte Cedric ruhig und musterte die Gelehrte ob der Wirkung.
Saya kämpfte den Drang in sich nieder, aufzuspringen, um ihrer emporstürmenden Emotionen mit physischer Bewegung Herr zu werden.
Dennoch – ihr instinktiver Aktionismus brach sich unbarmherzig seinen Weg.
„Ihr wisst also wirklich, wo ich die Herrscherin der Dämonen finden kann?“
Bevor Cedric reagieren konnte, legte seine Gemahlin ihre Hand mahnend auf seinen Arm und sah Saya in forschendem Ernst an.
„Ich hoffe, Ihr versteht, Saya, dass wir Euch darauf vorerst die Antwort schuldig bleiben. Wir sind Sanjo in loyaler Freundschaft verbunden und werden alles tun, Schaden an ihr zu vermeiden.“
„Sanjo?“, hakte Kaeli verständnislos nach – und beteiligte sich somit wieder an der gegenwärtigen Unterhaltung.
„Die Herrscherin der Dämonen hat einen Namen, wir bevorzugen dessen Verwendung.“ Verächtliche Abneigung schwang in Mayas Stimme bei der Erwähnung des Titels mit.
Wesentlich freundlicher, aber mit unnachgiebiger Entschlossenheit fuhr sie dann, an Saya gerichtet, wieder fort.
„Ihr werdet uns Eure Motive verraten müssen. Erst danach entscheiden wir, ob wir ein Treffen unterstützen wollen und Euch den Weg zu ihr weisen.“
Ein aggressives Glitzern erschien in Sayas Augen, begann ein funkelndes Duell mit dem unbeirrbaren Blick Mayas, der einen gefestigten, mutigen Charakter bewies.
Unwillig, den Frieden zwischen ihnen abrupt zu beenden, gab Saya vorerst nach. Sie respektierte die Begründung mit der ihre Forderung vorerst abgelehnt worden war.
Mit ihrer Kapitulation atmete Kaeli hörbar auf und entspannte sich. Die Unberechenbarkeit in den Handlungen und im Temperament der Gelehrten ließ ihre Sorge aber nur teilweise schwinden. Auch wenn sie im festen Glauben war, dass die Wächterin die beiden Paxianer auf ihre Art achtete.
Weitaus weniger wortkarg als Saya, unterstützte und ergänzte sie dann bereitwillig die Geschichte dieser, verbunden mit den Geschehnissen der vergangenen Monate.
Weder Maya noch Cedric zeigten sich sonderlich beeindruckt, wenn auch erwartungsgemäß aufmerksam und interessiert.
„Das erklärt endlich das erstaunlich idyllische Wetter unmittelbar nach den Naturkatastrophen, die erhebliche Schäden und zu betrauernde Verluste verursacht haben. Wie eine Art Wiedergutmachung nach begangenem Unrecht“, war Cedrics treffender Kommentar.
Auf ihre Mission kam Saya erst nach der Schilderung aller bekannten Naturkatastrophen zu sprechen.
„Die letzte Versammlung meines Volkes kannte nur ein Thema: Die Ursache und ihre Beseitigung.
Wir überlegten, wer über die Macht – und auch die Bösartigkeit – verfügte, aus dem Nichts heraus die Sterne zu beseitigen. Und dabei war einzig die Rede von Feluzio, dem Herrscher der Dämonen.
Er jedoch ist besiegt und vernichtet worden – von seiner eigenen Tochter. Das gab den hohlköpfigen Banausen unter den Mitgliedern der Wächter natürlich Anlass zu verurteilenden Anschuldigungen. Sofort planten sie eine blutrünstige Beseitigung der Herrscherin der Dämonen.
Erst mein Einwand, dass sie das ewige Leben ihr eigen nennt, brachte den Tumult zum Stillstand.
Nach einigen Überlegungen akzeptierten sie meine Theorie, die Herrscherin der Dämonen habe ihren Vater getötet, um Paxia von seiner Eroberungssucht zu befreien und somit als potentielle Verbündete anzuerkennen.
Ich bin nun auf dieser Welt in der Funktion einer Gesandten, mit dem Vorhaben, ihre Hilfe zu ersuchen. Ich hoffe, ihre Weisheit bringt uns einen Schritt näher an die Entschlüsselung des Rätsels um Paxias schleichendes Ungleichgewicht.“
Schweigend, mit ausdrucksstark wechselndem Mienenspiel, hatten Cedric und Maya den ungewohnt langen und ausführlichen Bericht der Gelehrten verfolgt. Maya verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Die Augen zum Fenster gerichtet, überließ sie sich ihren abwägenden Gedanken.
Cedric hielt seine Überlegungen weniger geheim.
„Unsterblich – das mag Sanjo sein, aber unbesiegbar ist sie nicht.“
„Wie meint Ihr das?“, begehrte Saya zu wissen, noch bevor er ausgeredet hatte.
„Ich glaube, ich muss Euer Wissen über Sanjo grundlegend ergänzen, um mir mit meinem Appell an Euer Verständnis Erfolg versprechen zu können.
Nehmt es als Basis für den Charakter des herrschenden Sagenwesens über die Dämonen der Finsternis.“ Maya schloss die Augen. Ein Bild der Regentin schien hinter ihren Lidern Gestalt anzunehmen.
„Sanjo, wie ich sie kenne, besitzt eine innere Stärke, die ihresgleichen sucht.
Aber diese Sanjo lebt seit langen Jahren nicht mehr – seit sie den Platz ihres Vaters eingenommen hat.
In jedem Moment ihrer Existenz, im Angesicht der Unsterblichkeit, unterliegt sie heimtückischen Anfechtungen, bannenden Verlockungen und gefährlichen Versuchungen, die sie an den Rand des Abgrundes des Bösen führen.
Ein gieriger, unersättlicher Schlund, der erlösende Befreiung aller negativen Gewissensregungen verspricht – ergäbe sie sich einer einzigen schwachen Regung.
Ihre Widerstandskraft bezieht sie aus einer Quelle, die sich meist an ihrer Seite und immer in ihrer Nähe aufhält.
Meine Sorge gilt nun den Konsequenzen eines Treffens mit Euch, Saya, denn Euer kriegerischer Geist ist von einer Wildheit, die sich sicher nicht in Unterdrückung zwingen lässt.
Ich weiß nicht, ob Eure Anwesenheit allein nicht schon zu einer Störung des Gleichgewichtes Sanjos Wesens führen könnte.
Eure gewaltbereite Aura ist sehr ausgeprägt. Für Euch bedeutet jeder Kampf eine Genugtuung.
Ich kann Euch versichern, wenn ich das bereits wahrnehme, wird es für Sanjos Sensitivität greifbare Materie sein.
Nahrung für die machtbesessenen Dämonen unter ihr.
Ablehnen kann und will ich Euer einleuchtendes Streben aber auch noch nicht.
Ein Scheitern Eurer vielleicht über Paxias Leben entscheidenden Mission sollte nicht durch meinen Starrsinn verursacht werden.
Ich bitte Euch lediglich um einen weiteren Tag, an dem ich eine Entscheidung in überlegter Ruhe finde.
Ihr seid natürlich eingeladen, unser Gast zu bleiben.
Lehne ich dann weiterhin die Preisgabe Sanjos Wohnstätte ab, habt Ihr immer noch ausreichend Möglichkeit, Eurer augenblicklichen Neigung nachzugeben und Euch in einem Zweikampf mein Geheimnis zu ertrotzen.
Grausame Foltermethoden, die ich, in Anbetracht der Anwesenheit eines jungen Mädchens, nicht beschreibend erläutern werde, haben mich niemals zum widerwilligen Sprechen veranlasst. Angst vor dem Tod kenne ich ebensowenig wie die Flucht vor unerträglichen Schmerzen. Meine Narben sind mir stets Erinnerung und Beweis.
Ein vergebliches Unterfangen also, wie ich garantiere, wenn auch sicher befriedigender für Euch als der Zwang abzuwarten.“ Mit einem leisen Schnappen öffnete Maya den Riemen ihres rechten Armschoners und löste ihn von ihrem Unterarm. Demonstrativ legte sie ihn auf den Tisch und gab den Blick auf eine verblasste, aber ausgeprägte und lange Narbe frei, die von einer bedrohlichen Verletzung und ebenso schwierigen Wundheilung berichtete.
Die eindringlichen, überzeugten Worte der Paxianerin brachten Sayas zorniges Aufbegehren zum Verstummen. Mayas Fähigkeit, ihre Wesensart, Neigungen und Reaktionen einzuschätzen, identifizierte sie als die talentierte und siegreiche Kämpferin, die sie in jungen Jahren gewesen sein musste.
Auch Cedric machte keinerlei Eindruck, seiner Gemahlin darin nachzustehen, wie die aufrechte Haltung, mit der er ihrem Blick unerschütterlich begegnete, zeigte.
„Ich warte bis Einbruch der Dunkelheit morgen“, bestätigte Saya schließlich zähneknirschend die Frist. Eine weitere Verzögerung, die sie akzeptieren musste.
Angesichts des Wissens, welches Maya und ihr Gemahl ihr als Zeitzeugen und Beteiligte einer finsteren Epoche Paxias Historie boten, würde sie diesen Verlust allerdings wesentlich leichter verschmerzen.
„Wunderbar.“ Das täuschend unbeschwerte Lächeln verschönte Mayas Züge und brachte ihre herzliche Ausstrahlung zurück.
Wer hätte gedacht, welch ehernes Wesen wirklich in der zierlichen Frau steckte?
Kaelis Staunen wandelte sich in ehrfürchtige Bewunderung bei der Konfrontation mit Sayas Kapitulation, die in Maya eine wahre Meisterin gemeinsamer Disziplinen gefunden hatte.
In der entstandenen friedlichen Stille erhob Cedric sich vom Tisch und begann die Kerzen in dem saalartigen Raum zu entzünden. Erst jetzt bemerkte Kaeli die nächtliche Schwärze des Horizontes. Stunden mussten seit dem Kennenlernen des Ratsvorsitzenden vergangen sein. Und eine Fülle neuer Erkenntnisse galt es, einzuordnen und zu verarbeiten.
Die stillsitzende, fremde Haltung dabei nicht länger ertragen könnend, stand auch sie auf und bewegte sich erleichtert umher.
Nun war sie bereit, ihre Umgebung bewusster wahrzunehmen. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf den größten Wandvorhang über dem Marmorkamin, vor dem zwei bequem gepolsterte, hölzerne Schaukelstühle platziert waren und der von einem hohen, gefüllten Bücherregal flankiert wurde.
Ein dichtbewachsener Laubwald bildete den Hintergrund des kunstvollen Motivs auf dem Vorhang. Eine blonde Elfe, in fast lebensgroßer Darstellung, richtete ihren gespannten Bogen auf den Betrachter. Über ihr im Baum hing eine schmale, unkenntlich vermummte Gestalt mit gezückten Wurfmessern. Ein etwas kräftigeres vergleichbares Wesen hockte zum Sprung bereit auf dem Boden – hinter ihm ein hochgewachsener, aufrechter Mann, der sich gelassen auf seinen Kampfstab stützte. Zwei weitere Männer, die mit Schwertern bewaffnet waren, lehnten Seite an Seite an einem breiten Baumstamm. Der etwas kleinere, sehnigere wies verblüffende Übereinstimmungen mit Cedrics Zügen auf.
Maya war leise neben sie getreten. Ihren Blick auf den gleichen Fokus gerichtet, spürte sie Kaelis wachsende Überraschung.
„Du vermutest richtig. Das sind wir vor über 250 Jahren. Unsere Freunde, unsere siegreiche Gruppe. Auf dem Boden findest du mich. Sanjo ist die andere Maskierte.“
„Sechs? Ihr habt eine gesamte Armee besiegt?“
Maya und Cedric lachten fröhlich unter den fassungslosen Mienen der beiden Gäste auf. Cedric legte Kaeli freundschaftlich die Hände auf die Schultern.
„Wir waren eben hervorragende Strategen.“
„Und mahnten uns gegenseitig immer wieder zur Geduld“, Maya zwinkerte belustigt über die Erinnerung an die wenigen glücklichen Momente des Krieges.
Mit wachsendem Interesse betrachtete Kaeli auch die anderen Vorhänge und Läufer, die ausnahmslos durch ähnliche Abbildungen geprägt waren: Viel Wald und immer wieder verschiedene Kombinationen der Gefährten in Stadien aktiver Kampfbereitschaft.
Ihre Finger strichen geistesabwesend über die Lehne des Schaukelstuhles, folgten den Konturen eines detailgetreu geschnitzten Waldtierchens. Beeindruckt wanderten die Augen des Meereswesens über die Blätter und Waldtiere, die jedes Holzstück des Raumes zu verzieren schienen.
„Geschenke des Elfenvolkes“, erklärte Cedric, dem ihr bewunderndes Staunen nicht entgangen war. „Ich habe mein gesamtes Leben, vom Zeitpunkt kurz nach meiner Geburt bis zum Ende des Krieges, im Wald bei den Elfen verbracht, und Maya ist am Rande eines solchen aufgewachsen.
Nachdem wir an diesen Ort ziehen mussten, um den Rat wieder aufzubauen, haben sie uns mit selbst angefertigten Möbeln, Teppichen und Vorhängen reich beschenkt – auch unser Garten wurde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von ihnen gestaltet, damit wir uns unserer ursprünglichen Heimat stets erinnern und in dieser eine neue finden konnten.“
„Das ist … ich finde …“ Kaeli suchte verzweifelt nach passenden Worten, um ihre Bewegung auszudrücken. Hilflos gestikulierte sie ihre Sprachlosigkeit.
Maya legte verständnisvoll einen Arm um das junge Mädchen.
„Du bist überwältigt – wahrscheinlich zu viele Ereignisse, Emotionen und Informationen auf einmal. Ich denke, wir sollten Rücksicht üben und dieses Thema für heute beenden.“
Dankbar nickte Kaeli, auch Saya widersprach nicht.
„Ich hoffe, ihr nehmt es mir nicht übel und haltet mich nicht für unhöflich, wenn ich mich an dieser Stelle verabschiede. Der Tag im Rat war anstrengend und morgen wird es mir nicht wesentlich besser ergehen. Ich brauche Schlaf.“ Cedric verneigte sich vor Kaeli und Saya. Seine Gemahlin zog er liebevoll in die Arme.
„Ich vermute, auf deine Anwesenheit verzichten zu müssen.“ Der humorvolle Kommentar entlockte Maya ein leises Lachen. Sie umfasste seinen Nacken und zog ihn zu einem sanften Kuss an ihren Mund. Dann entfernte Cedric sich und ließ die drei ein wenig unschlüssig zurück.
Ganz gewandte Gastgeberin, ergriff abermals Maya die Initiative.
„Wahrscheinlich empfindet ihr keinerlei Bedürfnis, euch zur Ruhe zu begeben?
Betrachte ich eure Herkunft, gehe ich sicher nicht fehl in der Annahme, dass eure Fortbewegung bei Dunkelheit weniger dem Bestreben, euch zu verbergen entsprang, als vielmehr Nachtaktivität resultierend aus Lichtempfindlichkeit.“
„Beschränkt seid Ihr nicht, Maya, das gebe ich zu.“ Auf diese schlichte, widerwillige Feststellung der Sternwächterin lachte die Angesprochene hell auf. Sayas Art bereitete ihr sichtlich Vergnügen. Vergleichbar mit Kaeli, stieß sie auf wenig Schwierigkeiten, das Wesen als solches anzunehmen, was es nun einmal war: Offensiv und martialisch.
„Ich nehme das als Kompliment.“
„Du wirst doch sicher auch erschöpft sein, Maya. Willst du nicht ebenfalls dein Gemach aufsuchen?“, wandte Kaeli taktvoll ein. Gerade bei dem paxianischen Volk bedeutete Schlafmangel ein erhöhtes Gesundheitsrisiko, wie sie wusste. Das verdiente Maya in ihrer Hilfsbereitschaft und Warmherzigkeit wirklich nicht.
Zu ihrem Erstaunen beteiligte sich Saya – wenn auch merklich ungeschickter – ebenfalls an ihrer rücksichtsvollen Sorge. Ihre Aufforderung war klar formuliert, bar überflüssiger Manieren.
„Begebt Eure Knochen auf Eure Schlafstätte, Paxianerin.
Ihr habt eine wichtige Entscheidung zu fällen, und je ausgeruhter der Körper, desto vernunftbegabter der Verstand. Da ein Resultat zu meinen Gunsten die stärkste Logik beinhaltet, ist es in meinem Sinn, Euch so erfrischt wie möglich zu wissen.
Ich werde mich für eine Trainingseinheit auf die Felder außerhalb der Stadt begeben, zumindest bis Sonnenaufgang.
Um Kaeli braucht Ihr Euch keine Gedanken zu machen, ich nehme sie mit mir. Ihren mickrigen Muskeln wird ein wenig schweißtreibende Arbeit nicht schaden.“
„Ich glaube nicht, dass ich wissen will, was du damit meinst.“ In komisch entsetzter Hilflosigkeit, verzog das junge Mädchen das Gesicht.
„Ihr müsst mich für reichlich gebrechlich halten, dass mich eine durchwachte Nacht aus dem Rhythmus werfen könnte.
Das ist absolut nicht der Fall.
Wenn ihr also nichts dagegen habt, bevorzuge ich mich euch anzuschließen.
Wahrscheinlich findet Ihr in mir eine würdigere Übungsgegnerin, mindestens aber eine erfahrenere als Kaeli.“ Herausfordernd hob Maya ihr Kinn und stellte sich dem durchdringenden Blick der Gelehrten.
Die Andeutung eines Lächelns über Mayas Empörung erschien in Sayas Zügen, und sie neigte leicht den Kopf.
„Wie es Euch gefällt.“
Es würde sich herausstellen, ob die Entrüstung der Paxianerin über eine Ausgrenzung gerechtfertigt war.
Auch Kaeli zeigte sich beleidigt.
„Na, so ungeübt, wie du annimmst, bin ich nicht, Saya. Routine habe ich nicht, das gebe ich zu, aber ich bin geschickt im Umgang mit der Harpune.“
„Zielen und werfen, hoffentlich auch treffen. Das ist immerhin ein Lichtblick.
Doch wie steht es mit Wendigkeit, Ausdauer und Kraft?
Bei diesen Attributen setze ich auf mangelhaft.“
„Und wenn schon, das ist alles temporär bedingt und ausbaufähig“, konterte Kaeli unbeirrt. Ihre Hartnäckigkeit amüsierte Maya wie Saya, und sie tauschten einen abschätzenden Blick – beide mit hochgezogenen Brauen. Schließlich legte Maya ihren Arm besänftigend um Kaelis Schultern und brachte die abwertende Diskussion zu einem offenen Ende.
„Ich bin sehr interessiert das herauszufinden.
Folgt mir, ich bringe euch in unseren Waffenraum. Da könnt ihr euch etwas Geeigneteres anziehen und eure Werkzeuge wählen.“
„Waffenraum?“, erstaunten sich Saya und Kaeli wie aus einem Mund, was die Paxianerin mit einem Achselzucken abtat.
„Natürlich. Denkt ihr, wir haben unsere Vergangenheit einfach entsorgt?
Der Krieg war zu prägsam und hat zu viele Jahre unseres Lebens gedauert, zu viele Opfer gefordert, um diese Option in den Bereich des Möglichen gebracht zu haben.
Ceddy und ich sind in ihm zu Kämpfern geworden. Ein Teil von uns wird dies bis zum Ende bleiben.“
Mit einer Hand schob Maya den längsten Wandvorhang beiseite, während sie mit der anderen eine Kette von ihrem Hals löste.
Eine im Stein versteckte Tür kam zum Vorschein, die sie mit dem Schlüssel an der silbernen Kette öffnete.
Gemeinsam schritten sie die nun zugängliche schmale Treppe in die Kellergewölbe des Hauses hinunter.
Ein beeindruckter Laut entfloh Kaelis Lippen, noch bevor Maya die Kerzen entzündet hatte.
Sie standen im Zentrum einer achteckigen Halle, deren grobe Steinwände unzählige Waffen aller Art fassten. Eine gläserne Vitrine war mit einer stattlichen Auswahl passender Munition bestückt. Vor einem geräumigen Holzschrank stand eine Art Umkleidebank, mit Haken oberhalb der Lehne zum Aufhängen von Kleidungsstücken.
Der perfekte Ort für Saya. Ganz in ihrem Element, begutachtete sie mit steigender Begeisterung die wertvolle Sammlung – ohne sie vorerst anzurühren.
„Ihr wollt mir wirklich erzählen, die Führung aller ausgestellten Materie zu beherrschen?“ Der deutliche Zweifel in Sayas Stimme war unüberhörbar.
Maya, die mit dem Schrankinhalt beschäftigt war, zeigte sich nicht brüskiert. Im Gegenteil.
„Ihr schmeichelt mir, Saya, dass Ihr das Unmögliche in Erwägung gezogen habt. Natürlich habe ich meine Fähigkeiten in der Waffenkunst niemals zur Vollendung bringen können.
Was ich aber ehrlichen Gewissens von mir behaupten kann, ist, dass ich für alles Verwendung finde, was die Luft durchschneidet – Treffsicherheit als voraussetzende Basis.
Meine persönlichen Favoriten sind Dolche und Wurfsterne. Im Krieg haben diese mir die besten Dienste geleistet.“
„Bei dieser Kampfkunst habt Ihr mir etwas voraus“, gab Saya ungewöhnlich offen zu. „Ich bin nur im Nahkampf ausgebildet. Bei den Dolchen halte ich sicher mit, aber im Schleudern liegt keine meiner Stärken. Sie findet keine Anwendung in meiner Heimat.“
„Ich gestehe, Ihr weckt mit jedem Wort meine Neugier. Ich kann kaum erwarten herauszufinden, wie viel Können wirklich in Euch steckt.“
„Mir ergeht es ähnlich, Maya, doch bedenkt, dass Ihr in der Dunkelheit mit Eurem schwachen Sehvermögen im klaren Nachteil seid.“
Amüsiert blitzten die Augen der Paxianerin, während sie ein Stoffbündel in Sayas Arme warf. Ein weiteres landete leise raschelnd an Kaelis Brust.
„Ihr solltet Euch keine Gedanken über dieses Thema machen. Nacht und Finsternis waren mir in Kriegszeiten wertvollster Schutz und Verbündeter.
Ich weiß meine beschränkten Sinne ausreichend zu kompensieren, um dieses Defizit zu eliminieren.“
„Ich wollte auch nur vermeiden, dass Ihr hinterher behauptet, ich hätte Euch nicht gewarnt.“
„Das würde ich nicht“, erklärte Maya ruhig.
Saya glaubte ihr ohne weiteren Beweis und widmete sich nun mit einiger Neugier den Kleidungsstücken, die die Paxianerin ihr überlassen hatte.
Sie bestanden ganz schlicht nur aus einer nachtblauen, weit geschnittenen Hose, einem gleichfarbigen, losen Pullover und einigen silbergrauen Tüchern – alles aus leichtem, weichen Stoff gefertigt.
Saya erfasste sofort anerkennend die Eigenschaften Tarnung und Bewegungsfreiheit und vertauschte ihre Sachen mit den überlassenen. Dabei imitierte sie Mayas Technik, die Tücher straff um Fußgelenke, Beine, Taille und quer über die Brust um eine Schulter zu wickeln. Es waren perfekte Aufbewahrungsorte und Verstecke für Munition und kleinere Waffen wie Dolche.
Kaeli verweilte unschlüssig beobachtend neben den beiden Frauen.
Ihr Verstand konfrontierte sie zunehmend bewusster mit dem Gedanken, dass es an reinen Wahnsinn grenzte, sich auf einen Kampf mit diesen beiden erfahrenen – und offensichtlich auch begeisterten – Kriegerinnen einzulassen. Selbst wenn es nur zu Trainingszwecken wäre.
Leider aber war ihr Mundwerk wieder einmal schneller gewesen als ihr Kopf und zwang sie zum Handeln, um nicht wie ein elender Feigling dazustehen. Was ihr wahrscheinlich noch mehr zum Nachteil gereichen würde, im Angesicht Sayas Verachtung für eben jenen Charakterzug.
Mit einem ergebenen Seufzen in die Vorstellung, den nächsten Morgen mit zahlreichen neuen Blessuren, Schnittwunden und blauen Flecken zu erleben, entledigte sie sich endlich ihres Kleides.
Maya, die die Stofffalten ihrer Tücher gerade mit ihrem gewohnten Arsenal ausrüstete, erstarrte mitten in der Bewegung, als sie die halbnackte Gestalt Kaelis in Augenschein nahm.
„Weiße Bandagen der Unschuld!“
Hellhörig, wenn auch nur mäßig interessiert, wandte Saya kurz den Blick von dem gebogenen Kurzschwert, das erstaunlich leicht und griffig in der Hand lag, zu dem Meereswesen. Der Sinn Mayas Ausrufes war ihr fremd, nicht aber die Emotion, die an ungläubige Fassungslosigkeit grenzte.
Mit verlegen geröteten Wangen beeilte Kaeli sich, die paxianische Kleidung bedeckend überzuziehen. Dennoch entging sie in keinster Weise Mayas nachhakender Neugierde.
„Mein Augenlicht muss getrübt sein. Nie bin ich in meiner Einschätzung so fehlgeleitet gewesen.
Dein Erscheinungsbild täuscht verblüffend, Kaeli, also steht in dir tatsächlich ein Kind vor mir.
War deine Fruchtbarkeitszeremonie schon geplant? Sicher kann es nicht mehr lange hin sein oder?“
Ein trauriger und wehmütiger Ausdruck prägte die Miene des jungen Mädchens bei der Erinnerung an das freudige Ereignis ihr zu Ehren – von allen Kindern auf Paxia mit Spannung erwartet. Ihre Antwort erfolgte dementsprechend in müder Lakonie.
„Gestern.“
„Fruchtbarkeitszeremonie?“ Noch bevor Maya ihrer erschrockenen Bestürzung Luft machen konnte, unterbrach Sayas Wissen suchende Frage den Dialog über dieses ihr seltsam anmutende, unbekannte Thema. Ihr Forschergeist, welches Ritual eine solche Gefühlsspanne verursachen konnte, war geweckt.
„Erklär es ihr“, bat Kaeli die Paxianerin. Als ehemalige Beteiligte vermochte sie Zweck und Inhalt dieses uralten Brauchtums wesentlich besser zu erläutern, zumal Kaeli selbst nur Vorstellungen und verträumte Fantasiegebilde des prägenden Ereignisses hatte, welches bis zum feierlichen Tag von allen Kindern ferngehalten wurde. Selbst die Vorbereitungen lieferten nur schwammige Informationen, ohne etwas Greifbares zu hinterlassen.
Ein Grund mehr, die Ohren aufnahmebereit zu spitzen, als Maya bereitwillig mit der Erläuterung begann.
„Mit sechzehn Jahren ist ein Mädchen das erste Mal in ihrem Leben empfangsbereit und ein Junge zeugungsfähig.
An diesem Geburtstag wird ein besonderes Fest begangen: Der Abschied von der Kindheit und die Aufnahme in die Welt der Erwachsenen.
Die Zelebrierung der Fruchtbarkeitszeremonie bildet dabei den Beginn.
In Kaelis Fall würden sich die Frauen ihrer Familie mit ihr zurückziehen und über die geschlechtlichen Interaktionen von Mann und Frau aufklären. Sie würde im wahrsten Sinne des Wortes in alles eingeweiht, was zwischen einem Paar passiert, welches sich körperlich näher als eine Handbreit kommt.
Nach den meist sehr detaillierten, bildhaften Beschreibungen entkleidet sich das Mädchen, reinigt sich als symbolische Läuterung von den anrüchigen Eindrücken und wird mit farbiger Unterwäsche ausgestattet.
Zum Abschluss des Rituals trägt sie die Bandagen der Unschuld in den Kreis aller Versammelten und zerstört sie.
Diese Handlung kennzeichnet ihre Bereitschaft, einen Gefährten zu nehmen.“
„Faszinierend“, murmelte Saya, die enttäuscht und verständnislos wirkende Kaeli musternd. Im Gegensatz zu der Gelehrten, schien dieser Mayas Belehrung unzureichend in der mangelhaften Ausführlichkeit.
„Ein weiterer Beweis, wie wenig mein Volk mit den anderen Kindern Paxias gemein hat.“
„Wie meinst du das? Wie wird man in deinem Reich erwachsen ohne Fruchtbarkeitszeremonie?“, begehrte Kaeli zu wissen, hoffend, die Wächterin in den entscheidenden Einzelheiten weniger verschwiegen zu finden als Maya.
„Mit Fertilität hat dies jedenfalls nichts zu tun. Eine Aufklärung in eurem Sinne existiert ebensowenig, dafür ist diese Materie schlicht zu untergeordnet.
In diesem Punkt sind unsere Völker wahrlich nicht zu vergleichen.
Prinzipiell unterscheiden wir nicht einmal zwischen Kind und Erwachsenen.
Sobald ein Halbwüchsiger lesen beziehungsweise ein Schwert führen kann, wird er der Rangordnung entsprechend anerkannt und darf seinen Platz im Rat einnehmen.“ Zu tiefergehenden Formulierungen war Saya nicht bereit. Die Lebensart ihres Volkes unterschied sich so grundlegend von jener der anderen paxianischen Reiche, dass es aufreibende, zeitintensive Belehrungen sein mussten, um sie Fremden wenigstens minimal verständlich nahezubringen.
Sie war Gelehrte – keine Lehrmeisterin.
Abermals in ihrem Interesse unbefriedigt, wandte sich Kaeli wieder der Paxianerin zu, die sie mit einem wissenden Lächeln beobachtet hatte.
„Wenn es dein Wunsch ist und du gezwungen bist, länger bei uns zu verweilen, richte ich gern die Einweihung für dich aus. Ich verstehe durchaus, dass du ungeduldig bist, alles zu erfahren.“
„Wirklich?“ Ein Strahlen erhellte das Gesicht des Mädchens, ihre Augen schillerten erregt. „Liegt deine letzte geleitete Zeremonie schon lange zurück?“
„Diese Ehre ist mir nie zuteil geworden, da ich keine Kinder habe“, erklärte Maya mit ausdrucksloser Kälte, dass sowohl Kaeli als auch Saya mit einigem Entsetzen die schöne Gestalt der Frau fixierten. Als die Paxianerin dessen gewahr wurde, milderte sich der harte Ausdruck ihrer Miene, wenn auch nicht der ihrer Augen.
„Feluzios Dämonen besaßen bedauerlicherweise Kenntnisse über einige Foltermethoden, die mich der Fähigkeit zur Empfängnis beraubten. Entscheidende Organe wurde mir entrissen oder irreparabel beschädigt.“
Was Kaeli an Mayas Worten nicht wirklich begriff, ließ Saya ob dieser Grausamkeit schaudern. Torturen solcher Art waren Sinnbilder der Feigheit und ihr ein verhasstes Gräuel.
Mayas Lebensweg und ihr aufrechtes Wesen hatten endgültig den Respekt der Gelehrten gewonnen. Mit einem kräftigen Griff umfasste ihre Hand Mayas Arm kurz oberhalb der Ellbogen, ihre Weise, achtungsvolle Referenz zu leisten. Maya verstand diese Geste und erwiderte sie, einen stummen, den Anderen würdigenden Blick tauschend.
In ehrfürchtiger Stimmung unterbrach Kaeli diese Szene nicht, blieb passive Beobachterin ihr unfassbarer Vorgänge.
Allein ihre Unwissenheit ließ sie begreifen, dass ihre Ausbildung eben erst begonnen hatte. Ein Abenteuer, das ihrer begierig harrte.