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Erster Tag

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Der 56 Hektar große Präsidenten-Landsitz Camp David liegt innerhalb des stark bewaldeten Catoctin Mountain Parks in Maryland, knapp 100 Kilometer vom Weißen Haus entfernt. Franklin D. Roosevelt, der erste Präsident, der ihn nutzte, hatte ihn „Shangri-La“ genannt. Während des Zweiten Weltkriegs hatte er 1942 nach einem verborgenen Zufluchtsort gesucht, an dem er ausschlafen, sich seiner Briefmarkensammlung widmen und gelegentlich wichtige Regierungschefs als Hausgäste einladen konnte, von denen er sich nicht gestört fühlte. Winston Churchill war einer der ersten davon und traf im Frühjahr 1943 ein, um die Invasion der Normandie zu planen. Die beiden Männer machten sich von ihren freudlosen Pflichten frei, um durch den Park zu fahren und im nahe gelegenen Bergbach zu angeln. Als Informationen über die Existenz von Shangri-La durchsickerten, gab es Bedenken, das Refugium könnte zu ungeschützt für feindliche Bombenangriffe sein und der Präsident wurde gedrängt, seinen Zufluchtsort auf die amerikanische Marinebasis in Guantánomo auf Kuba zu verlegen. Roosevelt lehnte ab. „Auf Kuba wimmelte es vor Anarchisten, Mördern, etcetera und jeder Menge Tatsachenverdrehern“, bemerkte er1.

Dwight D. Eisenhower benannte das Refugium in Camp David um, nach seinem Enkelsohn. Im September 1959 lud er den sowjetischen Regierungschef Nikita Chruschtschow ein, in dem Versuch, die Spannungen zwischen den beiden Supermächten zu verringern. Chruschtschow schrieb später: „Ich konnte beim besten Willen nicht herausfinden, was dieses Camp David war.“2 Er befürchtete, es könnte ein Ort sein, „an dem Menschen, denen man misstraute, in Quarantäne gehalten würden“. Bei dem Treffen wurde wenig erreicht, aber die Presse begann vom „Geist von Camp David“ zu sprechen. „Ich weiß nicht, was das heißt“, gestand Eisenhower. „Es hat wohl den Anschein, als könnte man dort miteinander reden, ohne sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen.“3

Carter, ein knauseriger Populist4, war mit der Absicht ins Amt gekommen, das Anwesen zu verkaufen, um Kosten zu sparen und gleichzeitig damit die royale Anmutung der Präsidentschaft zu demokratisieren. In seinem ersten Amtsjahr hatte er bereits die Präsidentenyacht verkauft und das Spielen von „Hail to the Chief“ (der offizielle Präsidialsalut für den amerikanischen Präsidenten, Anm. d. Übers.) untersagt. Er suchte nach anderen symbolischen Einschnitten. Er verabscheute jede offene Zurschaustellung von Pomp und Privilegien; sogar als Präsidentschaftskandidat hatte er seinen Kleidersack immer selbst getragen. Camp David, eines der exklusivsten Refugien der Welt, erschien ihm als geradezu perfekte Opfergabe, und er ordnete an, es zu verkaufen.

Der Direktor des Militärbüros vom Weißen Haus fragte ihn, ob er wisse, was in Camp David sei. „Hütten“, sagte Carter5. Ja, da gebe es Hütten – an der Oberfläche –, war die Antwort. Aber tief unter der Erde befinde sich ein bewohnbarer Präsidentenbunker für den Fall einer atomaren Apokalypse. Er werde Orange One genannt. Rund um das Grundstück führten versteckte Aufzüge hinunter in die unterirdische Anlage; einer davon in einem Schrank des Präsidentenschlafzimmers der Aspen Lodge. Eisenhower hatte die Schutzräume auf der Höhe des Kalten Krieges bauen lassen. Im Jahr 1959 nahm er den britischen Premierminister Harold Macmillan mit auf eine Besichtigungstour des Bunkers. „Eine Art Kommandoposten des Präsidenten im Fall eines Atomkrieges“, notierte Macmillan in seinem Tagebuch. „In einem Teil können 50 Stabsangehörige des Präsidenten untergebracht werden, in einem anderen 150 Verteidigungskräfte. Die aus dem Fels herausgehauene Festung liegt unterhalb der unschuldig wirkenden Hütten, in denen wir untergebracht waren. Sie hat 10 Millionen Dollar gekostet“6. Zehn Kilometer von Camp David entfernt befindet sich eine noch viel größere unterirdische Bunkeranlage − 23.850 Quadratmeter –, herausgesprengt aus einem Berg namens Raven Rock, dazu gedacht, im Fall eines verheerenden Angriffs als Ersatz-Pentagon zu dienen7. Als Carter ins Amt kam, war der wahrscheinlichste Auslöser für ein solches Ereignis der Konflikt im Nahen Osten, der stets drohte, außer Kontrolle zu geraten.

Nachdem Carter Camp David besichtigt hatte, kam das Gerede über den Verkauf zum Erliegen. Der Landsitz war per Helikopter in nur 35 Minuten vom Südrasen des Weißen Hauses zu erreichen, lag aber Welten von Washington entfernt. Er schien sich außerhalb der Zeit zu befinden, war friedvoll und still, bis auf das Krächzen und Tschilpen der Vögel. Gelegentlich konnte der Stab beobachten, wie der Präsident und die First Lady Hand in Hand im Mondschein spazieren gingen8. Statt Staatsbanketts zu geben, konnten sie entspannt mit ihrer 10-jährigen Tochter Amy speisen. Beide Carters angelten gerne – Carter war ein Experte im Fliegenbinden geworden – und versuchten ihr Glück in dem kleinen Forellenbach, an dem Roosevelt und Churchill leer ausgegangen waren. Solche Erholungspausen waren selten und unbezahlbar.

In den Wochen vor dem Gipfeltreffen war der Stab damit beschäftigt gewesen, die Unterkünfte für die drei Delegationen herzurichten und Rezepte für halal und koscher zubereitete Speisen zusammenzustellen. Zusätzlich zu den Regierungschefs und deren engsten Beratern umfasste jede Delegation Bürokräfte, Ärzte, eigene Köche, Kommunikationsspezialisten und „Quatschköpfe“9, wie Carter die Mitläufer bezeichnete, mehr als 100 Menschen insgesamt, was die Kapazität dieser ländlichen Urlaubsanlage an ihre Grenzen brachte. Sie wurden beengt in einem Dutzend Hütten untergebracht, die sich über das Camp verteilten, benannt nach einheimischen Baumarten – Sadat in Dogwood und Begin in Birch, rechts und links von Carters Aspen. Die frustrierte Presse musste vor den Toren bleiben. Die Delegierten gingen davon aus, dass ihre Telefone abgehört wurden, um zu verhindern, dass Einzelheiten der Gespräche durchsickerten, während sie noch in Gang waren.

Die ruhige Umgebung sorgte für vollkommene Konzentration auf ein einziges Ziel, ohne voreingenommene Kommentare, die jeden Kompromissversuch hätten untergraben können. Für die Außenwelt war Camp David ein schwarzes Loch.

Das Gipfeltreffen fand, politisch gesehen, für alle Teilnehmer zu einem ungünstigen Zeitpunkt statt. Ägypten war immer noch erschüttert durch Sadats Abkehr vom Sozialismus. Unter Nasser hatte die Regierung viele Gebrauchsgüter subventioniert und allen qualifizierten Abgängern von technischen und kaufmännischen Berufsschulen Anstellungen garantiert – Zehntausende jedes Jahr. Diese Maßnahmen verstärkten die Inflation, erhöhten das Haushaltsdefizit und schufen einen monströsen Verwaltungsapparat mit Beamten, die praktisch nichts zu tun hatten – außer Veränderungen zu behindern. Sadat hatte die Subventionen für viele Gebrauchsgüter verringert, was im ganzen Land zu Massenprotesten über den Brotpreis geführt hatte. Mehrere Polizisten waren getötet worden10, die Sommerresidenz von Vizepräsident Hosni Mubarak in Alexandria wurde geplündert und in Brand gesteckt. Daraufhin hatte Sadat die Preiserhöhungen ausgesetzt und eine Ausgangssperre verhängt, doch im Land schwelte immer noch Unzufriedenheit und kaum unterdrückte Wut. Die CIA warnte Carter, ohne wirtschaftlichen Aufschwung oder greifbare Fortschritte in Camp David könne es erneut zu Aufständen kommen, die möglicherweise einen Militärputsch auslösten11. In Israel trieb eine steile Inflationsrate – über 35 Prozent – die Wirtschaft auf die Anarchie zu, das Wachstum war eingefroren und die Verteidigungsausgaben betrugen 40 Prozent des Bruttosozialprodukts. Pro Monat verließen 1000 Israelis das Land, und nur wenige neue jüdische Einwanderer trafen ein, um sie zu ersetzen. „Was kann ich tun?“, pflegte Begin seine Minister schwermütig zu fragen12. Er verlor die Kontrolle über sein Kabinett, und in seiner Partei herrschte Aufruhr.

Die Amerikaner waren sowieso davon überzeugt, dass Carter zu viel Zeit auf den Nahen Osten verschwendete, wo es doch drängendere Probleme zu Hause gab. Das Land litt unter einer zweistelligen Inflationsrate, gekoppelt mit hoher Arbeitslosigkeit und anämischem Wachstum – ein verwirrendes Phänomen, das als „Stagflation“ bezeichnet wurde. Was die Zufriedenheit mit der Amtsführung des Präsidenten betraf, überschnitten sich die beiden gefürchteten Linien auf der Grafik schließlich im Frühjahr 1978, wobei mehr Amerikaner unzufrieden als zufrieden mit Carters Bemühungen im Amt waren. Für ihn war es sicherlich an der Zeit, sein Image aufzupolieren, aber nicht dadurch, dass er diese Zeit mit dem fruchtlosen Bestreben verschwendete, Menschen Frieden zu bringen, die sich diesen Frieden anscheinend längst nicht so sehr wünschten wie er. Carter hatte drei Tage für das Gipfeltreffen angesetzt, obwohl er bereit war, bis zu einer Woche zu bleiben, wenn er das Gefühl bekam, dass Erfolg in Reichweite war. Es stand außer Frage für einen amerikanischen Präsidenten – wie auch für die anderen Regierungschefs –, angesichts ihrer beängstigenden heimischen Probleme den Verpflichtungen des Amtes länger fern zu bleiben.

Carter brachte einen großen Vorteil mit nach Camp David: ein einiges und erfahrenes Außenpolitik-Team. Vance und Brzezinski, in so vielen Aspekten der Außenpolitik uneins, waren in Fragen des Nahen Ostens untypischerweise auf einer Linie, und dieser Zusammenhalt spiegelte sich in ihren Teams wider. William Quandt, der dem Nationalen Sicherheitsrat angehörte, war seit der Nixon-Regierung ein Veteran der Nahostpolitik, genau wie die stellvertretenden Außenminister Alfred „Roy“ Atherton und Harold Saunders. Hermann Eilts, amerikanischer Botschafter in Ägypten, und Samuel Lewis, Botschafter in Israel, waren angesehene Experten, die sich gut in die Denkweise der Regierungschefs der jeweiligen Länder einfühlen konnten. Ohne das Team, das Carter mit nach Camp David gebracht hatte, hätte er keines seiner Ziele erreichen können, und ohne das Engagement ihres obersten Dienstherrn wäre der Friedensprozess in einer Sackgasse gelandet.

Als der Eröffnungstag des Gipfeltreffens am 5. September 1978 schließlich kam, fühlte sich Carter wie ein Soldat am Abend vor der Schlacht. „Über allem lag ein seltsamer Fatalismus“, erinnerte er sich später13.

Anwar al-Sadat stieg mit weit geöffneten Armen aus dem Hubschrauber. Er umarmte Carter und küsste dann Rosalynn auf beide Wangen. Sadat und seine Frau Jehan hatten Camp David schon sieben Monate zuvor besucht, an einem eisigen Wochenende, als der Schnee kniehoch lag. Damals war Sadat in rebellischer Stimmung gewesen und hatte angedeutet, er würde alle Bemühungen abbrechen, eine Einigung mit Begin zu erreichen. Carter hatte sich unermüdlich darum bemüht, ihn von einem so drastischen Schritt abzuhalten. Der zwanglose Rahmen erlaubte es den Carters und den Sadats, sich besser kennenzulernen. Sie veranstalteten sogar ein Schneemobilrennen auf dem Helikopter-Landeplatz. Danach überlegten Anwar und Jehan, ob Schneemobile auch auf Sand funktionieren würden14. Am Ende des Wochenendes hatte Sadat seine Ansichten zum Friedensprozess etwas abgeschwächt und zugestimmt, dass Carter weiterhin unter Druck daran arbeitete, einen Weg aus der Sackgasse zu finden. Carter hatte auf die Ehefrauen gezählt, um eine gesellschaftliche Brücke zwischen den gegensätzlichen Persönlichkeiten von Sadat und Begin zu schlagen. Diesmal war Sadat jedoch ohne Jehan eingetroffen; sie war in Paris bei ihrem Enkelsohn, der im Krankenhaus lag.

Das mit Sadat angereiste Team war fast geschlossen gegen das Gipfeltreffen von Camp David. Muhammad Ibrahim Kamil, sein Außenminister und offensichtlich wichtigster Berater, hatte diesen Posten erst seit Kurzem inne. Seine beiden Vorgänger waren aus Protest über Sadats Jerusalem-Reise zurückgetreten. Der ansonsten freundliche und gelassene Diplomat Kamil war dogmatisch, wenn es um die arabische Einheit ging, obwohl er selber nie ein anderes arabisches Land besucht hatte. Mit den Israelis auch nur zu reden, war seiner Meinung nach Hochverrat15. Kamils Unnachgiebigkeit beeinflusste andere Mitglieder der ägyptischen Delegation, andererseits waren sie besorgt wegen seines Urteilsvermögens und der Fähigkeit, seine Gefühle im Zaum zu halten. Boutros Boutros-Ghali, der den Titel eines Staatsministers im Außenministerium trug, sagte über Kamil, seinen Vorgesetzten: „Seine Kenntnisse über die arabische Welt und die Palästinenserfrage hatten wenig Bezug zur Realität.“16

Sadat brachte seinen stellvertretenden Premierminister Hassan el-Tohami mit, einen ehemaligen Geheimagenten, der auch als Sadats Astrologe, Hofnarr und spiritueller Guru fungierte. Der körperlich kräftige Tohami – ein versierter Boxer während seiner Armeezeit – mit dem ordentlich getrimmten Bart war Sufi-Mystiker. „Er hat etwas Göttliches in sich, und er kann das Unbekannte sehen“, staunte Sadat17. Tohami berichtete ständig über prophetische Träume oder Gespräche, die er gerade mit den Engeln geführt habe18. Er hatte Vorräte an Ambra und Gelée royale mitgebracht, um die Entschlossenheit der anderen Ägypter zu stärken, und belehrte jeden in Hörweite darüber, wie Gott beabsichtigte, die Juden abzuschlachten. „Wir dachten alle, er sei verrückt“, erinnerte sich Boutros-Ghali19.

Sadat hatte seiner Delegation versichert, das Gipfeltreffen sei eine einfache Angelegenheit. Er würde den ägyptischen Vorschlag präsentieren; die Israelis würden ihn ablehnen; dann würde Carter eingreifen und Begin unter Druck setzen, das ägyptische Angebot anzunehmen. Entweder würden die Israelis einknicken, was bedeutete, die Ägypter hätten einen großen Sieg errungen, oder das Gipfeltreffen würde scheitern, in welchem Fall nichts verloren sei, Ägypten aber trotzdem von der engeren Beziehung zu den Vereinigten Staaten profitieren würde. „Wir haben es darauf abgesehen, die Meinung der Welt für uns zu gewinnen“, teilte er seinen Beratern mit. „Präsident Carter ist auf unserer Seite. Dies wird mit Begins Sturz enden!“20

Am Nachmittag führten Carter und Sadat ein Privatgespräch auf der Veranda der Aspen Lodge. Sadat sagte ihm, er sei bereit, einen umfassenden Frieden abzuschließen – „umfassend“ war ein Lieblingsausdruck beider Männer –, und er habe in der Tat einen Plan „hier in meiner Tasche“, den er vorzustellen gedenke21. Das Abkommen müsse eine Lösung für die Palästinenser gewährleisten sowie den Abzug aller Israelis aus dem Sinai, wenn er an die Ägypter zurückgegeben werde. Sadat wolle nicht als jemand gesehen werden, der einen separaten Frieden mit den Israelis schließe und sich im Wesentlichen vom Anliegen der Palästinenser distanziere. Eine solche Handlungsweise würde Ägypten seiner gewohnten Rolle als Führer der arabischen Welt berauben. Trotz der schrecklichen Kosten, die ständiger Krieg seinem Land aufgebürdet habe, sei ein Frieden, der in den Augen anderer Araber und seiner eigenen Landsleute unehrenhaft erschiene, unmöglich zu verteidigen. „Israel muss sich aus meinem Land zurückziehen“, sagte Sadat. „Bei allem anderen, mein guter Freund, können Sie tun, was Sie wollen, und ich werde zustimmen.“22 Carter war ein bisschen alarmiert angesichts dieser Carte blanche zu Verhandlungen im Namen Sadats. Er fragte sich, ob der ägyptische Staatschef vollkommen begriff, was von ihm verlangt werden würde, doch Sadat wirkte beschwingt. „Wir können es schaffen, Herr Präsident!“, rief er. „Wir können es schaffen.“23

Zwei Stunden später trafen Begin und sein Team ein. Begin vollzog genau dasselbe Begrüßungsritual wie Sadat – eine unbeholfene Umarmung Carters, dann Küsse für Rosalynn auf beide Wangen. Die Carters waren erleichtert, dass Begins Frau Aliza bald eintreffen würde. Carter fiel auf, dass Begin Anzug und Krawatte trug, als ginge es um ein Treffen im Oval Office. In Camp David, sagte Carter, herrsche ein Geist der Ungezwungenheit; er ziehe es zum Beispiel vor, Jeans und ein Westernhemd zu tragen oder sogar Laufshorts und T-Shirt. Er ermutigte Begin, diesem Beispiel zu folgen. „Es wird wie an einem Ferienort sein“, meinte er24. Begin war entgeistert. Er sei kein Staatsoberhaupt, erinnerte er Carter; er sei nur der Premierminister – ein eher geringfügiger Unterschied –, und er gedenke, die strikten Regeln des Protokolls zu befolgen, wenn er mit zwei Präsidenten verhandeln würde, ganz gleich, wie sie gekleidet seien.

Mit Hilfe mehrerer religionsübergreifender Gruppen in Washington hatte Rosalynn ein Gebet für den Erfolg des Gipfeltreffens vorbereitet. Sadat stimmte der Idee sofort zu, doch Begin bestand darauf, den Text zu lesen und geringfügige Änderungen vorzunehmen. „Nach vier Kriegen und trotz gewaltiger menschlicher Anstrengungen“, lautete schließlich das Gebet, „genießt das Heilige Land noch immer nicht den Segen des Friedens. Im Bewusstsein der ernsten Fragen, denen wir gegenüberstehen, vertrauen wir auf den Gott unserer Väter, von dem wir Weisheit und Führung erbitten. Während wir uns hier in Camp David treffen, bitten wir Menschen aller Glaubensrichtungen, mit uns darum zu beten, dass Frieden und Gerechtigkeit das Ergebnis dieser Beratungen sein mögen.“ Das war das erste gemeinsame Kommuniqué, das von den Gesprächen herausgegeben wurde, und es würde das letzte sein, bis das Gipfeltreffen dreizehn Tage später endete.

Mitglieder der israelischen Delegation stiegen aus dem Hubschrauber, gingen auf das Camp zu und drängelten sich in Richtung der Kameras vor, die auf Begin und Carter gerichtet waren, „wie eine Gruppe Pfadfinder auf einem Ausflug“, erinnerte sich später jemand, „wo sich jeder so nahe wie möglich um den Fähnleinführer drängt, um mit aufs Foto zu kommen“25. Das Team, das Begin mitgebracht hatte, war streitsüchtig und in seinen Ansichten tief gespalten. Für die Amerikaner schien es aus „Primadonnen“26 zu bestehen, doch die Mitglieder spiegelten auch den impulsiven und kontroversen Stil der israelischen Politik wider27, in der das amerikanische Konzept von Teamplayern wenig Bedeutung hatte. Die Israelis reisten in der Überzeugung an, das Gipfeltreffen würde nicht mehr als zwei Tage dauern, und es würde keine Vereinbarung dabei herauskommen28.

Neben Begin war Mosche Dajan, der legendäre einäugige israelische Krieger, das bedeutendste Mitglied der israelischen Delegation. Als Verteidigungsminister hatte er viel Anerkennung für den israelischen Blitzsieg von 1967 bekommen. Doch 1973 waren ägyptische Truppen über den Kanal gestürmt, hatten die Israelis unvorbereitet getroffen und Dajans legendären Ruf wie auch das Eigenbild Israels zerstört. Er fiel in Ungnade, wurde beschuldigt und geschmäht wegen des grausamen Schocks, den Israel hatte erleiden müssen. Obwohl er es niemandem sagte, war er krank, drohte zu erblinden und hoffte verzweifelt auf eine letzte Chance zur Wiedergutmachung. Frieden könnte diese Chance sein.

Am späten Nachmittag wanderten die beiden Delegationen in Grüppchen durch das Camp, wobei sie einander größtenteils aus dem Weg gingen. Jeder hatte eine Karte des Grundstücks bekommen und eine blaue Camp-David-Windjacke. Es gab einen Tennisplatz, einen Swimmingpool, eine Bowlingbahn, einen Billardraum, eine Driving Range und ein Kino, in dem ununterbrochen Filme liefen. Es war früher Herbst, und die Blätter färbten sich allmählich rot und golden. Der dichte Wald war beiden Gruppen fremd. Dajan fühlte sich von den Bäumen bedroht, die er nicht gut erkennen konnte; er sehnte sich nach der hellen Wüste.

Ezer Weizman sprang auf eines der vielen für die Gäste bereitstehenden Fahrräder und radelte hinüber zu Begins Hütte. Auf dem Weg begegnete er Sadat auf dessen forschem täglichem Spaziergang, begleitet von Außenminister Kamil, der kaum Schritt halten konnte. Weizman und Sadat umarmten sich. „Ich bin froh, Sie wiederzusehen!“, sagte Weizman29.

Von Natur aus ungestüm, temperamentvoll und gesellig, gehörte Weizman zur „Mayflower-Generation“ Israels30. Sein Onkel Chaim Weizmann war der erste Präsident Israels∗∗. Der junge Ezer wuchs in Haifa auf, einer gemischten Stadt. Seine Mutter sprach fließend Arabisch und bemühte sich, es auch ihren Kindern beizubringen – bei Ezer mit wenig Erfolg. Sein Vater war ein deutscher Agrarwissenschaftler und wurde Forstwirtschaftsbeamter im nördlichen Teil Palästinas. „Wir waren erfahrene Reisende in einer Welt offener Grenzen, noch nicht verschlossen durch den arabisch-jüdischen Hass“, erinnerte sich Weizman später31. Sein Ideal, mit seinen arabischen Nachbarn in Harmonie zu leben, wurde im Mai 1948 abrupt zerstört, als ägyptische und andere arabische Nachbararmeen direkt nach der Gründung des Staates Israel angriffen. „Was die Ägypter betraf, so konnte ich einfach nicht fassen, was in sie gefahren war“, würde er später schreiben. „Welches Interesse konnten sie an einem Konflikt in Palästina haben?“32

Letztendlich hielt Weizman die Araber für geduldige Realisten, die sich auf ihre weitaus größere Anzahl und ihren sagenhaften Ölreichtum verließen, der ihnen langfristig zum Vorteil gereichen würde. Währenddessen brannten sie vor Hass und Neid auf den israelischen Erfolg. „Stellt euch vor, ihr wärt Araber“, pflegte er zu seinen Untergebenen zu sagen. „Was seht ihr? Wie der Staat Israel einen Striptease hinlegt, das seht ihr. Einen Striptease! Grün, blühend, wohlhabend, glitzernd in der Nacht vor Unmengen von Lichtern. Und was das arabische Auge nicht sieht, macht es mit Einbildungskraft wett. Tja, ihr wisst, was mit einem gesunden Mann passiert, wenn er einen aufreizenden Striptease sieht …“33

Die beeindruckende israelische Luftwaffe war Weizmans Schöpfung, dazu gedacht, dem arabischen Herzen die Eroberungslust auszutreiben. „Ich habe die Araber nie gehasst“, beharrte Weizman. „Doch statt zu bauen und zu entwickeln und in Frieden zu leben, ist der Jude gezwungen zu lernen, mehr Araber in weniger Zeit zu töten.“ Weizmans Flugzeuge hatten 1967 die ägyptische Luftwaffe innerhalb von drei Stunden vernichtet und damit den Ausgang jenes Konflikts von Beginn an bestimmt. Weizman glaubte, dass der Krieg nicht enden sollte, ehe die Israelis Kairo, Amman und Damaskus eingenommen hätten. Stolz pries er sich selbst als „wütenden Falken“ an, der die sofortige Annexion aller in jenem Krieg eroberten Gebiete befürwortete.

Wie die meisten seiner Landsleute hatte Weizman seine wahre Freude an der totalen Schlappe der arabischen Armeen. In der israelischen Presse gab es Fotos von ägyptischen Stiefeln, im Sand des Sinai zurückgelassen, damit die Soldaten schneller wegrennen konnten. Die Israelis lachten über ihre erbärmlichen Gegner und bemitleideten sie sogar – Emotionen, welche die arabische Niederlage noch demütigender machten. „Erst nach meinen ersten Treffen mit den Ägyptern begann ich den Fehler zu begreifen, den wir gemacht hatten“, räumte Weizman später ein. „Jedes Mal, wenn die Ägypter ihre Demütigung im Sechs-Tage-Krieg erwähnten, wurden ihre Augen feucht. Ich erkannte plötzlich, wie schmerzhaft dieser Schlag gewesen war und wie er sie angespornt hatte, ihre Anstrengungen, Rache zu nehmen, zu verdoppeln.“34

Als Einziger unter den Israelis hatte Weizman eine persönliche Beziehung zu Sadat aufgebaut, geformt durch die vielen Stunden der Verhandlungen. Er betrachtete den ägyptischen Staatschef stets als die Personifizierung männlicher Eleganz, perfekt gepflegt und exquisit gekleidet, umgeben von einem Hauch Aramis-Parfüm35. Dem ägyptischen Präsidenten jetzt in einem verschwitzten Trainingsanzug zu begegnen, ließ ihn weniger glamourös erscheinen.

„Kommen Sie mich besuchen!“, sagte Sadat und ging weiter in den düsteren Wald36.

Die Regierungschefs aßen in ihren Hütten, doch der Rest der Delegationen wurde in einem großen Speisesaal in der Laurel Lodge verköstigt. Ernste Ägypter saßen an ihren Tischen auf der unteren Ebene, während die Israelis sich auf der oberen Ebene leise unterhielten, besorgt darüber, belauscht zu werden.

Alle im Speisesaal waren leger gekleidet, mit Ausnahme von Hassan el-Tohami. Wie Begin bestand er darauf, zu jeder Tageszeit Anzug und Krawatte zu tragen. Die anderen Ägypter amüsierten sich entweder über Tohami oder fanden ihn peinlich, doch er schüchterte sie auch ein wenig ein. Tohamis Jahre beim Geheimdienst hatten ihm den Ruf eines Mannes eingebracht, der zu seiner Zeit eine Menge schmutzige Arbeit erledigt hatte37. Er war eine einschüchternde Gestalt mit kräftigem Brustkorb, breiten Schultern, blauen Augen und einem beeindruckenden silbrigen Bart. Seine Förmlichkeit hob ihn noch mehr von den Jeans- und Pulloverträgern ab.

Tohami galt als eine Art Guru für Sadat, wobei niemand so recht den Grund für ihre enge Beziehung verstand38. Er sprach offen davon, Gespräche mit Dschinns und toten Heiligen zu führen39. Als er in Österreich als ägyptischer Botschafter eingesetzt war, stand er bei einem Bankett plötzlich auf und begrüßte den Propheten Mohammed, als sei dessen Geist körperlich im Raum anwesend40. Für solche Anwandlungen war er in den oberen Rängen der ägyptischen Regierung berühmt; er verbreitete ständig Geschichten seines eigenen Könnens41, erwähnte zum Beispiel nebenbei, dass er in letzter Minute beschlossen hatte, die afghanische Regierung nicht zu stürzen oder eine Revolution in Malaysia gerade noch gestoppt habe42. Und doch umgab ihn als ehemaligen Leiter des ägyptischen Geheimdienstes der Ruf eines Strippenziehers. Vielleicht stand Sadat unter dem Bann von Tohamis Spiritualität oder war verzaubert von seinen Geschichten. Sie hatten zusammen in der Revolution gekämpft, und Verschwörer schließen unwillkürlich Bündnisse, die andere nicht erkennen oder verstehen.

Bei jenem ersten Abendessen in der Laurel Lodge prahlte Tohami vor den Ägyptern und mehreren Amerikanern mit seinen mystischen Kräften. Durch schiere Willenskraft, sagte er, habe er darauf trainiert, die Kräfte der Natur innerhalb und außerhalb seines Körpers zu beherrschen. Er pflegte im Kairoer Zoo in den Löwenkäfig zu klettern, erzählte er seinem erstaunten Publikum, und die Löwen gefügig zu machen. Schließlich habe er es soweit gebracht, seinen Körper zu verlassen und sich außerhalb des physischen Universums zu bewegen. Er habe sogar eine Möglichkeit gefunden, sein Herz auf Befehl am Schlagen zu hindern.

Diese letzte Bemerkung weckte die Aufmerksamkeit von Menachem Begins Kardiologen, der mit einem amerikanischen Arzt an einem Tisch in der Nähe saß. Seinem vergrößerten Publikum berichtete Tohami, dass er einst bei einer ärztlichen Untersuchung gewesen sei, und der Arzt, der ihm Puls maß, sei plötzlich bleich geworden. „Herr Tohami, Ihr Herz schlägt nicht!“, habe der Arzt gerufen. „Sie sind tot!“43 Tohami entschuldigte sich und erklärte, er habe einfach nur vergessen, sein Herz wieder anzustellen.

Nachdem er diese Geschichte gehört hatte, fragte einer der ungläubigen Ärzte am Tisch Tohami, ob es ihm gelungen sei, dieses erstaunliche Kunststück durch Yoga zu erreichen44. Die Frage machte Tohami wütend, und er antwortete, das habe überhaupt nichts mit Yoga zu tun! Aber er weigerte sich, seine geheime Technik preiszugeben.

Ein Jahr vor Camp David, noch vor Sadats Reise nach Jerusalem, hatte sich Mosche Dajan auf Einladung von König Hassan II. heimlich mit Tohami in Marokko getroffen, in der Absicht, Friedensgespräche durch die Hintertür in die Wege zu leiten. Um das Treffen geheim zu halten, war Dajan von Paris nach Rabat geflogen, verkleidet als Beatnik mit einer zotteligen Perücke, Schnurrbart und Sonnenbrille45. Er musste erkannt haben, welche monströse Figur er in der Vorstellung ägyptischer Militärs wie Tohami war. Kein Israeli verkörperte die Demütigung, die sie 1967 erlitten hatten, stärker als er. Vielleicht erzählte der marokkanische König den Ägyptern daher nicht im Voraus, wen Tohami treffen würde, sondern sagte nur, der israelische Repräsentant sei „jemand von hohem Ansehen in jedem arabischen Staat und von großer Kompetenz“46.

Als Tohami Hassans Palast in Marokko betrat, begrüßte er den König und umarmte ihn, konnte sich jedoch zunächst nicht durchringen, den Israeli anzusehen. „Das ist Dajan!“, sagte der König schließlich47.

„Zweifellos ist das Dajan“, erwiderte Tohami. Schließlich wandte er sich an den Israeli. „Ich hätte nie im Leben erwartet, Ihnen in einem Salon zu begegnen. Ich hätte eher erwartet, Ihnen irgendwann auf dem Schlachtfeld zu begegnen, wo ich Sie töten würde oder Sie mich.“

Tohami sagte, er habe eine Botschaft von Präsident Sadat mitgebracht, die er in abgehacktem Ton laut vorlas und in der die Bedingungen für den ägyptischen Friedensvorschlag umrissen wurden. Mehrfach betonte er die Notwendigkeit der Geheimhaltung; selbst die Amerikaner dürften nicht von diesem Treffen erfahren, sagte er – sein Leben hänge davon ab. „Seine Bitte um Geheimhaltung wurde zu dem Zeitpunkt auch durch etwas ausgelöst, das ich nur als Seelenkrise beschreiben kann“, schrieb Dajan später. „Einen offiziellen Vertreter der israelischen Regierung zu treffen, um über Frieden zu reden, war für ihn ein emotionaler Schock.“48

Tohami sollte die Grundlagen für Friedensgespräche zwischen Sadat und Begin legen, aber seine mystische Natur schlug immer wieder durch. Irgendwann sagte Tohami: „Mosche, Sie sind der falsche Prophet Israels. Es gab einen Propheten vor Ihnen, der einäugig war, und er war ein falscher Prophet.“49

„Dieser Mann bin ich nicht“, erwiderte Dajan.

Als Tohami wieder auf das Eigentliche zurückkam, betonte er, Sadat habe ernsthaft den Wunsch nach Frieden. Sadat würde jedoch nur einwilligen, sich mit Begin zu treffen und ihm die Hand zu reichen, nachdem der israelische Premierminister einem totalen Rückzug aus den besetzten Gebieten zugestimmt habe50. Garantien für die israelische Sicherheit könnten festgeschrieben werden, sobald man sich über diesen Grundsatz geeinigt habe. Auf diese Weise könnte Sadat Frieden ohne Kapitulation erreichen.

Tohami konnte sich nicht enthalten, über vergangene Niederlagen zu räsonieren. Für ihn war es unfassbar, dass Ägypten, mit einer Bevölkerung von 40 Millionen, zusammen mit Syrien, Jordanien und anderen arabischen Staaten von Israel, das nur drei Millionen Einwohner hatte, besiegt worden war. Tohamis Lippen zitterten vor Wut und Verachtung, als er über Nasser sprach und argumentierte, Ägypten habe den Krieg von 1967 verloren, weil Nasser sich mit den Israelis verschworen habe, um die Niederlage herbeizuführen. „Wie hätte eine solche Katastrophe sonst über uns hereinbrechen können?“, fragte er Dajan51 und setzte hinzu, die wirtschaftliche Prosperität und das geistige Erblühen des Nahen Ostens seien durch die endlosen Kriege gebremst worden, doch die Zeit nähere sich für den apokalyptischen Zusammenstoß von Gog und Magog, bei dem die Söhne des Lichts und die Söhne der Finsternis aufeinanderprallten und das israelische Volk wählen müsse, auf wessen Seite es stehe52.

Die seltsame Begegnung von Dajan und Tohami erwies sich als wesentlich folgenreicher, als Dajan es sich vorgestellt haben mochte. Als Tohami nach Kairo zurückkehrte, berichtete er offenbar Sadat, Begin habe zugestimmt, sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen. Das war die Basis, auf der Sadat nach Jerusalem reiste, in dem Glauben, es müssten nur noch gewisse Details zwischen den beiden Seiten ausgearbeitet werden. Als er sich zum Privatgespräch mit Begin und Dajan traf, erwähnte Sadat dieses geheime Einverständnis für den Rückzug. Dajan stritt ab, jemals eine solche Zusage gemacht zu haben; der einzige Zweck seiner Reise nach Marokko habe darin bestanden, Informationen einzuholen und Begin darüber Bericht zu erstatten. „Aber Tohami sagte, Sie wären bereit, abzuziehen“, protestierte Sadat.

„Das habe ich nicht gesagt, Herr Präsident“, erwiderte Dajan53.

Doch nun war Sadat in Jerusalem, und die Blicke der ganzen Welt waren auf ihn gerichtet. Es ist durchaus möglich, dass der Friedensprozess für den Nahen Osten durch das Missverständnis eines Wahnsinnigen in Gang gesetzt wurde.

Am Abend ging Begin zu ihrer ersten langen Unterredung in Carters Lodge. Sie ließen sich in einem bescheidenen, holzgetäfelten Arbeitszimmer nieder, in dem Begin sich wohler zu fühlen schien als im geräumigen Wohnzimmer. Carter gab ihm einen Überblick zu den Themen, die in Camp David behandelt werden würden, und erklärte, er würde hauptsächlich als Vermittler fungieren und Kompromisse vorschlagen, wenn beide Seiten zu keiner Einigung kämen.

Von den drei Regierungschefs befand Begin sich in der stärksten Position: Er konnte mit leeren Händen und geringem politischen Schaden aus Camp David abreisen. Seine unbeugsame Haltung war allgemein bekannt. Selbst seine erbittertsten Gegner zweifelten nie an seinen Prinzipien oder seiner Weigerung, irgendwelche Zugeständnisse zu machen, die Israels Sicherheit gefährden könnten. Er war eine Felswand. Doch Unnachgiebigkeit brachte ihre eigenen Gefahren mit sich. Er erkannte, dass für Sadat eines wertvoller war als der Frieden mit Israel: eine stabile amerikanisch-ägyptische Beziehung, in der sich die Freundschaft zwischen Carter und Sadat widerspiegelte. Es ließ sich absehen, dass Ägypten Israel als Amerikas engsten Verbündeten im Nahen Osten ersetzen und neue diplomatische Brücken zwischen den Vereinigten Staaten und den Öl-Scheichtümern schlagen konnte54. Währenddessen sah Israels Beziehung zu den Vereinigten Staaten mehr wie die angespannte Beziehung zwischen Begin und Carter aus. Amerika hatte auf großzügige Weise für die militärische und wirtschaftliche Sicherheit Israels gesorgt, hatte seit dem Krieg von 1973 10 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern gezahlt, fast 4000 Dollar pro israelischem Bürger55. Sollten die Amerikaner Begin als das Haupthindernis für einen echten Frieden im Nahen Osten betrachten, wäre seine politische Karriere beendet und Israel stünde vollkommen ohne Freunde auf der Welt da.

Begins größte Angst war, dass Carter und Sadat sich gegen ihn verschworen. Er hatte Anlass zu dieser Sorge. Früher im Jahr war Brzezinski auf die Idee gekommen, insgeheim mit Sadat zusammenzuarbeiten, um Begin unter Druck zu setzen56. Dazu gehörte, dass Sadat einen ägyptischen Plan für die West Bank und den Gazastreifen vorlegte, der realistisch genug war, um die israelischen Sicherheitsbedürfnissen zu erfüllen, aber auch ein paar Punkte enthalten sollte, welche die Vereinigten Staaten unannehmbar finden würden. Das würde Carter erlauben, sowohl mit Begin als auch Sadat zu diskutieren, woraufhin er einen „Kompromissplan“ vorlegen würde, dem Sadat bereits im Voraus heimlich zugestimmt hatte. Begin würde in der Klemme stecken. Carter könnte Druck auf ihn ausüben, ohne voreingenommen gegen die israelische Haltung zu wirken, könnte die ganze Macht seines Amtes und die allseits bekannte prekäre Abhängigkeit Israels von den Vereinigten Staaten zum Tragen bringen. Die Amerikaner rechneten mit Sadats theatralischen Fähigkeiten, das hinzukriegen. Vance hatte sich jedoch gegen die Idee ausgesprochen, und Sadat war eigentlich zu impulsiv, um einen glaubhaften Verschwörer abzugeben. Doch das amerikanische Team glaubte dennoch, es bedürfe einer Art List, Begin unter Druck zu setzen, sollte es irgendeine Hoffnung geben, ein sinnvolles Friedensabkommen zustande zu bringen57. Falls Begin sich weigerte einzulenken, war das amerikanische Ziel, genügend einheimischen Druck gegen ihn aufzubauen, um seine Regierung zu stürzen, mit der Absicht, einen beweglicheren Friedenspartner auf den Plan zu bringen – Ezer Weizman erschien als der geeignetste Kandidat, ihn zu ersetzen58.

Begin verfügte jedoch über eine Trumpfkarte. Er hatte den genauen Wortlaut eines Briefes von Carters Vorgänger Gerald Ford mitgebracht59. Fords Außenminister Henry Kissinger hatte 1975 versucht, ein Abkommen auszuhandeln, nach dem Israel sich aus einem Teil des Sinai zurückziehen würde, den es im Krieg von 1973 besetzt hatte. Während jener Verhandlungen hatten die Vereinigten Staaten eine Reihe von Zusagen gemacht, einschließlich derjenigen, die Begin mitgebracht hatte, in denen Amerika zustimmte, keine Friedensvorschläge zu machen, ohne vorher die Israelis hinzuzuziehen. Wenig war durch diese außerordentliche Verpflichtung gewonnen worden, doch sie überschattete seitdem alle Aktionen amerikanischer Politiker. In der Tat ermöglichte Fords Zusicherung Begin ein machtvolles Veto gegen jeden Friedensvorschlag und gefährdete die amerikanische Rolle des unparteiischen Vermittlers.

„Herr Premierminister, wir müssen bei dieser Konferenz zu einer Vereinbarung kommen“, sagte Carter und wies darauf hin, dass bei einem Scheitern wenig Aussicht auf Fortschritt in der vorhersehbaren Zukunft bestehe60. Hier jedoch, in dieser abgeschiedenen Umgebung, mit genügend Zeit, abgeriegelt vor der Presse und geschützt vor dem Parteigerangel und drückenden innenpolitischen Sorgen, könnten die drei Regierungschefs die Geschichte verändern. Ihre Untergebenen hätten weder die Macht noch die Autorität, das zu tun, und ihre Nachfolger bekämen möglicherweise nie wieder eine bessere Gelegenheit. Nur Begin und Sadat könnten es schaffen, hier und jetzt. Carter fügte hinzu: „Das Erreichen eines Friedensabkommens zwischen Israel und Ägypten ist mir noch wichtiger als meine eigenen politischen Erfolge.“

Carter las dann eine Liste der Punkte vor, von denen er annahm, beide Seiten seien sich darüber einig. Er sagte, Begins Autonomieplan für die Palästinenser sei ein kühner Schritt gewesen, wie auch seine Bereitschaft, die ägyptische Souveränität über den gesamten Sinai anzuerkennen.

An dieser Stelle unterbrach Begin ihn. Was den Sinai betreffe, sei Souveränität das eine, aber die israelischen Siedlungen dort müssten bestehen bleiben.

Dem würde Sadat nie zustimmen, entgegnete Carter.

Während der Unterredung weigerte Begin sich, den Namen „Palästinenser“ auch nur auszusprechen. Er beharrte darauf, die West Bank bei ihren biblischen Namen zu nennen, Judäa und Samaria, wie um die Behauptung zu unterstreichen, Gott habe das Land seinem erwählten Volk geschenkt. „Manche Menschen machen sich über die Bibel lustig“, sagte er. „Aber Sie nicht, Herr Präsident. Und ich nicht.“61

Israels fortgesetzte Präsenz auf dem Sinai, der West Bank und im Gazastreifen sei ein Verstoß gegen internationales Recht, bemerkte Carter; mehr noch: „Sadat verlangt von Israel die Anerkennung des Grundsatzes, dass Gebietserwerb nicht durch Gewalt geschehen darf.“62

„Davon steht nichts in der Resolution 242 des Sicherheitsrats“, erwiderte Begin. „Darin steht, dass Gebiete nicht durch Krieg erworben werden dürfen. Der Unterschied ist bedeutsam, Herr Präsident. Es gibt auch Verteidigungskriege. So einfach ist das nicht.“ Der Sechs-Tage-Krieg sei eine Verteidigungsreaktion auf feindselige Schritte seitens Ägyptens gewesen, kein Überraschungsangriff, fügte er hinzu. „Wenn ein solcher Grundsatz akzeptiert wird, müsste die ganz Landkarte Europas verändert werden.“63 Er würde einer solchen Formulierung nur zustimmen, wenn das Wort „Angriff“ vor dem Wort „Krieg“ eingefügt würde, sodass Israel rechtfertigen könnte, an den besetzten Gebieten festzuhalten.

„Die Vereinigten Staaten erwarten von Israel, die Besiedlung der besetzten Gebiete zu beenden“, sagte Carter64. „Das können wir nicht akzeptieren!“, rief Begin. Vielleicht könne er zustimmen, den Bau neuer Siedlungen auf dem Sinai zu stoppen, sagte er, aber nicht auf der West Bank. „Das ist unser unabdingbares Recht.“

Weder brachte Begin neue Vorschläge ein, noch schien er überhaupt den Sinn dieses Gipfeltreffens zu verstehen. Ja, es sei wichtig, eine Übereinkunft mit Ägypten zu erreichen, aber zunächst müsse Israel eine Vereinbarung mit den Vereinigten Staaten ausarbeiten, wie dabei vorzugehen sei. Das allein würde mehrere Monate dauern. Es sei offensichtlich, dass dies nicht in Camp David erreicht werden könne.

Begins scheinbare Gleichgültigkeit gegenüber dem Ergebnis des Gipfeltreffens traf Carter unvorbereitet. „Sadat ist impulsiv“, warnte er. „Wenn die Verhandlungen keine Fortschritte machen, könnte er eine Militäraktion in Gang setzen.“65

Begin blieb unbeeindruckt. Carter wurde allmählich klar, wie weit der israelische Regierungschef auch nur vom Anfang einer Verhandlung entfernt war. Um 11 Uhr abends brach Carter die sinnlose Diskussion schließlich ab. Er ging ins Schlafzimmer und berichtete Rosalynn niedergeschlagen: „Ich glaube, er hat überhaupt nicht vor, weiter über einen Friedensvertrag zu verhandeln.“

Begin schlenderte durch die Dunkelheit zu seiner Hütte zurück und genoss die Stille. In vielen anderen Hütten brannte noch Licht, da sich die Teams auf das erste große Treffen der beiden Delegationen am nächsten Morgen vorbereiteten. In der Luft lag milde Herbstkühle. „Was für ein Paradies auf Erden!“, dachte er66.

Mitglieder seines Teams warteten auf ihn, als er in der Birch Lodge eintraf. Als Premierminister war er nie gut darin gewesen, sein Kabinett zu konsultieren, aber nun scharte er seine Berater auf der Veranda um sich und berichtete ihnen von seinem Gespräch mit Carter. „Wir haben eine harte Nuss zu knacken“, teilte er ihnen mit. „Ihr Name ist Anwar al-Sadat.“67

Carter behauptet, dass es weder Wanzen in den Telefonen noch in den Zimmern gab. Trotzdem fanden die meisten wichtigen Gespräche innerhalb der Delegationen im Freien statt. Laut William Quandt brachte das ägyptische Team trotzdem Störgeräte mit.

∗∗ Ezer Weizman veränderte später die Schreibweise seines Namens zu englisch Weizman.

Dreizehn Tage im September

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