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Bei Cedrik

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Nachdem Mia von einer Schwester eingewiesen wurde, worauf sie zu achten habe, wurden sie von Jo abgeholt. Er brachte auch eine Tasche mit frischer Kleidung mit und half Cedrik beim Anziehen, während Mia mit Rita die Entlassungspapiere besorgte. Ihr war ganz flau im Magen, weil sie sich darauf eingelassen hatte. Immerhin wusste sie nichts von den beiden. ~Egal, wenn es ganz schlimm wird, kann ich jederzeit gehen~ , entschied sie.

Jo fuhr aus der Stadt Richtung Waldau, bog dann in eine kaum besiedelte Straße und hielt vor einem riesigen, modernen Bungalow mit Satteldach. Die kurze Einfahrt führte direkt zu der mittig vom Haus gelegenen Eingangstür, um dann kurz vorher nach rechts zu der Garage zu schwenken, in die offensichtlich mehr als ein Auto passte. Das Grundstück schien gut gepflegt und wurde von einer halbhohen Hecke gesäumt.

Als sie die Eingangstür passiert hatten, standen sie in einer geräumigen Garderobe. Rita zog Mia aufgeregt am Arm, weil sie ihr alles zeigen wollte. Sie traten durch einen wunderschönen, offenen Rundbogen ins Wohnzimmer, welches nach links ausgerichtet war. Der großzügige Raum wurde von einer großen U-förmigen Couch dominiert, die mit dem Rücken zu ihnen, mitten im Raum stand und einen guten Blick auf den Fernseher bot, der an der seitlichen Außenwand hing. Links, direkt neben der Garderobe, befand sich ein kleines Gäste Bad. Daneben sorgten große Panoramafenster für ein helles Klima im Wohnzimmer.

Vom Eingang aus, ein Stück geradeaus entlang, kurz vor Ende des Wohnzimmers, gelangten sie rechts durch eine Tür in die Küche. Dort sah man direkt auf eine luxuriöse Küchenzeile, die sich über Eck zur linken Wand herüberzog. Rechts im Raum stand ein Esstisch für sechs Personen. Hinter dem Tisch, neben der Küchenzeile, stand ein freistehender Kühlschrank, ein Stück weiter befand sich noch eine Tür. Der Ausblick zur Einfahrt hin war, genau wie im Wohnzimmer, mit großen Panoramafenstern gerahmt.

Ohne in die Küche abzubiegen, gingen sie weiter geradeaus, zu einem weiteren Türbogen. Hier entzweite sich ein horizontaler Flur, in dem Mia, an der gegenüberliegenden Seite, links und rechts jeweils zwei Zimmertüren erblickte. Rita bog nach links ab, um zu der Tür am hintersten Zimmer zu gelangen. Dort befand sich ein kleines Büro. Das war bisher der erste Raum, indem sie persönliche Bilder von den beiden entdeckte.

Im nächsten Zimmer gab es, links neben der Tür, einen großen Ankleideraum. Rechts blickte sie auf ein kuschelig aussehendes Bett, daneben stand ein zum Fenster gerichteter weißer Sessel und an der zum Flur liegenden Wand gab es ein kleines Badezimmer mit Waschbecken, WC, sowie einer modernen Bodentiefen Dusche, vor der eine Handtuchheizung hing. „Das hier ist dein Zimmer, dann kommt Papas und dann meins“, verkündete Rita stolz.

In Cedriks Zimmer war die Tür etwas mittiger, denn sein Bad grenzte an das Bad des Gästezimmers und seine Ankleide lag direkt daneben. Rechts an der Wand, an Ritas Zimmer grenzend, stand ein riesiges Bett, das fast die ganze Wand ausfüllte. Auch in seinem Zimmer gab es einen weißen Sessel, der jedoch vor der Ankleide stand. Zwar hätte er sicherlich auch noch neben das Bett gepasst, aber das hätte vielleicht überladen ausgesehen. Doch so fand Mia es sehr stilvoll. Cedrik bewies in dem Haus allgemein einen guten Geschmack. Die Einrichtung war, genau wie in den anderen Räumen, die sie bisher gesehen hatte, gemütlich und dennoch steril. Überall befanden sich sinnvoll arrangierte Grünpflanzen, die im Zusammenspiel mit den hellen Möbeln alle Räume sehr einladend und harmonisch wirken ließen.

„Dein Vater legt viel Wert auf klare Strukturen, kann das sein?“, staunte Mia, denn sie hatte mit einer typischen, chaotischen Männerunterkunft gerechnet… „Oh ja, er hasst Unordnung! Vergiss bloß nie deine Tasse wegzustellen, sonst wird er zum Rumpelstilzchen“, lachte Jo von hinten, der gerade Cedrik in sein Zimmer half. Alle lachten herzlich, nur Cedrik schmollte etwas. Aber das hielt er nur ein paar Sekunden durch, dann lachte er mit. ~Schön, dass er über sich selbst lachen kann~ , das machte ihn in Mias Augen sehr sympathisch.

Ritas Zimmer war genauso aufgeteilt wie Cedriks. Nur, mit Pferdepostern, bunten Möbeln und einer Ballettstange, sehr mädchengerecht eingerichtet. Offensichtlich las sie auch gerne, denn sie besaß ein großes Regal voller Bücher.

Direkt gegenüber von Ritas Zimmertür und auf der rechten Seite des Flures, führte eine Tür zu einem geräumigen Raum, der als Hausanschluss-/Wasch- und Vorratsraum diente. Hierher führte auch die geheimnisvolle zweite Tür aus der Küche.

Am Ende des Flures, in dem sie standen, gelangten sie durch eine weitere Tür in einen kurzen Gang, der sie nach Links führte. Dahinter verbarg sich, in Höhe von Ritas Zimmer beginnend, ein riesiger versetzter Raum. Darin befand sich ein Schwimmbecken, eine kleine Chillout Zone, ein Whirlpool und dahinter ein gut ausgestatteter Fitnessbereich. Neben dem Schwimmbecken gelangte man durch eine Schiebetür auf eine schöne Holzterrasse, die sich fast bis zu der Garage erstreckte. Da die Außenwände komplett aus Glas waren, boten sie ein perfektes Panoramabild auf den Schwarzwald. Mia war absolut geflasht. Sie hatte mit vielem gerechnet, aber das hier? Wow!

Plötzlich stand Jo hinter ihr. „Kann man hier aushalten, oder?“ „Na ja, so gerade eben“, witzelte Mia. „Hör zu, ich muss jetzt los, da Betty und ich die Kinder gleich zu ihren Großeltern bringen wollen. Hier sind unsere Nummern. Wenn ihr etwas braucht, können wir heute noch jederzeit vorbeikommen, ab Morgen sind wir jedoch für zwei Wochen beruflich unterwegs. Und Mia? Rita und der Dummkopf da hinten, bedeuten uns ne Menge! Wenn es also mit Cedi Probleme gibt oder irgendetwas anderes passiert, ruf uns bitte auf jeden Fall an. Versprichst du mir das?“ Mia nickte ernst: „Versprochen!“ Zufrieden drehte Jo sich zu Rita, um sie feste an sich zu drücken. Dann packte er auch die verdutzt drein guckende Mia, drückte sie herzlich und flüsterte ihr zu: „Er ist übrigens Single. Nur für den Fall, dass dich das interessiert!“ Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte er sich um und verschwand.

Wieder bekam Mia Zweifel. War es wirklich richtig hier zu sein? Sie seufzte schwer und folgte Rita dann zu Cedrik, um zu fragen, ob er etwas brauchte.

Ihm ging es soweit gut, daher beschloss sie in ihr Zimmer zu gehen, um sich ein wenig einzurichten. Jo hatte ihren Rucksack bereits vor die Ankleide gestellt. Beim Anblick der Menge an Stauraum und der spartanischen Ausstattung der Kleidung in ihrem Rucksack, war sie richtig froh, dass Cedrik die Ankleide wohl als Aufbewahrungsort für nicht gebrauchte Winterkleidung nutzte. So sahen ihre Sachen nicht ganz so verloren aus. Für die kommenden vier bis sechs Wochen, würde sie sich aber gerne noch ein paar Teile dazu kaufen. So lange sollte seine Genesung ungefähr dauern. Obwohl es anfangs wohl noch schlimmer aussah, hatte es ihn ordentlich erwischt. Er hatte eine schwere Gehirnerschütterung, eine große Platzwunde am Kopf, ein Schleudertrauma und sein Oberschenkel war angebrochen. Außerdem war sein ganzer Körper mit Blutergüssen übersät. Zwar erlaubte ihm der Arzt -unter Protest- kurze Strecken auf Krücken zu laufen, jedoch nur unter Aufsicht. Durch den mangelnden Gleichgewichtssinn und den Schmerzen durch das Schleudertrauma, war die Gefahr eines Sturzes sehr hoch. Ansonsten sollte er hoch liegen und sich viel ausruhen.

Rita hatte mehr Glück. Bis auf die kleine Wunde an der Schläfe und eine Prellung am Arm, war sie gut davongekommen. Die leichte Gehirnerschütterung, die diagnostiziert wurde, war bereits so gut wie verheilt.

Als ihre Sachen alle eingeräumt waren, holte sie für Cedrik ein Glas mit einer Karaffe voll Wasser. Rita hatte sich zu ihm ins Bett gelegt und quasselte gutgelaunt vor sich hin. Mia stellte beides auf seinen Nachttisch und bemerkte, wie müde er aussah. „Komm Spätzchen, lassen wir deinen Vater doch etwas schlafen. Hilfst du mir beim Kochen? Ich weiß ja gar nicht, wo ich die Töpfe finde.“ Cedrik lächelte sie dankbar an. Während Rita freudestrahlend aufsprang: „Dann komm mal mit, ich zeige dir, wo alles ist!“

Rita war sehr gründlich, daher kannte Mia nach einer Weile jedes Utensil und wusste alle Geräte in der Küche zu bedienen.

Auf Ritas Wunsch hin, kochte sie Nudeln mit Tomatensoße. Da Cedrik fest eingeschlafen war, stellte sie seinen Teller zur Seite und räumte nach dem Essen die Küche auf. Rita zog sich währenddessen in ihr Zimmer zurück, doch das machte Mia nichts. ~Kinder…beim Aufräumen sind sie alle schnell weg~ , schmunzelte sie kurz, schloss andächtig ihre Augen und genoss es, dieses Gefühl noch einmal erleben zu dürfen. Wie oft hatte sie früher genau diesen Satz gedacht... Ein tiefer Stich durchbohrte ihr Herz. Doch das lag sicher daran, dass sie jetzt tat, was sie früher jeden Tag gemacht hatte ~reiß dich mal zusammen~. Damit legte sie das Handtuch weg, wischte sich eine Träne aus dem Auge und machte sich einen Kaffee. Trotz all den hochmodernen Geräten hier, besaß Cedrik eine ganz altmodische Brühmaschine. Mia fand das gut, denn dieser Kaffee schmeckte ihr immer noch am besten. Während er durchlief, schaute sie bei Rita rein, um zu sehen, ob bei ihr alles in Ordnung war. Sie war gerade in ein Buch vertieft, also holte Mia sich ihren alten MP3 Player aus dem Rucksack und ging zu ihrem köstlich duftenden Kaffee. Unterwegs kontrollierte sie, ob Cedrik noch schlief. Während sie ihn einen Moment dabei beobachtete, hoffte sie inständig der Verantwortung für ihn und Rita auch gewachsen zu sein.

In der Küche angekommen, schaltete sie sich leise ihre Lieblingsmusik ein. Die Hits aus den Fünfzigern hatten sie immer schon fasziniert. Verträumt bewegte sie sich zum Takt der Musik, wie sie es immer tat, wenn sie allein war. La Bamba gehörte zu ihren Favoriten. Genau wie von den Songs von Elvis Presley und Buddy Holly, konnte sie von Ritchie Valens niemals genug hören. Aber es gab noch viele andere Künstler aus der Zeit, die sie sehr schätzte und die hatte sie alle auf ihrem Player. Rita kam neugierig in die Küche und tanzte sofort eifrig mit. Irgendwann plumpsten sie jauchzend auf die Stühle am Küchentisch, um wieder zu Atem zu kommen. So viel Spaß hatte Mia schon lange nicht mehr gehabt.

Nun war es Zeit noch mal nach ihrem Patienten zu sehen. Sie kam gerade rechtzeitig rein, denn Cedrik war im Begriff allein aufzustehen. Wütend fauchte Mia ihn an: „Hey! Wenn du willst, dass ich die Verantwortung für dich trage, dann lässt du solche Aktionen bitte bleiben!“ Entsetzt eilte er zurück auf sein Bett, damit hatte er nicht gerechnet. Eigentlich wollte er den tapferen Helden spielen und Lob dafür kassieren. Zudem fand er die Vorstellung, dass sie ihn zur Toilette begleiten würde, nun doch etwas zu intim. „Okay, okay, entschuldige. Ich wollte nur schnell ins Bad“, sagte er reumütig. „Gut, dann warte ich hier, bis du wieder sicher im Bett bist“, sagte sie freundlich, aber bestimmt. Fasziniert sah sie ihm zu, wie elegant er trotz der Blessuren an seinem Körper, zum Badezimmer hüpfte. Da er ein T-Shirt mit kurzer Hose trug, konnte sie seine muskulösen Arme und Beine sehen. Er trainierte offensichtlich gerne. Bestimmt war das für ihn gerade von Vorteil. Während sie wartete, schüttelte sie seine Kissen auf und legte ihm die Decke zurecht, dann half sie ihm ins Bett.

„Was hat euch denn eben solch einen Spaß gemacht“, wollte Cedrik wissen. „Oh, waren wir zu laut?“ „Nein gar nicht, ich bin nur von Natur aus neugierig, weißt du?“ Von hinten kam Rita angestiefelt: „Wir haben getanzt, das war total lustig!“ „Das hätte ich gern gesehen! Macht das beim nächsten Mal gefälligst in meinem Zimmer, ich bin krank und muss unterhalten werden“, forderte er frech grinsend. „Tut mir leid, das geht nicht. Das ist Mädchenkram und den kann man nur machen, wenn kein Mann zuguckt“, konterte Mia. Um schnell von dem Thema abzulenken, fragte sie, ob er jetzt gerne essen wollte. Doch Cedrik war es gerade etwas übel auf dem Magen, daher bat er nur um einen Tee. Als Mia ihm eine Tasse brachte, war Rita schon wieder in ihrem Zimmer verschwunden. „Möchtest du mir nicht noch etwas Gesellschaft leisten?“, fragte Cedrik, der sich etwas einsam fühlte. „Okay, ich mache nur eben die Musik aus und hole meinen Kaffee, wenn das für dich in Ordnung ist?“ Er nickte zufrieden und sah ihr zu, wie sie leichtfüßig aus seinem Zimmer schritt.

Wieder zurück, rückte sie sich den Sessel zu Cedrik ans Bett. Da ihr gerade kein guter Gesprächseinstieg einfiel, nippte sie erstmal still an ihrem Getränk.

„Also Mia Felser, was für Musik hörst du denn gerne?“, brach Cedrik das unbehagliche Schweigen. „Ach, eigentlich höre ich alles quer Beet, aber am liebsten mag ich die Fünfziger.“ „Ja, das war noch echte Musik. Ich bin auch Fan der alten Klänge. Besonders Frank Sinatra und Elvis haben es mir angetan. Aber du bist die Erste, die mich da versteht. Die anderen halten mich für zu altmodisch, die stehen eher auf alles was modern ist.“

Leicht verlegen sah Mia zu Boden und lächelte nachdenklich über die Gemeinsamkeit. Dann sah sie ihn wieder an: „Jo hat mir auch seine Nummern gegeben. Ihr mögt euch wirklich gerne, oder?“ „Ja, wir waren früher im selben Eishockey Team und sind seitdem unzertrennlich.“ „Und Betty?“ „Tja, was soll ich sagen, als Jo Betty geheiratet hat, musste sie zwangsläufig auch mich heiraten -rein platonisch natürlich.“ Mia lachte. „Jo nannte dich Cedi, macht er das immer so?“ „Alle meine Freunde machen das!“ „Alle?“ „Ja, alle drei die ich habe…“, lachte Cedrik laut und hielt sich dabei den Kopf vor Schmerzen fest. „Und wer ist der geheimnisvolle dritte Freund?“ „Oh, das ist Tom. Ihn kenne ich auch vom Hockey. Er kommt sicher die Tage mal vorbei. Aber gerade ist er irgendwo auf Schürzenjagt. Bei dem musst du dich als Frau in Acht nehmen, der hält sich für unwiderstehlich! Ich entschuldige mich also jetzt schon mal für ihn.“ Er lachte, aber Mia wurde leise. „Apropos Frauen… könnte ich etwas mit dir besprechen, nur damit es keine Missverständnisse gibt?“ „Oh, oh, habe ich etwas angestellt?“ „Nein gar nicht. Genau genommen, denke ich nicht mal das ansprechen zu müssen, aber ich würde mich wohler fühlen, wenn wir das geklärt hätten.“ „Na dann, erzähl mal!“ „Jo hat mir eben nahegelegt, dass du Single bist. Was auch immer er damit meinte, aber mein Herz gehört jemandem.“ „Ach Jo wieder! Er und Betty versuchen ständig mich zu verkuppeln. Ist lieb gemeint von ihnen, aber es nervt ein bisschen. Nimm das also bitte nicht zu ernst.“ Beide schwiegen betreten.

„Du hast also einen Freund und reist allein durch die Gegend?“ Mia zappelte nervös mit einem Bein, denn das Thema war ihr sehr unangenehm: „Ich bin sogar verheiratet und reise… naja nein, genaugenommen… bin ich Witwe.“ Cedrik musterte sie nun ernst: „Das tut mir leid!“ Plötzlich ahnte er, was sie wohl von ihm hören wollte: „Ich verspreche dir, dass ich niemals versuche auszunutzen, dass du hier wohnst!“

Mia sah ihn dankbar an und stand auf, um der Situation zu entfliehen. Cedrik war froh, dass sie das Thema nicht weiter ausschmücken wollte, er wäre damit wahrscheinlich ziemlich überfordert gewesen. Dennoch wollte er diese nette Unterhaltung nicht so abrupt enden lassen: „Sag mal, was gab es denn zu essen?“ „Nudeln mit Tomatensoße.“ „Hm lecker, ist noch was davon übrig?“ Froh über den Themenwechsel, lächelte sie: „Klar, ich mache es dir warm.“ „Prima. Und Mia? Du dürftest mich übrigens auch Cedi nennen, wenn du willst.“ Sie grinste ihn an und verschwand zügig Richtung Küche.

Während er aß, sah Mia nach Rita. Es war mittlerweile früher Abend und sie hatte sicher Hunger. Doch sie hatte bereits einen Apfel gegessen und machte sich gerade bettfertig. „Bist du schon müde?“ „Ja, ich habe Kopfschmerzen. Kannst du bleiben und mich in den Arm nehmen?“ „Natürlich liebes!“ Damit setzte sie sich neben Rita aufs Bett und zog das traurig wirkende Mädchen an sich: „Bestimmt war unser Rumgehopse eben doch noch zu viel für deinen Kopf. Dann lassen wir es morgen etwas ruhiger angehen.“

Während Mia ihr sanft über den Kopf strich, summte sie leise bis Rita eingeschlafen war. Auch Cedrik schlief schon wieder, als sie den Teller holte. Viel hatte er nicht gegessen, aber wenigsten etwas. Sie räumte alles weg und wollte dann auch zu Bett. In der Nacht sollte sie zwei Mal aufstehen, um zu prüfen, ob alles in Ordnung war. Leider fand sie nirgendwo einen Wecker. Also beschloss sie wach zu bleiben. An der Wand hing ein Tablet auf dem, unter anderem, eine Uhr zu sehen war. Sicher wurde alles darüber gesteuert, aber sie wollte nichts verstellen. Technik war nicht unbedingt ihr bester Freund.

Mia sah aus ihrem Fenster. Sie konnte von hier aus genau auf den Fitnessbereich sehen und hatte einen ebenso guten Blick auf den bergigen Schwarzwald. Die Sonne stand bereits etwas tiefer und zauberte dem Wald eine goldene Krone auf. Die Aussicht lud automatisch zum Träumen ein und so genoss sie den Anblick bis es dunkel wurde. Dabei dachte sie über den Tag nach und war zufrieden, wie gut alles lief. Schließlich war es spät genug, um nach dem Rechten zu sehen. Cedrik schlief tief, seine Atmung war ruhig, kein Fieber, der Verband saß wo er sein sollte. ~Alles prima~

Als sie aus dem Zimmer ging, hörte sie Rita weinen. Eilig ging Mia zu ihr. Sie hatte von dem Autounfall geträumt. Mia nahm sie in den Arm und schaukelte sie wieder in den Schlaf. Es dauerte lange bis sie sich beruhigt hatte, daher konnte Mia auf dem Rückweg direkt ihren zweiten Kontrollgang erledigen. Dieses Mal war Cedrik wach, weil es ihm nicht so gut ging. Er glaubte zwar er käme zurecht, wenn sie ihm einen Eimer holen würde, doch das konnte Mia nicht zulassen. Nachdem der Eimer besorgt war, setzte sie sich in den Sessel, während er versuchte wieder einzuschlafen. Irgendwann hörte sie ihn schließlich tiefer atmen. Auch sie war nun ziemlich müde, doch sie wollte zur Sicherheit noch etwas abwarten.

Langsam öffnete Mia die Augen, überlegte wo sie war und warum ihr Rücken so schmerzte. Als sie ein Bett vor sich erkannte, schreckte sie auf. Cedrik saß belustigt darin: „Hättest ruhig sagen können, dass du bei mir schlafen willst. In meinem Bett wäre doch noch Platz gewesen…“ „Sehr witzig! Noch so eine Nacht und du kannst MICH pflegen!“ schmerzerfüllt dehnte sie ihren Rücken, bis das Stechen nachließ. „So schlimm?“ „Tja ich bin halt schon alt, da klappt das Campen im Sessel nicht mehr so wie früher.“ „Alt? Ist klar!“ „Hallo? Ich gehe mit meinen achtunddreißig Jahren schon fast auf die vierzig zu!“ Cedrik guckte erstaunt, er hatte sie viel jünger eingeschätzt. „Ha, dann habe ich trotzdem das erste Pflegerecht. Ich werde nämlich in kürze vierzig und bin somit älter!“ „In kürze?“ „Ja, in drei Wochen.“ „Autsch… na dann helfe ich dem alten Mann mal bei der Morgentoilette.“ Beide lachten herzlich, bevor Mia einfiel, warum sie eigentlich hier war:

„Jetzt mal im Ernst, wie geht es dir? Ist dir noch schlecht und schwindelig?“ „Nein, ich fühle mich heute sogar zum ersten Mal wieder richtig klar im Kopf.“ „Okay, dann wollen wir mal“, verkündete sie zufrieden und stand auf.

Damit er es leichter hatte, stellte Mia einen Küchenstuhl vor das Waschbecken und legte ihm sowohl Waschlappen, Handtuch, als auch frische Kleidung zurecht. Nachdem auch sie sich gewaschen und umgezogen hatte, brachte sie ihm Porridge ans Bett, den er gierig entgegennahm.

„Schläft Rita noch?“, erkundigte sich Cedrik, während er sich hungrig über seine Schüssel hermachte. „Ja, sie hat letzte Nacht schlecht geträumt, daher habe ich sie noch liegen lassen.“ „Seit dem Unfall träumt sie jede Nacht schlecht. Meinst du, ich muss mir Sorgen machen?“ „Wahrscheinlich braucht sie nur etwas Zeit. An für sich hat sie die letzten Tage ja echt gut weggesteckt. Vor allem, weil… naja, als ich sie aus dem Auto holte, dachte sie du wärst tot und dass es ihre Schuld sei. Auch wenn sie nun weiß, dass es nicht so ist, verarbeiten Kinder diese Gefühle oft im Schlaf.“ Cedrik wurde blass und sah reumütig zu Boden: „Ich wusste nicht, dass sie solche Angst hatte. Hätte ich doch nur besser auf die Straße geguckt! Stattdessen habe ich blöder Arsch mich lieber mit ihr gestritten, weil irgendwas nicht so lief, wie ich wollte. Ich erinnere mich nicht mal mehr daran, was es war! Was wenn sie ernsthaft verletzt gewesen wäre?!“

Mitfühlend legte Mia ihre Hand auf seinen Arm und strich mit dem Daumen über seine Haut. „Hör zu Cedi. Es war ein Unfall! Sowas ist schlimm, aber menschlich. Sprich mit Rita über den Tag und sucht euch einen positiven Aspekt. Das nimmt ihrem Erlebnis vielleicht ein wenig die Bedrohlichkeit.“

Nachdem Mia gegangen war, dachte er noch lange über sie und ihre Worte nach. Jemanden wie sie hatte er noch nie kennengelernt. Sie war so… ja wie eigentlich? Auf jeden Fall war sie sehr witzig. Sie war echt. Sie strahlte eine natürliche Leichtigkeit aus und war gleichzeitig einfühlsam und tiefgründig. Sie sagte was sie dachte, ohne beeindrucken zu wollen. Und sie war führsorglich. Er hatte viele Frauen in seinem Bekanntenkreis, die sich darum gerissen hätten, ihn zu pflegen . Aber die taten es nicht für ihn, sondern weil er reich und attraktiv war und sie sich eine entsprechende Gegenleistung erhofften. Noch nie hatte jemand so ehrlich besorgt bei ihm gesessen, wie Mia diese Nacht.

Sie sah so süß aus als sie aufwachte. Sie war allgemein sehr süß. Obwohl sie sich nicht großartig zurecht machte, war sie sehr ansehnlich. Sie hatte ein freundliches Gesicht, auffällige tiefbraune Augen, schöne sanfte Hände, eine gute Figur, tolle Beine und einen ziemlich passablen Hintern…

Auch wenn sie offensichtlich ein fröhlicher Mensch war, erkannte er bei genauem Hinsehen einen kaum merklichen, mysteriösen Hauch von Traurigkeit in ihrem ansonsten so warmherzigen Blick, was ihn unglaublich neugierig machte. Dennoch hatte es ihm vor allem ihr mitreißendes Lächeln angetan, bei dem automatisch alles heller zu werden schien. Fast schade, dass er ihr versprechen musste sie nicht anzubaggern. Dabei müsste ihr Mann doch schon mindestens zwei Jahre tot sein?! Was da wohl passiert war?

Und wie meinte sie das eben mit dem positiven Aspekt? Wie sollte man denn an einem Unfall etwas Gutes finden? Na gut, sie waren noch am Leben. Es hätte schlimmer kommen können… Aber daran wollte er Rita nicht unbedingt noch erinnern. So ein Glück, dass Mia an dem Tag da war. Was wäre nur gewesen, wenn sie sich nicht um Rita gekümmert hätte? Sie konnte wirklich gut mit Kindern umgehen. Sicher wäre sie eine gute Mutter.

Aus dem Wohnzimmer hörte er die Mädels lachen. Rita war ein aufgewecktes Kind, aber sie war auch sehr zielstrebig und ernst. Wirklich fröhlich rumalbern sah er sie nur mit ihrer Freundin Lisa und nun mit Mia. Gerne hätte er gewusst wie sie früher war… bevor ihre Mutter starb.

Bis vor zwei Jahren wusste er nicht mal das er Vater war, dann musste er plötzlich von einem Tag auf den anderen sein ganzes Leben umkrempeln. Inzwischen kamen sie ganz gut miteinander aus, aber Rita fehlte die mütterliche Fürsorge. Er war nicht gerade der einfühlsamste Mensch. Mia schien dieses Bedürfnis gut stillen zu können. Letzte Nacht hatte er zugehört, wie sie sich um Rita kümmerte, genau wie sie es im Krankenhaus getan hatte. Er war immer noch sehr angetan von dem Anblick, der sich ihm bot, als sie Rita singend im Arm hielt, um sie zu trösten. Das hätte er niemals gekonnt. Natürlich nahm auch er seine Tochter in den Arm, gab ihr ab und zu einen Kuss auf die Stirn und bemühte sich auch sonst ein guter Vater zu sein, doch der ganze Kuschelkram war so gar nicht seins…

Endlich begriff er es: MIA war der positive Aspekt! Hätten sie den Unfall nicht gehabt, hätten sie sich nicht kennen gelernt. Und wäre er nicht so schwer verletzt gewesen, wäre sie niemals mit hergekommen! Ja genau, das Argument würde Rita aufmuntern. Beindruckt stellte er fest, dass Rita Recht hatte mit dem was sie sagte, als sie im Krankenhaus zum ersten Mal von ihr sprach: Mia war ein Engel in der Dunkelheit. ~Ich mag sie~ , gestand er sich. Dann fiel ihm auf, dass sie ihn vorhin Cedi genannt hatte, worüber er sich sehr freute.

Nachdem Mia gekocht und aufgeräumt hatte, setzte sie sich mit ihrem Kaffee auf die Terrasse. Cedrik ging es weiterhin gut. Er sprach gerade mit Rita. Da sie jedoch die Tür aufgelassen hatten, konnte Mia in der Küche jedes Wort verstehen. Doch sie fand das ging sie nichts an, also ging sie raus. Später musste sie unbedingt auch noch ein paar Dinge klären. Zum Beispiel wohin und wann sie Rita morgen zur Schule fahren sollte und wo sie einen Wecker finden würde. Außerdem musste eingekauft werden. Bei der Gelegenheit wollte sie sich auch schnell ein paar Anziehsachen besorgen. Beim Wandern war es wichtig nur das Nötigste zu haben, aber hier war es sehr unpraktisch. Sie besaß nicht mal einen Schlafanzug! In den Pensionen schlief sie immer in Unterwäsche mit einem Top, doch das war definitiv zu wenig Stoff, um darin zu Cedrik zu gehen, wenn sie nachts nach ihm sehen müsste und sich jedes Mal anzuziehen, fand sie auch blöd.

Über zwei Stunden saß sie draußen, bis Rita kam. Sie sah verweint aus. Etwas unsicher stand sie vor Mias Schoß und sah sie an. Mia verstand die Geste, breitete ihre Arme aus und Rita schmiegte sich an sie. Stumm streichelte Mia ihr über den Kopf. Es musste nichts gesagt werden.

Eine ganze Weile saßen sie so dort und blickten in den Horizont. Alpträume von dem Unfall, hatte Rita seit diesem Tag nie wieder.

Irgendwann stand Rita auf und meinte sie hätte Hunger. Also gingen sie rein. Da kein Brot im Haus war, kochte Mia etwas Grießbrei, den sie im Schrank fand. Bevor sie sich zu Rita an den Tisch setzte, brachte sie Cedrik auch einen Teller und etwas Tee. Nachdem sie gegessen hatten, half Rita ihr beim Aufräumen und ging dann zu Bett. Sie wollte früh schlafen und vorher noch etwas lesen. Also holte Mia Cedriks Teller und wollte mit ihm alles für Morgen klären.

Cedrik war froh als sie ins Zimmer kam. Er musste dringend zur Toilette und wollte sich gerne die Zähne putzen. Mia wartete bis er fertig war, während sie nochmal das Bett aufschüttelte und ihm neues Wasser besorgte. Doch als er wieder im Bett lag, hatte er zu starke Kopfschmerzen, um auf ihre Fragen einzugehen. Er zeigte auf sein Handy, sagte er stelle ihr den Wecker in ihrem Zimmer auf 06:00 Uhr und bat darum, alles andere auf morgen zu verschieben. Etwas enttäuscht willigte sie ein und zog sich zurück. Sie hasste es unvorbereitet zu sein. Vor allem, weil sie ewig kein Auto mehr gefahren war und sich hier nicht gut auskannte. Nachdem sie sich geduscht und bettfertig gemacht hatte, zog sie noch einmal ihre Shorts über und kontrollierte, ob alles in Ordnung war. Beide Schützlinge schliefen tief und fest. Auch Mia war müde von der letzten Nacht. Sie überlegte, ob es nicht besser wäre noch wach zu bleiben, um später noch einmal nach Cedrik zu sehen. Doch da er heute gut gegessen hatte und es ihm besser zu gehen schien, entschied sie sich für ihr Bett. Es war genauso kuschelig wie es aussah und so dauerte es nicht lange, bis auch sie tief und fest eingeschlafen war.

Cedrik wachte am nächsten Morgen auf, als er ein piepsen hörte und genervtes Fluchen. Er Begriff sofort was los war und fischte lachend nach seinem Handy, um Mias Wecker abzustellen. Später sollte er ihr unbedingt zeigen, wie sie das Tablet bediente. Damit konnte man immerhin so gut wie alles im Haus steuern. Ihm war zuletzt schon aufgefallen, dass sie ihren MP3 Player nutzte, um Musik zu hören, statt der Home-Steuerung.

Als Mia zwanzig Minuten später, fertig angezogen, in sein Zimmer schaute, begann er wieder zu lachen: „Steht mein armes Tablet jetzt weinend in der Ecke und schämt sich?“ „Du hast das gehört?“, fragte sie entsetzt und merkte wie sie rot wurde. „Na der Wecker ist nicht ausgegangen, weil er Angst vor dir hatte. Das war ich“, grinste er heroisch. Mia schlug sich, peinlich berührt, die Hände vors Gesicht, lachte dann aber mit. „Sorry, ich hab es nicht so mit moderner Technik.“ „Ich zeige es dir nachher. Jetzt schmeiß lieber Rita aus dem Bett, um halb acht müsst ihr fahren. Den Weg zur Schule kennt sie, lass sie einfach vorne sitzen. Sie kann dir für den Heimweg auch das Navi erklären.“ „Okay. Und wo finde ich die Schlüssel zum Haus, fürs Auto und der Garage?“ „In der Garderobe am Eingang. Ist alles beschriftet, suche dir einfach ein Auto aus, aber der SUV ist am einfachsten zu fahren, weil er Automatik hat.“ Fragend sah Mia ihn an: „Eins aussuchen? Wie viele hast du denn?“ „Seit Freitag nur noch drei“, ärgerte sich Cedrik über sich selbst, denn der Unfallwagen hatte einen Totalschaden. „Ja schrecklich, wie soll man mit nur drei Autos zurechtkommen“, neckte sie ihn höhnisch.

„Ach, bevor ich es vergesse: es ist kaum noch was zu Essen im Haus. Daher wollte ich einkaufen, nachdem ich Rita abgesetzt habe. Brauchst du etwas bestimmtes?“ „Wir können von hier aus einkaufen, wird dann später geliefert. Aber würdest du mir einen Duschschutz für mein Bein aus der Apotheke besorgen?“ Mia, die lässig am Türrahmen lehnte, nickte erstaunt und wollte sich zum Gehen abwenden. Sah ihn dann aber nochmal an: „Cedi, bist du sicher, dass du schon duschen solltest?“ „Mir geht es gut genug. Und ich habe seit Freitag nicht mehr geduscht!“ Angewidert von sich selbst, rümpfte er die Nase, dann sprach er weiter: „In der Küche steht eine weiße Keksdose, darin findest du Geld. Das kannst du immer nehmen, wenn du etwas für hier besorgen musst oder was mit Ri unternehmen möchtest.“ Nickend drehte sie sich endgültig um und ging Rita wecken.

Während Rita sich anzog und frühstückte, wartete Mia in Cedriks Zimmer, damit er ins Bad konnte. Sie sah sich um und erblickte die Tasche mit Verbandzeug, die er aus dem Krankenhaus mitbekommen hatte. Mit Schrecken dachte sie daran, heute den Kopfverband wechseln zu müssen. Sie hoffte, sich nicht zu tollpatschig anzustellen. Die Wunde schmerzte ihn sicher schon genug, ohne dass sie daran lange rumfummelte ~ach was, das schaffe ich schon~ .

Nun war es soweit, Rita war fertig für die Schule, Cedrik wieder sicher im Bett. Anerkennend las sie sich die ordentliche Beschriftung des Schlüsselbrettes durch und schmunzelte bei dem letzten Schlüssel, weil da nicht wie bei den anderen die Automarke stand, sondern Bumblebee.

Offenbar waren die Schlüssel sogar so geordnet, wie die Autos in der Garage zu stehen schienen. Sie war fasziniert davon, wie ordentlich dieser Mann war. Selbst mit den Krücken im Badezimmer schaffte er es, stets alles wieder sorgfältig zusammen zu legen.

Mia hatte sich sofort für den SUV entschieden. Zum einen stand das Auto vorne, zum anderen schien ihr der Automatik die beste Wahl, da sie so lange nicht mehr hinterm Steuer gesessen hatte. Ritas Kindersitz war bereits auf dem Beifahrersitz, somit konnten sie sofort losfahren. Alles lief prima, allerdings mussten sie auf dem Weg zu Ritas Schule direkt an der Unfallstelle vorbei. Mia sah, wie Rita sich ängstlich an ihrem Sitz festklammerte und den Atem anhielt. Da sie genau wusste, was das Kind durchmachte, drückte sie kurz Ritas Hand und lenkte sie mit allen möglichen Fragen ab. So erfuhr sie, dass Rita Freitag auch auf dem Weg zur Schule war und dass sie gerne dorthin ging. Sie hatte nette Lehrer und erzählte, dass Jo und Bettys Tochter Lisa ebenfalls in ihre Klasse ging. Das fand Rita gut, denn Lisa war ihre beste Freundin. Mit ihr ging sie auch zwei Mal pro Woche zum Ballett, aber das fiel für Rita erstmal aus. Sport treiben durfte sie noch nicht. Am liebsten würde sie auch reiten gehen, doch ihr Vater erlaubte es nicht, weil er Pferde nicht leiden könne. Mia grinste und erzählte ihr, dass sie früher auch gerne geritten sei.

Mia setzte Rita an der Schule ab und besorgte sich dann schnell ein paar Oberteile, Hosen, einen kurzen Schlafanzug, ein paar leichtere Schuhe und einen Badeanzug. Zudem fand sie auch ein neues Buch, das sie gleich lesen wollte. Da sie sich ja nach ihrer Schwarzwalderkundung sowieso ein festes Heim suchen wollte, lohnte es sich nun, so viel zu kaufen.

In der Apotheke erhielt sie den gewünschten Duschschutz und kaufte zusätzlich eine wärmende Salbe für Cedriks Schmerzen im Nacken und Rücken. Beides zahlte sie aus ihrem Portemonnaie, denn sein Geld hatte sie nicht mitgenommen, es kam ihr falsch vor an die Dose zu gehen.

Wieder zu Hause angekommen, räumte sie die Kleidung weg und bereitete alles vor, damit Cedrik möglichst unfallfrei duschen konnte. Da sein Kopf nicht nass werden durfte, schraubte sie auch seinen Duschkopf etwas runter. Nachdem er geduscht und sie ihm erfolgreich den Verband gewechselt hatte -was er tapfer über sich ergehen ließ-, setzte er sich mit ins Wohnzimmer. Ganz in Ruhe erklärte er ihr, wie sie die Technik im Haus steuern konnte. Er wollte ihr auch die App dafür auf ihrem Handy einrichten, stellte jedoch erstaunt fest, dass sie gar keines besaß.

Mia fand es schön, wie geduldig und leicht verständlich er erklären konnte, während er wiederum überrascht war, wie schnell sie damit zurechtkam. ~Dumm ist sie schonmal nicht~ , stellte er für sich fest.

Nachdem sie auch die Einkaufsliste durchgegangen waren, kochte sie Porridge und widmete sich nach dem Aufräumen ihrem Buch, um ihm auf der Couch Gesellschaft zu leisten. Während er sich Sportsendungen ansah, unterhielten sie sich zwischenzeitlich immer mal wieder belanglos über allgemeine Themen. So sprachen sie über die romantische Aussicht, die sein Haus zu bieten hatte, über Mias geplante Reise zu den Wasserfällen, über Lieblingsspeisen, enddeckten ihre gemeinsame Vorliebe für süßen Wein und so weiter. Mia erfuhr auch, dass ihm eine größere Firma gehörte, die Sportbekleidung herstellte und durch die er ein ziemlich luxuriöses Leben führen konnte. Lediglich ein paar Tage im Monat müsste er dorthin, ansonsten fuhr er nur, wenn es etwas zu besprechen gab oder er Lust hatte nach dem Rechten zu sehen. Den Rest der Zeit arbeitete er von zu Hause aus. Für später hatte er sich vorgenommen, zumindest seine Mails zu lesen.

Irgendwann massierte Cedrik sich gequält den Nacken. „Oh man, die Schmerzen von dem Schleudertrauma bringen mich noch um. Die sind schlimmer, als alle anderen! Und das viele Rumsitzen nervt mich auch ganz schön, denn das ist nicht nur langweilig, davon werden auch die Verspannungen immer schlimmer. Wenn wir die Tage zur Kontrolle ins Krankenhaus fahren, kläre ich mal, ab wann ich zumindest schwimmen gehen kann, das würde mir bestimmt helfen.“ „Ach ja, jetzt wo du es sagst, ich hatte dir eine Schmerzsalbe besorgt. Der Apotheker meinte, die Wärme, die sie erzeugt, könnte deine Schmerzen etwas lindern.“ „Was, ehrlich? Du bist ein Schatz! Die kannst du mir bitte direkt auftragen!“

Mia stockte und wurde blass. Daran hatte sie nicht gedacht, aber klar, wie sollte er darankommen?! Sein ganzer Schulterbereich war dermaßen steif, dass er seine Arme kaum anheben konnte. Irritiert von ihrer plötzlichen Schüchternheit, überlegte er kurz, ob er etwas unpassendes gesagt hatte, fand seine Bitte jedoch nicht anzüglich. Also grinste er sie belustigt an: „Ach komm schon, du sollst mir doch nur eine medizinische Salbe verabreichen, keine erotische Massage!“ Sie lachte leise „Ja, du hast ja Recht, warte, ich hole sie eben.“

Als sie wiederkam, zog sie zaghaft sein Shirt hoch und massierte ihm die Salbe auf die schmerzenden Stellen.

Um die bei Mia deutlich zu merkende Anspannung zu durchbrechen, unterhielt er sich währenddessen weiter mit ihr: „Ich bin froh, wenn ich mich wieder normal bewegen kann. Es ist verdammt langweilig, nichts selbst machen zu können. Zum Glück bist du hier, sonst würde ich gnadenlos untergehen!“ „Wenn ich nicht hier wäre, würdest du im Krankenhaus versauern und könntest dir jeden Tag von lauter hübschen Schwestern den Katheter kontrollieren lassen.“ Bei dem Gedanken daran, lachten beide vergnügt. „Oh nein, bitte nicht. Da habe ich lieber eine nette, die mich allein aufs Klo lässt!“ Wieder lachten sie beherzt.

Innerlich freute Cedrik sich darüber, wie einfühlsam er sein konnte und fragte sich, warum ihr das Auftragen der Salbe wohl so viel ausmachte, schließlich war sie ja ansonsten auch immer sehr gelassen und selbstbewusst?!

Obwohl es ungewohnt war den Körper eines Mannes zu berühren, gab er ihr das Gefühl, es sei etwas ganz Normales. Schnell erinnerte sie sich daran, dass es das ja eigentlich auch war! Trotzdem ging sie danach lieber etwas mehr auf Abstand.

Mittags kamen die bestellten Lebensmittel. Mia staunte nicht schlecht, weil sie von dem Kurier sogar eingeräumt wurden. Sobald er weg war, stand Cedrik auf und räumte alles noch einmal neu ein, weil er fand der Kurier hatte das nicht gut genug gemacht. Er merkte wie verwundert Mia ihm dabei zusah und bezog das auf Jos Kommentar zu seinem Ordnungs-Tick. Leicht beschämt hörte er auf, um sich wieder auf die Couch zu setzen.

„Wow, wie ich sehe, scheinen dir Ordnung und Sauberkeit tatsächlich sehr wichtig zu sein?!“ Jetzt war ihm sein Handeln richtig peinlich, denn er kam sich vor wie ein Spinner. „So schlimm ist es auch wieder nicht. Ich mag es einfach nur, wenn alles an seinem Platz steht. Das war als Kind schon so bei mir. Aber mein wahres Geheimnis für meinen sauberen Haushalt heißt Paula und kommt jeden Montag und Freitag zum Putzen. Jeden zweiten Freitag sogar mit einem ganzen Team für Garten und Fenster. Denen habe ich noch nie hinterhergeputzt, die sind gründlicher, als ich es je sein könnte!“ Mia lachte vergnügt, weil er sich so verteidigte. „Alles gut Cedi, ich mag es, wenn jemand ordentlich ist.“

Nachdem sie Rita abgeholt hatte, verlief der Rest des Tages ähnlich wie der vorherige. Abends überreichte Cedrik Mia ein fertig eingerichtetes Handy, mit allen wichtigen Nummern. Sie wollte es nicht, doch er bestand darauf. Er meinte, er fühle sich wohler, zu wissen wie er sie erreichen könnte, wenn sie mit Rita unterwegs sei. Da das ein gutes Argument war, nahm sie es letztendlich doch an.

Auch die folgenden Tage verliefen recht routiniert. Freitags fuhren sie zur Kontrolle ins Krankenhaus. Cedrik ging es besser, aber schwimmen war noch zu gefährlich. Da die Salbe ihm guttat, trug Mia sie ihm noch einige Male auf. Es kam ihr bald gar nicht mehr so seltsam vor, daher bot sie sogar von sich aus an ihn einzureiben, wenn sie sah, dass er Schmerzen hatte.

Am Wochenende kam Tom vorbei. Genau wie Cedrik es vorhergesagt hatte, startete der sofort eine Flirtattacke. Deshalb verkroch sich Mia genervt in ihr Zimmer, bis er ging.

Bald schon schlich sich eine familiäre Vertrautheit zwischen den dreien ein. Cedrik wurde jeden Tag mobiler und schaffte es nun zum Essen an den Tisch. Abends saßen sie oft noch gemeinsam im Wohnzimmer, wo sie sie den Tag besprachen, mit Rita Hausaufgaben durchgingen oder den Abend gemütlich mit Gesellschaftsspielen ausklingen ließen. Manchmal sahen sie auch fern. Wenn Cedrik sich um seine Arbeit kümmerte, gingen Mia und Rita spazieren oder schwimmen. Da Cedrik noch sehr geräuschempfindlich war und das eh nicht unbedingt zu sehen brauchte, machten die Mädels sich einen riesen Spaß daraus, nur dann ausgelassen zur Musik zu tanzen, wenn Cedrik länger den Raum verließ. Der wiederum ärgerte sich jedes Mal lachend, dass sie nicht für ihn tanzten. Meistens hörten sie zu diesen Gelegenheiten Mias Liste aus den Fünfziger-Jahren oder Ritas großen Schwarm George Ezra, den auch Mia richtig klasse fand.

Da Cedrik inzwischen wieder sicherer auf den Beinen war, ging Mia nur noch selten in sein Zimmer und hatte auch sonst viel Freiraum. Obwohl sie einiges gemeinsam hatten und sich mochten, verbrachte Mia nicht unnötig Zeit mit ihm allein. Cedrik begrüßte das, denn auch er war es nicht gewohnt ständig eine Frau um sich zu haben. Er ruhte sich vormittags noch öfter in seinem Zimmer aus oder arbeitete, während Mia las oder in dem nahegelegenen Wald spazierte.

Ihre vereinbarten Pflichten vernachlässigte sie dadurch jedoch nicht. Sie erkundigte sich regelmäßig, ob er was brauchte, kochte, fuhr Rita zur Schule und Cedrik zu seinen Kontrollen. Seinen Kopfverband war er seit kurzem los und die Fäden waren gezogen. An dem Tag hatte sie ihm geholfen, seine immer noch blutverschmierten Haare zu waschen. Zwar protestierte er erst, weil er zu eitel war, konnte jedoch seine Arme noch nicht lange genug hochhalten, um es allein zu schaffen und gab sich schließlich doch geschlagen. Ihr machte es nichts aus, mit Blut hatte sie kein Problem.

Auch seine Schwellungen im Gesicht heilten langsam und wischen einem Bart, den er sich baldmöglichst wieder abrasieren wollte, weil er sich damit ungepflegt vorkam.

Die Tage gingen schnell vorüber. Paula hatte Mia noch nicht kennen gelernt, da sie bisher immer Termine im Krankenhaus hatten, während sie herkam. Dabei war sie ganz schön neugierig auf die Frau, die es stets schaffte, in so kurzer Zeit das ganze Haus zum Strahlen zu bringen, ihm dabei einen zarten Sommerduft zu verleihen und dann auch noch die Wäsche so sorgfältig bügelte, dass Mia die Kleidungsstücke jedes Mal anerkennend einräumte. Auch sie hatte früher oft gebügelt, doch so perfekt faltenfrei wie Paula es machte, war es ihr nie gelungen.

Schon war es wieder Samstagmorgen. Ihre zweite Woche war fast vorüber und Cedrik hatte gestern die Erlaubnis bekommen, sein Bein langsam wieder ohne Krücken zu belasten. Dennoch würde er noch einige Wochen kein Auto fahren dürfen und der Stützverband kam auch erst nächsten Freitag ab. Trotzdem war er heilfroh über den Fortschritt.

Für heute Mittag hatten sich Betty und Jo angemeldet. Sie befanden sich gerade auf dem Rückweg ihrer Reise und wollten vorbeischauen, um gemeinsam Pizza zu bestellen. Somit musste heute nicht gekocht werden.

Mia wusste, dass die beiden fast jeden Tag mit Cedrik telefoniert hatten, um nach seinem Befinden zu fragen und ihm das Neueste aus ihrem Alltag zu erzählen. Die zwei waren wirklich gute Freunde. Sie freute sich darauf Betty und Jo näher kennenzulernen, war sich jedoch nicht sicher, ob es überhaupt angebracht wäre dabei zu sitzen. Auch wenn sich das kaum so anfühlte, aber sie arbeitete nur für Cedrik und gehörte nicht zu seinen Freunden. Oder doch?

Freiheit des Glücks

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