Читать книгу Ich - Ein Wahnsinnsjahr - Lena Eilstrup - Страница 4

Ich und Tarzan

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Dienstag, 1. Januar, Neujahrsnacht

Das neue Jahr ist achtundfünfzig Minuten alt. Ich will es mit dir, liebes Tagebuch, beginnen.

Mama ist gerade mit einer Flasche Sekt und einem betrunkenen Kfz-Mechaniker verschwunden, sie feiert irgendwo anders weiter. Sie hat mir einen Fünfziger zugesteckt, dafür soll ich allein auf mich aufpassen und ihre widerlichen Zigarettenkippen und Weinreste wegräumen. Das Schlimmste beseitige ich, aber nur, weil es mich selbst davor ekelt.

Mama hatte ein paar Bekannte eingeladen. Noch nie habe ich so idiotische Erwachsene erlebt, die so viele lächerliche Witze erzählen.

Papa rief vor eineinhalb Stunden an und beklagte sich über das alte Jahr. Er klang reichlich betrunken. Irgendeine Frau schrie im Hintergrund und bot ihm einen prima Neujahrsbums an. Papa bat sie, sich zusammenzureißen, und wünschte mir ein gutes neues Jahr.

Genau als die Uhr zwölf schlug, rief Oma an. Sie feierte mit einigen anderen Rentnern. Weil sie ihre Zähne nicht drin hatte, nuschelte sie fürchterlich. Sie hatte Angst, sie im WC zu verlieren, falls sie sich übergeben müßte.

Ich lebe in einer versoffenen Familie, und nicht einer hat etwas von guten Vorsätzen fürs neue Jahr gesagt. Es ist der schlimmste Neujahrsabend, den ich je erlebt habe.

Ich bin Einzelkind. Der letzte Zusammenhalt in einer auseinandergefallenen Familie. Aber es gibt Hoffnung: In diesem Jahr werde ich fünfzehn – und damit strafmündig! Darauf freue ich mich.

Meine eigenen Vorsätze fürs neue Jahr: Ich will allein über mein Leben bestimmen und schlanker werden. Die Freßorgien von Weihnachten haben sich festgesetzt, natürlich konnte ich Omas Sülze nicht widerstehen: das reine Fett! Es ist wirklich eklig.

Liebes Tagebuch, du sollst mein einziger Vertrauter sein, auch wenn du nicht auf meinem Wunschzettel standst. Du warst Mamas Weihnachtsgeschenk. Sie hat ihr erstes Tagebuch zur Konfirmation bekommen, und weil ich mich nicht konfirmieren lassen will, hat sie es mir eben zu Weihnachten geschenkt.

Ich habe gefragt, ob ich denn ihres lesen dürfte. Das wäre doch bestimmt interessant, aber sie hat es verbrannt, als sie geheiratet hat, um ihre „albernen Pubertätsträume“ loszuwerden. Mütter können wirklich blöd sein!

Zugegeben, zunächst warst du eine Enttäuschung, aber zum Glück bekam ich auch noch eine tolle Bluse, die ich mir gewünscht hatte. Ich glaube ja eher, Mama hat dich mir geschenkt, damit sie nichts mehr von meinen Gedanken und Gefühlen hören muß. Seit Papa ihr ihre Freiheit wiedergegeben hat, ist sie nur noch mit sich selbst beschäftigt.

Du bist von der teuren Sorte, mit echt imitiertem Lederband und eingelassenem Schloß, zu dem nur ich den Schlüssel habe. Und ich kann dich wirklich gut gebrauchen. Du sollst alles erfahren, was mich bewegt. Aber ich überlege, wer dich bekommt, wenn ich plötzlich sterbe. Vielleicht Papa? Er glaubt nämlich immer noch, daß ich ein kleines Mädchen bin. Hier hätte er die Gelegenheit, mich mal aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.

Eigentlich müßte ich dir von meiner Familie berichten, die ziemlich außergewöhnlich ist. Aber sie ist es gar nicht wert, beschrieben zu werden, und ich bin auch bereits seit zwei Stunden im neuen Jahr.

Ich war unten auf der Straße, um zuzugucken, wie die anderen ihre Raketen abschossen. Brian C. aus der 7a hat mir einen Heuler nachgeworfen und hallo gerufen.

Er ist hinter mir her.

Ich wollte eigentlich so lange schreiben, bis Mama nach Hause kommt. Ich mache mir ernste Sorgen, in was sie sich da einläßt. Aber ich will dich nicht schon am ersten Tag vollschreiben.

Neujahrstag, immer noch ...

Diese Nacht und dieser Tag waren so lang wie ein ganzes schlechtes Jahr. Ich habe die Luftschlangen abgenommen. Auf Mama mußte ich bis neun Uhr morgens warten. Sie kam allein mit einem Taxi nach Hause und sang von dem tollen Kfz-Mechaniker. Reichlich unverfroren. Ich begreife nicht, was sie von ihm will, denn wir haben gar kein Auto, darum kann er uns doch ganz egal sein. Mama ist schwer, aber ich habe es trotzdem geschafft, sie ins Bett zu bringen.

Oma rief an. Sie hatte ihre Zähne wieder im Mund, deshalb konnte ich verstehen, was sie sagte.

Mittwoch, 2. Januar

Heute nacht habe ich herausgefunden, daß ich Brian C. liebe. Er soll mein neuer Freund werden.

Der erste war Allan vom Ende der Straße, aber daraus wurde nicht viel. Er wohnte bei Bente und Mogens, und das sind die totalen Alkoholiker! Tagelang bekam er nichts zu essen und mußte nachts allein schlafen. Verdammt hart! Ich liebte ihn wahnsinnig, und als sie letztes Jahr aus ihrem Haus rausgeschmissen wurden und wegziehen mußten, habe ich versprochen, ihn niemals zu vergessen. Deshalb schreibe ich hier über ihn.

Ich habe Mama erzählt, daß ich Brian C. stark finde, und sie gefragt, was ich jetzt tun soll. Mama hatte ziemliche Ringe unter den Augen. Sie arbeitet im Kiosk, der vierundzwanzig Stunden geöffnet ist, und erwartete einen wichtigen Telefonanruf, deshalb war sie nicht gerade in Redelaune.

Aber meine Frage munterte sie auf, und sie fing an, breit zu grinsen. „Sieh zu, daß die Jungen dir nachlaufen“, sagte sie. „Und nimm nicht den erstbesten Rotzjungen!“ Mama nimmt meine Gefühle nicht ernst, deshalb werde ich in Zukunft nur dir von ihnen erzählen.

Dafür vertraute sie mir an, daß ihr Typ einer der süßesten Männer sei, die sie je getroffen hätte, und ziemlich erfahren. Als ich meinte, es wäre vielleicht etwas früh nach der Scheidung für eine ernsthafte Affäre, wurde sie sauer und sagte, sie denke nicht daran, nur wegen Papa in Schwarz rumzulaufen.

Aus Protest rief sie sofort ihren Mechaniker an und lud ihn für Samstag zum Essen ein. Ich soll ihn wohl unbedingt kennenlernen, koste es, was es wolle.

Donnerstag, 3. Januar

Mama hat den Sauberkeitsfimmel, sie wirbelt wie ein weißer Tornado durchs Haus. Zu Papas Zeiten hat sie immer gesagt, daß ein staubiges Heim besser ist als eine saubere Hölle. So bin ich auch erzogen worden.

Offensichtlich soll für den Mechaniker, der garantiert schwarze Fingernägel hat, der rote Teppich staubgesaugt und ausgerollt werden. Sogar mein Zimmer sollte ich aufräumen, aber da bin ich eingeschritten, das ist mein privater Bereich. Ich habe einen Zettel an meine Tür geklebt: „Zutritt für Mechaniker verboten“. Leider bestand Mama darauf, daß der Zettel sofort wieder verschwindet.

In einem unbewachten Augenblick bin ich abgehauen und zu Papas Wohnung geradelt. Drinnen flüsterte jemand, aber es machte niemand auf, obwohl ich mehrmals klingelte. Durch den Briefschlitz konnte ich einen roten Mantel sehen, so einen hat er noch nie gehabt.

Jetzt bin ich müde vom Schreiben und will lieber ein bißchen lesen und dann schlafen und von Brian C. träumen.

Freitag, 4. Januar

Mama fragte mich, warum ich gar nicht mehr am Wochenende bei Mia übernachte. Mia ist meine beste Freundin. Aber jetzt geht sie mit Rasmus, und ich will nicht das fünfte Rad am Wagen sein, darum lasse ich sie meist in Ruhe.

Habe Papa angerufen. Er hatte einen Termin! Leider könnte ich nicht bei ihm schlafen, da er Logierbesuch hat. Der also auch!

Freitags geht Oma in die Abendschule, um Selbstverteidigung zu lernen. Sie hat Angst, daß ihr ihre Tasche von einem jungen Rowdy entrissen wird. Sie kann ich also auch nicht besuchen.

Ich fühle mich ausgestoßen. Vielleicht, weil ich zu fett bin? Mama sagt, ich sei gerade richtig, aber das finde ich nicht. Ich habe an die Leserecke in „Heim und Welt“ geschrieben:

Ich bin ein Mädchen, vierzehn Jahre, sieben Monate und siebzehn Tage alt. Ich möchte gern wissen, was es kostet, sich Fett absaugen zu lassen. Bitte antworten Sie schnell!

Wie soll ich dieses Wochenende überleben? Das erste Mal seit der Vorschule freue ich mich auf die Schule. Wenn nur bald Montag wäre!

Samstag, 5. Januar

Der Mechaniker kam mit zwanzig roten Rosen und einer Flasche billigem Rotwein. Das wäre Papa nie passiert. Das müßte eine Frau doch mißtrauisch machen. Mir hat er Schokolade mitgebracht. Er strich mir übers Haar und sagte, ich würde meiner Mutter ähnlich sehen. Rattenfänger!

Er heißt Bent Ivan und hat einen Lada. Das zeigt, daß der Mann schon schwachsinnig geboren wurde. Und er hatte wirklich schwarze Fingernägel.

Mama stellte die Rosen ins Wasser und bot einen Drink an. Aber er wollte lieber ein Bier. Ha! Das zeigt sein niedriges Niveau. Und außerdem seine Hintergedanken.

Er fragte mich nach der Schule aus. Ich sagte, es geht saugut. So was beruhigt die Erwachsenen, und ich plaudere ja nicht jedem Dahergelaufenen gegenüber meine Intimitäten aus. Er vertraute mir an, daß er schon früh von der Schule abgegangen sei, jetzt aber in einer Werkstatt arbeitet, deren Spezialität schwarze Autos sind. Als ob mich das interessiert!

Ich setzte mich und beobachtete die beiden. Schließlich möchte ich nicht, daß Mama in schlechte Gesellschaft gerät. Das wäre auch mir gegenüber unverantwortlich.

Mama sagte, wenn ich mich langweilen würde, könnte ich doch spazierengehen. Es regnete gerade in Strömen.

Bent Ivan hat offenbar massenweise Geld, er wollte mir fünfzig Kronen für eine Kinokarte geben. Aber ich sagte ihm, ich könne nicht, ich müsse Hausaufgaben machen.

Jetzt sitze ich hier in meinem Zimmer und schreibe in dir. Vorhin war ich noch kurz im Wohnzimmer, um einen Kugelschreiber zu holen. Die beiden hatten seine Flasche Rotwein ausgetrunken und reichlich rote Köpfe, als ich reinkam. Wie peinlich! Er ist immer noch nicht gegangen. Ich habe es doch gewußt!

Sonntag, 6. Januar. Die Heiligen Drei Könige

Morgen, endlich! Dann fängt die Schule wieder an. Brian C.! Ob er wohl auch an mich denkt?

In der Küche stehen drei leere Rotweinflaschen, die Rosen lassen die Köpfe hängen, und der Mechaniker schläft in Papas Bett. Wie kann Mama sich nur so erniedrigen?

Montag, 7. Januar

Das Leben ist schön! Heute bin ich zu Brian C. gegangen und habe ihn gefragt, ob wir zusammen gehen wollen. Heutzutage kann ein Mädchen auch mal die Initiative ergreifen. Er hat ja gesagt. Ich bin total happy. Er kommt heute abend.

Mia sagte, sie könne nicht verstehen, wieso ich mit Brian C. zusammen bin. Ich weiß nicht, was sie an Rasmus findet, aber das ist ja ihre Sache. Susanne sagt, man wird glücklich, wenn man küßt. Sie hat es mit ihrem Cousin ausprobiert.

Ich hätte gern vorher noch abgenommen, aber ich habe beschlossen, daß er mich nehmen muß, wie ich bin. Oma meint auch, daß Männer gern etwas in den Händen haben. Sie ist in dieser schweren Zeit mein ganzer Trost.

Ich habe aufgeräumt und Englisch gelernt.

Mit Mama habe ich abgemacht, daß wir jeder unser eigenes Privatleben haben. Sie hat vier Coladosen in den Kühlschrank gestellt.

Dienstag, 8. Januar

Brian C. war hier. Er ist ganz schön still. Wenn man ihm näher kommt, sieht man erst die vielen Pickel. Susanne sagt, die verschwinden, wenn man richtig zusammen ist. Aber ansonsten gibt es auch Gesichtswasser oder Salben dagegen. Die sind nur ziemlich teuer. Er hat auch einen Bartschatten über der Oberlippe.

Mama mag junge Männer, die nicht herumschreien und keine laute Musik spielen. Die sind selten. Sie ließ mich einfach mit Brian C. allein und rauschte aus der Tür, um Bent Ivan zu besuchen. So was Unverantwortliches!

Wir sahen uns eine Folge einer Krimiserie an, die Brian C. immer sieht. Er meinte, sie sei gut. Ich berührte seine Hand, aber leider hat er schweißige Hände. Er hat nicht versucht, mich zu küssen. Als der Krimi zu Ende war, haben wir beschlossen, fest miteinander zu gehen.

Ich habe es nicht mehr geschafft, Deutsch zu machen, und wurde natürlich abgefragt.

Keine andere mag mit Brian C. gehen, sagt Mia. Sie bedauert mich. Aber man muß doch einen Typen haben.

Mittwoch, 9. Januar

Ich bin mit Brian C. seit zweiundvierzig Stunden zusammen. Ich war bei ihm zu Hause, und seine Mutter bot uns Saft an. In seinem Zimmer steht alles in Reih und Glied. Er erschrak fürchterlich, als ich ihm einen Kuß gab, während seine Mutter auf der Toilette war.

Ich fühle mich aber nicht glücklicher. Und wenn seine Pickel nun ansteckend sind?

Er küßte mich nicht wieder, statt dessen spielten wir auf seinem Computer. Er ist Experte mit dem Joystick. Als ich zum dritten Mal tot war, übernahm er das Spiel und vergaß mich. Also habe ich lieber Schluß mit ihm gemacht und bin nach Hause gegangen, um in dich, liebes Tagebuch, zu schreiben. Ich bin wieder frei.

Bent Ivan schläft schon wieder hier. Die Küche schwimmt. Aber ich rühre keinen Finger. Ich soll mich um achtzehn Uhr mit Susanne zum Arbeiten treffen, das muß auch respektiert werden.

Donnerstag, 10. Januar

Ich habe meine erste Affäre bereits überwunden. Susanne sagt, es gibt Tonnen von flotten Jungs auf der Welt. Man hat die freie Auswahl.

Susanne ist meine zweitbeste Freundin. Wir waren gestern bei ihren Nachbarn und haben beim Servieren geholfen. Die hatten Silberhochzeit. Das gibt es also auch noch. Noch nie habe ich so viele Gedichte gehört, die sich nicht reimten, und so viele Reden, die nicht zu Ende gehalten wurden. Die Kinder (sie sind fünfundzwanzig Jahre alt) hatten das Ganze arrangiert. Ich bin wirklich froh, daß Mama und Papa nie so weit gekommen sind. Das wäre mir viel zu anstrengend.

Sie bekamen Vorspeise, Hauptgericht, zweiten Gang, Dessert, Kaffee und Kuchen. Getrunken haben sie auch reichlich. Wir bekamen Rückenschmerzen, die Reste und hundert Kronen zusammen zum Teilen.

Ein Junge forderte mich zum Tanzen auf, aber ich fand das unpassend, weil ich doch bedient habe. Außerdem war er erst dreizehn.

Ich will für einen BH sparen, ich habe keinen zu Weihnachten bekommen. Es gibt welche im Angebot. Aber Mama meint, er sei überhaupt nicht notwendig.

Mama hat einen Zettel geschrieben, sie ist zu einem Treffen gegangen und kommt erst spät nach Hause. Wahrscheinlich beim dänischen Kfz-Mechaniker-Verein. Wenn sie nur keinen Mist baut. Ich hoffe, sie paßt auf sich auf.

Brian C. glotzte mich heute mit großen feuchten Hundeaugen an, daß mir ganz schlecht wurde. Ich habe ihm einen Zettel auf seinen Tisch gelegt:

Lieber Brian C!

Danke für die gemeinsame Zeit. Du bist zu unreif, darum kann aus uns beiden nie etwas werden. Ich werde immer mal wieder an Dich denken. Versuche es doch mit einem Mädchen aus der sechsten Klasse, das dürfte besser passen.

Deine Freundin.

In der Schule ist geklaut worden. Zwei Tonbandgeräte, Lautsprecher und ein Videogerät sind aus der Wand gerissen worden. Alle sind verdächtig, hat der Inspektor über Lautsprecher gesagt. Er hat versprochen, denjenigen, der petzt, nicht zu verraten. Wir sind ganz sicher, daß es Drogensüchtige waren oder vielleicht ein älterer Schüler, der die Schule haßt. Die Polizei kümmert sich um die Sache und soll uns verhören.

Freitag, 11. Januar

Susannes Katze hat vor einer Weile Junge gekriegt. Die brauchen ein gutes, liebevolles Zuhause. Sie sind so eine Art saubere Halbedelkatzen. Susannes Mutter meint, ich käme bestimmt in Betracht, wenn Mama katzenfreundlich ist. Mama ist aber absolut gegen Haustiere, sie konnte schon Papas Aquariumsfische nicht ab, vermutlich war das mit ein Grund für die Scheidung. „Ich will keine Tiere innerhalb meiner vier Wände haben“, sagt sie und behauptet, allergisch zu sein. „Katzen pinkeln auf die Teppiche und sind nur ein Ersatz für andere, bessere Gefühle.“

Ich weiß nicht, an was für Gefühle sie dabei denkt. Ich habe ihr jedenfalls erklärt, daß ich gegen Mechaniker allergisch bin. Das hat sie rasend gemacht, sie hat mich ein verdammtes verzogenes Gör genannt, dem man den Hintern versohlen müßte.

Bisher ist sie ja nie physisch gewalttätig geworden. Aber im Augenblick reagiert sie furchtbar empfindlich. Bent Ivan hat sich nicht gemeldet, und sie ist zu stolz, ihn anzurufen.

Samstag, 12. Januar

Bent Ivan hat angerufen. Er hatte so viel mit einem schwarzen Auto zu tun.

Mama war sofort wie ausgewechselt. Sie ist um mich herumgetanzt und hat ein Wasserbett bestellt, das sofort geliefert werden soll. Sie behauptet, das alte Bett aus Papas Zeit sei fleckig und nicht gut für den Rücken. Ein Wasserbett soll eine gute Investition sein, wenn man Wert legt auf mehr Lebensqualität. Es faßt tausend Liter Wasser, ist doppelt gegen Leckstellen gesichert und besitzt eingebaute Wärmeglieder mit einer Sicherung gegen elektrische Stöße. Der reine Verzweiflungskauf! Ich habe versucht, sie daran zu hindern. Sie hätte auch ein Energiesparmodell mit nur vierhundert Litern und eingebauten wellenhemmenden Kammern haben können. Aber sie wollte das große und sagte, ich müßte doch verdammt noch mal verstehen, daß man sich ab und zu auch mal etwas Gutes tun muß, und außerdem hätte es zehn Jahre Garantie. Jetzt ist sie dabei, es mit Wasser und Algenvernichter zu füllen.

Sonntag, 13. Januar

Ich will Papa heute abend anrufen und fragen, was er von einer Katze hält.

Bent Ivan ist gekommen. Er hat mir ein Paket mit Schokoküssen zugesteckt. Am liebsten hätte ich es ihm an den Kopf geworfen. Er will mich doch bloß bestechen.

Die beiden probieren das Wasserbett aus, hoffentlich werden sie nicht seekrank.

Montag, 14. Januar

Mama wurde stinksauer, als sie mitgekriegt hat, daß ich Papa angerufen und angedeutet habe, daß sie eine Tierquälerin sei. „Das geht deinen Vater überhaupt nichts an. Er soll ja nicht mit einem Raubtier zusammenleben. Und wenn du vielleicht einmal deinen Grützkopf benutzen würdest, dann könntest du dir selbst ausrechnen, daß er nie und nimmer eine Katze zu seinen Aquarienfischen lassen würde.“ Sie schrie ziemlich herum und fluchte wie ein Seemann. Das tut sie immer, wenn sie die Beherrschung verliert. Ein Erbe von meinem Großvater, ihrem Vater, der war Seemann auf einem Tanker. Papa wollte sich nicht eindeutig für mich aussprechen. Er ist schon immer reichlich clever gewesen. Jetzt trägt er ja keine Verantwortung mehr für Mama und mich. Irgendwie ist Mama eindeutig die Verliererin. Andererseits hat sie das Haus gekriegt, aber sie sagt, Papa hat es nicht bezahlt und deshalb wird sie noch pleite gehen.

Haben Kinder eigentlich überhaupt nichts zu sagen? Solange ich noch minderjährig bin, habe ich meiner Meinung nach einen Anspruch auf Liebe, verständnisvolle Eltern. Ich will eine Katze, und wenn ich mein Zuhause deshalb verlassen muß. Susanne sagt, ich soll einfach mal beim Kinder- und Katzenschutz anrufen und mich nach meinen Rechten erkundigen.

Muß noch Mathe machen.

Dienstag, 15. Januar

Heute bin ich zu Susanne gegangen. Ich habe ihrer Mutter gesagt, daß Mama mir erlaubt hat, eine Katze zu halten. Sie wird in ein positives Heim kommen. Ich konnte frei aussuchen und habe mich für einen wahnsinnig süßen kleinen Kater entschieden, kohlrabenschwarz wie ein Panther. Susanne und ich haben ihn Tarzan getauft. Er soll noch ein paar Tage bei seiner richtigen Mutter bleiben, bevor er zu mir kommt.

Der Kfz-Mechaniker kam um fünf Uhr mit einer Schachtel Pralinen und drei Pizzen unterm Arm. Mama war gerade dabei, sich die Nägel zu lackieren, und hatte nur ihren schlampigen Bademantel an. Ziemlich aufreizend. Die beiden haben sich im Flur geküßt und mich überhaupt nicht beachtet. Und das nennt sich eine gute Mutter!

Ich bin unerwünscht und habe anscheinend nur noch dich, liebes Tagebuch, um mein Herz auszuschütten.

Sie lachen laut im Wohnzimmer. Er meint wohl, er ist lustig.

Ich freue mich drauf, wenn Tarzan kommt. Wenn Mama mir eine zerbrochene Ehe und Bent Ivan bietet, dann kann ich ihr wohl eine Katze bieten.

Mittwoch, 16. Januar

Bent Ivan hat gebeichtet, daß er einen minderjährigen Sohn hat. Heute abend hat er ihn hier angeschleppt und gefragt, ob wir nicht zusammen spielen könnten. Was denkt er eigentlich, wer ich bin?

Mikkel heißt er, ein Rotzbengel von zehn Jahren, der aussieht wie eine Reklame für Markenklamotten. Und dann steht er da, tritt auf der Stelle und pult in der Nase. Eklig!

Mama war auch ein wenig überrascht über den unerwarteten Familienzuwachs. Sie ist ja nicht gerade kinderfreundlich, hat ihn aber trotzdem überschwenglich aufgenommen. Es kam heraus, daß Bent Ivans frühere Frau vor mehreren Jahren mit einem reichen Amerikaner nach Amerika abgehauen ist und Bent Ivan das Sorgerecht überlassen hat. Das ist natürlich eine Schande. Die beiden wohnen in einer Zweizimmerwohnung in einem Hochhaus. Auch das hat er uns bisher verschwiegen. Logisch, daß er gern den Fuß in einem richtigen Haus drin hätte. Der Mann hat einiges zu verbergen.

Mama wollte den Jungen in meinem Zimmer unterbringen, aber ich habe einen Riegel vorgeschoben. Ich bin hier nicht als Kindermädchen eingestellt. Er hat den ganzen Abend im Wohnzimmer gesessen und Fernsehen geguckt. Das haben sie davon!

Jetzt sind sie nach Hause gegangen. Mama ist hereingekommen und wollte mit mir reden. Ich habe so getan, als ob ich schlafen würde.

Donnerstag, 17. Januar

War bei Susanne, um mit Tarzan zu schmusen und ihn an meinen Geruch zu gewöhnen.

Morgen schreiben wir eine Erdkundearbeit. Ich muß alles über die italienischen Städte wissen. Mama und Papa sind mal dort gewesen.

Freitag, 18. Januar

Hab’ die Arbeit versaut, weil ich die ganze Zeit an Tarzan denken mußte. Wie die Dinge im Augenblick liegen, ist es mir schnurzpiepegal, ob Rom die Hauptstadt von Spanien oder Italien ist oder ein Ort, wo sich die Leute besaufen.

Ich habe eine persönliche Antwort von „Heim und Welt“ bekommen. Mein Brief ist leider nicht abgedruckt worden. Obwohl ich überzeugt bin, daß auch andere Probleme mit Übergewicht haben. Die Kummerspaltendame riet mir, das Fett lieber auf dem Teller liegenzulassen, statt es in mich hineinzustopfen – und außerdem sollte ich an der allwöchentlichen Schlankheitskur der Zeitschrift teilnehmen. Außerdem sei Fettabsaugen wahnsinnig teuer. Ich werde anfangen zu sparen, aber bei meinem gegenwärtigen Einkommen muß ich damit rechnen, daß ich nicht vor einundzwanzig das Geld zusammenhabe.

Samstag, 19. Januar

Stinklangweiliges Wochenende. Bent Ivan und sein Ableger waren Tag und Nacht hier. Der Junge ist eine Landplage. Er will nicht allein auf dem Sofa im Wohnzimmer schlafen, weil er gewohnt ist, neben seinem Vater zu liegen.

Mama will mich zu Papa schicken. Aber der hat dieses Wochenende einen Kurs. Ich bleibe hier in meinem Zimmer, dann können sie Vater, Mutter, Kind spielen mit dem Kleinen auf einer Matratze neben dem Wasserbett.

Mama ist wieder bei zwei Schachteln Zigaretten am Tag, sie ähnelt einem rauchenden Vulkan. Was die beiden gemeinsam haben sollen, ist schwer zu entdecken. Das Verhältnis ist zum Scheitern verurteilt. Ich habe beschlossen, zu Susanne rüberzugehen, um Tarzan abzuholen.

Sonntag, 20. Januar

Ich wohne heimlich mit der tollsten Katze der Welt zusammen. Tarzan im Urwald, Tarzan auf Katzenpfoten, groß und wild. Er krallt sich in mir fest, hat heute nacht bei mir geschlafen und mag mich. Das wußte ich vom ersten Augenblick, als ich ihn gesehen hatte. Er kratzt an meinen Decken und hat auf meine Comics gepinkelt. Die kann ich wegschmeißen. Auf eine gewisse Art und Weise ist er also schon sehr sauber. In Zukunft werde ich ihm Papierschnipsel machen.

Ich habe eine Dose Makrelen aus dem Kühlschrank genommen und von meinem Taschengeld flüssige Schlagsahne gekauft. Das ist ziemlich teuer, aber ich werde ihn schon allein versorgen können.

Mama ist mit ihrem Kfz-Mechaniker plus Sohn beschäftigt. Mich hat sie auf Eis gelegt.

Brian C. glotzt mich die ganze Zeit in der Schule an. Egal, wohin ich mich drehe und wende, immer habe ich seine feuchten Dackelaugen im Nacken. Er tut mir leid, und ich habe Susanne gebeten, sie soll ihm sagen, daß er nicht mehr mit mir rechnen kann. Ich liebe Tarzan.

Bei diesen Zuständen werde ich noch zum Nervenwrack.

Montag, 21. Januar

Sie ist selbst schuld! Ist einfach in mein Zimmer gestürzt, ohne anzuklopfen. Das ist Verletzung der Intimsphäre!

Ich habe versucht, Tarzan unter meinem Kopfkissen zu verstecken, aber davon war er gar nicht begeistert. Er sprang mit einem Tigersatz auf den Schreibtisch. Mama schrie vor Schreck und sagte Worte, die ich nicht aufzuschreiben wage. Sie hat mir damit gedroht, die Katze sofort töten zu lassen, weil eine schwarze Katze Unglück bedeutet. Tarzan machte einen Buckel, und das regte sie nur noch mehr auf.

Ich sagte, daß sie dann erst mich töten müßte, aber das beruhigte sie auch nicht. Sie schrie, ich könne zu Papa und seinen Fischen ziehen. Mitten in dem ganzen Krach rief Bent Ivan an und mußte sich ihr Gejammer über ihre verzogene Tochter anhören. Jedenfalls konnte er sie beruhigen. Er behauptet, daß er weder etwas gegen meine Katze noch gegen mich hat. Dafür werde ich ihn respektieren. Bestimmt hat er Tarzans Leben gerettet. Aber ich vertraue ihm nicht.

Mama sagt, das ganze Haus stinkt nach Katzenpisse. Sie hat Tarzan verboten, im Haus herumzulaufen. Katzen markieren ihr Territorium. Das ist ihr natürlicher Instinkt.

Dienstag, 22. Januar

Tarzan hat auf meinen Walkman gepinkelt und damit einen Kurzschluß verursacht. Er haßt es, an der Leine zu laufen, und Susanne meint, ich soll ihn einfach frei im Garten laufen lassen. Aber ich habe Angst, er könnte verschwinden oder von einem herumstreunenden Hund gefressen werden. Er ist ja noch so klein. Susanne hat mir versprochen, daß ich dann einfach eine neue Katze bekomme. Sie haben immer noch drei übrig. Katzen haben einen niedrigen Kurswert.

Ich habe Oma angerufen und ihr von Tarzan erzählt. Sie hat gesagt, sie freut sich drauf, ihn zu sehen.

Mittwoch, 23. Januar

Habe ein Buch über Katzenpflege ausgeliehen. Es gibt vieles, was ich noch nicht wußte. Katzen haben ihre eigene Psyche. Ich darf Sand aus der Sandkiste bei den Nachbarn holen, deren Kinder sind inzwischen groß. Da pinkelt Tarzan gern rein.

Bent Ivan und Sohn sind mit einem Bett vom Flohmarkt angekommen. Mikkel hat zwanzig Kronen gekriegt, damit er ausprobiert, in Papas Arbeitszimmer zu schlafen. Sie sind dabei, das Haus zu übernehmen, aber Mama glaubt das nicht.

Ich habe Mikkel verboten, hier hereinzukommen und Tarzan anzufassen. Eine Katze hängt sich nicht gern an viele Menschen.

Mama ist nur mit Bent Ivan beschäftigt. Ich muß ihr ins Gewissen reden, ob sie sich das mit dem festen Freund wirklich gut überlegt hat. Sie beschwert sich immer über ihre schlechten Erfahrungen mit Papa, mit dem sie es fünfzehn Jahre lang ausgehalten hat. Die Ehe ist bestimmt schiefgelaufen, weil Mama auf Konserven und Tiefkühlkost steht. Essen war ihr nie besonders wichtig, und der Abwasch auch nicht. Papa wollte gutes, gesundes, selbstgekochtes Essen, damit auch ich mich gut entwickeln konnte. Ich denke, sie hätten sich in der Mitte treffen sollen, dann hätten wir chinesisch vom Grill essen können. Wenn sie auf mich gehört hätten, hätte ihre Ehe bestimmt noch eine Chance gehabt.

Papa hat versucht, das Beste draus zu machen. Er hat einen Kochkurs für Männer mitgemacht, während Mama ihre Freundinnen getroffen hat. Er kam öfters betrunken nach Hause und sie mit glühendem Kopf. Plötzlich waren eines Tages seine Zahnbürste, sein Rasierapparat und seine Kochbücher verschwunden. Da wußte ich, was los war. Er wollte mich nicht mitnehmen, weil er gut verstand, daß ich nicht die Schule wechseln und in einer Wohnung im vierten Stock wohnen und milieugeschädigt werden wollte. Übrigens ist es eine Dreizimmerwohnung mit Waschmaschine, Geschirrspülmaschine, Mikrowellenherd und allem, so kann er seine Überstunden machen und automatisch abwaschen. Papa hat schon immer an alles gedacht.

Sorry wegen der Schrift. Tarzan spielt mit dem Kugelschreiber.

Donnerstag, 24. Januar

Oma hat Liebeskummer. Sie hat am Telefon eine geschlagene Stunde über einen Malermeister gejammert, der ihre Türen gestrichen und ihr Herzklopfen bereitet hat. So was ist lebensgefährlich in ihrem Alter!

Ich habe ihr eins von Susannes Kätzchen angeboten, aber sie meint, sie sei zu alt für eine Katze und hätte wegen der vielen Überfälle auf ältere Damen eher Bedarf an einem Mann. Der Malermeister ist ein Mann mit eigener Firma, der kann sicher gut auf sie aufpassen.

Tarzan ist ein wahnsinnig lieber Kater. Er rollt sich gerade auf dem Schreibtisch zusammen. Mama hat erlaubt, daß das Katzenfutter vom Haushaltsgeld bezahlt wird, wenn ich, ohne zu meckern, jeden zweiten Tag den Abwasch übernehme. Was tut man nicht alles für seine Katze?

Freitag, 25. Januar

Morgen gehe ich auf ein Klassenfest bei Thomas aus der Achten. Ich bin als Lückenbüßerin eingeladen worden, weil noch ein Mädchen fehlte. Mia hat mich vorgeschlagen, sie geht mit Thomas’ kleinem Bruder, Rasmus. Das kann stark werden. Nur habe ich nichts anzuziehen.

Mama hat mir ihre schwarze Bluse angeboten. Aber ich laufe doch nicht in Klamotten rum, die sie abgelegt hat. Also bin ich rüber zu Papa. Er war zu Hause, wollte aber gerade gehen. Er hat mir Geld für eine neue Bluse und einen Hamburger gegeben. Er roch total nach dem neuen After-shave, dem keine Frau widerstehen kann, wie es in der Werbung heißt.

Samstag, 26. Januar

Hab’ mir von Susanne einen wahnsinnig kurzen grünen Minirock geliehen und dazu eine dünne rote Bluse gekauft, transparent (!), echt erotisch. Mama meint, sie sei häßlich. Sie nimmt überhaupt keine Rücksicht auf meine Gefühle. Von ihr habe ich mir die geblümten Strümpfe und ein Paar Stöckelschuhe ausgeliehen. Hab’ schon geübt, damit zu tanzen.

Mikkel habe ich erlaubt, auf Tarzan aufzupassen. Mama hat im Supermarkt einen ganzen Vorrat von dem billigsten Katzenfutter gekauft, das nur aus Fleischabfällen gemacht ist. Eine Katze braucht doch täglich frischen Fisch!

Jeder soll selbst was zu trinken zum Fest mitbringen. Ich habe heimlich eine Flasche Wein gekauft.

Sonntag, 27. Januar

Tarzan liegt am Fußende und leckt meine Zehen. Das kitzelt.

Ich habe Kopfschmerzen: mein erster Kater! Ich habe mir vorgenommen, nicht zur Alkoholikerin zu werden.

Wein, tolle Musik, viel Platz zum Tanzen ... Ich war ziemlich umschwärmt.

Thomas ist ein toller Typ, sportlich angezogen, echt erwachsen und der Geliebte von Marianne. Sie klebte an ihm und ließ niemanden sonst in seine Nähe. Mia sagt, die beiden haben eine sexuelle Beziehung.

Seine Eltern hatten versprochen, oben zu bleiben, sind aber trotzdem runtergekommen, um guten Tag zu sagen. Sie mußten uns unbedingt zeigen, wie toll sie Jive tanzen können (ein altmodischer Tanz aus ihrer Jugend). Es war total peinlich. Später kamen sie noch mal runter. Der Lärm würde sie nicht stören, sagten sie, aber die Nachbarn hätten sich beschwert, darum sollten wir etwas runterdrehen, damit nicht die Polizei käme.

Rasmus hat mit mir geredet. Er trug schwarze Jeans und einen gestickten goldenen Adler auf dem Hemd – seine Eltern haben es ihm aus Thailand mitgebracht. Ich habe meinen Wein getrunken, und er hat sich ein Bier reingezogen. Wir sahen einander in die Augen, du weißt schon ... sehr vielsagend.

Mia wurde stinksauer. Sie war auch sauer, weil er den Arm um mich legte. Aber das hat er nur gemacht, damit ich ihn stützen konnte, als er sich in eine Topfpflanze übergeben mußte. Thomas hat die Pflanze später in den Müll geschmissen. Ich wünschte, ich hätte auch einen großen Bruder. Normalerweise mag ich es nicht, wenn jemand sich erbricht, aber mit Rasmus war es irgendwie etwas anderes. Ich habe ihm versprochen, daß er Tarzan sehen darf. Mia sagt, Katzen würden ihn gar nicht interessieren, nur Fußball. Ich glaube, sie ist eifersüchtig oder hat irgendwie Verdacht geschöpft.

Im Augenblick rasiert Bent Ivan sich im Badezimmer. Er hat sein Deo auf das Badezimmerregal gestellt und seinen Bademantel in die Wäsche gestopft. Ich will ein Schloß an der Toilettentür und einen Zettel mit Benutzungszeiten.

Montag, 28. Januar

Ein grauer, stinklangweiliger Schultag. Tarzan hat mit meinem Blusenärmel Katze und Maus gespielt. Der Ärmel ist ganz ausgefranst.

Alle fanden, es war das affengeilste Fest, das sie je erlebt hätten. Susanne war grün vor Neid. Rasmus rief mir hallo zu, aber ich fragte ihn nicht, wann er Tarzan besuchen will. Mia übersieht mich einfach.

Ich bin immer noch ohne festen Partner. Brian C. könnte ich glücklich machen, aber jetzt hat er auch noch eine Zahnspange gekriegt, deshalb ist es vollkommen ausgeschlossen. Auch aus Mitleid geht es nicht.

Ich bin ein furchtbar einsames Einzelkind und kann mich nur auf Tarzan verlassen. Susanne hat eine große Schwester und einen großen Bruder, zu denen sie aufsehen kann, und außerdem noch vier Kätzchen, und sie bekommt Reitunterricht auf einem Pferd, das Janus heißt. Aber dafür hat Mama nicht genug Geld, und Papa will nichts finanzieren, was gefährlich sein könnte.

Früher saß Mama immer zu Hause und fluchte über Papas Überstunden, wenn ich von der Schule kam. Das war richtig gemütlich. Jetzt arbeitet sie im 24-Stunden-Kiosk an der Ecke und flucht darüber. Es ist ja auch nicht gerade anspruchsvoll, Bier über den Tresen zu reichen und Busenblätter und Monatsbinden zu verkaufen.

Das, was sie unser Heim nennt, wird infiziert mit Frauenzeitschriften, die sie im Kiosk ausleiht und liest, bevor sie verkauft werden. Ihr kultureller Anspruch kann nicht besonders hoch sein. Papa hätte so was nie zugelassen, er ist voll auf Kultur, Theater und gutes Essen abgefahren. Ich glaube, sie klaut auch Zigaretten, zumindest muß sie sie mit Rabatt kriegen, sonst könnte sie nicht all die Glimmstengel bezahlen, die sie einsaugt, und dazu noch den Rotwein.

Wenn ich jetzt meine Memoiren schreiben würde, stünde da: Meine Mutter ist geschieden, eine Diebin und Alkoholikerin und geht mit einem dubiosen Mechaniker ins Bett. Ich werde vernachlässigt. Tarzan soll getötet werden.

Sie ist eine Schande für die Familie.

Dienstag, 29. Januar

Oma ist angeschmiert worden. Sie dachte, sie hätte den letzten Mann ihres Lebens gefunden, und das nur fünf Jahre nach Opas Tod. Obwohl ich mich selbst für ziemlich tolerant halte, bin ich echt enttäuscht. Ich kann mich nicht mehr so gut an Opa erinnern, aber er ist zur See gefahren und gestorben, als er an Land ging. Mama erzählt nichts von ihm, denn während ihrer Kindheit war er meistens auf See, aber sie hat mir gesagt, daß er einen tätowierten Engel auf dem Arm hatte und ihr das Fluchen beigebracht hat.

Oma dachte, sie hätte einen bodenständigen Mann mit eigener Firma gefunden, den Malermeister Jensen, der ihre Wohnung gestrichen hat. Er hat sich nett mit ihr unterhalten und ihr Bier getrunken. Als jedoch Opas Bild schief im Rahmen hing und die Naht ihrer Matratze aufgegangen war, bekam sie einen fürchterlichen Verdacht. Es ist ja allgemein bekannt, daß Rentner ihr Geld an diesen Stellen verstecken. Sie ist fest davon überzeugt, daß er ihr gesamtes Erspartes klauen wollte. Aber zum Glück ist Oma ja nicht von gestern. Sie hat es in einem alten Topf versteckt, weigert sich aber, es auf die Bank zu bringen, dann würde ja ein Mann von der Gemeinde das meiste von ihrer Rente klauen.

Oma geht wegen ihres Rückens nicht mehr zur Selbstverteidigung und muß jetzt in permanenter Angst vor Taschendieben leben.

Dieser Malermeister war tatsächlich ein getarnter Dieb, und, wie sich herausstellte, auch noch einer mit Frau und erwachsenen Kindern. Oma mußte sich ein neues Türschloß anschaffen und sich mit einer nur halb gestrichenen Tür zufriedengeben, mag ihn aber nicht der Polizei melden. Sie hat Angst, daß es einen Skandal im Seniorenclub geben wird, wenn die herauskriegen, daß sie mit einem verheirateten Mann zusammen war.

Sie meint, es sei nicht leicht, allein zu sein. Was erwartet eine Frau in diesem Alter eigentlich? Klar, ich mag Oma trotzdem gern. Sie ist echt witzig. Gestern waren ihre Haare fast honiggelb. Sie paßt die Haarfarbe ihrer Stimmung an. Wenn sie grau sind, dann stimmt was nicht. Ich habe versprochen, ihr bei einer Kontaktanzeige zu helfen. Ich habe schließlich einige Erfahrung mit Zeitschriften.

Das will sie sich überlegen.

Sie kam mit einer Flasche Portwein, die sie schwesterlich mit Mama teilte, um die Sorgen zu ertränken. Aber sie hat sich gefreut, daß Mama Bent Ivan gefunden hat, auf den sie sich am Wochenende stützen kann.

Wir haben verabredet, zusammen auf den Friedhof zu gehen und Opa zu besuchen.

Mittwoch, 30. Januar

Draußen ist es hundekalt, und es schneit. Die Friedhofsverabredung ist abgesagt worden, Oma will ihre verkalkten Beine diesem Risiko nicht aussetzen.

Das meiste Taschengeld kriege ich von Papa, und er benutzt es nicht als Druckmittel. Das ist toll, mit dem Geld kann ich mich amüsieren und gleichzeitig entwickeln. Dagegen benutzt Mama das Katzenfutter als reines Druckmittel. Wenn ich die Einfahrt nicht freiräume, muß Tarzan hungern.

Mißhandlung! Warum, verdammt noch mal, läßt sie das nicht Bent Ivan machen? Schließlich ist es sein Lada, der da stehen soll. Er kann auch mal was für Kost und Logis beitragen. Wir werden doch nur nach Strich und Faden ausgenutzt.

Donnerstag, 31. Januar

Susanne meint, Brian C. wird wohl sterben, weil unsere Beziehung auseinandergegangen ist. Natürlich möchte ich ihn nicht für den Rest meines Lebens auf dem Gewissen haben, aber ich denke nicht, daß ich daran schuld bin. Ich habe Susanne gesagt, sie kann ihm erzählen, daß ich ihn nie vergessen werde, wenn das etwas nützt. Ich bin ja nicht gefühllos.

Mama und Bent Ivan haben gefeiert, daß sie schon einen Monat lang richtig zusammen sind. Ich habe Mama gefragt, ob es denn nicht an der Zeit wäre, einen anderen zu finden, bevor er sich hier zu sehr heimisch fühlt. Normalerweise hält sie es mit ihren Freunden immer nur ein paar Tage aus. Sie sagte, ich soll in meinem Zimmer verschwinden und mich um meinen eigenen Kram kümmern.

Nur gut, daß ich dich habe, liebes Tagebuch.

Ich - Ein Wahnsinnsjahr

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