Читать книгу Ich - Ein Wahnsinnsjahr - Lena Eilstrup - Страница 5

Ich und Rasmus

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Freitag, 1. Februar

Rasmus hat mit mir die ganze Pause lang geredet, während Mia beim Zahnarzt war. Vor allem über unsere idiotische Schule und über Fußball. Aber es ist klar, er ist interessiert.

Mama geht neuerdings ins Solarium, wo sie doch bisher die Winterbraunen immer verachtet hat. Das wird noch mit Hautkrebs enden. Sie tut alles, um Bent Ivan zu halten.

Und sie ist aus der Friedensbewegung ausgetreten. Sie kann den Beitrag nicht mehr bezahlen, sagt sie. Es interessiert sie überhaupt nicht, ob es Krieg geben wird. Sie denkt nur noch an sich selbst. Ich werde ihre Mitgliedschaft übernehmen, und zwar von meinem eigenen Taschengeld. Irgend jemand muß ja die Welt retten. Und wenn es nötig ist, werde ich auch gegen den Krieg demonstrieren. Aber das hat sie überhaupt nicht beeindruckt. Sie hat sich sehr zum Negativen verändert.

Papa hat angerufen. Ich habe ihm versprochen, heute abend zu ihm rüberzukommen. Er hat was Neues, womit er mich überraschen will. Bestimmt ein goldener Schleierschwanz.

Samstag, 2. Februar

Ich weiß nicht, ob ich Papa noch besuchen werde. Dauernd macht er mit seinen Fischen rum, und jetzt ist er auch noch mit einer Frau zusammen. Sie ist viel jünger als er und heißt Irene. Es ist offensichtlich, daß sie hübscher als Mama ist. Ihr Lächeln war aber angeschminkt und ihre Stimme gekünstelt.

Papa hat die ganze Zeit geredet. Meistens darüber, wie gut es ihm mit Irene geht und daß ich mich doch freuen soll, daß er nicht mehr allein ist. Das tue ich auch.

Bent Ivan und Mikkel sollen das ganze Wochenende hiersein. Ich gehe zu Oma.

Ob Eltern wohl darüber nachdenken, was sie ihren Kindern antun, wenn sie sie ihren zufälligen Geliebten und deren Nachkommen aussetzen?

Sonntag, 3. Februar

Habe bei Oma geschlafen. Sie hat nur zwei Zimmer. Wir haben über ihre Kindheit geredet und Fotos angeguckt. Sie hat meinen Verdacht bestärkt, daß Mama schon immer ein leichtes Mädchen war. Sie hat sich früher auch mehr für Männer als fürs Stricken interessiert. Aber dann hat sie meinen Vater getroffen, und die haben nur mich gekriegt.

Ich schlief in Omas Bett, und sie hat auf dem Sofa im Wohnzimmer geschlafen. Sie guckt immer bis ein Uhr nachts Fernsehen. Das schaffe ich nicht.

Ich habe den absoluten Superentwurf einer Kontaktanzeige für sie gemacht. Die Anzeige soll unter der Rubrik „Persönliches“ erscheinen:

Mein größter Wunsch ist es, einen Mann zu finden, der genug Wärme und Zärtlichkeit für zwei hat. Du bist zwischen 60 und 67, gerne Witwer. Du sollst ohne Verpflichtungen aus früheren Beziehungen und ohne Enkelkinder sein, gern mit eigener Firma, Auto oder Monatskarte, und mußt 100% ehrlich und lieb sein. Ich bin pensioniert, Witwe im 5. Jahr, jung geblieben und vorzeigbar, 169 cm groß und ziemlich schlank (ca. 65 kg). Meine Interessen: Selbstverteidigung, Natur, häusliche Gemütlichkeit, Fischen und Reisen. Wenn Du nach diesem Brief Lust hast, mich näher kennenzulernen, schreibe mir doch. Es könnte ja sein, daß gerade wir beide zusammenpassen. Ich freue mich, von Dir zu hören.

Oma hatte viele Einwände. Sie sagte, die Gewichtsangabe sei zehn Kilo von der Wahrheit entfernt. Ich schlug ihr vor, wir beide könnten zusammen die neue Erfolgsdiät machen, aber sie wollte nicht auf ihren täglichen Kuchen verzichten. Außerdem hätte sie noch nie gefischt, und sie will auch nicht mit einem Dorschkopf zusammenkommen.

Daß diese Frau nicht begreift, daß man in ihrem Fall alle Tricks anwenden muß! Es ist nicht so einfach, Frauen über dreißig zu verkaufen. Aber sie wollte lieber mit dem Brief noch warten. Jetzt habe ich ihn selbst abgeschickt, damit sie nicht mehr so allein sein muß.

Bent Ivans und Mikkels ekliges Zeug stapelt sich im Badezimmer. Sie haben auch ihre Zahnbürsten hingestellt, und es riecht nach ihnen. Paß bloß auf, Mama!

Montag, 4. Februar

Grauer, doofer Tag. Die sind immer noch da. Und das an einem Wochentag! Als ich aus der Schule kam, war Mikkel im Wohnzimmer und hat mit Tarzan gespielt. Das ist mein Kater! Ich habe Tarzan sofort mit in mein Zimmer genommen. Er soll nicht unter schlechten Einfluß geraten.

Mama habe ich keine Minute für mich allein. Ich glaube nicht, daß ich zu den egoistischen Personen gehöre. Aber ich finde, es ist ziemlich anstrengend, ich zu sein.

Ich: Ich bin vierzehn Jahre und neun Monate alt. Braune Augen, dunkles, glattes Haar (überlege aber, mir eine Dauerwelle machen zu lassen), 164 cm groß, etwas zu dick, unterentwickelte Brüste, aber ansonsten reif für mein Alter. Hobbys: Frieden und Katzen. Meine Charaktereigenschaften laut Zeitschriftenhoroskop: leicht verletzbar, überempfindlich, kreativ und fesselnd in Gesellschaft. Hat es am liebsten, wenn das Leben ruhig und nach Plan verläuft.

Ich wünschte, ich könnte mit Mama besprechen, was ich tun soll.

Dienstag, 5. Februar

Wir haben gegen die Parallelklasse im Handball gewonnen, ich habe eine Eins im Diktat geschrieben, aber mein privates Umfeld macht mich zum Verlierer.

Ich werde Bilanz über meine Familie ziehen. Sie ist schuld daran, daß ich geworden bin, was ich bin.

Meine Familie: Meine Mutter. Achtunddreißig Jahre, geschieden von meinem Vater. Rötliches Haar, auf das sie stolz ist. Ziemlich schlank für ihr Alter. Flucht viel und geht ins Solarium. Arbeitet als Verkäuferin im Kiosk, was sie haßt. Wechselnde Arbeitszeiten, neigt zum Stehlen (sie bringt Zigaretten und Briefmarken für sich und Marzipanbrote für mich mit), raucht und ist vielleicht Alkoholikerin. Aber sie liebt mich. Ihr großes Hobby war früher Frieden, jetzt sind es Bent Ivan und das Fernsehen.

Mein Vater ist zweiundvierzig Jahre alt, von meiner Mutter geschieden. Schütteres Haar, kleiner Bauch, Krawattentyp. Büroleiter einer kleinen EDV-Firma mit zwei Untergebenen. Flucht nur über Mama. Interessiert sich für Fische und Kochen. Er geht mit einer, die Irene heißt, aus. Aber am meisten liebt er mich. Nichtraucher, trinkt jedoch gern guten Rotwein.

Mein Vater und meine Mutter haben sich in Dänemarks Aquarium kennengelernt, wegen Papas großem Interesse für Fische und weil Mama Babysitter für den Nachbarssohn spielte, der die elektrischen Aale sehen wollte. Sie heirateten in einem Rathaus, weil sie mich bereits erwarteten. Sie haben sich letztes Jahr scheiden lassen, weil sie sich auseinandergelebt haben.

Meine Großmutter ist zweiundsechzig, Witwe von Opa. Wechselnde Haarfarbe, aber ganz im Innern grau. Ziemlich kräftig, Gebißträgerin. Sie ist Rentenempfängerin. Ihre Hobbys sind das Glücksrad, der Seniorenclub und Stricken (Strümpfe und Schals) und in letzter Zeit auch selbständig arbeitende Männer. Raucht nicht, trinkt aber gern. Mein Großvater war Seemann. Er hat meine Großmutter mit meiner Mutter schwanger gemacht und ist danach meistens auf großer Fahrt gewesen. Das sagt wohl alles über ihn. Er starb, als ich geboren wurde.

Meine Großmutter väterlicherseits ist neunundsechzig, Witwe von meinem Großvater. (Meine Großeltern sind alle nicht geschieden, Vater und Mutter sind also ehelich.) Weißhaarig, dünn, taub, künstliche Zähne. Ihre Hobbys: das Grab meines Großvaters, Fernsehen (mit Untertext) und das Leben meines Vaters. Sie wurde in meinem Alter Mitglied in der Konservativen Jugend und ist seitdem befördert worden zur Konservativen Volkspartei, in der sie Parlamentskandidaten mit auswählt, die andere dann wählen können. Aber sie selbst ist nie zu etwas gewählt worden.

Mein Großvater väterlicherseits war Hauptmann beim Militär, untersetzt und mutig, sagt Großmutter. Aber meine Mutter nennt ihn nur einen aufgeblasenen Idioten, und mein Vater ist auch nicht stolz auf ihn. Er starb kampflos im Bett.

Tarzan: Der schönste Kater der Welt. Er liebt mich.

Bent Ivan und Mikkel zähle ich nicht mit. Auch wenn sie wahrscheinlich glauben, daß sie hier wohnen, sind sie doch nur vorübergehend.

Mittwoch, 6. Februar

Wenn ich noch mal durchlese, was ich über meine Familie geschrieben habe, wird deutlich, daß es nichts gibt, worauf ich stolz sein könnte, und ich werde alles tun, um mich von meinem Erbe zu befreien. Frauen sind sowieso die Stärkeren. Meine Großmütter haben es geschafft, ihre Männer ins Grab zu bringen. Meine eigene Mutter hat sich von meinem Vater scheiden lassen und mehrere Männer unglücklich gemacht. Die meisten sagen, ich würde meinem Vater ähneln.

Rasmus kam in der Schule an und hat mit mir geredet. Mia hat gesagt, ich soll mich von ihm fernhalten. Sie ist stinksauer. Wir haben abgemacht, daß wir nicht mehr die besten Freundinnen sind, sondern einfach nur ganz normale Freundinnen. Wir haben nichts mehr gemeinsam. Susanne und Tine haben mich getröstet. Wir haben das Ganze durchgesprochen. Meine Schwäche für Rasmus wollte ich gar nicht verbergen. Ich bin bis über beide Ohren in ihn verliebt. Zum Glück habe ich Tarzan.

Donnerstag, 7. Februar

Susannes Eltern reden davon, sich scheiden zu lassen. Sie hat mich ausgefragt, um vorbereitet zu sein. Ich habe sie gewarnt und ihr von Mutters Entwicklung berichtet.

Mia redet nicht mehr mit mir, deshalb ist Susanne jetzt meine beste Freundin.

Ich bin zutiefst deprimiert.

Sie haben den Dieb gefunden, der in unsere Schule eingebrochen war. Es war ein früherer Schüler, der drogenabhängig ist und jetzt in den Entzug kommt.

Freitag, 8. Februar

Habe geträumt, daß Rasmus mich geküßt hat.

Tarzan hat ein Loch ins Sofa gekratzt, und Mama spuckt deshalb Gift und Galle. Ab jetzt soll die Wohnzimmertür immer geschlossen bleiben. Mama verlangt, daß er kastriert wird, damit er nicht mehr so wild ist. Ich habe im Lexikon nachgeschlagen: Sie will ihn seiner Männlichkeit berauben! Ein grausamer Gedanke.

Bent Ivan meinte, so ein tierärztlicher Eingriff sei verdammt teuer, für das Geld könne man viele andere schöne Sachen bekommen. Ich glaube auch nicht, daß es ihm gefallen würde, wenn es um ihn selbst ginge.

Mama besteht darauf, daß Tarzan auf die Straße laufen darf. Ich habe den Verdacht, daß sie hofft, er könnte überfahren werden. Lieber halte ich ihn drinnen. Jetzt ist er so nervös geworden, daß er auf meine Bettdecke gepinkelt hat.

Samstag, 9. Februar

Mama hat Tarzan mit Absicht rausgelassen! Aber zur Essenszeit ist er lebendig wieder zurückgekommen.

Mama und Bent Ivan wollen heute abend ausgehen. Keiner von beiden hatte Lust zu kochen, also gab es Frühlingsrollen vom Imbiß. Es ist nichts mehr wie zu Papas Zeiten, vor allem nach seinem Kochkurs, als er ein tolles Essen auf den Tisch gestellt hat, mir einen Gutenachtkuß gab und es sich dann mit Mama, Stoffservietten und Kerzenlicht gemütlich machte. Jetzt geht es nur darum, so schnell wie möglich wegzukommen. Mama sagt, Mikkel und ich könnten auf uns allein aufpassen, wir seien alt genug. Aber letztendlich bin ich es, die die Verantwortung trägt. Es ist unglaublich, was ich mir bieten lassen muß. Gerade jetzt rennt sie oben ohne herum, obwohl ihre Brüste nur so schlottern. Und an denen habe ich mal gesaugt. Aber ich will kein Kindermädchen für den Kleinen sein.

Ich habe an meine Zimmertür einen Zettel gehängt: „Zutritt für Minderjährige verboten“. Mutter hat ihn abgerissen und gesagt, ich soll verflucht noch mal zur Zusammenarbeit bereit sein, das würde sich auch für mich auszahlen. Sie hat mir einen Zwanziger gegeben. Mikkel guckt in die Glotze.

Bent Ivan liest das „Extrablatt“, diese Schundzeitung, die er hier im Haus eingeführt hat – ein Zeichen dafür, wie tief er steht. Ich schaue ab und zu hinein, um auf dem laufenden zu sein. Sie ist voller nackter Frauen und Gewalt, er sollte sich wirklich schämen. Aber ein paar gute Kontaktanzeigen sind drin. Ich glaube, Oma hätte hier eine Chance.

Ich gehe jetzt ins Bett. Ich will von Rasmus träumen.

Sonntag, 10. Februar

Erst früh am nächsten Morgen habe ich von Rasmus geträumt, wurde aber brutal von Mama geweckt. Sie hat sich darüber aufgeregt, daß ich Mikkel schlafend vor dem laufenden Fernseher habe sitzen lassen. Ich bin doch nicht ihr Dienstmädchen. Nach internationalem Recht ist es verboten, Kinder unter fünfzehn arbeiten zu lassen. Mama ist das egal. Sie hat mich gezwungen, beim Bäcker Brötchen und Kopenhagener zu holen. Sie will sich bei ihnen einschmeicheln! Eier, Saft, Kaffee und Joghurt... Bent Ivan bekam sein Frühstück im Wasserbett. Dieser Trottel hat natürlich den Kaffee verschüttet! Haha. Mikkel, der verwöhnte Rotzbengel, durfte als erster einen Kopenhagener aussuchen. Ich mache gerade eine Schlankheitskur, deshalb habe ich verzichtet.

Bin spazierengegangen, an Rasmus’ Wohnung vorbei. Habe gefroren, ihn aber nicht gesehen.

Es ist offensichtlich, daß jemand in der Zwischenzeit in meinem Zimmer herumgewühlt hat. Ich glaube, Mama sucht dich, mein Tagebuch, um herauszufinden, was ich denke. Aber du bist abgeschlossen und hinterm Regal versteckt. Keine Sorge!

Bent Ivan und Mikkel waren den ganzen Tag beim Fußball. Mama hat sich erniedrigt und hinter ihnen hergeräumt. Ein Beweis dafür, daß sie nicht sie selbst ist. Das Spiel endete 0:0. Das ist wirklich das Letzte – einen ganzen Tag seines Lebens auf zwei Nullen zu verschwenden!

Oma ist mit ihrem Seniorenclub nach Mallorca gereist, um einen neuen Mann zu finden.

Ich muß Englisch pauken.

Montag, 11. Februar

Rasmus traut sich nicht, mit mir zu reden, weil Mia dann sauer wird.

Jetzt gibt es endlich Beweise, warum Bent Ivan hier schläft. Im Badezimmerschrank liegen Kondome, hinter Mamas Tampons. Ich möchte wissen, ob die eigentlich nur an sich selbst denken können. Mikkel ist schließlich noch ein Kind und hat noch nichts über Sex in der Schule gehabt. Ich habe überhaupt keine Lust, erwachsen zu werden, das ist eklig.

Tarzan kratzt an der Tür, er will raus.

Dienstag, 12. Februar

Liebes Tagebuch, auf Menschen kann man sich nicht verlassen. Jetzt geht Susanne neuerdings mit Malene. Eine saublöde Kuh, die Tonnen von Schminke benutzt. Sie ist wirklich billig. Freundinnen kann man nicht vertrauen, und Rasmus guckt woanders hin, wenn ich ihn ansehe. Nur gut, daß ich Tarzan habe!

Mittwoch, 13. Februar

Papa hat mich für Freitag zum Essen eingeladen, heute morgen hat er angerufen. Ich freue mich wahnsinnig drauf. Er ist wirklich an mir interessiert. Ich will ihm von meinem unglücklichen Leben erzählen.

Donnerstag, 14. Februar

Oma hat eine Ansichtskarte von Mallorca geschickt. Es regnet, aber sie schiebt einen Mann im Rollstuhl herum, um warm zu bleiben. Sie war beim Stierkampf und vermißt uns.

Morgen abend soll ich mit Papa ausgehen. Ich ziehe mein blaues Kleid an, auch wenn es nicht die passende Jahreszeit dafür ist. Er mag es so gern.

Ich muß an Rasmus denken. Habe beschlossen, abweisender zu wirken.

Freitag, 15. Februar

Eigentlich habe ich gar keine Lust, von dem Restaurantbesuch mit Papa zu schreiben, aber ich habe ja versprochen, nichts vor dir zu verbergen, liebes Tagebuch.

Papa bestellte ganz rotes Rindfleisch, das Teuerste auf der Karte. Ich durfte selbst aussuchen und habe das Tagesgericht genommen: Schweinebraten mit Rotkohl.

Papa ließ den Wein zurückgehen, weil er nach Korken schmeckte. Davon versteht er was. Mir war das ziemlich peinlich. Zum Glück war meine Cola ganz normal und mit Eiswürfeln.

Papa fragte nach der Schule und meinen Zensuren.

Ich habe ihm von Tarzan erzählt. Aber wir waren nicht allein. Irene, seine Geliebte, war auch mit. Sie aß Lachsmousse und etwas Salat, um nicht zuzunehmen. Papa hatte ein paar neue Witze gelernt, die er loswerden mußte und auch gleich erklärte. Irene erzählte, wie witzig und aufmerksam mein Vater zu ihr ist. Ich glaube, sie möchte gern, daß wir Freundinnen werden. Nein danke!

Sie war es, die er Silvester kennengelernt hat! Und sie ist auch noch jünger als er – mindestens zwei Jahre.

Ich bekam Pfannkuchen mit Eis zum Dessert und habe versprochen, Großmutter zu besuchen. Papa hat im Augenblick keine Zeit dafür. Für ein Paar Stiefel hat er mir zweihundert Kronen gegeben. Zweihundert Kronen! Er hat keine Ahnung von den Preisen.

Ich bin deprimiert. Habe Rasmus den Rücken gekehrt. Tarzan läuft draußen im Dunkeln herum. Bent Ivan, Mikkel und Mama gucken Fernsehen. Ich habe mir schon die Zähne geputzt. Gute Nacht!

Samstag, 16. Februar

Rasmus war mit einem Kasten Bier hier! Auf einmal stand er einfach draußen. Ich habe die Tür aufgemacht. Das war vielleicht ein Schock, ich bin total rot geworden. Rasmus hat mich angelächelt. Er wußte gar nicht, daß ich hier wohne. Das Bier sei für meinen Vater. Ich sagte, ich hätte keinen Vater zu Hause, aber es stellte sich heraus, daß es für Bent Ivan bestimmt war. Heute nachmittag gibt es ein Fußballspiel im Fernsehen, und da macht er es sich mit einem kalten Bier gemütlich. Er hat es auch bezahlt und einen Fünfer Trinkgeld gegeben. Ziemlich geizig, wenn man den Weg zum Kaufmann und die Schlepperei bedenkt.

Ich kann nicht mehr klar denken oder schreiben und auch nicht schlafen. Daß er gekommen ist! Jetzt weiß er, wo ich wohne.

Ich habe ein Gedicht über meine Gefühle geschrieben:

Wo ich radle oder gehe,

Schaue ich, ob er nicht dort stehe.

Von meiner Liebe

Er nichts weiß,

Doch, Rasmus, du, du machst mich heiß.

Ich will ihm das Gedicht anonym schicken, dann kann er rätseln.

Sonntag, 17. Februar

Heute nacht habe ich von Rasmus geträumt. Wir gingen eng umschlungen einen breiten Strand entlang und bewunderten den Sonnenuntergang. Wie in einer Reklame, die ich mal gesehen habe.

Wieder mußte ich los und Frühstücksbrötchen kaufen. Bent Ivan soll es sonntags morgens gemütlich haben, und Mikkel darf noch nicht allein über die Straße gehen.

Mama hat mich gefragt, ob ich nicht Mikkel bei der Rechtschreibung helfen könnte, weil ich doch so gut im Diktat bin. Das auch noch! Ich habe mir zwar immer einen kleinen Bruder gewünscht, aber nicht so einen strohdummen Blödmann.

Also habe ich versucht ihm zu erklären, daß es natürlich geil ist, ein Wort zu schreiben, wie man will, daß es aber eigentlich gewisse Regeln gibt. Dann ist er heulend aus meinem Zimmer gerannt.

Mama sieht aus wie eine Gewitterwolke. Soll sie doch selbst dem Kind das richtige Schreiben beibringen.

Montag, 18. Februar

Da hatte ich gedacht, Mama und ich würden uns einen gemütlichen Abend zu zweit machen. Aber nein, liebes Tagebuch. Was glaubst du, mit wem sie dasitzt und ihre Fernsehbildung genießt? Genau! Bent Ivan und Mama gucken einen Krimi an, während ich abwaschen darf.

Bent Ivan hat vorgeschlagen, wir sollten die Hausarbeit teilen. Er fängt an, die Regeln in unserem Zuhause aufzustellen. Mikkel wird natürlich von seinem Vater angelernt, aber ich, bitte schön, ich habe ausgelernt.

Dienstag, 19. Februar

Ich habe das Gedicht in der Klasse auf Rasmus’ Tisch gelegt, aber er weiß nicht, daß es von mir stammt. Ich liebe ihn jeden Tag mehr.

Die Schule ist langweilig, und dieses Haus ist ein Gefängnis. Bei diesen unmoralischen Zuständen mag ich niemanden zu mir einladen.

Tarzan springt auf meinen Schoß und hindert mich am Schreiben. Oft wenn ich das Fenster öffne, kommt er angesprungen, um sein Trockenfutter abzuholen. Ich glaube, er hat da draußen eine herumstreunende Freundin gefunden. In meinem nächsten Leben möchte ich eine Katze sein.

Mittwoch, 20. Februar

Rasmus hat gedacht, Mia hätte das Gedicht geschrieben. Aber das hat sie nicht. Sie wurde leichenblaß und hat ihm gedroht, Schluß zu machen, wenn er es nicht in Stücke reißt.

Das hat er gemacht. Ich tat, als wenn nichts wäre. Mia verdächtigt alle Mädchen aus der Klasse.

Donnerstag, 21. Februar

Bent Ivan und Mikkel sind nun jeden Tag hier. Mama ist stinksauer, weil ich mich nicht um Mikkel kümmere. Sie ist immer noch bei zwei Packungen Zigaretten am Tag. Widerlich! Der Rauch hängt wie eine Gewitterwolke über ihr.

„Verdammter Scheiß“, habe ich zu ihr gesagt, „soll ich drunter leiden, daß du unkritisch irgendwelche Leute in unser Haus läßt?“

Es sollte eigentlich für eine Mutter ganz natürlich sein, mütterliche Gefühle zu haben. Sie müßte doch wohl als allererstes an ihre eigene Tochter denken. Wenn Bent Ivan wenigstens Geld hätte, dann wäre es vielleicht auszuhalten–aber er hat bloß seinen Lada und Mikkel.

Freitag, 22. Februar

Oma ist aus Mallorca zurück. Plötzlich stand sie im Flur. Ihre Haare sind zur Zeit karottenfarben. Sie brachte einen älteren, grauhaarigen Herrn mit: „Darf ich vorstellen: Basse, Beamter.“ Basse heißt Hansen mit Nachnamen. Er ist ein Zollbeamter im Ruhestand. Oma hat Zollbeamte immer als die schlimmsten Plagegeister der Menschheit beschimpft. Aber Basse ist etwas Besonderes, er soll sie vor Taschendieben beschützen.

Oma holte eine Flasche Cognac aus der Tasche. „Den habe ich geschmuggelt“, sagte sie stolz, und Basse nickte eifrig dazu, als hätte er mitgemacht. Ich muß zugeben, daß meine Familie ziemlich kriminell ist, und sie ist in schlechte Gesellschaft geraten. Während sie die Flasche leerten, hat Oma von Mallorcas und Basses Schönheiten berichtet. Es ist nicht zu fassen, wieviel ältere Menschen trinken.

Mama hat sie einen Aschenbecher mit dem Schriftzug „Grüße von Mallorca“ mitgebracht, den Mama geschmacklos nannte und dankend ablehnte, wenn auch die Absicht nett war. Oma ließ sich aber nicht kränken. Sie hat ihn wieder an sich genommen und gesagt, sie wird ihn auf den Tisch stellen, wenn Mama zu Besuch kommt.

Ich habe einen ausgestopften Stierkämpfer bekommen.

Samstag, 23. Februar

Schon wieder ein endloses Wochenende. Bent Ivan hat kein Bier bestellt, also werde ich Rasmus nicht sehen.

Papa hat angerufen und gefragt, ob ich die neuen Stiefel schon hätte. Er richtete schöne Grüße von Irene aus. Sie fand mich sehr nett. Ich habe ihm versprochen, Großmutter zu besuchen.

Mama interessiert es nicht, wenn ich Löcher in den Jeans habe. Bent Ivan will mir Geld für ein Paar neue geben. Alles nur, um sich einzuschmeicheln. Mama strahlte aber wie eine Sonne, also ließ ich mich erweichen und sagte danke schön. Sie kosten vierhundert Kronen. Mama ist alleinerziehende Mutter, deshalb werde ich es als eine Art Nothilfe ansehen.

Ich will versuchen, einen Job zu kriegen. Den Gedanken, von einem Mann abhängig zu sein, finde ich schrecklich.

Sonntag, 24. Februar

Am Nachmittag habe ich Großmutter besucht. Ich kenne niemanden, der soviel jammert wie sie. Aber mich mag sie natürlich gern. Ich bin ja auch ihr einziges Enkelkind.

Sie hat einen ganz ekligen Ton, wenn sie von Mama redet. Daß Papas und Mamas Ehe zum Scheitern verurteilt war, hätte sie bereits gewußt, als die beiden heirateten. Der Sohn eines Hauptmanns und die Tochter eines gemeinen Matrosen, daraus konnte ja nichts werden. Doch die Trennung sei vor allem Mamas Schuld gewesen, sie habe sich nicht wie eine ordentliche Hausfrau und Gastgeberin aufgeführt. Die Scheidung wird sie ihr nie verzeihen, so was ist man in dieser Familie nicht gewohnt. Auch mir ist es das erste Mal passiert. Es fiel mir richtig schwer, den Mund zu halten, denn so schlimm ist Mama nun doch nicht, auch wenn sie viele Fehler hat.

Papa sollte sich mehr um Großmutter kümmern, schließlich ist sie seine Mutter. Aber er denkt nur an Irene. Von der hatte Großmutter noch gar nichts gehört. Ich habe sie damit beruhigt, daß es bestimmt nur eine von Papas vorrübergehenden Frauenbekanntschaften sei. Hoffentlich schimpft sie ihn jetzt nicht aus.

Ich muß rauskriegen, was Rasmus’ Vater eigentlich macht.

Montag, 25. Februar

Ich habe gehört, daß Mia mit Rasmus Schluß gemacht hat. Andere sagen, Rasmus hätte mit Mia Schluß gemacht. Es gehen alle möglichen Gerüchte um.

Er ist frei. Ich habe ihm einen Brief geschrieben.

Lieber Rasmus!

Ich habe wirklich viel für Dich übrig, und ich glaube, daß Du auch etwas für mich empfindest. Ich glaube, wir beide sind füreinander geschaffen.

Du bist sehr sexy ...

Ich weiß nicht, ob ich ihn abschicken werde. Er soll sich ja auch nichts einbilden.

Dienstag, 26. Februar

Mama würdigt mich keines Wortes, weil ich meine Filzstifte nicht mit Mikkel teilen will. Der Junge geht mir auf die Nerven. Er hat sie sich einfach aus meinem Zimmer geholt. Soll sein Vater ihm doch welche kaufen. Es gibt keinen Grund, daß er meine aufbraucht.

Mittwoch, 27. Februar

Als ich heute morgen aufgewacht bin, habe ich zuerst gedacht, ich hätte einen bösen Traum gehabt. Aber nein, es ist grausame Wirklichkeit: Bent Ivan und Mikkel ziehen bei uns ein und sollen hier wohnen!

Außerdem hat sich herausgestellt, daß Mama Bent Ivan schon drei Monate lang gekannt hat, ohne es mir zu erzählen. Daß sie so lügen kann! Sie hat sich damit verteidigt, ich hätte ihr ja auch nicht alles über Brian C. erzählt. Sie hat überhaupt nicht mitgekriegt, daß ich schon vor fast zwei Monaten mit ihm Schluß gemacht habe. Blind ist sie also auch noch. Zum Glück habe ich ihr nichts von Rasmus erzählt. Ich ziehe hier aus, sobald ich allein klarkomme.

Mama meint, ich soll auch mal die Vorteile sehen. Bent Ivan hat eine gute Arbeit und ein Auto, davon könnte ich auch was haben. Er bekommt seinen Lohn und kann was zu den Raten beisteuern, denn Papa hat das Haus ja nicht bezahlt, deshalb haben wir ziemlich hohe Schulden. Außerdem mag sie ihn gern, obwohl er einige Fehler hat. Sie hat mir versprochen, daß sie versuchen will, ihn zu erziehen. An Mikkel müßte ich mich nun mal gewöhnen. Aber das Ganze liefe auf ein Plus hinaus. Vielleicht könnten wir uns jetzt sogar einen Urlaub im Ausland leisten.

Sie ist reichlich berechnend und hätte gerne, daß ich die Ferien bei Papa verbringe und über die Zukunft nachdenke, damit sie ihre Ruhe hat. Ich habe Papa angerufen. Er hatte Mitleid mit mir, aber er meinte, daß er ja selbst nur drei Zimmer hätte. Für ein paar Tage könnte ich bei ihm bleiben, aber in dem Haus sind Haustiere verboten, deshalb könnte Tarzan nicht mit. Keine Angst, Tarzan! Ich lasse dich nicht im Stich!

Ich kam eine Stunde zu spät zur Schule, weil ich Mama davon überzeugen wollte, daß sie die Fehlentscheidung ihres Lebens getroffen hat und daß ich bei ihr wohnen bleibe.

Donnerstag, 28. Februar

Ich kann nur feststellen, daß an diesem Tag nichts Schönes passiert ist.

Es ist rausgekommen, daß Bent Ivan vorwiegend schwarzarbeitet.

Mama ist vollkommen unsensibel. Wenn ich später mal drogensüchtig werde, wird sie noch bereuen, daß sie mir so eine schlechte Kindheit bereitet hat.

Ich - Ein Wahnsinnsjahr

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