Читать книгу Der Nicht-tot-Mord - Lena M. Grimm - Страница 11

Kapitel 3

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„Aber wie kann es sein, dass sie noch lebt? Ich meine, niemand konnte sie aufwecken“, rief der Inspector aufgebracht.

„Nun, ich denke, dass sie in eine Art Dornröschenschlaf gefallen ist“, antwortete ihm Isaac.

„Und jetzt müssen wir 100 Jahre warten, bis sie aufwacht?“ Der Kommentar mochte unangemessen sein, aber Clarkson fühlte sich mit der Situation etwas überfordert, weshalb ihm die Worte herausrutschten.

„Ein Wunder, dass du in dieser Lage noch scherzen kannst. Ich habe schon oft beobachten können, wie angebliche Tote wiedererwacht sind. In solch einem Fall sind die Opfer nicht wirklich tot gewesen, sie befanden sich lediglich in einem komatösen Zustand.“

„Und wie wird so ein Zustand ausgelöst?“ Clarkson war verwirrt. So etwas hatte er in seiner gesamten Laufbahn noch nie erlebt. Gemeinschaftsmorde oder dass ein Opfer aus Versehen von zwei Tätern umgebracht wurde, aber so etwas? Nein, das war definitiv neu im Programm.

„Es gibt da verschiedene Möglichkeiten. Die häufigste Ursache für einen solchen komatösen Zustand ist eine schwere Kopfverletzung. Dies können wir jedoch ausschließen, da ich keinerlei Wunden sehe, weder am Kopf noch an den Armen, dem Rücken oder sonst irgendwo.

Der Wahrscheinlichkeit folgend wäre da noch die Möglichkeit einer Krankheit, meistens eines Tumors. Das kann ich so allerdings weder bestätigen noch ausschließen, weil ich dafür ein Röntgengerät benötige. Eine fantastische Erfindung. Nicht so häufig, allerdings öfter als vermutet, kommt es vor, dass der Patient ins Koma fällt, weil er traumatisierende Situationen erlebt hat.“

„Nun, ich denke, das lässt sich schnell herausfinden. Miss Dunham, wären Sie uns noch einmal behilflich?“, wandte sich Jonathan an die Amme, die beflissen nickte. „Sagen Sie, ist Ihnen Miss Julia in der letzten Zeit verändert vorgekommen? War sie verschreckt, ängstlich?“

„Nein, da fällt mir nichts Konkretes ein. Oh doch! Während der Weihnachtsfeiertage, genauer gesagt am 26. Dezember, brannte der halbe Pferdestall ab. Der Weihnachtsbaum, der draußen stand, hatte wegen all der Kerzen Feuer gefangen, fiel um und direkt auf den Stall. Miss Julia war sehr aufgewühlt, da ihr Pferd Dreamdancer ebenfalls darin stand. Oder besser gesagt, es hätte dort stehen sollen, der Satansbraten war am Nachmittag ausgebüxt und niemand hatte es bemerkt. Die Familie war im Haus, um mit der angereisten Verwandtschaft zu feiern, das Personal hatte alle Hände voll zu tun.

Erst als Lady Berringtons Schwester, Lady Higgins, auf die Terrasse ging, um eine Zigarette zu rauchen, bemerkte man das Feuer. Man konnte es löschen, keines der Tiere wurde verletzt, die meisten waren vor die Schlitten gespannt worden, denn es sollte eigentlich ein Ausflug damit stattfinden. Auf jeden Fall war Lady Julia sehr verstört aus Angst um den Teufelsbraten, doch eine Familie fand ihn auf ihrem Spaziergang.

Als Dreamdancer wieder da war, schien es Miss Julia eigentlich wieder gut zu gehen, doch selbstverständlich hinterlässt so ein Schreck seine Spuren. Merkwürdig war, dass Miss Julia mich bat, hier in ihrem Zimmer kein Feuer mehr zu machen, wenn sie zugegen war. Vermutlich war sie einfach noch etwas verstört und ängstlich.“

Unglaublich, Miss Dunham hatte diesen Monolog gehalten, ohne einmal Luft zu holen. Sie musste nicht mal jetzt nach Luft schnappen, wie jeder andere es getan hätte. Bemerkenswert.

„Miss Dunham, wären Sie so gut und suchen schnell den Vater des Mädchens?“, bat Isaac Drew. „Ich muss noch etwas mit ihm besprechen.“

„Natürlich, warten Sie ein paar Minuten.“ Schon war die Frau aus der Tür gehuscht. Ziemlich flink für eine etwas ältere, füllige Dame.

Isaac nutzte die Zeit, um seine Instrumente einzupacken, und Jonathan sah sich noch einmal im Zimmer um. Er betrachtete die Bücherregale, in denen ziemlich dicke Wälzer standen, vor allem von Shakespeare. Eines der Regale war voll mit Notenblättern und neben dem Klavierhocker stapelten sich zwei weitere Türmchen davon. Clarkson nahm das aktuelle Notenblatt, das sich in der Halterung über den Klaviertasten befand. Es war eines seiner Lieblingsstücke. Von fremden Ländern und Menschen aus Schumanns Kinderszenen. Auf einem der Türmchen lag der Rest der dazugehörigen Noten.

„Inspector, Professor, Lord Berrington.“ Miss Dunham war mit dem Hausherrn in das Zimmer zurückgekehrt.

„Lord Berrington, ich hätte noch etwas mit Ihnen zu besprechen“, sagte Drew.

„Dann mal raus mit der Sprache, Professor“, ermutigte ihn Lord Berrington.

„Als Erstes können wir Ihnen eine gute Nachricht überbringen: Während der Untersuchung habe ich festgestellt, dass Ihre Tochter gar nicht verstorben ist. Sie befindet sich lediglich in einem komatösen Zustand. Es gibt verschiedene Ursachen für so etwas, die häufigste ist eine Kopf-oder Rückenverletzung, das konnte ich jedoch schnell ausschließen. Es gibt außerdem die Möglichkeit einer Erkrankung, dies kann ich allerdings nur herausfinden, wenn ich Ihre Tochter mit einem Röntgengerät untersuche. Dafür müsste ich Lady Julia mit nach London nehmen.“

Lord Berrington hatte sich, während Isaac ihm erklärt hatte, dass seine Tochter gar nicht tot wäre, auf die Bettkante fallen lassen. „Sie meinen ... sie lebt noch? Wird sie denn wieder aufwachen?“

„Um das festzustellen, muss ich die Röntgenuntersuchung machen. Wenn die Ursache gefunden wird, können wir sie behandeln und die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder aufwacht, ist hoch. Vorausgesetzt, eine Erkrankung ist die Ursache.“

Miss Dunham hatte sich ebenfalls gesetzt, allerdings auf den Stuhl am Schreibtisch. „Und sie kann wirklich wieder aufwachen, Professor?“, fragte sie mit tränenerstickter Stimme.

„Wie gesagt, wenn wir die Ursache mithilfe des Röntgenbilds finden, ist es möglich.“

„Können wir denn irgendetwas tun, um Miss Julia zu helfen?“, fragte die Amme hoffnungsvoll.

„Das ist schwer zu sagen, es kommt vor, dass Patienten beim Klang einer bestimmten Musik oder Ähnlichem aufwachen. Dass es funktioniert, kann ich Ihnen nicht versprechen. Nun da wir wissen, dass ihr Herz noch schlägt, müssen wir sie ernähren. Ich schlage vor, Sie, Miss Dunham, flößen ihr regelmäßig etwas Wasser oder Suppe ein und sie bekommt mehrmals täglich eine Injektion mit einer Zuckerlösung. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen den Umgang mit der Spritze, dann können Sie das selbst erledigen.“

„Natürlich, Professor, ich werde selbstverständlich alles tun.“ Miss Dunham stand voller Tatendrang auf. Ihre Wangen waren rosig vor Freude. „Ich werde gleich Wasser holen.“ Wie ein Wirbelwind war sie schon aus der Tür gestürmt.

Lord Berrington schien es immer noch nicht fassen zu können. Als er zu sich zurückfand, sprang er ebenfalls auf. „Professor, natürlich werden Sie die Röntgenuntersuchung machen. Ich werde sofort einen Wagen vorbereiten lassen.“ Und mit diesen Worten fegte auch er aus dem Zimmer.

Jonathan und Isaac blieben allein zurück.

„Ich fürchte, ich werde gleich nach London aufbrechen müssen. Eventuell muss ich über Nacht bleiben, wir werden sehen. Ich hoffe sehr, dass wir die Ursache für ihren Zustand finden können, das arme Mädchen. Vielleicht wacht sie sogar so wieder auf, das gab es auch schon“, teilte Isaac seinem Freund mit. Just in diesem Moment kam Miss Dunham mit einem Krug Wasser und einer flachen Schale wieder herein. „Professor, wenn Sie mir das mit dem Wasser zeigen würden, mache ich das gleich mal.“

„Natürlich, Miss Dunham. Das arme Mädchen hat seit Stunden keine Flüssigkeit zu sich genommen. Warten Sie, ich zeige Ihnen, wie es am einfachsten geht.“ Drew lief zum Bett zurück, nahm die Schale und füllte sie mit Wasser. Anschließend flößte er der reglosen Julia die Flüssigkeit geschickt ein. „Nehmen Sie nicht zu viel Wasser auf einmal. Anschließend ist es gut, wenn Sie den Oberkörper leicht aufrichten, dann kann die Flüssigkeit in den Magen laufen. Und halten Sie ihr dabei den Mund zu, sonst fließt alles wieder heraus. So, versuchen Sie es einmal.“

Während die beiden der jungen Lady Wasser einflößten, dachte Jonathan über die Ursache für den Dornröschenschlaf, wie Isaac es genannt hatte, nach. Er konnte nicht glauben, dass es eine natürliche war. Er hätte schwören können, dass sein rechtes Ohrläppchen gekribbelt hatte, als er den Brief von Charles Sawlt las. Und sein Ohrläppchen kribbelte nur, wenn es einen Mord gab. Oder vielleicht hatte er sich das auch nur im Nachhinein eingebildet ...

Er wurde urplötzlich aus seinen Gedanken gerissen, als Lord Berrington zur Tür hereinstürmte. „Professor, Inspector, der Wagen ist abfahrbereit. Miss Dunham, würden Sie Julia und den Professor begleiten? Das wäre fantastisch.“

„Selbstverständlich, Lord Berrington, es wäre mir eine Ehre.“ Das Rosa aus den Wangen hatte sich mittlerweile über das komplette Gesicht ausgebreitet. Der Kopf der Amme sah aus, als hätte sie soeben die ersten Sommerstrahlen genossen, ihr Teint war krebsrot.

Drew wandte sich an die Frau. „Miss Dunham, ich glaube, es wäre gut, wenn Sie Miss Julia einen Mantel, einen Schal und eine Mütze anlegen würden. Handschuhe wären auch von Vorteil, es ist bitterkalt draußen. Ihre Vitalfunktionen sind auf ein Minimum zurückgegangen, die Kälte könnte wirklich ihren Tod bedeuten.“

„Oh ja, natürlich, Professor. Ich werde ihr den wärmsten Mantel anziehen, den sie hat.“ Sie wuselte durch das Zimmer, öffnete den Schrank und zog einen langen marineblauen Mantel mit Fellkragen, einen dicken Wollschal, ein Paar schwarze Lederhandschuhe, dicke Wollsocken sowie schwarze Lederstiefel heraus. „Der Mantel ist innen mit Kaninchenfell gefüttert, die Handschuhe und Stiefel mit Lammfell“, erklärte sie.

Sie schlug die Decke zurück und zog Julia als Erstes die Socken über. Anschließend setzte sie sie aufrecht an das Bettende gelehnt hin und fing an, ihre langen Haare zu bürsten, flocht sie zu einem dicken Zopf und steckte diesen anschließend zu einem Knoten zusammen. „Auch wenn sie schläft, soll sie ordentlich aussehen“, kommentierte sie ihr Tun.

In diesem Moment war Jonathan einmal mehr froh, als Mann geboren worden zu sein. Jeden Tag die Haare fein frisieren, in ein monströses Kleid steigen und damit elegant herumlaufen, herumsitzen oder gar einen Ausritt machen ... Nein, allein bei dem Gedanken daran war er vollkommen erschöpft.

Als Miss Julia fertig angekleidet war (auch wenn sie unter dem Mantel ihr Nachthemd trug), halfen er und Drew dabei, sie auf eine Trage zu manövrieren, und schnallten sie darauf fest, damit sie nicht herunterfiel. Als sie sie den Flur entlangtrugen und die Treppe nach unten in die Eingangshalle, stand sämtliches Personal bereit, um ihnen einen Korb mit Proviant für die Fahrt, eine wärmende Decke oder die besten Wünsche für Miss Julias Genesung mitzugeben. Die Nachricht von ihrem Scheintod hatte sich auf Sutherten verbreitet wie ein Lauffeuer.

Als sie voll bepackt und aus der Puste endlich an der Eingangstür angekommen waren, eilte ein älterer Herr zu ihnen und öffnete sie. Clarkson erinnerte sich an ihn. Mellert, Simon Mellert. Er war der Gärtner des Guts.

Er nahm seine Mütze vom Kopf und eine weiße Haarpracht kam zum Vorschein, für sein Alter war sie recht voll. „Sagen Sie, stimmt es? Wird sie wirklich wieder aufwachen?“

„Ganz sicher kann man zwar nie sein, aber es besteht die Möglichkeit, ja“, antwortete ihm Isaac Drew.

Sie traten hinaus ins Freie, wo schon ein Auto auf sie wartete. Clarkson wusste nicht, wieso, aber er war überrascht, obwohl es eigentlich keine Überraschung war, dass es auf einem Anwesen wie Sutherten ein oder mehrere Autos gab. Wahrscheinlich lag es daran, dass er lange keines mehr gesehen hatte. In Sutherten Hill besaß niemand ein Fahrzeug außer dem Postamt, und das auch nur, damit die Sendungen auf die Verteilämter der Nachbargemeinden oder nach London gebracht werden konnten. Meistens wurde die Post jedoch mit dem Zug mitgenommen.

„Ich kenne die kleine Lady schon seit ihrer Geburt, sie war fast wie eine Enkelin für mich. Sie hat mich oft besucht im Garten. Damals bei dem furchtbaren Feuer war ich es, der sie aus dem brennenden Haus gerettet hat. Bitte, machen Sie sie wieder gesund, ja?“, flehte der Gärtner.

Das war ja interessant.

„Bei welchem Feuer? Ich dachte, als der Stall brannte, sei niemand zu Schaden gekommen?“, fragte Jonathan Simon Mellert.

„Nein, nicht bei diesem Feuer. Es gab einen Brand, als Miss Julia gerade mal fünf Jahre alt war. Damals ist das halbe Anwesen abgebrannt. Die Kleine hatte mit ihrer Schwester Miss Helena gerade Verstecken gespielt, als das Feuer ausbrach. Miss Julia befand sich in einem Wandschrank, und als die Flammen schließlich auf dem Korridor angelangt waren, wo sie sich versteckte, fing sie an, zu schreien und zu weinen, so laut, dass ich sie von draußen hören konnte. Lord Berrington selbst wollte hineinstürzen, um sie zu retten, doch ich sagte ihm, er solle sich besser um seine Frau und Miss Helena kümmern, ich würde seine Tochter finden. Zum Glück wusste ich, wie die Geheimgänge für das Personal verlaufen, und so konnte ich sie schnell erreichen.“

Interessant, interessant, interessant.

„Und die Ursache des Feuers, wurde die gefunden?“, hakte der Inspector nach.

„Ja, der Brandmeister stellte damals fest, dass das Feuer durch Funkenflug entstand. Er vermutete, dass die Heuscheune, die ebenfalls abgebrannt war, Feuer fing und dieses auf das Hauptgebäude übersprang.“

Während Clarkson mit Simon Mellert sprach, hatten Lord Berrington und Isaac Drew die junge Lady in den Wagen befördert und waren nun dabei, sich zu verabschieden.

„Komm, Jonathan, du kannst gern mitfahren bis zum Dorf“, rief Isaac seinem Freund zu.

„Das Angebot nehme ich gern an“, antwortete dieser. „Auf Wiedersehen, Mr Mellert“, verabschiedete er sich von Simon, bevor er zum Wagen lief und mit Isaac und Miss Dunham einstieg.

„Mach’s gut und werd bitte schnell gesund! Deine Mutter ist todunglücklich. Ich hab dich lieb, Minnie“, flüsterte Lord Berrington seiner Tochter ins Ohr.

Es war merkwürdig, Lord Berrington, den Jonathan bisher nur gefasst und stark erlebt hatte, so väterlich zu sehen.

Miss Dunham streifte Julia eine Decke über, öffnete den Picknickkorb und nahm ein Sandwich heraus. „Solche Aufregung macht mich immer hungrig“, erklärte sie schmunzelnd und biss hinein.

Der Nicht-tot-Mord

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