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Kapitel 2 Annika
ОглавлениеSeit meinem Rauswurf bei ›Crazy Hair‹ sind inzwischen gute zwei Wochen vergangen. In der ganzen Zeit habe ich nicht eine Schicht in der Bar ausgelassen und mir auch keinen Tag freigenommen. Ich brauche diese Abwechslung und Ablenkung einfach, die mir dank Tobi und den netten Gästen sehr leicht gemacht wird. Na ja, und dann ist da ja auch noch das Geld, das jeder eben zum Leben braucht. Ob ich weiterhin in der Bar arbeiten oder wieder als Friseurin arbeiten möchte, weiß ich derzeit noch nicht. Diese Gedanken habe ich bisher erfolgreich beiseitegeschoben. Die Einzige, deren Haare ich momentan dennoch schneide und färbe, ist Antje.
Antje kommt an diesem Abend mit einem Grinsen auf mich zu, welches mir meine Augenbrauen in die Höhe treibt. »Wieso schmunzelst du so, ist irgendwas im Busch?«, frage ich irritiert.
Sie zieht einen Zettel aus ihrer Jeanstasche und wedelt mir damit vor der Nase herum. »Ein mir wohl bekanntes Vögelchen hat mir gezwitschert, dass es ein wunderschönes, großes Zimmer in einer Wohnung zu vermieten hat. Im Übrigen ist diese besagte Wohnung der Hammer und nicht weit weg von hier. Na, was sagst du? Raus aus diesem kleinen Loch über der Bar und rein in eine tolle Wohnung mit einem netten Mitbewohner, den es obendrein gibt«, zwinkert sie mir zu.
Als sich meine Augen weiten, winkt Antje gleich ab. »Um Gottes willen, bei Karsten hast du überhaupt nichts zu befürchten.«
Meinen Gedankenblitz habe ich nicht mal ausgesprochen, da widerlegt sie ihn gleich. Es ist nicht mal, dass mich ein WG-Leben mit einem Mann stören würde, denn das würde es nicht. Doch nach der letzten offensiven Situation mit diesem selbstgefälligen Markus bin ich von Männern irgendwie geheilt. »Woher kennst du diesen Karsten?« Antje lächelt mich beruhigend an, »er ist seit Jahren ein sehr guter Freund von mir, mach dir keine Sorgen.«
Also heißt dies für mich, dass er lediglich an Schwänzen interessiert zu sein scheint. Also geht keine Gefahr von ihm aus. »Jetzt ruf diese Nummer an, macht was aus und schau dir die Wohnung und das Zimmer wenigstens einmal an!«, befiehlt sie und strahlt mich herausfordernd an.
Ich zucke mit meinen Schultern, schnappe mir den Zettel, grinse sie an und sage: »Danke.«
»Keine Sorge, ich möchte dich nicht loswerden, doch das Zimmer oben ist ja nichts für immer. Das ist kein Dauerzustand, so klein und beengt, wie das ist. Du kannst dich immer auf mich verlassen, du kannst es immer wieder beziehen, wenn etwas sein sollte - egal warum. Doch ich weiß genau, wenn du einmal bei ihm bist, wirst du nicht ›Nein sagen‹ können.«
Wieso irritiert mich ihr letzter Satz so sehr?, frage ich mich in Gedanken. Ich mache mir bestimmt wieder zu sehr einen Kopf. Sicher meint sie, dass mir diese Wohnung so gut gefallen wird, dass ich nicht werde ablehnen können. Da die Bar erst in zehn Minuten öffnet ziehe ich mein Handy aus meiner Hosentasche und wähle die Nummer. Nach dem dritten Klingeln meldet sich eine männliche Stimme: »Winkelmann, hallo?«
Seine Stimme klingt rau, leicht kratzig und fest. Sie ist sehr männlich und genau das beschert mir eine Gänsehaut. Ich muss mich räuspern, denn diese Stimme hat mich leicht aus dem Konzept gebracht. »Ja, hallo, hier spricht Annika Richter. Ich habe Ihre Nummer von Antje, sie meinte, dass Sie ein Zimmer vermieten würden, oder?«
Einen kurzen Moment ist es still in der Leitung, was mich etwas irritiert. Möchte er das Zimmer überhaupt vermieten?, schießt es mir durch den Kopf. »Hallo?«, frage ich zögerlich nach.
»Ja, ja natürlich vermiete ich ein Zimmer. Ich nehme an, Sie interessieren sich dafür?«
Welch' seltsame Frage, würde ich denn sonst anrufen?, denke ich, sage aber: »Ja, ich würde mir das Zimmer und die Wohnung sehr gern einmal ansehen.«
»Haben Sie morgen Vormittag gegen 10:00 Uhr Zeit?«, fragt die sexy Reibeisenstimme. »Ja, das passt mir gut, wo ist denn die Wohnung?«, möchte ich noch von ihm wissen.
»Kennen Sie die Richard-Wagner-Straße?« Bei dem Straßennamen staune ich nicht schlecht, denn natürlich weiß ich, wo diese ist. Vor drei Monaten bin ich auf der Suche nach einer Bleibe auf viele tolle Wohnungen gestoßen, die leider außerhalb meines Budgets, aber genau in dieser Straße lagen. Wir verabreden uns für den nächsten Vormittag und legen auf. Ich versuche, das Gespräch noch einmal Revue passieren zu lassen. Gott, wenn der Mann auch so aussieht, wie seine Stimme klingt, dann ist mir nicht mehr zu helfen. Heilige Scheiße, stelle ich gedanklich fest. Der Abend vergeht wie im Fluge, denn wir haben einiges in der Bar zu tun. Wir lachen viel mit unseren Gästen und demzufolge fällt auch unser Trinkgeld hoch aus. Meines habe ich bisher immer für Stoffkäufe ausgegeben. Nähen ist eine große Leidenschaft von mir. Meine selbst genähten Kleider, Tücher und Shirts trage ich mit Stolz. Zwei Reisetaschen und meine Nähmaschine sind von München mit nach Berlin gezogen. Seit meinem Umzug bin ich leider nicht mehr dazu gekommen, wieder etwas zu nähen. Doch vielleicht habe ich in meinem neuen Zimmer Platz und kann mir einen kleinen Nähtisch kaufen. Zum Ende der Schicht, als ich gerade dabei bin, die Tische abzuwischen, träume ich ein wenig vor mich hin. Ich male mir aus, wie Mister Reibeisenstimme und das besagte Zimmer wohl aussehen könnten. Stelle mir vor, wie es ist, in diesem gehobenen Wohnviertel zu leben. Um drei Uhr nachts liege ich endlich in meinem Bett und falle direkt in einen tiefen Schlaf, aus dem ich bereits wieder um halb acht morgens durch das Klingeln meines Weckers gerissen werde. Nachdem ich mich noch mal herumgedreht habe, quäle ich mich schließlich aus meinem schönen, kuscheligen Daunennest. Die Nacht war wirklich kurz. Bis ich es dann wirklich aus dem Bett geschafft habe, ist es schon kurz nach acht Uhr. Deshalb schlüpfe ich nur noch schnell in meine schwarze Jeans, ein graues Shirt und in eine dunkelgraue Strickjacke. Mein grauschwarzer Loop-Schal und meine Sneakers runden mein Outfit gekonnt ab. Ich schminke mich nur selten, denn ich habe einen tollen Teint, makellose Haut und große grüne Augen, die im Kontrast zu meinen lagen roten Haaren stehen. Mascara ist das Einzige, womit ich mich ein bisschen aufhübsche. Oft habe ich schon Komplimente für meine grünen Augen - die von extrem langen Wimpern umrandet werden - bekommen. Genau aus diesem Grund nehme ich mir kurz Zeit und setze sie in Szene. Wer weiß, vielleicht begegne ich ja heute noch meinem Traummann. Doch in erster Linie möchte ich einen guten Eindruck hinterlassen. Ich laufe die fünfzehn Minuten bis zur entsprechenden Adresse. Auf dem Weg dorthin hole ich mir einen Kaffee und genieße ihn. Als ich an dem Haus ankomme, erblicke ich neben dem Eingangstor einen kleinen Anbau. Davor schließt sich – etwas versetzt - ein kleiner Flachbau an. Prompt ist meine Neugier geweckt und ich bin gespannt, was mich in der Wohnung darin erwarten wird. Im Erdgeschoss scheint es einen Laden zu geben, da dort ein großes Schaufenster in die Hauswand eingelassen wurde. Über der Eingangstüre prangt ein großes Schild mit den Worten ›Helens Nähkiste‹.
Mein Nähliebhaberherz schlägt höher. Das wäre der absolute Wahnsinn, rattert es durch meine Gedanken. Ein Geschäft genau vor der Nase zu haben, in dem ich alles bekomme - sollte sich das mit dem Zimmer als gut herausstellen –, wäre geradezu perfekt. Ich drücke meine Nase an dem Schaufenster platt und kann einige Dinge im Ladeninneren ausmachen - Stoffe, Wolle, Nähzubehör und einen Änderungsservice. Ein kleines Glöckchen erklingt, als sich die Tür langsam öffnet. Eine Frau, die ich ungefähr auf Ende fünfzig schätze, schaut strahlend heraus. »Kindchen, komm doch rein, ich beiße auch nicht.« Das entlockt mir ein herzliches Lachen und ich antworte: »Das werde ich auch, nur habe ich jetzt einen Termin. Doch gleich danach komme ich«, verspreche ich der netten Frau.
Sie deutet auf meine selbst geschneiderte Umhängetasche - mein letztes genähtes Werk, welches in München von meiner Nähmaschine gesprungen ist. »Du hast echt Talent.«
Ich lächle sie an, entgegne ein »Dankeschön« und gehe drei Meter weiter durch das Eingangstor. Die Dame lächelt zurück, lehnt sich dabei an den Türrahmen des Geschäftes und blickt mir nach. An der Haustüre befinden zwei Klingelschilder. Ich drücke auf das mit dem Namen ›Karsten Winkelmann‹, woraufhin eine tiefe Stimme ertönt. »Ja, bitte?«
»Hier ist Annika Richter, ich komme wegen des Zimmers.« Ich habe noch nicht einmal richtig meinen Satz ausgesprochen, da summt auch schon der Türöffner. Ich drücke die schwere Holztür auf und gehe durch den Hausflur zu einer Holztreppe. Alles sieht trotz der schweren Holzverkleidung so neu aus. Als ich die letzte Stufe der Treppe erreicht habe, sehe ich durch einen Spalt der Wohnungstüre Licht in das Treppenhaus scheinen. Die Tür ist nur angelehnt und ich klopf daran. »Komme«, höre ich die Reibeisenstimme rufen. Als die Tür aufgerissen wird und den Bewohner der Wohnung preisgibt, muss ich scharf die Luft einziehen. Kann mich bitte jemand kneifen. Gott, sieht der gut aus!, rast es durch meine Gedanken und lässt mein Herz augenblicklich schneller schlagen. Vor mir steht der unbekannte Schöne aus der Bar. Er schaut mich gleichermaßen verdutzt an, während seine Augen von meinem Gesicht ausgehend über meinen ganzen Körper wandern. Prompt stellen sich meine Brustwarzen bei diesem ungenierten Blick auf, was mich ein wenig wütend macht. Wie kann man nur so dreist sein und jemanden dermaßen abchecken? Mal davon abgesehen, dass der feine Herr vor mir sonst nur Männer bevorzugt, frage ich mich im Stillen.
Als sein Blick wieder in meinem Gesicht landet, ziehe ich auffordernd eine Augenbraue in die Höhe. Irgendwie bin ich leicht angepisst, deshalb sage ich frech: »Äh, hallo, meine Augen sind hier oben!«, und zeige mit meinem Zeigefinger auf die entsprechende Position. Verlegen kratzt Karsten sich am Hinterkopf und entgegnet: »Sorry, tut mir leid. Doch ich möchte genau wissen, wer bei mir einzieht. Außerdem siehst du sehr hübsch aus.«
Innerlich gestehe ich mir ein, einem schwulen solch eine Aktion nicht übel nehmen zu können. Wir Mädels sind oftmals auch nicht anders und sein Kompliment macht mich verlegen. Er tritt einen Schritt bei Seite und lässt mich in die Wohnung eintreten. Reicht mir seine Hand und stellt sich als Karsten vor. Ich nehme nur zu gern seine Hand in meine, schon allein um zu wissen wie sich seine Haut auf meiner anfühlt. Er hat einen kräftigen Händedruck, doch seine Haut ist geschmeidig. Seine Hände sind sehr gepflegt, sie passen zu dem Rest des überaus gutaussehenden Mannes. »Ich bin gespannt wie dir das Zimmer gefällt«, sagt er. Ich schaue von unseren ineinander gelegten Händen in sein Gesicht. Er sieht mir in die Augen, ich könnte schwören etwas darin funkeln gesehen zu haben. Seine Augen sind so braun wie Schokolade. Man könnte darin versinken. Es fühlt sich sehr gut an, meine Haut an seiner. Als mir bewusst wird das wir uns immer noch nicht von einander gelöst haben, schaue ich wieder auf unsere Hände. Ich versuche mich daraus zu befreien und krächze halb, »ja ich auch.« Ist das komisch, er ist heiß wie Feuer, dieser Ausdruck im Gesicht und diese Augen. Das Gefühl wenn er einen berührt und nicht wieder los lässt. In meinem Kopf läuft ein Film wie wir es in der Küche auf dem Tisch treiben. Doch dann die ernüchternde Erkenntnis, dass dies niemals passieren wird auch wenn er noch so scharf ist, denn er steht auf Männer!
Verdammt!
Innerlich schüttele ich alle Gedanken von mir ab. Ich rufe mich zur Ordnung, denn ich bin nur hier, um mir diese Wohnung - dieses Zimmer - anzusehen. Von diesem Flur gehen fünf Türen ab, links von uns ist eine große, geräumige Küche mit Kochinsel - ein wahrer Traum. Alles ist in Grautönen und in Weiß gehalten und sieht sehr modern aus. Die Küche wird durch die große Fensterfront mit viel Licht erfüllt. An der Kochinsel befindet sich zur Raummitte hin eine Theke mit vier Barhockern. Ich erwische mich bei der Vorstellung, ihm beim Kochen zuzusehen, während ich an der Theke ein Glas Wein genieße. Dieser Gedanke ist schon etwas frech und ich grinse vor mich hin. »Alles okay? Wieso grinst du so?«, fragt er belustigt.
Ich winke ab. »Ah, ich habe mich gerade nur an etwas erinnert«, lüge ich, ohne dabei rot zu werden. Auf der anderen Seite des Raumes befindet sich ein großer Esstisch, mit vier Stühlen und der Rest wird von einer L-förmigen Sitzbank dominiert. Alles ist bis ins letzte Detail aufeinander abgestimmt. Die Lampe über dem Tisch ist traumhaft. Bei diesem Stil merkt man einfach, dass er homosexuell ist, schlussfolgere ich Gedanklich. Diese Männer besitzen einfach Geschmack und Formgefühl. Es ist ein riesiger Raum, der durch massive Balken geschickt unterteilt ist. Das Wohnzimmer grenzt an den Koch- und Essbereich. Als er mich unter einem Holzbalken hindurch zum Wohnzimmerteil führt, staune ich nicht schlecht. Die Wände sind in einem sanften Cremeton gestrichen, was – kombiniert mit den Akazienmöbeln – sehr harmonisch wirkt. Eine riesige Sofalandschaft mit einem Tisch dominiert das Wohnzimmer. »Oh, ist der echt?«, frage ich verwundert und deute auf den Kamin. Erst als ich die Frage bereits ausgesprochen habe, wird mir bewusst, wie dämlich das geklungen haben muss. Karsten muss natürlich grinsen und antwortet: »Ja, ist er.«
Staunend drehe ich mich zu ihm herum und sage: »Die Wohnung ist der Wahnsinn! Ich bin wirklich auf mein Zimmer gespannt. Also auf das Zimmer, meine ich.« Er führt mich lächelnd weiter. Neben der Küche befindet sich das Bad. Es ist sehr geräumig. Karsten hält mir die Tür auf. »Hier drinnen ist ein Doppelwaschbecken, ich denke das ist von Vorteil, wenn du hier einziehen würdest.«
Ich staune nicht schlecht, denn das Badezimmer ist trotz der dunklen Schieferfliesen sehr hell. Der eckige Waschtisch wirkt zusammen mit dem riesigen Spiegel darüber sehr prachtvoll. Auch eine Badewanne, sowie eine große Dusche sind vorhanden. Alles in der Wohnung kommt mir neu und hochwertig vor. Der Parkettboden im Flur ist ebenfalls der blanke Wahnsinn. Man muss mir meine Begeisterung förmlich ansehen können, denn Karsten beäugt mich amüsiert. Ich streiche ehrfurchtsvoll mit meinen Fingerspitzen über den Waschtisch und bekomme den Mund nicht mehr zu. Das bringt ihn nun vollends zum Lachen. »Na, dann komm mal mit.«
Zwei Türen liegen auf der anderen Seite des Flures. Sie führen zu den einzigen beiden Zimmern, die wir noch nicht betreten haben. Er deutet auf eine der Zimmertüren und sagt: »Das ist mein Schlafzimmer und dieses hier wäre dann deines«, und zeigt zur nächsten. Karsten drückt die Klinke der anderen Tür nach unten und geht voraus, während ich auf der Türschwelle stehen bleibe und erst mal alles auf mich wirken lasse. In diesem Zimmer gibt es ein großes Doppelfenster, welches bis zum Boden reicht. Ein kleineres Fenster befindet sich ein Stück weit von der Tür entfernt, gleich danach schließt sich eine kleine Unterteilung mit zwei Holzbalken an.
»Die beiden Schlafzimmer sind jeweils fünfundzwanzig Quadratmeter groß«, erzählt mir Karsten, als ich dieses herrliche Zimmer mit großen Augen inspiziere. »Es ist wunderschön«, flüstere ich fast. Es bietet Platz für ein Doppelbett, einen Kleiderschrank und sogar ein Nähtisch würde hier vor das kleine Fenster passen. Auf meinem Gesicht macht sich ein unvergleichliches Strahlen breit. »Dir gefällt es?«, fragt er hoffnungsvoll. Ich schlucke schwer und sage: »Gefallen tut es mir. Doch das trifft es nicht ganz. Es ist einfach der Hammer. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich jetzt schon, dass ich mir das mit meinem Gehalt von den paar Stunden in der Bar nicht leisten kann. Trotzdem danke ich dir, dass du es mir gezeigt hast.« Meine Stimme klingt selbst in meinen Ohren traurig. Ich schaue ihn an und lasse meine Schultern sinken. »Ich möchte nicht für die halbe Wohnung Miete kassieren, sondern nur für das eine Zimmer. Ich wohne alleine hier und das ist ganz schön fad. Ich würde mich freuen, wenn du hier einziehen würdest, ansonsten entwickle ich mich noch zu einem alten und verbitterten Griesgram.«
Das bringt mich zum Schmunzeln. »Echt? und was verlangst du für das Zimmer?« Jetzt wird es mich umhauen, ahne ich bereits. Sein Gesichtsausdruck wird schalkhaft, als er fragt: »Was würdest du sagen, wenn du mindestens dreimal die Woche lecker kochst und für das Zimmer 150 Euro im Monat zahlst?«
Meine Gesichtszüge entgleisen mir und ich frage ihn fassungslos: »Soll das ein Scherz sein?« Es kann unmöglich sein Ernst sein, dieses tolle Zimmer für solch einen lächerlichen Betrag vermieten zu wollen.
Er hebt abwehrend die Hände und entgegnet: »Um Gottes willen, ich wollte nicht wie ein Machoarsch rüberkommen.« Ich lege meine Hand lachend auf seine und merke, wie wir uns missverstehen. »Nein, so war es auch nicht gemeint. Ich koche dir, was immer du willst. Es macht ja auch mehr Spaß für einen liebenswerten und hübschen Mann zu kochen und backen als für einen schrulligen Kerl. Ich nehme das Zimmer, bei dem Preis überlege ich doch nicht, außerdem kann ich das sonst nicht verantworten.« Als er meine Worte hört, strahlt er förmlich und antwortet herzhaft lachend: »Echt jetzt?«
Ich lache ebenfalls und sage: »Ja, echt jetzt. Ich kann mir schon bildlich vorstellen, wo ich was hinstelle.« Während ich so vor mich hin schwärme, wird mir mit einem Mal bewusst, dass ich ja gar nichts zum Hinstellen besitze. Kein Bett, keinen Schrank, keinen Nähtisch, keinen Stuhl, keinen Spiegel, keine Lampe - einfach nichts. Das trübt meine Freude ein klein wenig. Fragend blicke ich zu ihm auf. »Gibt es einen Mietvertrag?« Er schüttelt mit dem Kopf. »Nein, da du bei Antje arbeitest, weiß ich ja, dass du zuverlässig bist.«
Ich bekomme große Augen. »Wow, das nenn ich mal vertrauensvoll. Du kannst dich auf mich verlassen. Ab wann könnte ich denn einziehen?«, frage ich begeistert. »Sofort, wenn du magst«, gibt er schulterzuckend von sich.
»Das heißt, ich könnte schon heute hier schlafen?«, entfährt es mir aufgeregt. Er hält mir seine Hand hin, die ich gerne ergreife, um auf diese Weise unseren Mietvertrag zu besiegeln. Sein Blick ist dabei sehr intensiv und mich überrollt eine Gänsehaut. Wir lächeln uns an und Karsten fragt: »Meinst du nicht auch, dass wir darauf anstoßen sollten?« »Natürlich, unbedingt«, antworte ich ihm vergnügt und keine zwei Minuten später sitzen wir uns in der Küche am Tresen gegenüber und stoßen an.
Er hat tatsächlich gekühlten Prosecco im Haus. Das wird himmlisch hier, stelle ich aufgeregt fest. Meine Wunschvorstellung, ihn beim Kochen beobachten zu können, wurde jetzt zwar zunichtegemacht, da ich ja ihn bekochen soll, aber es wird dennoch klasse werden. Ob er wirklich auf Männer steht?, frage ich mich gedanklich, da es mir einfach keine Ruhe lassen will. Alles spricht dafür: Antjes Andeutung, das Interesse an meinem Kollegen Tobi und diese geschmackvolle Einrichtung. Alle gut aussehenden Singles dieser Stadt sind vergeben, verheiratet oder was auch immer. Es muss einen Haken geben und er scheint nicht heiß auf mein Höschen zu sein. Irgendwie schade, denke ich.
»Auf deinen Einzug, Annika«, prostet er mir erneut zu. Ich stoße mit meinem Glas an das seine und schaue ihm tief in seine Augen.
»Danke, ich freue mich sehr. Es ist eigentlich zu schön, um wahr zu sein. Ich kann es noch gar nicht glauben.« Verlegen beiße ich mir auf meine Unterlippe und schaue mich in der Küche um. Als ich seinen Blick auf mir spüre, schaue ich zu ihm auf und ertappe ihn dabei, wie er auf meinen Mund starrt. Als er dies bemerkt, hält er sich sein Glas an die Lippen und trinkt den Inhalt hastig aus. Irgendwie war das jetzt seltsam, rast es durch meinen Kopf.
Kurz darauf lächelt er mich an und fragt: »Was arbeitest du denn sonst, wenn du nicht gerade bei Antje aushilfst?« Die Frage musste ja kommen. »Ich bin Friseurin.« Seine Augen werden groß, und er klatscht in die Hände. »Welch ein Glück für mich!«, witzelt er, »ich schaffe es nie, hinzugehen. Und zögere es jedes Mal so lange raus, bis ich mir einen Zopf binden kann.« Das lässt mich schmunzeln und ich schaue mir seinen Schopf genauer an. Ich nicke kurz und sage: »Ja, das glaub ich dir sofort und lange Haare stehen dir sicher sehr gut.«
»Tragen viele Männer ihre Haare lang?« »Hm, schon ja. Es steht nicht jedem, doch wenn es einem steht, macht es ihn wahnsinnig interessant und extrem sexy!« Anerkennend nickt er mir zu. »So habe ich das noch gar nicht gesehen«, sinniert er vor sich hin. Dabei streifen seine Augen immer wieder meinen Körper. Ich glaube, er liebt es, Leute zu mustern und zu beobachten. Da fällt mir wieder die Situation in der Bar ein, seinen Blick hatte ich damals sofort auf mir gespürt. Auch jetzt löst er Gänsehaut und ein Kribbeln in mir aus und verkörpert so ziemlich alles, was man sich unter einem Traummann vorstellt. Natürlich kenne ich ihn nicht wirklich. Doch diese große, muskulöse Gestalt, die braunen Augen, und die langen Haare sind einfach der Wahnsinn. Er hat ein sehr gepflegtes Äußeres, eine nette, liebenswürdige Art und nennt dann noch diese Traumbude - in der ich heute einziehen werde - sein Eigen. Das ist einfach klasse und ich kann es kaum glauben. »Dann werde ich jetzt schnell zu Bar laufen und meine Taschen packen. Aber vorher musst du mir bitte unbedingt sagen, wo ich eine Matratze herbekomme.«
»Was ist denn mit deinen Möbeln oder hast du gar nichts?«, fragt er irritiert.
Ich schüttle meinen Kopf und antworte: »Nein, ich habe nur meine Klamotten und eine Nähmaschine. Ich habe nichts weiter aus München mitgebracht. Also, wo bekomm ich eine her?« Karsten legt seinen Kopf schief und entgegnet: »Was hältst du davon, wenn ich dich zum Matratzen-Outlet hier ganz in der Nähe fahre und wir anschließend deine Sachen holen?«
»Das ist sehr lieb von dir, danke! Das Angebot nehme ich sehr gerne an.« Daraufhin stoßen wir nochmals an.