Читать книгу Einführung in das Studium der Kirchengeschichte - Lenelotte Möller - Страница 9

2. Kirchengeschichte als theologische Disziplin

Оглавление

Rahmenbedingungen

Die Kirchengeschichte befindet sich in einer Zwischenstellung zwischen der allgemeinen Geschichtswissenschaft und den theologischen Disziplinen. Der evangelische Theologe Karl Barth hat die Kirchengeschichte nicht als „selbständige theologische Disziplin“ gelten lassen, sondern lediglich als „unentbehrliche Hilfswissenschaft“ für die anderen theologischen Fächer (9, 3). Barth bestreitet aber keineswegs die wichtige Rolle der Kirchengeschichte für die theologische Arbeit, sondern er erkennt ihre Notwendigkeit ausdrücklich an. „Zu einer solchen Ansicht kann man kommen“, so schreibt Christoph Markschies (5, 80), „wenn man die grundsätzliche Bedeutung historischer Erkenntnis für das Verstehen der Gegenwart gering schätzt (was man von Barth sicher nicht behaupten kann). Wenn Theologie aus christlicher Perspektive gegenwärtiges Leben oder aktuelle gesellschaftliche Probleme deutet, dann kann sie nicht auf die in den Quellen der Vergangenheit niedergelegten historischen Erfahrungen anderer Glaubender und deren Antworten verzichten. Sie würde sonst ohne Not auf einen fast zweitausendjährigen Erfahrungsschatz theologischer Positionen und christlicher Lebensgestaltungen verzichten.“

Konfession und Kirchengeschichte

Die Kirchengeschichte kann als Teildisziplin der jeweiligen konfessionellen wissenschaftlichen Theologie betrachtet werden. Es ändert sich aber nicht die allgemeine historische Methode, sondern es erweitert sich die Fragerichtung der Forschung. „Die Anwendung solchen historischen Wissens für die Fragen der Gegenwart geschieht in der Systematischen Theologie, wobei an vielen Stellen erkennbar wird, dass zwischen beiden Disziplinen nicht sauber getrennt werden kann: Die Frage, ob und wie Gott in der Geschichte handelt, ist natürlich eine klassische systematisch-theologische Frage, aber die Antwort auf diese Frage ist von großer Bedeutung für die alltägliche historiographische Arbeit des konfessionellen Kirchenhistorikers. So setzt eine reflektierte Nacherzählung der Geschichte des Christentums an vielen Stellen systematisch-theologische Überlegungen voraus; eine ganze Anzahl von Kirchenhistorikern aus Vergangenheit und Gegenwart haben daher ihre leitenden systematischen Annahmen auch öffentlich gemacht und zur Diskussion gestellt. Wenn man sich dazu klarmacht, dass die historische und philologische Analyse der Geschichte des Christentums in den beiden exegetischen Disziplinen des Alten und Neuen Testaments nach gemeinsamer Ansicht der Reformatoren eine Grundvoraussetzung für das sachgerechte Verstehen der biblischen Offenbarung, beispielsweise für Unterricht und Predigt, bildet, dann wird man die Kirchengeschichte nicht als eine Hilfswissenschaft, sondern als eine der theologischen Kerndisziplinen ansehen“ (5, 80).

Entwicklungslinien

Die Bedeutung von historischen Fragestellungen hat im 20. Jahrhundert Veränderungen erfahren. „Nachdem zu Beginn des 20. Jahrhunderts viele theologische Fragestellungen historisiert worden waren und seit den 20er Jahren an der allgemeinen Historisierung schroffe Kritik geübt worden war, die sich bis in die frühen 70er Jahre fortsetzte, nimmt seither der Einfluss historischer Wissenschaften wieder zu. So entdecken auch die Praktische Theologie und die Religionspädagogik wieder die Bedeutung historischer Fragestellungen und erforschen die Geschichte der Predigt oder des christlichen Unterrichts“ (5, 81).

Kritische Sicht

Die theologische Forschung hat ein Interesse daran, das in der Vergangenheit Gewordene zu hinterfragen. „Soll Kirchengeschichte nicht einfach als Beispielarsenal zur Stützung kirchlich institutioneller oder lieb gewordener theologischer Positionen dienen, muss sie geschichtliches Wissen transparent machen. Dabei muss sie auch Krisensituationen beleuchten, dunkle Stellen aufarbeiten, nach Lehrmeinungen und Traditionen fragen, welche eine Epoche bestimmt haben, und erklären, warum sich gerade diese und nicht eine andere, ebenso legitime Tradition oder Form christlicher Lebensgestaltung durchgesetzt hat (…) Kirchengeschichtliche Verlierer und geschlechterspezifische Defizite in der Geschichte kommen ebenso in den Blick. Und Kirchengeschichte zeigt konstruktiv Alternativmodelle zur heutigen Situation auf, etwa das Modell einer stärker episkopal verfassten Kirche, wie dies der Konziliarismus des Spätmittelalters oder die Katholische Aufklärung propagierten; sie deckt gleichsam den ‚ganzen Tisch der Tradition‘ und will darüber mit den anderen theologischen Disziplinen ins Gespräch kommen“ (12, 88).

Einführung in das Studium der Kirchengeschichte

Подняться наверх