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Pauly und Karen

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„Sind wir nicht die zwei glücklichsten Menschen auf der ganzen Welt?“, fragte Pauly verträumt und streichelte den beträchtlich angewachsenen Bauch seiner Ehefrau Karen. Ihre Hand lag auf seiner, gemeinsam fuhren sie gedankenverloren über die gespannte Haut, unter der neues Leben heranwuchs. Sie lagen eng beieinander auf der großen, alten, gemütlichen Couch im Hinterzimmer ihrer Tankstelle und hielten sich gegenseitig im Arm.

„Ach, Pauly.“ Karen seufzte übertrieben und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. „Wir sind bald zu dritt. Wird Zeit, dass du dir das endlich merkst.“

Pauly lachte und sah Karen in die Augen. „Du übernimmst das Denken für uns beide.“ Als Karen die Augenbrauen zusammenzog, verbesserte er sich schnell. „Für uns drei, meine ich.“ Er sah auf ihre Lippen und gab ihr einen innigen Kuss.

„Ich liebe dich, Karen“, hauchte er.

Seine Frau kicherte. „Das kann ich gar nicht oft genug hören, weißt du das?“

Pauly löste seine Hand vom Bauch seiner Frau und nahm ihr Gesicht in beide Hände. „Du sollst es jeden Tag hören, das schwöre ich dir.“

Karen streichelte ihm durchs schwarze Haar und war zufrieden. „Du bist der Beste, Pauly. Das wusste ich seit unserer ersten Begegnung. Darum habe ich mich für dich entschieden.“

Pauly zwinkerte ihr zu. „Ich sorge dafür, dass du es nicht bereust.“

„Trotzdem mache ich mir Sorgen um unser Kind.“

„Was meinst du?“, fragte Pauly alarmiert.

Karen schüttelte den Kopf und sah zur Seite. „Ach, es ist nichts. Vergiss, was ich gesagt habe. Es war dumm von mir.“

Pauly setzte sich auf und drehte ihr Gesicht mit sanfter Gewalt wieder zu sich. „Oh nein, so leicht kommst du mir nicht aus. Jetzt sag schon, was du meinst.“

„Es ist nur die Welt, Pauly. Sie ist gefährlich. Ich bin da übervorsichtig, darum habe ich Angst, dass unserem Kind etwas zustößt.“

Ihr Ehemann schenkte Karen ein Lächeln und küsste sie. „Du brauchst dir keine Sorgen machen, Karen. Wir werden schon aufpassen. Unser Kind wird in einer guten Umgebung aufwachsen, wir werden alle Schwierigkeiten von ihm fernhalten. Wir schaffen das. Hab nur Vertrauen, dann wird alles gut.“

Karen nickte. „Natürlich wird alles gut. Trotzdem habe ich Angst, dass wir unserem Kind nicht die bestmögliche Welt bieten können.“

„Das ist nur natürlich. Sei doch froh, dass du dich so sorgst. Es wäre viel schlimmer, wäre es dir egal.“ Er grinste. „Wird langsam Zeit, dass ich wieder arbeiten gehe. Die Pause ist vorbei.“

Pauly kämpfte sich hoch und brachte beide Füße auf den Boden. Karen zog eine Schnute. „Das ist unsere Tankstelle, Pauly. Du bist der Boss. Aber noch immer hältst du dich strikt an die Arbeitszeiten. Ich habe ja gar nichts mehr von dir.“

Pauly schenkte ihr ein herzerweichendes Lächeln und zwinkerte ihr erneut zu. „Einer muss ja das Geld nach Hause bringen. Und da du gerade in anderen Umständen bist… tja, jetzt beiße ich eben in den sauren Apfel. Ich will meiner Zuckerpuppe und unserem Kind immerhin eine gute Zukunft bieten. Wenn Feierabend ist, komme ich nach Hause.“

Karen seufzte theatralisch. „Was soll ich so lange machen?“

Pauly überlegte einen Moment. Dann sagte er: „Geh doch ins Museum. Die haben da eine neue Ausstellung über die Frühzeit des Menschen. Das ist doch dein Fachgebiet.“

Seine Frau sog erschrocken die Luft ein. „Ist das schon heute? Ich dachte, die Eröffnung wäre erst!“

Pauly schüttelte den Kopf. „Ich hab’s von ein paar Kunden aufgeschnappt, die schon dort waren. Ist ja auch kein Wunder, das Museum ist gleich hier in der Nähe. Wenn die Besucher eine längere Heimreise vor sich haben, kommen sie noch zum Tanken vorbei.“

Karen rappelte sich auf und zog das geblümte Kleid wieder über ihren Bauch. „Dann weiß ich schon, was ich jetzt mache“, sagte sie und griff nach ihrer Jacke. Sie stand auf, gab Pauly einen schnellen Schmatzer auf die Wange und verließ die Tankstelle durch die Hintertür.

„Was für ein Weib“, seufzte ihr Mann verliebt.

Die Ausstellung war äußerst interessant. Die Anthropologin Karen fand sie gut aufgebaut und erhaschte sogar den ein oder anderen Blick auf ein Objekt, das selbst ihr noch einige Bewunderung für die Menschenrasse abringen konnte.

Viele Besucher waren nicht in der Ausstellung, für die das Museum den größten Teil seiner Fläche bereitgestellt hatte. Aber das war immer so, wie Karen wusste. Die wenigsten Menschen interessierten sich für den Menschen. Am Eröffnungstag kam die Prominenz und ließ sich selbst mehr betrachten als selbst ein Auge auf die Exponate zu werfen. Andere kamen nur, um ihren Drang nach Skurrilitäten zu befriedigen. Aber so war das eben. Karen hatte an diesem Tag nichts gegen die Banausenhaftigkeit der Menschen. Das verschaffte ihr nämlich eine verbilligte Eintrittskarte.

Gemütlich schlenderte sie von Exponat zu Exponat und begutachtete verschiedene Sandmumien, Werkzeuge und die Kleidung der Menschen aus fernen Epochen. In einem kleinen Raum am Ende der Ausstellung fand sie ein ganz besonderes Stück.

„Was für ein Gefühl muss das sein, am Anfang der Zeit zu stehen“, hauchte sie, als sie vor dem ältesten Ausstellungsobjekt stand und es mit dem Auge eines Kenners begutachtete. Es handelte sich um den Teil einer Schädeldecke, die von einem Vorfahren des Menschen stammte, der unvorstellbar viele Jahrtausende in der Vergangenheit gelebt hatte.

Wie aus dem Nichts wurde sie plötzlich von starken Armen gepackt und zu Boden gerissen. Sie schrie auf, wusste nicht, was los war. Ungewissheit und die Angst um ihr Ungeborenes fluteten ihren Körper.

Zwei Männer in schwarzer Kleidung fixierten ihre Arme am Boden. Sie hatten sich schwarze Skimasken ins Gesicht gezogen, bei denen nur Löcher für die Augen ausgeschnitten waren. Karen hatte furchtbare Angst.

Ein dritter Mann kam in ihr Blickfeld, genauso gekleidet und vermummt wie seine beiden Begleiter. Er stellte gerade eine alte lederne Arttasche neben ihr auf den Boden. Sein hektisches Auftreten stand in bemerkenswertem Gegensatz zu seinen routinierten und ruhigen Handgriffen. Er öffnete die Tasche und zog ein Skalpell hervor. Karens Augen weiteten sich vor Schreck. Nachdem sie den ersten Schrecken überwunden hatte, strampelte sie mit den Beinen und versuchte alles, um sich loszureißen. Es gelang ihr nicht. Niemand sonst war zu sehen. Niemand kam, von ihren Schreien alarmiert, um ihr zur Hilfe zu eilen.

Der Mann mit dem Skalpell kniete sich neben sie, außerhalb der Reichweite ihrer schlagenden Beine, die kein Opfer finden konnten. Karen war hilflos und konnte nichts tun. Die festen Griffe um ihre Arme sperrten ihr das Blut ab, langsam wurden ihre Finger taub. Sie wusste nicht, was mit ihr geschah.

Der dritte Mann schob ihr Kleid hoch und fuhr einmal prüfend über ihren Bauch. Dann stieß er das Skalpell hinein.

Pauly hatte heue früher Schluss gemacht und die Tankstelle einem seiner Angestellten überlassen. Er wollte den Rat seiner Frau beherzigen und nicht mehr so viel Zeit in der Arbeit verbringen. Pauly wollte für seine Familie da sein.

Er war auf dem Weg zum Museum und wollte Karen dort überraschen. Pauly wusste aus den Gesprächen seiner Kunden, dass die Ausstellung nicht sehr gut besucht war. Trotzdem wollte er sie sich anschauen, seiner Frau zu Liebe. Die Freude in ihrem Gesicht war ihm versüßter Feierabend genug.

Gäbe es keine Karens auf der Welt, dachte Pauly belustigt, würde es solche Ausstellungen gar nicht geben. Nicht nur, weil sie wegen Publikumsmangel zu unrentabel wären, sondern auch, weil dann keiner die eigenartig anmutenden Gegenstände zusammengetragen hätte. Was würde die Welt von sich selbst wissen, wenn es keinen gibt, der sie untersucht?

Als er die Straße entlang schlenderte, gab es plötzlich einen dumpfen Knall und eine Erschütterung, die durch Mark und Bein ging. Irgendetwas war explodiert. Trotz der Beunruhigung, die er verspürte, setzte er seinen Weg fort. Kurze Zeit später schossen Polizeiwagen mit Blaulicht und Sirene mit unglaublicher Geschwindigkeit an ihm vorbei. Die Beunruhigung wuchs. Er beschleunigte seine Schritte, um schneller bei Karen zu sein.

Als er am Museum anlangte, sah er, dass genau hier das Zentrum der Explosion gewesen war. Das Stockwerk über dem Eingangsbereich war nahezu komplett weggesprengt worden. Große Gebäudetrümmer lagen auf dem Gehsteig und auf der Straße. Dicker Rauch zog durch die Häuserschluchten, ließ Teile der Straße und die geparkten Autos ergrauen. Zahllose Schaulustige hatten sich am Fuß der Museumstreppe versammelt und starrten erschrocken und hilflos zu den rauchenden Ruinen empor.

Die Polizei hatte den Bereich um die Treppe bereits mit gelbem Band abgesperrt. Pauly schluckte schwer, gab alles, um seine dunklen Vorahnungen noch einen Moment beiseite zu schieben und trat auf einen der Polizisten zu, um zu fragen, was denn geschehen sei.

„Irgendwelche Verrückten haben da drinnen eine Schwangere überfallen und ihr das Kind aus dem Leib geschnitten“, war die Antwort des blassen Polizisten, der immer wieder den Kopf schüttelte. Pauly konnte im ersten Moment nichts sagen, starrte den Polizisten nur geschockt an. „Die gehören zu irgendeiner komischen Sekte, keine Ahnung. Wollten ein Ritual ausführen. Die ganze scheiß Welt wird langsam verrückt. Wir haben sie aber zum Glück geschnappt.“

„Was ist mit der Frau?“, wollte Pauly wissen. Sein Mund war trocken, fühlte sich wie ausgedorrt an. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Ihm war schwindelig. Seine Beine drohten, nachzugeben.

Der Polizist schüttelte den Kopf. „Wissen wir nicht. Diese Bastarde haben eine Bombe im obersten Stock gezündet, um die Einsatzkräfte abzulenken. Hat ihnen aber nichts genutzt. Angeblich gibt es noch eine Zweite, die ist aber nicht hoch gegangen. Bevor keine Spezialisten hier waren, darf keiner das Museum betreten. Wer weiß, wie es da drinnen aussieht.“

Pauly wusste mit vernichtender Gewissheit, dass nicht irgendeine Frau im Gebäude gefangen war. Es handelte sich um Karen, seine Ehefrau, er spürte es. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt, fiel der Schockzustand von Pauly ab und er fühlte sich von purer Energie durchflutet. Blitzschnell tauchte er unter dem Absperrband durch, entkam den reflexartig zupackenden Händen des Polizisten und lief die weißen Stufen hinauf. Er musste dort hinein, er konnte nicht anders. Die Angst um seine Frau trieb ihn an.

Pauly rannte durch das beschädigte Tor, an der verwaisten Kartenverkaufsstelle vorbei und schrie immer wieder Karens Namen. Auch im Inneren des Museums hatten sich kleinere und größere Brocken von der Decke gelöst und waren mit unglaublicher Wucht in den Boden eingeschlagen. Beißender Qualm zog durch die Gänge, die Pauly entlang rannte. In jeden Raum warf er einen Blick, so lange, bis er Karen ganz am Ende der Ausstellung fand. Ein leises Stöhnen gab ihm den letzten Hinweis, ehe er noch einen Blick hineingeworfen hatte. Als er sie sah, blieb sein Herz beinahe stehen.

Karen lag dort, zitterte, stöhnte, ihr Arme und Beine bewegten sich in purer Agonie aber schwach hin und her. Ihr Oberkörper und ihre Beine waren gebadet in Blut.

„Karen!“, stieß er entsetzt hervor und ließ sich neben ihr nieder. Ihr Bauch war eine einzige Wunde; jemand hatte Paulys und Karens ungeborenes Kind herausgeschnitten.

„Pauly“, flüsterte die leichenblasse Karen mit vor Angst und Schmerz erstickter Stimme. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihr Gesicht verzerrt.

Im selben Moment gab es einen ohrenbetäubenden Knall, das Gebäude bebte und erzitterte wie unter einem mächtigen Hammerschlag. Eine unvorstellbare Druckwelle rollte über sie hinweg und versetzte die Knochen in Paulys Innerem in Schwingung.

Ohne nachzudenken schob Pauly seine Arme unter Karens Oberkörper und ihre Beine. Die Angst und das Adrenalin verliehen ihm ungeahnte Kräfte, er hob seine Frau auf, als wäre sie leicht wie eine Feder. Noch immer floss das Blut in wahren Sturzbächen aus ihrem offenen Bauch. Wankend lief er mit seiner geliebten Last durch das zerstörte Museum, sprintete an der verwaisten Kartenverkaufsstelle vorbei und durch das Tor ins Freie.

„Hilfe!“, schrie er verzweifelt. „Meine Frau braucht Hilfe!“

Finsterlicht

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