Читать книгу Der programmierte Agent - Leo Frank-Maier - Страница 5

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Der kleine Mc Caulley war also doch tot, sie hatten ihn tatsächlich umgebracht.

Colonel Thornton legte bekümmert den Bericht auf seinen Schreibtisch. Irgendwie hatte er doch gehofft, es würde sich alles als harmlos aufklären. Mc Caulley war ein junger und eigensinniger Schnösel gewesen, einer von diesen Nachkriegsleuten, die alles besser wußten. Colonel Thornton hatte ihn nie recht gemocht. Jetzt war er tot.

Der Colonel seufzte. Er ging zu seinem Safe und öffnete ihn umständlich. Zwischen Aktenordnern mit der roten Aufschrift »Secret« und »Top Secret« lag ein Blechschächtelchen. Der Colonel entnahm daraus zwei kleine Pillen und schluckte sie. Dann verschloß er den Safe wieder. Colonel Thornton war jetzt über fünfundfünfzig, und ohne diese Pillen wurde er schnell müde. Und heute stand ihm noch allerhand bevor. Peinlich, diese Geschichte mit Mc Caulley.

Ausgerechnet heute mußte dieser Bericht eintreffen. Im Club gab der General eine Party anläßlich seines 59. Geburtstages. Sicher würde auch der Minister kommen. Und irgendwann mußte doch der General einmal über seine Nachfolge sprechen. Mit sechzig mußte er doch in Pension.

Colonel Thornton graute, wenn er an seine eigene Pensionierung dachte. Und womöglich als Colonel. Er, Patrick B. Thornton, der beste Taktiker im Generalstabskurs, im Range eines Colonels in Pension. Eine Schande. Aber wenn er es jetzt nicht schaffte, war es vorbei.

Er blätterte wieder in dem Bericht. Sein Gedächtnis ließ nach, ärgerlich. Wie lange war Caulley überfällig, er hatte es doch schon gelesen. Aha, sieben Wochen. Unangenehm. Sieben Wochen, und er hatte nichts unternommen. Was hätte er schon unternehmen sollen? Sicher würden sie etwas finden, was er hätte anordnen sollen. Der General, und Colonel Foster vor allem. Damned, hinterher war immer leicht reden. Er hatte gehofft, die Sache würde sich als harmlos herausstellen. Kam ja öfter vor, daß sich ein Agent längere Zeit nicht meldet. Mc Caulley hätte ja einen Unfall haben können oder Schwierigkeiten mit einer Zollbehörde oder Polizei. Der Krieg war schließlich lange vorbei und man dachte doch nicht gleich an das Schlimmste.

»Lächerlich«, sagte der Colonel, aber es klang sorgenvoll. Diese Krauts, diese deutschen Barbaren! Einen Gegenagenten einfach umzulegen, mitten im Frieden. Es war der dritte Fall in den letzten zwei Jahren. Diese Hunnen. Der Colonel war jetzt wirklich böse. Womöglich scheiterte seine Beförderung an diesem Fall. Der Minister mochte solche Dinge nicht. Wenn die Presse davon erfuhr, war er geliefert.

Nun, die Presse würde wohl nichts erfahren. Der Colonel beruhigte sich wieder ein wenig.

Diese alten Nazis mit ihren Gestapomethoden. Man hätte sie nach dem Krieg eben ganz aus dem Verkehr ziehen müssen. Aber nein, da hatten die alliierten Dienste die SD-Leute angeworben, als ob man nicht ohne sie ausgekommen wäre. Die Amis hatten begonnen damit. Diese blöden Amis. Der Colonel war schon immer dagegen gewesen.

Aber auf ihn hörte damals ja keiner.

Er mußte nun etwas unternehmen. Aber was? Früher hatte er oft brillante Ideen gehabt. Schließlich war er nicht umsonst Abteilungsleiter im MI 5 geworden. Und eigentlich müßte er schon lange Chef der Europasektion sein. Wenn nur der General endlich in Pension ginge. Colonel Thornton ging zum Fenster. Er beobachtete gerne den Straßenverkehr, das beruhigte ihn. Die Hampton Street war ziemlich belebt, die Menschen gingen ohne Mäntel und Hüte, es war warm für diese Jahreszeit. Der Colonel hatte plötzlich Lust, in einem Park spazierenzugehen. Sonnige Tage waren selten in London. Aber daran war ja jetzt nicht zu denken, dafür hatte er als Pensionist noch Zeit genug. Was war zu tun?

Eigentlich war die Sache gar nicht so schlimm. Mc Caulley war schließlich nicht im Offiziersrang und nicht einmal pragmatisiert, nur im Vertragsverhältnis. Die geeignete Verständigung seiner Angehörigen war Sache der Personalabteilung. Das ging ihn nichts an.

Colonel Patrick B. Thornton war ein eckiger grauer Mann, dem die Kinder aus dem Wege gingen. Er trug einen grauen Flanellanzug, und wahrscheinlich waren auch alle seine Krawatten grau oder graugestreift, ähnlich seinem Gesicht. Seine Zivilkleidung war ein bitterer Protest gegen die Tatsache, daß im militärischen Nachrichtendienst Ihrer Majestät die Uniform verpönt war. Zumindest im Frieden und im täglichen Bürodienst. Natürlich nicht bei Festveranstaltungen oder Parties, aber solche Gelegenheiten waren ja selten genug.

Es war Zeit für den Tee.

Bevor er die Sprechanlage betätigte, räusperte er sich. Er wollte eine verständliche Stimme haben. Es war lächerlich, er sprach nur drei Worte: »Tee, wie üblich«. Er hätte ebensogut »Blabldibrablditi« sagen können, Miss Rosalie Fletcher würde in fünfundzwanzig Sekunden den Tee bringen. Er hatte es ausgezählt, langsam bis fünfundzwanzig gezählt, so lange dauerte es, bis Miss Rosalie Fletcher mit dem Tee angetanzt kam. Natürlich war Miss Rosalie Fletcher seine Sekretärin. Seit acht Jahren.

Sie stellte das Tablett auf seinen Schreibtisch, wie üblich, und er sah ihr nach, wie sie wieder zur Tür ging, wie üblich.

Und wie immer hatte er den Wunsch, ihr den zu kurzen Rock hochzuheben und sie in den Hintern zu kneifen. Das ging schon acht Jahre so.

Selbstverständlich hätte Colonel Patrick B. Thornton eher unter einer roten Fahne im Hyde Park Mao Tse Tung zitiert, als mit Worten oder Taten dem prallen Hinterteil seiner Sekretärin näher zu treten. Schließlich war er ihr Vorgesetzter.

Als sie bei der Türe war, sagte er: »Äh?«

Sie drehte sich um.

Sie sah von vorne bei weitem nicht so sexy aus, wie ihre Rückseite vermuten ließ. Es war ihr Gesicht, das zu ihrer Rückenfront im Widerspruch stand und Ähnlichkeit mit einem Postkasten oder einem herabgelassenen Rollbalken hatte.

»Ich bitte die Herren Referenten für 17.30 Uhr in den Konferenzraum«, sagte der Colonel.

»Yes Sir, 17.30 conference room«, wiederholte der Postkasten. Die Tür öffnete und schloß sich fast geräuschlos. Er war wieder allein. Mit seinem Tee und zwei trockenen Cakes.

Er würde vorerst einmal seine Mitarbeiter referieren lassen, zum Thema Mc Caulley. Vielleicht hatte einer eine vernünftige Idee. Zur Abwechslung. Verdammt einfallsloser Verein, seine Operationsabteilung. Beamtete Sesselkleber, die alles nach Schema erledigten. Der Colonel verachtete sie. Sie würden berichten und reden und Vorschläge machen und wieder reden und dann auf seine Weisung warten. Und wenn eine Gegenoperation gut verlief, sprachen sie von Teamwork. Ging etwas schief, hatte der Colonel den Rotz am Ärmel.

Im Falle Mc Caulley war so ziemlich alles schief gegangen. Der Colonel seufzte wieder und trank den letzten Schluck Tee. Dann schob er das Tablett angewidert von sich.

Sollte er sich eine Zigarre genehmigen? Es war dann schon die dritte, und er hatte noch die Party vor sich. Den Dr. Doolittle sollten die Würmer fressen mit seinen ewigen Ermahnungen. Was wußte der von den Thorntons! Sein Vater war 80 und dampfte immer noch, der alte Herr.

Die Zigarre glühte.

Eine Gegenoperation war dringend nötig. Die Radebrecher-Leute wurden sonst immer frecher. Diese Kanalratten mußten ausgeräuchert werden. Im Krieg wäre das ein Fall für einen Kommandotrupp gewesen. Hinein in die gute Stube und »peng – peng«! Der Organisation den Kopf abschlagen, dann wäre Ruhe für eine Weile! Aber man schrieb 1961, und alles war friedlich und demokratisch.

Colonel Thornton las wieder in seinem Bericht. Die Zigarrenasche fiel zu Boden. Sicher waren es die Radebrecher-Leute gewesen, die den kleinen Mc Caulley abgemurkst hatten. Wer sonst? Dr. Radebrecher, ehemals Obersturmbannführer im Reichssicherheitshauptamt, Amt IV, Gegnerbekämpfung. Jetzt hieß er Räder und war Rechtsanwalt in Frankfurz. Arbeitete für die Kommunisten, das Schwein. Direkter Draht zum Ministerium für Staatssicherheit in Ostberlin. Colonel Thornton zischte verächtlich. Sollte er dem Westdeutschen Dienst einen Tip geben? Das Problem wäre dann gelöst. Wahrscheinlich würden seine Referenten das vorschlagen. Diese Schwachköpfe! Auf so eine Lösung wäre auch seine Putzfrau gekommen.

So einfach lagen die Dinge nicht. Er kannte die Krauts. Sie würden eine große Polizeiaktion starten und dabei seine eigenen Kreise stören. Und womöglich tauchte der Radebrecher vorher unter, wurde gewarnt. Hockten ja genug alte Nazis in dem Gehlenverein.

Nein, so einfach lagen die Dinge nicht. Leider nicht. Der Colonel öffnete widerwillig ein dickes Kuvert, eine Beilage zum Schlußbericht Mc Caulley. Die Ausweise und Schriftstücke waren drin, die man bei dem Toten gefunden hatte. Wieder so eine Neueinführung, was ging ihn, den Colonel, das an? Eine Liste zum Bericht hätte genügt. Das war schließlich Angelegenheit der Personalabteilung. Er würde ein Wort mit Major Johnson reden müssen. Wenigstens über die Kompetenzen sollten die jungen Herren Bescheid wissen.

Sogar eine Zeitung war bei den Papieren. Ein Hamburger Abendblatt. Eingetrocknete braune Flecken über der halten Titelseite, wahrscheinlich Blutflecke. Widerlich. Der Colonel dämpfte die Zigarre aus. Nächstens würde man ihm noch Leichenteile vorlegen.

Automatisch las er die Schlagzeilen. Der Hamburger Sportverein hatte 3:1 gewonnen. Unbekannte Flugobjekte in Brasilien gesichtet. Leipziger Messe: DDR will ins Westgeschäft. In Jerusalem kam der Eichmann-Prozeß in ein neues Stadium.

Colonel Thornton schlug mit der flachen Hand auf die Schreibtischplatte. Es klang wie ein Startschuß, und er sprang auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Große, beschwingte Schritte, Hände in den Taschen. Natürlich, das war sie! Die Idee für die Gegenoperation! Seine brillante Idee!

Die alten Unterlagen über Radebrecher aus seiner NS-Zeit! Nicht mit der Gegenwart, mit der Vergangenheit mußte man operieren! Das war doch jetzt aktuell, die ganze Welt sprach von Eichmann und von dem Prozeß. Der Colonel zündete eine neue Zigarre an. Ha, alle unterschätzten die Thorntons. Er hätte sich gerne selbst auf die Schulter geklopft. Ausgezeichnet, alter Junge!

Er würde seine Referenten bei der Konferenz zuerst herumstottern lassen. Ganz beiläufig würde er dann seinen Plan entwickeln. Sie würden auf dem Bauch liegen – vor Ehrfurcht. Ja, das war der alte Thornton. »Nein, Johnson«, würde er dann sagen, ein wenig mitleidig, »natürlich bleiben wir im Hintergrund, wozu haben wir befreundete Dienste. Na, Johnson, und welche Firma ist wohl die geeignetste? Richtig, Johnson, natürlich die Juden. Die Israelis. Eine zweite Entführung können sie sich nicht leisten, schließlich ist Radebrecher kein Eichmann. Denken Sie an die außenpolitische Situation, Johnson. Was werden die Israelis also tun? Sie werden die Presse mobilisieren. Sie werden den Radebrecher hochgehen lassen, durch die Presse. Radebrecher in Schwierigkeiten bedeutet Lähmung des gegnerischen Apparates. Das Ziel unserer Operation, Major Johnson!«

Es klopfte.

»Die Herren warten im Konferenzraum«, sagte Miss Rosalie Fletcher.

»Ich komme«, sagte der Colonel.

Er war zufrieden mit sich selbst. Die Pillen wirkten, er fühlte sich frisch und energisch. Patrick B. Thornton würde es diesen Mistkerlen schon zeigen.

Der programmierte Agent

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