Читать книгу Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi - Страница 56
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ОглавлениеAm Tage des Rennens in Krasnoje Selo kam Wronski früher als gewöhnlich in den Speisesaal des Regimentskasinos, um ein Beefsteak zu essen. Er hatte keine besonders strenge Kost nötig, da sein Gewicht genau den vorschriftsmäßigen viereinhalb Pud gleichkam; aber dicker durfte er auch nicht werden, und darum vermied er Mehlspeisen und Süßigkeiten. Er saß da, den Rock über der weißen Weste aufgeknöpft, beide Ellbogen auf den Tisch stützend, und blickte, während er auf das bestellte Beefsteak wartete, in einen französischen Roman, der auf seinem Teller lag. Er sah nur darum in das Buch, um nicht mit den beständig kommenden und gehenden Offizieren reden zu müssen; aber er überließ sich dabei seinen Gedanken.
Er dachte daran, daß Anna versprochen hatte, ihm heute nach dem Rennen ein Zusammensein zu gewähren. Aber da er sie seit drei Tagen nicht gesehen hatte und inzwischen ihr Mann aus dem Auslande zurückgekehrt war, so wußte er nicht, ob unter diesen Umständen das Zusammensein heute möglich sein werde oder nicht, und wußte auch nicht, wie er es in Erfahrung bringen sollte. Zum letzten Male hatte er sich mit ihr in dem Landhause seiner Cousine Betsy getroffen. Das von Karenins bewohnte Landhaus besuchte er möglichst selten. Jetzt jedoch wäre er gern dorthin gefahren und erwog die Frage, wie das unauffällig anzustellen sei.
›Selbstverständlich werde ich sagen, Betsy habe mich hingeschickt, um sich erkundigen zu lassen, ob sie zum Rennen kommen werde. Ich fahre bestimmt hin‹, war das Ergebnis seiner Überlegungen, und nun hob er den Kopf vom Buche in die Höhe. Indem er sich das Glück, sie wiederzusehen, lebhaft vorstellte, strahlte er über das ganze Gesicht.
»Schicke jemanden nach meiner Wohnung«, sagte er zu dem Diener, der ihm das Beefsteak auf einer heißen silbernen Platte brachte. »Ich ließe sagen, es solle so schnell wie möglich die Kutsche dreispännig angespannt werden.« Dann zog er die Platte zu sich heran und fing an zu essen.
Aus dem daneben befindlichen Billardzimmer hörte man das Anstoßen der Bälle, Sprechen und Lachen. Durch die Eingangstür des Speisesaales traten zwei Offiziere herein: der eine ein noch sehr junges Bürschchen mit schmalem, feinem Gesichte; er war erst kürzlich aus dem Pagenkorps in das Regiment eingetreten; der andere ein dicker, älterer Offizier mit einem Armband am Handgelenk und verquollenen, kleinen Augen.
Wronski warf einen Blick zu ihnen hin und machte ein verdrießliches Gesicht; er tat, als ob er sie gar nicht bemerke, und begann, indem er nach seinem Buche hinschielte, gleichzeitig zu essen und zu lesen.
»Nun, stärkst du dich für die Arbeit?« sagte der dicke Offizier und setzte sich neben ihn.
»Wie du siehst«, erwiderte Wronski stirnrunzelnd und wischte sich, ohne nach ihm hinzusehen, den Mund.
»Fürchtest du nicht, zu dick zu werden?« fuhr jener fort und drehte dabei einen Stuhl für den jungen Offizier zurecht.
»Wie?« fragte Wronski ärgerlich, verzog mit einer Gebärde des Widerwillens das Gesicht und zeigte seine kräftigen, lückenlosen Zähne.
»Ob du nicht fürchtest, zu dick zu werden?«
»Ordonnanz, Sherry!« rief Wronski, ohne ihm zu antworten, legte das Buch auf die andere Seite und las weiter.
Der dicke Offizier nahm die Weinkarte und wandte sich an den jüngeren Kameraden:
»Suche selbst aus, was wir trinken wollen«, sagte er, reichte ihm die Karte hin und sah ihn an.
»Vielleicht Rheinwein?« versetzte dieser. Er schielte schüchtern zu Wronski hin und bemühte sich, mit den Fingern sein kaum sprossendes Schnurrbärtchen zu fassen. Als er sah, das Wronski sich nicht umwandte, stand er auf.
»Wir wollen ins Billardzimmer gehen«, sagte er.
Der Dicke erhob sich gehorsam, und sie schritten zur Tür hin.
In diesem Augenblick trat der Rittmeister Jaschwin, ein stattlicher Mann von hohem Wuchse, ins Zimmer, nickte durch eine Kopfbewegung nach oben den beiden Offizieren geringschätzig zu und trat zu Wronski.
»Ah, da ist er ja!« rief er und versetzte ihm mit seiner großen Hand einen kräftigen Schlag auf das Achselstück. Wronski sah sich ärgerlich um, aber sogleich leuchtete auf seinem Gesichte der ihm eigene Ausdruck ruhiger, fester Freundlichkeit auf.
»Das ist verständig von dir, Alexei«, sagte der Rittmeister mit seiner lauten Baßstimme. »Jetzt mußt du ein bißchen essen und ein Gläschen trinken, aber nicht mehr als eines.«
»Ich habe gar keinen Appetit.«
»Da sind ja die beiden Unzertrennlichen«, bemerkte Jaschwin mit einem spöttischen Blicke nach den beiden Offizieren, die in diesem Augenblicke aus dem Zimmer gingen. Er setzte sich neben Wronski, wobei er seine für die Höhe der Stühle viel zu langen, in engen Reithosen steckenden Ober- und Unterschenkel in spitzem Winkel zusammenbog. »Warum bist du gestern nicht nach Krasnoje Selo ins Theater gekommen? Die Numerowa war gar nicht übel. Wo bist du denn gewesen?«
»Ich habe mich bei Twerskis unvermerkt etwas lange aufgehalten«, antwortete Wronski.
»Ah!« machte Jaschwin.
Jaschwin, ein Spieler, ein Trinker und ein Mensch, der nicht nur keine sittenstrengen Grundsätze besaß, sondern sich geradezu die Sittenlosigkeit zum Grundsatz gemacht hatte, dieser Jaschwin war im Regimente Wronskis bester Freund. Wronski mochte ihn zunächst wegen seiner außerordentlichen physischen Kraft gern, die er hauptsächlich dadurch bewies, daß er imstande war, wie ein Faß zu trinken und den Schlaf zu entbehren, ohne daß irgendwelche Veränderung an ihm wahrzunehmen gewesen wäre, ferner auch wegen seiner großen Willenskraft, die sowohl in seinem Verkehr mit Vorgesetzten und mit Kameraden zutage trat und ihn gefürchtet und geachtet machte, wie auch im Spiel, bei dem er oft um Summen von zwanzig-, dreißigtausend Rubel spielte, aber immer trotz dem in Menge genossenen Wein mit einer solchen Feinheit und Festigkeit, daß er im Englischen Klub für den ersten Spieler galt. Ganz besonders aber schätzte ihn Wronski und mochte ihn gern leiden, weil er wußte, daß Jaschwin sich zu ihm nicht durch seinen Namen und seinen Reichtum, sondern durch seine Persönlichkeit hingezogen fühlte. Und dieser Jaschwin war von allen Menschen der einzige, mit dem Wronski gern von seiner Liebe gesprochen hätte. Er fühlte, daß Jaschwin allein, trotz seiner anscheinenden Geringschätzung jeder weicheren Empfindung, imstande sei, die starke Leidenschaft zu verstehen, die jetzt sein ganzes Dasein ausfüllte. Außerdem war er überzeugt, daß Jaschwin sicherlich kein Vergnügen daran finden werde, Klatsch und Ärgernis weiterzutragen, sondern für dieses Gefühl die richtige Auffassung habe, das heißt einsehe und glaube, daß diese Liebe kein Scherz und kein Zeitvertreib, sondern etwas Ernstes und Wichtiges sei.
Wronski hatte mit ihm nie von seiner Liebe gesprochen; aber er wußte, daß jenem alles bekannt war und er es so auffaßte, wie es aufgefaßt werden mußte, und es war ihm eine angenehme Empfindung, dies in Jaschwins Augen zu lesen.
»Ah!« erwiderte dieser auf Wronskis Mitteilung, daß er bei Twerskis gewesen sei, faßte die linke Schnurrbartspitze und steckte sie sich nach einer schlechten Gewohnheit in den Mund; dabei blitzten ihm die schwarzen Augen.
»Na, und was hast du gestern gemacht? Hast du gewonnen?« fragte Wronski.
»Achttausend. Aber dreitausend sind faul; die wird der Verlierer kaum bezahlen.«
»Nun, dann kannst du es ja verschmerzen, an mir etwas zu verlieren«, meinte Wronski lachend. (Jaschwin hatte auf Wronski hoch gewettet.)
»Ich verliere unter keinen Umständen. Der einzige, der gefährlich ist, ist Machotin.«
Das Gespräch ging zu dem heute bevorstehenden Rennen über, dem einzigen Gegenstande, an den Wronski jetzt zu denken vermochte.
»Wir wollen gehen; ich bin fertig«, sagte Wronski, stand auf und ging zur Tür. Jaschwin erhob sich ebenfalls und reckte seine gewaltigen Beine und den langen Rücken gerade.
»Zum Mittagessen ist es mir noch zu früh; aber trinken muß ich noch schnell etwas. Ich komme sofort. Heda, Wein!« rief er mit seiner berühmten starken Kommandostimme, von der die Scheiben klirrten. »Nein, es ist nicht nötig«, rief er unmittelbar darauf wieder. »Wenn du zu dir nach Hause gehst, komme ich mit.«
Beide gingen hinaus.