Читать книгу Die Wölfin - Leo Tuor - Страница 21
ОглавлениеIn jenen Jahren, da die Großmütter Kinder kriegten, gab es Piusse und Pias am laufenden Meter. (Der weibliche Pius ist die Pia, nicht die Piua. Piua nannte Großvater die einzige Kuh des Pius, bei welcher ein Horn ziegenartig nach hinten zeigte, das andere geradeaus nach vorn.)
In hellen Scharen waren die Kinder nach den beiden Päpsten Pius XI. und Pius XII. getauft worden, die aufeinander gefolgt waren. Bereits zu Beginn des Jahrhunderts hatte es einen Pius gegeben, und etwa um die Mitte des vorhergehenden Jahrhunderts hatten ebenfalls drei Piusse regiert.
Die Piusse hatten aufgeräumt. Einer hatte dem Jesuitenorden wieder auf die Beine geholfen, einer hatte in Sachen unbefleckte Muttergottes sauberen Tisch gemacht und der Welt weisgemacht, dass der Papst unfehlbar sei. Einer hatte den Modernismus bekämpft und war vom übernächsten Pius heilig gesprochen worden. Pius XI. hatte knüppeldick Enzykliken zu Ehe und Erziehung herausgegeben, hatte dem Kommunismus den Tarif erklärt und sich von der Ökumene distanziert. Der letzte Pius war ein Monarch gewesen, runde Brille, gläserner Blick, hatte weiterhin den Kommunismus gepiesackt und verkündet, «nachdem Wir nun immer wieder inständig zu Gott gefleht und den Geist der Wahrheit angerufen haben», dass es eine von Gott geoffenbarte Glaubenswahrheit sei, «dass die unbefleckte, immer jungfräuliche Gottesmutter Maria nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes mit Leib und Seele zur himmlischen Herrlichkeit aufgenommen worden ist», um dann sofort auf die Konsequenzen zu sprechen zu kommen: «Wenn daher, was Gott verhüte, jemand diese Wahrheit, die von Uns definiert worden ist, zu leugnen oder bewusst in Zweifel zu ziehen wagt, so soll er wissen, dass er vollständig vom göttlichen und katholischen Glauben abgefallen ist.» Das war jene Ankündigung vom ersten elften neunzehnhundertundfünfzig.
Er hat ein Problem, hatte Oria kommentiert.
Großmutter hatte an die Wand gleich unter die Kuckucksuhr einen Pius XII. gehängt, wie man ihn im Dorf von Tür zu Tür verkaufte. Er posierte in einem Oval aus Bronzeguss, welches wiederum auf einen Rhombus aus lackiertem Tannenholz geklebt war. Ein Pius im Profil, das Käppchen auf dem Hinterkopf, die Lippen schmal. Der Bub stellte sich vor, dass der Papst nie rennen konnte, ja nicht einmal mit dem Kopf nach hinten lehnen durfte oder sich nach vorne beugen und zwischen den Beinen hindurch die Welt hinter sich umgekehrt betrachten konnte, weil er sonst jedes Mal sein Käppi verloren hätte. Was für ein Leben musste das sein.
Später war dem Bub in Vaters Knaur, dessen Rücken ganz zerfranst war vom vielen Herausziehen aus dem Regal, etwas aufgefallen. Die Fotografie des gleichen Pius fand sich da neben dem Bild des Francisco Pizarro, Marqués de los Charcas y de los Atabillos. Beide hatten dieselben Augen und denselben Mund und dieselben glatten Wangen. Der eine mit Bart und Helm und Federn und Flaum, der andere mit Käppchen und bartlos und mit derselben Physiognomie aus Stahl.