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Franz von Assisi und Franziskus aus Rom: Berufen zum Wiederaufbau der Kirche
ОглавлениеDass der argentinische Kardinal Jorge Mario Bergoglio, als er zum Papst gewählt wurde, den Namen Franziskus annahm, hat eine tiefe Bedeutung. Denn so wie Franz von Assisi zu seiner Zeit hat auch Papst Franziskus die Aufgabe, die Kirche Christi wiederherzustellen.
Der heilige Franziskus verspürte den Ruf, den Sinn von Kirche, wie er aus den Evangelien hervorgeht, wieder freizulegen. Er war inmitten imperialer Macht der Päpste, des Prunks der Paläste für Kardinäle und Bischöfe und des allgemeinen Sittenverfalls fast verloren gegangen.
Die Bekehrung des Franziskus begann damit, dass er in der Kapelle San Damiano auf die Stimme des Gekreuzigten hörte, die ihm sagte: „Franziskus, baue mein Haus wieder auf. Sieh, es liegt in Trümmern.“
Er fasste das im wörtlichen Sinne auf und machte sich daran, die kleine Kirche Portiunkula wieder aufzubauen, die tatsächlich in Trümmern lag. Diese kleine Kirche gibt es immer noch. Man findet sie heute in Assisi im Inneren einer riesigen Kathedrale. Erst danach begriff Franziskus, dass es um eine geistliche Aufgabe ging, nämlich die Kirche wiederherzustellen, die „Christus mit seinem Blut erlöst hatte“. Nun initiierte er eine Bewegung der Erneuerung jener Kirche, die zu seiner Zeit vom mächtigsten Papst der Geschichte überhaupt, von Innozenz III., geleitet wurde.
Zunächst lebte er mit den Leprakranken, und zusammen mit einem von ihnen zog er los, um das Evangelium der Einfachheit in einer volkstümlichen Sprache, und nicht auf Lateinisch, zu predigen.
Es ist gut zu wissen, dass Franziskus niemals Priester wurde, sondern lediglich Laie blieb. Erst gegen Ende seines Lebens, als die Päpste den Laien das Predigen verboten, ließ er sich zum Diakon weihen, und zwar unter der Bedingung, dass er keine Vergütung für dieses Amt bekäme.
Warum wählte Kardinal Bergoglio den Namen Franziskus? Genau aus demselben Grund, der aus dem jungen, neu bekehrten Franziskus von Assisi den Initiator einer Erneuerungsbewegung der mittelalterlichen Kirche werden ließ.
Auch Papst Franziskus war sich, wie so viele andere, dessen bewusst, dass die heutige Kirche in Trümmern liegt, weil sie von etlichen Sitten- und Finanzskandalen erschüttert ist. Priester, Bischöfe und sogar Kardinäle sind darin verwickelt und haben das Wertvollste der Kirche aufs Spiel gesetzt: die moralische Überzeugungskraft und die Glaubwürdigkeit.
Franziskus ist nicht einfach ein Name. Es ist ein Programm für eine arme, einfache, am Evangelium orientierte und von jeglichem Machtapparat befreite Kirche. Franziskus von Assisi hat eine Kirche entstehen lassen, die sich zusammen mit den Geringsten auf den Weg machte. Er schuf die ersten Gemeinschaften von Brüdern, die im Schatten von Bäumen ihr Brevier beteten und damit in den Gesang der Vögel einstimmten. Es war eine ökologische Kirche, die alle Lebewesen mit dem zärtlichen Wort „Brüder und Schwestern“ anredete.
Dies ist das Modell von Kirche, das auch Franziskus aus Rom inspiriert: eine „arme Kirche für die Armen“, wie er so schön sagte, eine Kirche, die dem Erbe Jesu treu bleiben will. Die Hirten müssen „den Geruch der Schafe“ an sich tragen, wie er es humorvoll in einer Ansprache an die Priester Roms ausdrückte. Das heißt, sie bewegen sich mitten im Volk.
Er selbst als Papst weiß dies und hat es klar zum Ausdruck gebracht. Ja, er muss Orientierung geben, aber er muss sich auch mitten ins Volk begeben, dessen Weg teilen, auf es hören, seine Weisheit aufnehmen und sich als ein Teil des Volkes Gottes empfinden.
Franziskus von Assisi war der Kirche der Päpste gegenüber stets gehorsam, doch zugleich ging er seinen eigenen Weg und trug dabei das Evangelium der Armen in seinen Händen und in seinem Herzen. Joseph Ratzinger, der später Papst Benedikt XVI. werden sollte, schrieb im Jahr 1970 noch als Theologe: „Das Nein des Franziskus zu jener Art von mächtigen und reichen Kirche hätte nicht radikaler sein können; wir könnten dies prophetischen Protest nennen.“ Er kritisiert den herrschenden Stil nicht mit Worten. Er handelt einfach und führt einen neuen Stil ein.
Ich glaube, dass dem Papst Franziskus eine solche Kirche vorschwebt: außerhalb der Paläste und ohne die Symbole der Macht. Deshalb wohnt er nicht mehr wie seine Vorgänger im Palast des Vatikans, sondern im Gästehaus Santa Marta. Und er nimmt an den Mahlzeiten derer teil, die dort gerade zu Gast sind. Bei seinem ersten öffentlichen Auftreten nach seiner Wahl legte er einen neuen Stil an den Tag. Normalerweise tragen die Päpste die Mozetta über ihren Schultern, das heißt einen Umhang voller Brokat und Gold, wie ihn früher nur die Kaiser benutzen durften. Papst Franziskus kam einfach weiß gekleidet und mit dem Blechkreuz, das er auch in Buenos Aires als Bischof und Kardinal getragen hatte.
Aus seiner ersten Ansprache sind drei Punkte von großer symbolischer Bedeutung hervorzuheben:
Zunächst sprach er von „Leiten in Liebe“. Dies wurde seit der Reformation und von den besten Theologen der Ökumene eingeklagt. Der Papst darf nicht wie ein absolutistischer Monarch und ausgestattet mit heiliger Gewalt regieren, wie es das Kirchenrecht vorsieht (Kanon 331). Wenn man sich an Jesus orientiert, dann muss er sein Leitungsamt in Liebe ausüben und den Glauben der Brüder und Schwestern stärken.
Zweitens: Er rückte den Begriff „Volk Gottes“ in den Mittelpunkt. Das Zweite Vatikanische Konzil hatte dieser Bezeichnung so viel Nachdruck verliehen, doch unter den beiden Päpsten vor Franziskus wurde dieses Wort in seiner Bedeutung abgeschwächt zugunsten einer hierarchischen, klerikalen Kirche. Papst Franziskus bat demütig darum, dass das Volk Gottes für ihn beten und ihn segnen möge. Erst danach spendete er seinerseits dem Volk seinen Segen. Das bedeutet: Er ist da, um zu dienen, und nicht, um bedient zu werden. Er bittet darum, dass die Menschen ihm helfen, gemeinsam einen Weg zu verwirklichen. Und er ruft die ganze Menschheit dort zur Geschwisterlichkeit auf, wo man einander nicht als Bruder und Schwester anerkennt, sondern wo die Menschen dazu verdammt sind, von der neoliberalen Wirtschaft in Geiselhaft genommen zu sein, die so viele „überflüssig“ und arbeitslos werden lässt.
Schließlich vermied er alles, was die Gestalt des Papstes spektakulär erscheinen lassen könnte. Er hob nicht die Arme empor, um das Volk zu begrüßen. Er stand aufrecht und bewegungslos da, ernsthaft und nüchtern, ja man könnte sagen, fast erschrocken. Man sah bloß die weiße Gestalt, die zärtlich auf die Menge blickte. Doch er strahlte Frieden und Vertrauen aus. Er sprach humorvoll und enthielt sich aller offizieller rhetorischer Floskeln. Er sprach als Hirte zu seinen Gläubigen. Zum Schluss wünschte er allen: „Gute Nacht, schlaft gut.“
Zuletzt muss noch betont werden, dass Franziskus ein Papst ist, der aus dem globalen Süden kommt, wo die Armen der Erde und zugleich 60 % der Katholiken leben. Mit seiner Erfahrung als Hirte und mit einer neuen Sicht der Dinge von unten her wird er die Kurie reformieren, die Verwaltung dezentralisieren und der Kirche ein anderes, glaubwürdiges Antlitz verleihen können.
Dies ist die große Hoffnung all derer, die den Weg der Kirche in der Welt mitgehen. Und wir werden in dieser Hoffnung bestimmt nicht getäuscht werden, denn er hat Franz von Assisi zum Schutzpatron und als inspirierendes Vorbild. Und mit der Gestalt des heiligen Franziskus sind keine geringen moralischen und spirituellen Herausforderungen verbunden.