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Das Attentat auf den Botschaftsrat

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Der Kommissar sagte viermal »Jawohl« und zweimal »Meine Ergebenheit, Herr Präsident«. Noch bevor er den Telefonhörer auflegte, sagte er: »Meine Verehrung«. Auch zweimal. Inspektor Pernell hatte mitgezählt.

»Da haben wir es«, sagte der Kommissar dann laut. »Da haben wir es!« Sein Tonfall war jetzt ganz verändert.

»Was haben wir?« fragte der alte Chefinspektor gemütlich.

Zornig schlug der Kommissar mit der flachen Hand auf die Schreibtischplatte. Erschreckt flogen ein paar Stubenfliegen auf. Die Sekretärin wäre garantiert mitgeflogen, hätte sie Flügel gehabt. So zuckte sie nur zusammen und murmelte etwas von scheußlichem Betriebsklima in dieser Abteilung.

»Der beraubte Botschaftsrat!« schrie der Kommissar ungemütlich. »Der Präsident will dringend einen Zwischenbericht. Muß ich mich um alles selber kümmern?!«

»Beraubter Botschaftsrat?« fragte der Chefinspektor ungläubig. Inspektor Pernell beeilte sich zu erklären: »Das ist dieser Fall Dr. Pierre Kretin, Chef«, sagte er aufgeregt, »der heute Nacht überfallen wurde. In der Rue de Cac, im Pigalle-Viertel.«

»Dr. Kretin?« fragte der Alte belustigt. »Heißt der wirklich so?«

Der Kommissar fand es ganz unerhört, daß der Chefinspektor noch nicht einmal den Akt gelesen hatte. Ganz unerhört! – fand er das. Und er sagte es auch. In aller Deutlichkeit. »Und wo ist der Akt!?« schrie er dann noch laut.

Der Akt fand sich auf Inspektor Pernells Schreibtisch. Und so war das ja nun auch wieder nicht, daß im Falle des beraubten Botschaftsrates noch niemand einen Finger gerührt hatte. So war das auch wieder nicht: Inspektor Pernell hatte heute morgen Frühdienst gehabt und die ersten Ermittlungen gepflogen. Jetzt berichtete er:

Dr. Pierre Kretin, Botschaftsrat im Außenministerium, 43 Jahre alt, verheiratet, 2 Kinder. Wurde gegen 0.30 Uhr von einer Funkstreife im Rinnsal der Rue de Cac aufgefunden. Blutete aus einer Platzwunde an der Stirn, oberhalb des rechten Auges. War vorerst nicht ansprechbar…

»Vorerst nicht ansprechbar?« hörte man aus der Ecke des Chefinspektors. »Nicht ansprechbar? Alles ist ansprechbar, sogar eine Mumie. Frage ist nur, ob er, sie oder es antwortet. Es müßte richtig heißen…«

Wie es richtig heißen müßte, erfuhr vorerst niemand. Denn jetzt explodierte der Kommissar:

»Halten sie hier keine grammatikalischen Sprachübungen!« schrie er. Und wiederum summten die Fliegen erschrocken. Die Sekretärin hatte eine steile Falte auf der Stirn. Ob sich der Chefinspektor etwa vorstellen könnte, warum der Präsident einen Zwischenbericht haben wollte? Der Kommissar war immer noch sehr laut: »Weil der Herr Außenminister von dem Raubüberfall umgehend informiert werden will«, sagte er düster. »Umgehend!«

Die Sekretärin hatte völlig recht mit ihrer Bemerkung vom scheußlichen Arbeitsklima. Denn der alte Chefinspektor schien wenig beeindruckt von der Lautstärke des Kommissars und begann nun erstens zu fluchen und zweitens zu behaupten, es wäre völlig egal, ob der Überfallene ein Diplomat, ein Briefträger oder ein Zuckerbäcker wäre. »Wir haben eine Verfassung«, sagte er grantig, »und vor dem Gesetz sind alle Bürger gleich!«

Er möge sich nicht lächerlich machen, sagte der Kommissar mit Nachdruck. Dann berichtete Inspektor Pernell weiter:

Um 0.45 Uhr wurde der Botschaftsrat ins Zentralkrankenhaus eingeliefert. Der diensthabende Arzt stellte die Platzwunde oberhalb des rechten Auges, dann noch eine leichte Gehirnerschütterung und Anzeichen von Alkoholintoxikation fest.

»Alkoholintoxikation!« höhnte der Chefinspektor. Bei einem Briefträger würde es heißen, der Kerl war stockbesoffen. Auch bei einem Zuckerbäcker… Inspektor Pernell ließ sich nicht beirren: »Die Angehörigen wurden verständigt«, berichtete er sachlich weiter. Madame Kretin wäre sofort ins Krankehaus gefahren. Noch bevor die Platzwunde genäht wurde, war sie dort. Sie hätte dann auch die Anzeige wegen Straßenraubes erstattet. Beim Journaldienst im Präsidium. Die Brieftasche des Botschaftsrates war verschwunden. Inhalt: Diplomatenpaß und ca. 5000 Franc.

»Diplomatenpaß«, schnaufte der Kommissar unglücklich. »Das auch noch!« Der Chefinspektor zeigte plötzlich und zu jedermanns Überraschung deutliches Interesse an dem Fall. Was denn der Herr Botschaftsrat nach Mitternacht in der Rue de Cac zu suchen gehabt hätte, wollte er vom Inspektor wissen. Die Rue de Cac lag in einer übelbeleumundeten Gegend. Das wüßte jedermann bei der Polizei. Sogar der Kommissar.

Inspektor Pernell war heute morgen nicht in Verlegenheit zu bringen. Er hatte auch dieses Detail bereits erwogen.

»Der Botschaftsrat ist auch ständiger Delegierter der UNDEWA«, berichtete er sachlich. »Das ist eine internationale Vereinigung zum Schutze debiler Wanderprediger im Rahmen der Vereinten Nationen. Diese Organisation hatte ein Arbeitsessen im Hotel Interabnorm. Das dauerte bis cirka 23 Uhr.«

»Arbeitsessen«, hörte man den Chefinspektor kichern, »Arbeitsessen, – wenn ich das schon höre! Entweder es wird gearbeitet oder gegessen…« Die Sekretärin schaute erschrocken zum Kommissar – aber der war offenbar nicht mehr bereit, mit dem Alten zu argumentieren. Jetzt wollte der Chefinspektor wissen, wie denn eigentlich der Botschaftsrat vom Hotel in die Rue de Cac gekommen sei. »Ich hoffe, du hast das genau erhoben, Pernell«, sagte er. Der Inspektor hatte:

»Der Chefportier des Hotel Interabnorm erinnert sich noch genau, dem Botschaftsrat in den Mantel geholfen zu haben«, berichtete er. »Ein gelber Kamelhaarmantel. Dr. Kretin gab dem Portier ein gutes Trinkgeld und steckte dann seine Brieftasche in die rechte Manteltasche. Er erkundigte sich dann noch leutselig bei dem Chefportier, wo denn in der Gegend noch was los wäre und dann ging er zu Fuß in Richtung Pigalle. Das war gegen 23.15 Uhr.«

Die Unerquicklichkeit dieses düsteren Arbeitstages wurde nun noch verstärkt durch das plötzlich einsetzende prasselnde Geräusch von Regentropfen, die ein heftiger Wind gegen die Fensterscheiben warf. »Heiter bis wolkig«, nörgelte der alte Chefinspektor. »Heiter bis wolkig hat der Kerl gestern abend noch gesagt. Im Fernsehen, bei der Wettervorhersage. Na ja…« Dann verlangte er von Inspektor Pernell den Bericht der Funkstreife über die Auffindung des bewußtlosen Dr. Kretin in der Rue de Cac.

Der berühmte »Tote Punkt« schien jetzt erreicht worden zu sein, denn auf einmal wußte niemand etwas zu sagen. Der Chefinspektor war ganz vertieft in den Streifenbericht, die Sekretärin begann gelangweilt, eine Kriminalstatistik zu tippen. Inspektor Pernell formulierte im Geiste seinen Erhebungsbericht im Falle des Dr. Kretin, den er ja erst zu Papier bringen mußte, und der Kommissar blickte finster auf die regennassen Fensterscheiben und dachte an den Polizeipräsidenten und an seine Karriere. Sogar die vorhin so erschreckten Stubenfliegen begannen in der nunmehr eingetretenen Stille wieder einzuschlafen.

Eine ganze Weile war nichts als Stille. Eine ganze Weile. Dann murmelte auf einmal der alte Chefinspektor. »Hallo, hallo«, murmelte er, »was lese ich denn da: Der Mann lag auf dem Bauch mit dem Gesicht nach unten. Er blutete aus einer Platzwunde an der Stirn. Rock und Hose waren stark verschmutzt… He, Pernell, fehlt dir denn da nichts?« Pernell wußte nicht, was da fehlen sollte und das sagte er auch.

»Rock und Hose, stark verschmutzt«, wiederholte der Alte eigensinnig, aber Pernell wußte damit nichts anzufangen. Schließlich war es ganz normal, daß das Zeug stark verschmutzt war. Das Pflaster der Rue de Cac war kein Laufsteg für Mannequins, und einen roten Teppich hatte man für den Herrn Botschaftsrat dort sicher nicht ausgelegt. In der Rue de Cac.

Der alte Chefinspektor konnte ätzend zynisch werden, niemand erlebte das schmerzlicher als Inspektor Pernell. Jetzt war es wieder einmal so weit. Ob denn da wirklich nichts fehlte, fragte der Alte im Tone eines gütigen Vaters, der seinem vertrottelten Sohn die Relativitätstheorie erklärt. Was denn eigentlich aus dem Mantel geworden wäre? Dem gelben Kamelhaarmantel, den der honorige Diplomat bei Verlassen des Hotels ja angehabt hatte.

»He Pernell, wo ist denn der verdammte Mantel? He?… Im Streifenbericht steht nichts davon. Sieht so aus, als ob unser Diplomat den Mantel gar nicht mehr anhatte, als er aufs Pflaster fiel und einschlief!«…

»Sieht so aus«, sagte Inspektor Pernell erschrocken. »Vielleicht hat man den Mantel mitsamt der Brieftasche geraubt«, sagte der Kommissar. Aber es war ihm nicht so ganz wohl dabei. Irgendwie kam es sogar ihm unlogisch vor, daß Straßenräuber einem liegenden Opfer den Mantel ausziehen. Den geringschätzenden Blick des Chefinspektors schluckte er deshalb ohne Kommentar.

Der Chefinspektor ging nun mit langen Schritten im Zimmer auf und ab und summte dabei das Liedchen vom »Mariechen im Walde«. Das tat er immer, wenn er vergnügt war. Das Liedchen war womöglich noch älter als er selber und hatte einen unglaublich obszönen Text. Die Sekretärin begann lauter zu tippen und hustete. Der Kommissar wollte eisig wissen, was denn auf einmal so lustig wäre.

»Die Kneipe«, sagte der Chefinspektor laut. »Pernell, er muß noch in irgend so einem Tingel-Tangel gewesen sein, unser Botschaftsrat! Was hat ihm denn der Portier empfohlen!? Der Portier vom Interabnorm, als unser Kretin wissen wollte, wo in der Gegend noch was los sei?«

»Das Etablissement der Madame Rosa«, sagte Pernell und klatschte sich auf die Stirn. Er war auch schon auf dem Wege zur Tür, als der Alte bellte: »Also los, auf zu Madame Rosa!« – Und die beiden waren draußen, ehe der Kommissar noch Pap sagen konnte. »Nicht einmal einen Mantel hat er angezogen«, sagte die Sekretärin. »Bei diesem Sauwetter. Er wird sich erkälten…«

Es war kurz vor Mittag, als die beiden wieder zurückkamen. Mit nassen Haaren, pfiffigen Gesichtern wie Lausbuben und der Chefinspektor trug einen Mantel, der ihm um drei Nummern zu klein war. Einen gelben Kamelhaarmantel.

»Das kann ja nicht wahr sein!« schrie der Kommissar. »Jetzt sagen Sie bloß, die geraubte Brieftasche…«

Sie war tatsächlich im Mantelsack, die Brieftasche. Samt Diplomatenpaß und Geld. Der Betrag war nicht mehr vollzählig, der Chefinspektor hatte damit die offene Rechnung an Madame Rosa bezahlt. Die der Herr Diplomat vergessen hatte. So wie seinen Mantel. »Der Kerl hatte einen Vollrausch«, sagte der Chefinspektor sachlich.

So wütend hatte man den Kommissar schon lange nicht gesehen: »Dieses Schwein besäuft sich wie ein Latrinentschick«, schrie er, »wacht im Spital auf und macht eine Raubanzeige!« Und er würde diesen Diplomaten anzeigen, schimpfte er weiter. Wegen Vortäuschung einer strafbaren Handlung. Schließlich hätte man eine Verfassung und vor dem Gesetz wären alle gleich. Da gäbe es keine Ausnahmen… Der Chefinspektor wurde immer vergnügter.

Das würde er lieber nicht tun, meinte er, so eine Gerichtsanzeige wegen Vortäuschung einer strafbaren Handlung. Schließlich hätte ja nicht der Botschaftsrat, sondern seine Frau die Anzeige gemacht und… »Aber seiner Frau hat er vorgelogen, er wäre beraubt worden!« schrie der Kommissar.

»Seiner Alten kann er erzählen, was er will«, meinte der Chefinspektor.

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