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Psychotische

Reaktionen

und heiße Luft

Eine Geschichte unserer Zeit

»Kommt her, meine flachsköpfigen Enkelkinder, und lasst euch von mir altem Knaben auf den Knien wiegen. Solange ihr mich noch erkennt, ihr kleinen Verrückten. Ihr wisst, die Glocke hat geschlagen, es ist an der Zeit. So verfällt mein altes Hirn ins Grübeln, ah, welche erbauliche Geschichte aus vergangenen Zeiten soll ich heute erzählen?«

»Was sollte eigentlich die ganze Aufregung um die Yardbirds?«

»Ah, die Yardbirds. Genau. In der Tat, das waren Zeiten. 1965, ich war ein ungestümer junger Draufgänger, gerade zum ersten Mal verliebt, und sie schob fortwährend meine Hand weg und rümpfte die Nase: ›Ich würde gerne, aber ich bin doch kein Flittchen.‹ Die Mädchen waren tatsächlich so zu meiner Zeit ...«

»Ach, hör mit dem senilen Gewäsch auf und mach mit deiner Scheiß Altertumsforschung weiter oder wir hüpfen dir vom Knie und machen Action! Alter!«

»Schon gut, Kinder, schon gut, bleibt nur bei mir, kein Grund zur Aufregung ... also, wie ich schon sagte, wir schrieben das glorreiche Jahr 1965 und ich verzehrte mich nach Klängen, die mein Gehirn ein wenig verzerren würden. Versteht ihr, es passierte nicht viel außer vielleicht ›I’m Henry VIII, I am‹ – nein, ich will das nicht ausführen, ich weiß, es klingt gut, aber glaubt mir ... wir steckten mitten in einer musikalischen Rezession, die damals, als es noch keine Pauschalreisen zwischen den Sonnensystemen gab, von Zeit zu Zeit einfach auftrat ... ich kann mich noch an einen weiteren äußerst traurigen Durchhänger erinnern, der bis weit in die Anfänge der Siebziger anhielt ... außer, dass dieser so lange dauerte, dass wir verdammt kurz davor waren, völlig auszutrocknen und Platten komplett zu boykottieren, bis Barky Dildo and the Bozo Huns auftauchten, um unsere Seelen zu retten ...«

»Oh Mann, wie konntest du nur auf die Typen abfahren? Das war der reaktionärste, verkackteste Trend der ganzen Geschichte. Was ist denn so toll daran, Geige wie eine Kreissäge zu spielen und den Katzendarm hektisch kläffen zu lassen? Jammen ist klasse, aber diese Typen haben sogar im Viervierteltakt gespielt und Tonarten gewechselt! Deswegen fragen wir dich, Opa, was für eine Scheiße ist das denn?«

»Schon gut, schon gut, ich weiß, ich schweife schon wieder ab. Ab jetzt halte ich mich ausschließlich an die nackten Tatsachen, und wenn einer von euch neunmalklugen Zwergen mich noch einmal unterbricht, klebe ich einem von euch den Mund zu.«

»Wem denn?«

»Zufallsprinzip, ihr Sprösse meiner Lenden, zufällig wie alles andere auch in dieser Scheiß Irrenanstalt von Welt, die ihr Typen da habt, und von der ich mich bald in Dankbarkeit verabschieden werde.«

»Na gut, dann schramm dir doch die Fingerknöchel auf, damit du sie wieder in warmes Bier tauchen kannst, aber sag nicht, wir hätten dich nicht gewarnt. Du solltest wissen, dass du der einzige alte Sack hier bist, dessen Schrott sich Skewey, Ruey und Blooie überhaupt anhören ... und was soll diese Verabschiedungsscheiße überhaupt? Wer ist denn schon dankbar dafür, tot zu sein?«

»Nun, tatsächlich gab es mal eine Zeit, wo eine Menge Betrogener das waren, aber das ist eine andere Geschichte. Ich beschränke mich jetzt auf die Yardbirds-Saga, anderenfalls schweifen wir noch in die Ozonschicht ab. Also hört jetzt zu und hört gut zu und wartet mit euren Fragen bis ich fertig bin.

Wie ich bereits sagte, waren die Yardbirds einfach unglaublich. Sie kamen angestürmt und schmissen alle und jeden ganz entspannt aus der Spur. Sie waren einfach so verdammt gut, dass die Leute sie noch ein Jahrzehnt später imitierten und, wie ich hinzufügen möchte, reich dabei wurden, weil die Originalbesetzung der Genies nicht so lange zusammen geblieben war. Natürlich war keines ihrer Stiefkinder auch nur halb so genial, und im Laufe der Zeit wurden sie immer gekünstelter und gestelzter, bis 1973 eine Horde von abgemagerten Fatzkes namens Led Zeppelin ihr Abschlusskonzert gab und der Leadgitarrist von einem wütenden Strychninfreak aus dem Publikum mit einer selbst gebastelten Waffe ermordet wurde, und das in der achtundfünfzigsten Minute seines virtuosen, weltberühmten zweieinhalbstündigen Solos auf einem Basston. Dann haben sie sich den Leadsänger gegriffen, der so dermaßen auf Stechapfel war, dass er praktisch nichts mehr tun konnte, außer »Gleep gleep gug jargaroona fizzlefuck«-artige Texte zu keuchen, und ihm die Haare abgeschnitten, seine Mundharmonika zertreten, ihm bürgerliche Kleidung verpasst (ich glaube, es handelte sich um ein Paar übergroße lebenslängliche Ganzkörperkettenjeans) und ihn als Frachtgut aus der Stadt geschafft. Das letzte, was man von ihm gehört hat, war, dass er versuchte vor ein paar sentimentalen alten Kiffern »Whole Lotta Love« in irgendeinem Klub in Posemuckel zu singen. Zum Umfallen rührselig.

Aber wisst ihr, obwohl die Yardbirds alles auf den Kopf stellten, haben sie nur ein paar Jahre existiert. Und einige der Trittbrettfahrer, die sie hatten! Mann, es hat mich schon geekelt, die Platten nur anzusehen! Als sie beispielsweise ›I’m a Man‹ rausgebracht und die Top Ten gestürmt haben, mit einer Mischung aus Bo Diddley (ah, das war der alte fette Kater, der mit diesem berühmten Shuffle Beat groß rauskam ... Ich glaube, der war schon wieder passé, bevor ihr geboren wurdet. Tja, als also das Konzept eines regelmäßigen Bassrhythmus komplett verschrottet wurde, wart ihr immer noch zu jung, um euch an den kulturellen Bürgerkrieg zu erinnern, der dann losbrach, als Jagger auf offener Straße Zagnose in einen Hinterhalt lockte und Beefheart in die Berge von Costa Rica abzischte, um sich dort zu verstecken, bis sich die Stimmung etwas abgekühlt hatte ...) und Feedback, sind allen die Wattebäusche aus den Ohren geflogen, bevor sie tot umfielen, weil dieses ganze verzerrte Elektrozeug, das euch in den Schlaf geschaukelt hat, als ihr noch in der Wiege gelegen habt, damals noch nicht gehört wurde, ein echtes Gehirnbeben. Manche Leute fanden das leicht anstößig, wie der blanke Nerv in einem Draht, der sie wie verrückt anblinkt, aber wir steilen Senkrechtstarter sind von Anfang an tierisch auf diese kulturelle Veränderung abgegangen. Wir haben nur auf jemanden gewartet, der vorbeikommt und die Weicheier platt macht, kick out the jams ... ach, diese Phrase! Tja, das ist auch so eine Geschichte. Hat einen netten messerwetzenden Klang. Ihr werdet bestimmt wieder lachen, aber wir hatten einen ziemlich kritischen Sprachstil, als ich noch ein Zwerg war, harte Riffe wie ›Right on!‹ und ›Peace, brother!‹, nicht diese einfältige telegrafische Scheiße, die bei euch banalen Bälgern heutzutage als Kommunikation durchgeht. Ich kann mich erinnern, als ich auf der High School war (ach, hab ich euch doch schon erzählt: das war das, wo sie dich hinschickten, wenn sie nicht wussten, was sie mit dir machen sollten, also wenn man schon zu groß für den Kinderbunker war, aber noch zu jung, um so zu tun, als würde man in die Männerwelt eintreten, was bedeutete, jeden Tag zur gleichen Zeit zu einem komischen Gebäude zu gehen, um dort stundenlang irgendwelche sinnlose Scheiße zu machen, damit man sich Brot kaufen konnte und alle einen respektierten), also, als ich zur High School ging, hatten wir ein paar ziemlich heftige Sprüche drauf. Wenn beispielsweise einer etwas echt Dämliches machte, hieß es immer ›Hast du Scheiße im Hirn?‹ Auch gut war, wenn man echt angepisst von jemandem war, sagte man ›Du mieser Haufen Scheiße‹. Ein paar von uns, eine Bande von Tagedieben genau wie ihr, fuhren immer zum Spirituosenladen, um Cola und Kartoffelchips zu kaufen, und später stöhnte der Beifahrer immer, ›Knutsch es runter, knutsch es runter!‹, was sich natürlich auf das Essen bezog. Einige Jahre später fingen ein paar phantasiebegabte Individuen damit an, Essen ›Mampfi‹ zu nennen, aber glücklicherweise hat sich dieser schwachsinnige Begriff nicht lange gehalten.

Wir hatten übrigens bereits Jahre vorher schon eine sehr rätselhafte Zauberformel: ›Ich mache nicht solchen Schrott wie du, ich zünde ihn an!‹ Wenn man das sagte, waren die Leute ziemlich irritiert. Wenigstens die Kinder, aber ich habe vergessen, was der Satz bedeutete, ich glaube, er war so eine Art Zen. Wenn man also eine Auseinandersetzung mit jemandem hatte, konnte man einfach diesen Spruch raushauen und je nachdem, wie er von dem Anderen aufgenommen wurde, stiftete er entweder Frieden oder das Ganze endete mit einem Faustkampf.

Aber ich schweife schon wieder ab. Scheiße, Kinder ihr habt Recht, ich werde zu einem alten Ziegenbock mit glasigen Augen. Mit Scheiße im Hirn. Sobald wir mit unserer Anekdotenstunde hier fertig sind, nehme ich mein Morphin und beruhige meinen fiebrigen Verstand für ein, zwei Stündchen. Ich habe heute Abend eine Verabredung mit Delilah Kooch und muss ausgeruht sein, wenn ich beim ersten Hahnenschrei immer noch bumsen will, Orgelöl hin oder her ... mit neunzig sollte man sich in Mäßigung üben.

Aber wie ich bereits ausgeführt habe, bevor ich den Kuschelweg einschlug, blieben die Yardbirds nicht sehr viele Monde zusammen, und als sie sich mit ›I’m a Man‹ verabschiedeten, wurden sie schon von allen Seiten von kleinen Teeniebands geplündert (eines Tages erzähle ich euch mal ein bisschen was über Paul Revere and the Raiders, ha, das glaubt selbst ihr nicht...), die sofort schlechte Imitationen von ›I’m a Man‹ aufnahmen, um ihre Debütplatten voll zu kriegen, Bands wie die Royal Guardsmen, die zwei Nummer-Eins-Hits hatten mit irgendwelchen Späßchen über einen Hund namens Snoopy, der verknöcherte Deutsche in antiken Flugzeugen abschießt. Ich schwör’s bei Gott! Und dann tauchten überall Punkbands auf, die zwar eigene Songs schrieben, aber den Sound der Yardbirds kopierten und ihn auf dämliches Verzerrergematsche reduzierten ... ach, das war himmlisch, es war reine Folklore, das gute alte Amerika, und manchmal glaube ich, das waren die besten Zeiten überhaupt.

Nein, ich glaube das nicht nur, ich weiß es, ich hatte schon um 1970 das Gefühl, als alles zu einer Soße von mäandernden Minnesängern und Balladen singenden Barden und ähnlicher Scheiße gerann, die damals bereits total überholt war. Mann, ’65, ’66, da stand ich morgens auf und machte als erstes das Radio an, weil so viel gute Sounds rausdröhnten. Es gab einen Song ›Hey Joe‹, von dem praktisch jeder behauptete, er habe ihn zusammen mit seinem Scheißbruder nicht nur aufgenommen, sondern geschrieben, obwohl das Stück offensichtlich die psychedelische Mutation eines uralten Folksongs war, der, wie praktisch neun Zehntel aller anderen uralten Folksongs auch, davon handelte, jemanden aus Liebe umzubringen. Und eine Gruppe namens The Leaves hatten mit ›Hey Joe‹ einen Killerhit (das ist übrigens noch so ein Wort, das ihr Quasselstrippen euch merken solltet), aber dann tauchten sie nach ein paar merkwürdigen Alben ab, obwohl sie noch mit einem guten Stück in die Charts kamen, ›Doctor Stone‹, ein echt brachial gespielter, zweideutiger Dopesong. Etwa ein Jahr lang war jedes zweite Stück voller Codewörter für getting stoned, weil alle in ganz großem Stil damit anfingen und es den Reiz des Heimlichen hatte, und die dämliche Regierung hat die Codes nicht rausgekriegt, FBI, CIA und alle anderen auch nicht, bis sie vier oder fünf Jahre später mit diesem aufgeblasenen Merkblatt angetanzt kamen; dieser Typ, der aussah wie eine Kreuzung aus einem Erdhörnchen und dem Amerikanischen Adler und sich lautstark auf den Weg zu einem dieser geriatrischen Urlaubsorte in der Wüste machte, wo die Leute wegen des völlig reizlosen Kitzels, Geld aus dem Fenster zu schmeißen, hinfuhren, dieser Typ heizte also da hin und hielt dort eine überaus gewichtige Rede, damit das Land erführe, dass Drogen und Musik irgendwie zusammenhingen, was natürlich allen schon längst klar war. Die ganze Chose war so dermaßen lächerlich, weil alle Titel, die er als Beispiele heranzog, grottenalt waren, und alle zu diesem Zeitpunkt schon so dermaßen stoned waren, dass es völlig unnötig war, die Leute damit voll zu quatschen, high zu werden.

Aber für mich und eine Menge anderer Leute war dieser Moment, als sich niemand mehr dafür interessierte, weil sich alle schon in dieser Geisteshaltung eingerichtet hatten, exakt der Punkt, an dem alles wieder bergab ging. Statt über Teetrinken mit Mary Jane zu singen oder darüber, wie man sein Ding an der guten alten süßen Slit Annie reibt, hieß es jetzt ›Hilf mir Gott‹, ich suche nach dem Sinn des Lebens oder ich glaube, dass einzig und allein die Liebe die Welt sowohl von Schuppenflechten als auch von Krebs befreien kann, und ich werde den Menschen auf 285 unterschiedliche Arten alles darüber erzählen, ob es dir gefällt oder nicht. Und warum gibt es Kriege, frag doch die Kinder, sie wissen alles, wir können von ihnen lernen, und hey, natürlich mag ich Schwarze, auch wenn meine Leute keine Schwarzen mögen ... darüber gab es endlose Vinylfluten mit dem immergleichen Geschwafel. An diesem Punkt schmiss ich hin und flüchtete mich in den guten alten kantigen ’66er Rock, zurück zu den Wurzeln. Ich holte Platten wie 96 Tears von Question Mark and the Mysterians wieder hervor, die in der Tat mysteriös waren, und ließ zu Dschungel-Voodoo-Gekreische wie ›Wooly Bully‹ die Sau raus, ein unbeschreibliches Stück, das von ein paar Turban tragenden Typen aufgenommen worden war, die in einem Leichenwagen in der Gegend rumfuhren.

Damals kam ich auch in großem Stil noch mal auf die Yardbirds-Imitatoren in der Juniorrockerliga zurück. Da gab es Back Door Men von den Shadows of Knight, die echt gut darin waren, sich die Yardbirds-Riffs draufzuschaffen und neu umzusetzen, und Psychotic Reaction von Count Five, die das zwar nicht so draufhatten, aber ihre ganze Routine mit so derartig dreckiger Hingabe ausspielten, dass ich total auf sie abfuhr! Sie waren ein Haufen Gitarre schlagender Flegel aus irgendeiner gesichtslosen kalifornischen Vorstadt, und nur ein paar Monate, nachdem ›I’m a Man‹ nicht mehr in den Charts war, charteten sie schon wieder mit einer plumpen Imitation namens ›Psychotic Reaction‹. Und das war ein Riesenhit, meiner Meinung nach sogar ein größerer Hit als ›I’m a Man‹, der mich seinerzeit natürlich ganz heiß abgehen ließ, der aber, wenn ich jetzt so darüber nachdenke, ganz cool war, na ja, einfach genau richtig. Der Song war ein billiger Abklatsch, völlig albern. Er fing mit diesem verzerrten Gitarrenriff an, das sie aus einem Johnny-Rivers-Hit geklaut hatten, der mir gerade nicht einfällt – der vor ›Secret Agent Man‹ – und ging dann in den behonktesten Text aller Zeiten über. Und zwar, Moment mal, so in der Art wie: ›I feel depressed, I feel so bad / Cause you’re the best girl that I’ve ever had / I can’t get yer love, I can’t get affection / Aouw, little girl’s psychotic reaction... / An’ it feels like this‹, und dann knallte ein Eins-zu-Eins ›I’m a Man‹-Verschnitt los. Absolutes Dynamit. Anfänglich habe ich das Stück gehasst, aber als ich stoned in der Gegend rumfuhr, lief es gerade und ich langte mir an den Kopf: ›Was hab ich mir dabei nur gedacht? Das ist ein großartiger Song!‹

Das Album (Double Shot DSM 1001) hatte auch noch ein killermäßiges Cover, ein Foto, das aus einem Grab heraus aufgenommen war, die Bandmitglieder standen am Rand und glotzten hämisch in die Grabstätte. Echt gruselig, mal abgesehen davon, dass sie alle karierte Hemden und Freizeithosen von Penney’s trugen. Das war nicht ganz so gruselig, aber längerfristig doch irgendwie ganz nett gemacht. Die Farben und die Schrift waren auch echt hübsch.

Auf der Rückseite waren vier Fotos von ihnen: Count Five, wie sie eher unbeholfen in Bela-Lugosi-Umhängen auf dem Rasen vor einem alten düsteren Herrenhaus stehen und versuchen, finster auszusehen; Count Five bei irgendeiner L.A.-Tanzshow, die sie komplett aufmischen, während rechts im Bild eine Meute kreischender Teenager, vermutlich durch einen Kordon von ihren Idolen getrennt, auf sie zu drängt; Count Five im Fernsehstudio; und Count Five, wie sie ihr Gepäck mit ziemlich finsterer Miene in den Kofferraum ihres Autos laden, bereit für die Große Tournee, die alle Popstars unweigerlich antreten müssen (wahrscheinlich haben sie das ganze Zeug in den Kombi der Frau des Managers gepackt).

Im Gegensatz zu den vielen dümmlich trüben Albumhüllen der lahmen späteren Jahre, als die Bands einfach vergaßen, irgendwelche Informationen auf der Rückseite zu bringen, außer vielleicht Songtitel oder eine gefakte Kodachrome Naturstudie, die die Band zeigt, wie sie um einen sterbenden Mammutbaum oder ähnliches herumschleicht, war die erste Eruption von Count Five auf der Rückseite einfach voll gepackt mit allen wichtigen Informationen, wie Namen, Spitznamen, gespielte Instrumente und Alter der Bandmitglieder (der Älteste war neunzehn). Auch die Songtitel sahen vielversprechend aus: abgesehen von den beiden von The Who gekupferten Stücken, waren alles Originale, Titel wie ›Double-Decker Bus‹, ›Pretty Big Mouth‹ und ›The World‹, um nur die ersten drei zu nennen, klangen so, als sollte man sie nicht verpassen.

Aber Kinderchen, ich muss euch sagen, es kostete mich viele Wochen des Nachdenkens und so manche Stunde Schweiß, gebückt über den Verkaufstresen eines Plattenladens, bevor ich mir schließlich ein Herz fasste und die Platte kaufte. Warum? Tja, sie war so aggressiv mittelmäßig, dass ich ihr nur schwer widerstehen konnte, und gleichzeitig war ich mehr als vorsichtig, weil ich wusste, wie ungeschliffen sie sein würde. Erst viel später, als ich schon in den Kitschbottichen von Elton John und James Taylor ertrank, erkannte ich, dass Derbheit das wahrhaftigste Kriterium für Rock’n’Roll war, je härter das Gedröhne und Gekrache, desto mehr Spaß hatte man an dem Album und desto länger hörte man es. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich mir einen Schneidezahn ausgeschlagen, den Schädel rasiert und praktisch jedes Opfer gebracht, um auch nur noch ein einziges weiteres Album dieser krachenden, hyänenschreienden Rasanz zu bekommen. Aber es war schon zu spät.

Ich versuchte immer wieder, die Psychotic Reaction LP zu kaufen. Ich ging rüber zum Unimart, total breit von Gras, Muskatnuss, Wodka, Romilar, oder kam mit glasigen Augen gerade von zehn Stunden auf Dexedrine runter, die ich damit verbracht hatte, ein paar Probleme in Geometrie abzuarbeiten (ich war ein richtiger kleiner Gelehrter, wenn ich die magische Medizin genommen hatte, die in dir einen manischen Wissensdurst hervorruft), ich probierte jede Taktik aus, um meine Widerstandsfähigkeit zu schwächen, aber nichts funktionierte. Fuck, ich hatte eine scheiß gespaltene Persönlichkeit! Und zwar wegen eines scheiß Count-Five-Albums! Vielleicht war ich dichter an der Irrenanstalt, als ich mir je hatte träumen lassen! Auf der anderen Seite, wegen was sonst sollten ich oder einer meiner Altersgenossen schizoid werden, wenn nicht wegen eines lausigen Rock’ n’Roll-Albums? Mädchen? Ach Quatsch, zu direkt, zu einfach, zu irrational. Drogen? Klar, aber wenn, dann machten die mich schizoid – ›Du zahlst dafür, dass du mit uns rumspielst, Junge!‹ –, nicht mein eigenes Wrack dualistischer Seelenqualen. Nein, nicht mehr und nicht weniger als eine Platte, ein Rock’n’Roll-Album von entsprechendem Stellenwert wie Psychotic Reaction (wer rastete schon bei einer Stonesplatte aus, von den Beatles ganz zu schweigen) konnte meine Ohrlappen pulverisieren, meinen Boden durchlöchern. Ich wusste es, weil ich schon mal einen ganz ähnlichen Desorientierungsanfall beim Question Mark and the Mysterians-Album hatte! Ich war bei einem Freund, total auf Romilar, und er hatte das Nervenwässerchen Colt 45 intus, und ich sagte: ›Tja, ich hab mir heute das Question Mark and the Mysterians-Album gekauft‹, und plötzlich floss das Gleichgewicht aus meinem Kopf wie das Wasser nach dem Tauchen aus den Ohren, ein zielloser Strudel begann durch meinen Schädel zu wirbeln und wurde allmählich immer schneller, obwohl ich nicht hätte sagen können, ob es einfach ein Luftzug draußen war oder etwas direkt zwischen Fleisch und Knochen. Ich hatte mein Leben vor Augen, echt kein Scheiß – ich meine damit nicht, dass bei mir ein Film von der Geburt bis zu diesem eher unangenehmen Moment des existentiellen Schwindels ablief, sondern ich sah mich, wie ich unzählige Plattenläden betrat und wieder verließ, ein Heidengeld blechte, in einer endlosen Kette stand, das Schlagen und Klingeln der Registrierkassen im Ohr, die Summen in Höhe von $ 3,38 und $ 3,39 und $ 3,49 und den anderen Preisen, die ich auswendig kannte, zweifelsohne ganz der vorbildliche amerikanische Konsument, obwohl ich nie ein vollwertiges Mitglied war, ich sah Mülleimer randvoll mit den Hüllen (in die die Läden ihre Alben verschweißen), um nicht beim Klauen erwischt zu werden, wenn man aus dem Laden latscht. Ich sah mich bei Tausend Gelegenheiten, wie ich mit raschen, zielgerichteten Schritten auf mein Auto zugehe, den Schlüssel im Zündschloss drehe und in meiner frisierten Karre durchstarte, total high in der Vorfreude auf all die Offenbarungen, die in fünfunddreißig oder vierzig Minuten explodierenden Sounds liegen würden, sobald ich zu Hause angekommen war, mit dem ewigen Versprechen, dass dieses eine Mal die Gitarren wie TNT abgehen und ein galvanisches Brutzeln im Gehirn freisetzen würden – KABUMM!!! – und dir wenigstens einmal die Schädeldecke bis in den Himmel geblasen wird. Dein Gehirn glänzt an der Decke, klebt dort wie gegipste Stalaktiten, während dein durchgedrehter Körper herumrennt und wütende, wenig menschliche Wortfetzen herausschreit, in unberechenbaren Kreisen herumhüpft und abgehackte Silben ausspuckt wie ein Freak in einem sehr weit fortgeschrittenen Stadium des Superstar-Syndroms.

Aber das ist nur Phantasie. Die echte Vision, der wirklich durchgeknallte Flash war genauso wie die Wirklichkeit, nur dass sie in einem endlosen Loop immer weiter spielte. Die wahre Geschichte ist, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen, um die Apokalypse losbrechen zu hören, durch die Eingangstür zu fallen und die Cellophanhülle ›zu Ihrer Sicherheit‹ aufzureißen, die Platte herauszunehmen – ah, sieh nur, die Rillen, total lackschwarz, noch ohne jeden Schmierfleck, glänzend und neu und so scheiß unberührt, dann die Farbe des Labels, seine glühende Aura, die schon einen zarten Hinweis auf die Klänge gibt, die dieser Scheibe entströmen werden. Oder handelt es sich lediglich um eine langweilige monochromatische Oberfläche, wie eine Schulmauer (wie bei RCA und Capitol, nachdem irgendein Depp sie neu gestaltet hat – ein Beispiel für künstlerische Zurückgebliebenheit)? Und schließlich legt man die Platte auf den Teller, eine perfekte Sekunde dreht sie schwerelos, gefolgt von dem Moment der Wahrheit, Nadel in Rille, und endlich Sound.

Was dann kommt, ist oft so dermaßen unspannend, dass es selbst den rationalsten Menschen in tiefe Verzweiflung stürzt. Bäh! Die ganze Musikwelt ist voller Einfaltspinsel und Scharlatane, mit Ausnahme von einigen wenigen Genies und einsamen Eulenspiegeln.

All das sah ich vor mir, während ich inmitten der Agonien des weichgespülten Question Mark and the Mysterians-Sounds saß, und mehr noch, ich sah mich selbst als verwirrten alten Knacker, der eine Ausgabe des 96 Tears-Albums in den Händen hält, und mit dem hängenden Unterkiefer eines Mannes, der am Ende seines vergeudeten Lebens steht und ins Leere starrt. Und im nächsten Moment, die Uhr muss praktisch still gestanden haben, sagte mein Freund offensichtlich höchst erstaunt: ›Du hast Question Mark and the Mysterians gekauft?‹

Ich glotzte ihn stumpf an. ›Klar‹, sagte ich, ›warum nicht?‹

Mir ist schon klar, dass das ziemlich pathologisch klingt – obwohl ich das, bevor ich es hier ausgesprochen habe, nie so empfunden hatte –, und die Freudschen Anklänge sind vermutlich kinderleicht zu sehen. Aber was ich nicht verstehe ist, was das alles zu bedeuten hat? Nicht, dass ihr den Eindruck bekommt, dass das Kaufen und Hören von Platten per se bei mir immer mit derartigen Wahn- und Desorientierungsanfällen oder einem besonderen Maß an Besessenheit und Zwangsneurose einhergeht. Es ist nur einfach so, dass Musik für mich schon immer mit einem fluktuierenden Fanatismus gekoppelt war – genau genommen, seit ich in der ersten Klasse zum ersten Mal ›Der Sturm‹ aus der Wilhelm Tell Ouvertüre in einem Fernsehkartoon hörte. Und beim Autofahren während meiner Oberschulzeit, als Songs wie ›There Goes My Baby‹ im Radio liefen und als ich in der fünften meinen ersten Plattenspieler bekam und zum ersten Mal Sachen hörte wie John Coltrane und Charlie Mingus’ The Black Saint and the Sinner Lady und die Stones und Feedback und Trout Mask Replica. All das waren Meilensteine. Jeder einzelne briet mein Gehirn nur noch mehr, besonders die Erfahrung, die ersten Male ein Album zu hören, das so absolut, so Gehirn verdrehend war, dass man ehrlich sagen konnte, danach nicht mehr derselbe zu sein. Black Saint and the Sinner Lady hat das bei mir ausgelöst, und noch ein paar andere Alben. Es gibt Erlebnisse, an die man sich sein ganzes Leben lang erinnert, wie der erste richtige Orgasmus. Und der ganze Sinn dieser absurden, mechanischen Beschäftigung mit aufgenommener Musik ist das Streben nach diesem unbezahlbaren Moment. Es ist also nicht so, dass Musik den Verstand aus den Angeln hebt, sondern eher so: wenn einen schon irgendetwas die Wände hochgehen lässt, kann es eben genauso gut eine Platte sein. Weil die beste Musik stark ist und dich leitet und reinigt und das Leben an sich ist.

Die ehrlichste Autobiographie, die ich schreiben könnte, und ich weiß, dass das auch für viele andere gilt, würde hauptsächlich an Plattentheken stattfinden, an Jukeboxen, auf dem Fahrersitz Gas gebend, während ein Morgenmagazin auf dich einprügelt, in schlaflosen Nächten weit nach Mitternacht, alleine unter Kopfhörern mit ausgedehnten Brücken in phantastischen Landschaften und engelsgleichen Chören im Kopf, oder im großen gütigen Schoß Amerikas sitzend, stoned oder auch nicht, während du dir auf die Schenkel klatschst und dich gut fühlst.

Also kaufte ich schließlich mit dem Mut des Wahnsinnigen die Count Five. Ich glaube, den Ausschlag gab ein Fanmagazin für Teenager (damals die einzige Möglichkeit für den hartgesottenen Hörer, wenn man herausfinden wollte, was mit den neuen Produkten los war), das ich gelesen hatte. Count Five hatten ›eine Million Dollar beim Kartenvorverkauf‹ abgelehnt, weil sie sonst das College hätten abbrechen müssen und deshalb, so ihr Manager, hätten alle Jungs eingesehen, dass das wichtigste eine gute Schulbildung sei. Zum Schreien! Das hat echt solchen Eindruck auf mich gemacht, dass ich das nächste Mal, als ich mir die Platten im Regal genauer ansah, schnaufte: ›Die Jungs, die wieder zur Schule gehen...‹ Das ist schon ein gewisses Unterscheidungsmerkmal – man stelle sich Mick Jagger vor, wie er, geplagt von plötzlichen Gewissensbissen, zwischen zwei Schluck Champagner in einer beim Jet-Set angesagten Location, plötzlich von der unausweichlichen Wahrheit wie vom Blitz getroffen wird: Junge, du brauchst einen Abschluss. Du magst vielleicht Millionär sein, aber glaubst du, du wirst den Rest deines Lebens Popstar sein? Sicher nicht. Was willst du in den langen Jahren des dunklen Herbstes machen? Willst du enden wie Turner in Performance, dir jemanden besorgen, der dir das Hirn wegbläst, weil dir gerade keine bessere Beschäftigung einfällt? Noch ist es nicht zu spät! Geh wieder an die London School of Economics und mach den Abschluss! Der Mensch braucht irgendeine Form von konstruktiver Arbeit, sonst ist er ein bedeutungsloser, ehrenloser Nichtsnutz. Also kippt Mick den restlichen Champagner runter, löst sich von dem süßen Ding an seiner Seite und rennt los, um sich einzuschreiben. Schließlich macht er seinen Abschluss in Kunst, und als die Stones sich auflösen, lässt er sich häuslich nieder und lehrt einer endlosen Reihe eifriger Plagen das Malen einer geraden Linie. Was für ein leuchtendes Beispiel! Vielleicht wäre er vom Papst gesegnet oder ins Weiße Haus eingeladen worden! Aber das alles wird natürlich nie passieren, denn Mick Jagger ist aus härterem Holz geschnitzt als Count Five.

Ich kaufte das Album. Am selben Tag wie Happy Jack von The Who. Ich stürzte nach Hause, fand an Happy Jack Gefallen und kotzte bei Psychotic Reaction.

Aber Psychotic Reaction war das Album, auf das ich immer wieder zurückkam. Ich spielte es etwa ein Jahr lang oft und voller Schadenfreude, bis es mir von ein paar Bikern gestohlen wurde, und als ich es dann 1971 in einem Second-Hand-Plattenladen wieder entdeckte, Mann, da sprang ich hoch und machte ein Freudentänzchen. Aber dann tat ich etwas merkwürdig Kleinliches und Geiziges. Es stand im $ 1,98 Regal, direkt neben Platten wie Cosmo’s Factory und Deja Vu, und irgendwie kam mir das unangemessen vor – es hätte in der 89-Cent-Grabbelkiste stehen müssen, da wo es hingehörte, zusammen mit all den anderen abgehalfterten Altlasten aus vergangenen Tagen, zwischen Doin’ the Bird von den Rivingstons, das ich auch kaufte, und 96 Tears, das tatsächlich dort stand und meine Meinung bestätigte, offensichtlich hatte der Angestellte dieses Mal genug Verstand, es dort hinzustellen, wo es sich am besten aufgehoben fühlen würde. (Wenn euch diese Personalisierung irritiert, keine Bange: Als ich in der Siebten war, besuchte ich die Stadt, in der ich das Jahr zuvor gelebt hatte, und holte den Mr. Lucky-Soundtrack von Henry Mancini ab, den ich vor dem Umzug einem Freund geliehen und vergessen hatte abzuholen. Als ich wieder zu Hause war, stellte ich das Mr. Lucky-Album ins Plattenregal neben seinen ehemaligen Nachbarn, das Peter Gunn-Album. Wie ich so auf sie hinuntersah, wurde mir ganz warm ums Herz. Ich dachte, dass sich die beiden alten Freunde, so ziemlich die ersten Platten, die ich mir gekauft hatte, bestimmt freuen würden, sich nach so langer Zeit endlich wieder zu sehen. Vielleicht hatten sie sich ja auch ein paar interessante Geschichten zu erzählen.)

Was ich als nächstes tat, war, das Count Five Album, das ich immer so geil gefunden und von dem ich mir unzählige Male gewünscht hatte, ich hätte es noch, in die Höhe zu halten und zum Ladenbesitzer zu sagen: ›Was zum Teufel hat das Ding hier im $ 1,98-Regal zu suchen? Kein Mensch zahlt dafür $ 1,98!‹

Er sah es eine Sekunde lang abwägend an. Ich ergriff den Moment: ›Wie lange steht das hier schon? Doch bestimmt schon ein oder zwei Jahre, während andere Alben kommen und gehen. Es gehört da rüber! In die 89-Cent-Kiste!‹

›Hm, wahrscheinlich hast du Recht‹, sagte er. ›Ich glaube, dass die Platte – nein, eigentlich die ganze Band – einer dieser ewigen Fehlgriffe der Geschichte ist. Ja, stell’s rüber in die 89-Cent-Kiste.‹

›Gekauft!‹ brüllte ich, ging rüber, schmiss ihm einen Dollar hin und rannte raus. Ich hatte ihn! Den Artefakt! Eine Steintafel aus Tutanchamuns Grab! Ein lang verlorenes Juwel! Unbezahlbar – und ich hatte es für 89 Cent gekriegt!

Nun, seid versichert, liebe Kinder. Die Zeit hatte der Größe des Count-Five-Albums keinen Abbruch getan. Genau genommen hat sie das immer noch nicht. Es klingt immer noch genauso schmutzig und unorthodox wie damals, 1967. Seit dem Tag, an dem ich es kaufte, habe ich Happy Jack wahrscheinlich nicht mehr als fünfmal gespielt, obwohl ich es immer noch habe (man vermutet immer, diese Klassiker, aus denen du erstmal nichts ziehst, werden alle ihren wahren Wert und eigentlichen Reiz eines Tages enthüllen – vielleicht muss man ihnen selbst erst gerecht werden), aber bei Psychotic Reaction werde ich ewig durchdrehen und abrocken. Im ersten Monat nach dem Wiedererwerb muss ich es mindestens zehnmal gespielt haben und das will echt was heißen. Sobald Psychotic Reaction von den Wänden zurückknallte, brannte ich wie ein armer Junge voller Port oder Tokajer vor sinnloser Freude, während ich um den Plattenspieler herumhüpfte und stampfte, und selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte mich nicht hinsetzen können.

Track für Track, man hätte bei den Warner/Reprise-Veröffentlichungen eines ganzen Jahres keinen besseren Deal machen können. ›Double-Decker Bus‹ und ›Peace of Mind‹ ließen die Yardbirds wie klassische Meister dastehen, so lebendig, wie die Titel klangen, letzterer wegen eines der perfektesten Beispiele in der Geschichte für ein auf den Punkt gespieltes Gitarrenriff, ersterer wegen seines echt kosmischen Textes (›Well just you walk / Down any street / If you don’t see one of us / You’re sure to see / A double-decker bus!‹)

Aber die wahren Klassiker des ersten Count-Five-Albums, die zu der Zeit, als sie aktuell waren, ignoriert wurden, hätten sich als unglaublich einflussreich erweisen können, wenn mehr Leute verstanden hätten, was die Band da eigentlich machte. ›Pretty Big Mouth‹ war ein knackiger Tex-Mex-Straßenjam, der Song erinnerte irgendwie an eine Gruppe von weißen Red Mountain Mariachis und antizipierte bereits die noch derberen Exkursionen des zweiten Albums mit einem der großartigsten chauvinistischen Texte aller Zeiten: ›I ended up in the deep deep South / Makin’ love to the woman with a real big mouth!‹

›They’re Gonna Get You‹ war ähnlich, ein Essay mit elastischem Rhythmus über Barbershopmusikparanoia, es glänzte vor allem wegen der Stimme, die delirierend zwischen düsterer Wehklage, Iggy vorausgreifend, und einem Komikfalsetto schwankte. Aber der wahre Bringer war ›The World‹, ein Kracher, dessen absolute Monotonie unter den Füßen bockte wie eine dieser sich verschiebenden Rampen in einem Crazy House auf der Kirmes, während der Text aus einem spartanischen Minimum von Sätzen bestand – ›I’ll tell the world, your’re my girl, you’re so fine, you are mine‹ –, gekrächzt zwischen einer Reihe von Juchzern und Quiekern, glotzäugig vor Freude und dem Stolz des Irren.

Leider war Psychotic Reaction das einzige Count-Five-Album, das bereits zu seiner Zeit bekannt und geschätzt war. Double Shot, eine Plattenfirma, die bei der Promotion von Westküstentalenten genauso launisch war wie ESP-Disk im Umgang mit New Yorker Innovatoren wie The Godz, beerdigte praktisch ihre zweite und dritte Veröffentlichung, sie promoteten und vertrieben sie mit einer Kurzsichtigkeit und Gleichgültigkeit, die nur noch Deccas Umgang mit den frühen The Who gleichkommt. Die Band war aber wenigstens mit einem granatenmäßigen Manager gesegnet, der nicht nur die Vision hatte, ihr Potential zu verstehen, sondern auch genug hartnäckige, hökerische Energie, um ihnen schließlich einen Vertrag mit Columbia zu verschaffen, wo sie noch zwei weitere tolle Alben eingespielt haben, die jedoch, was die Verkaufszahlen anbelangte, Flops waren, obwohl sie diesmal die Produktionsmöglichkeiten und Promotion bekamen, die sie ohnehin schon immer verdient hatten. Die Ignoranten schrieben sie immer noch als Yardbirds-Verschnitt ab, die Kritiker ignorierten oder verunglimpften sie mit den abfälligsten Kategorisierungen und das traurige Ergebnis war, dass ihr wichtigstes Werk nie die Aufmerksamkeit bekam, die ihm gebührt hätte.

Während die ›Undergroundpresse‹ und die selbsternannten Vorreiter des öffentlichen Geschmacks immer noch ihrer Verschwörung des Schweigens anhingen, waren es ironischerweise die ach so verhassten Fachblätter des ›Establishments‹, die erstmals Count Fives Errungenschaften in ihrer frühen Blüte würdigten: ›Wie so viele andere, haben sich Count Five nach ihren eher ungeschliffenen Anfängen schließlich zu handwerklich soliden Musikern entwickelt, die sich durch ihre Feinsinnigkeit und Differenziertheit auszeichnen, und einen der frischesten, ausgefeiltesten Sounds der letzten Zeit geschaffen‹, schrieb Billboard über Count Fives viertes Album Ancient Lace and Wrought-Iron Railings (Columiba CS 9733).

Aber als Snowflakes Falling on the International Dateline (Columbia MS 7528) erschien, blies es jeden, der Ohren hatte, all die Kids, die frisch und frei genug waren, der meinungsmachenden Mafia den Stinkefinger zu zeigen, durch die Tür bis runter zur Ecke. Es bot das einmalige ›Schizophrenic Rainbows: A Raga Concerto‹, das keiner, der es volle siebenundzwanzig Minuten lang gehört hat, je vergessen wird, vor allem nicht die gewaltige Wucht des abrupten Einsatz von George Szell and the Cleveland Orchestra auf voller Lautstärke in der achtzehnten Minute. Allein wegen dieses Songs muss es als das Meisterwerk unter ihren Alben gelten, obwohl das melancholische ›Sidewalks of Calais‹, das die A-Seite beendet, mit seinem bemerkenswert gereiften Text auch großartig war: ›Pitting, patting, trying not to step on the cracks / In Europa, where we saw no sharecropper shacks / Reciting our Mallarmé / Those films with Tom Courtenay / And your hand in mine / On the sidewalks of Calais / Oh no, I shan’t forget ...‹

Bedauerlicherweise war das auch ihre letzte Veröffentlichung. Nachdem man so viel Technologie und Geld in dieses ehrgeizige Projekt investiert hatte und dafür mit absolutem öffentlichen Desinteresse belohnt worden war, verließ sowohl Columbia als auch die Band der Mut, der Vertrag lief aus und die Musiker trennten sich mit unbekanntem Verbleib. Bis auf einen, den unglaublichen Gitarrenvirtuosen John »Mouse« Michalski, der später nach England emigrierte und zusammen mit einigen Ex-Bandmitgliedern von John Mayalls Bluesbreakers und Ginger Bakers Air Force die legendären, aber kurzlebigen Stone Prodigies gründete. Dieser Zusammenschluss der Titanen brachte, wie sich jeder erinnern wird, ein unglaubliches Album heraus, To John Coltrane in Heaven, um dann zu einer rekordbrechenden, zehnmonatigen Amerikatournee durchzustarten, die so mörderisch war, dass die ganze Band hinterher fest entschlossen war, für den Rest ihres Lebens zu Hause zu bleiben.

Zwischen Psychotic Reaction und dem Snowflakes Abgesang, produzierte Count Five drei weitere Alben, jedes gleichermaßen großartig und dem jeweils vorangegangen mit Sieben-Meilen-Schritten voraus. Meine Lieblingsplatte war immer die dritte, Cartesian Jetstream (Double Shot DDS 1023). Hier war Count Five als Band am meisten ausgereift, extrem eigenständig und doch uneingeschränkt Rock’n’Roll (man brauchte nur den alten angelsächsischen Madrigalen und Pseudo-Flamencos à la Feliciano von Ancient Lace and Wrought-Iron Railings lauschen, um festzustellen, wo ihre wahren Stärken lagen). Geschliffen und professionell, trotzdem extrem treibend und fast dreckig – genau wie die Geschichte, lässt sich Kultiviertheit nicht bremsen –, war ihre Musik wirklich aufheiternd, erfüllt vom Pulsschlag der Kreativität. So dynamische Originale wie ›Cannonballs for Christmas‹, ›Her Name is Ianthe‹ und ›Nothing is True / Everything is Permitted‹ lassen mich immer wieder auf dieses Album zurückgreifen, hinzu kommt die Ergänzung durch Marion Brown, Altsaxophon, Sun Ra, Piano, und Roland Kirk, Bass Tin Whistle, beim letzten Stück ›Free All Political Prisoners! Seize the Time! Keep the Faith! Sock It to ’Em! Shut the Motherfucker Down! Then Burn It Up! Then Give the Ashes to the Indians! All Power to the People! Right On! All Power to Woodstock Nation! And Watch For Falling Rocks!‹ Die Nummer war ein echter Geistesblitz und rückte einen der originellsten Texte des Jahres in den Vordergrund.

Das einzige Count-Five-Album, das total nichtssagend war, war ihr zweites, Carburetor Dung (Double Shot DDS 1009). Man kann mit absoluter Aufrichtigkeit sagen, dass Count Five hier an ihrem abgeranztesten Punkt angelangt waren. Das Album war tatsächlich so abgerockt, dass man bei den meisten Titeln kaum etwas unterscheiden konnte, außer einer undifferenzierten Wand aus knarzenden Geräuschen und einer unaufhörlichen Interpunktion von glottalem sägeartigen Stöhnen. Ich glaube, das Album lässt sich am besten als düster charakterisieren. Einige der Texte waren verständlich, wie die von ›The Hermit’s Prayer‹: ›Sunk funk dunk Dog God the goosie Glastone prod old maids de back seat sprung Louisiana sundown junk an’ bunk an’ sunken treasures / But oh muh drunken hogbogs / I theenk I smell a skunk.‹ Solche Texte hört man nicht jeden Tag, und auch wenn der musikalische Hintergrund dazu eher wie ein Auto klang, das mit durchdrehenden Reifen im Schlamm steckte, kann man nicht leugnen, dass der Song einen gewissen Wert als Prototyp für Rock’n’Roll auf niedrigstem Niveau hatte. Andere Titel wie ›Sweat Haunch Woman‹, ›Woody Dicot‹ und ›Creole Jukebox Pocahontas‹ zeichneten sich dadurch aus, dass sie sich leicht von der uniformen, eindimensionalen Mattigkeit des restlichen Materials abhoben.

Andererseits täte man vielleicht gut daran, mich nicht beim Wort zu nehmen, sondern einfach an meine Plattensammlung zu gehen und das Album selbst zu hören. Dave Marsh stand total darauf. (Er sagte: ›Es ist nur eine der Möglichkeiten, wie weit Rock gehen kann, ein Ende der Fahnenstange, und eines der menschenmöglich primitivsten Werke, die ich je gehört habe. Man muss verrückt sein, um solche Musik zu machen, und ich bin froh, dass sie es getan haben.‹) Ed Ward hat mir erzählt, er würde es immer behalten, denn ›es ist eines der komischsten Alben in der Geschichte des Rock’n’Roll, zusammen mit Blow against the Empire und Kick Out the Jams; wie kann man sich so was entgehen lassen?‹ Obwohl Jon Landau sich energisch weigerte, eine Kritik im Rolling Stone zu veröffentlichen: ›Hör zu, ich arbeite in diesem Geschäft nicht mit der Gesinnung einer geistigen Rotznase, die sich im Gebüsch versteckt und dem Erstbesten, der vorbeikommt, ein Bein stellt und sich dann halbtot lacht, wenn er auf die Schnauze fällt. Alles an diesem Album ist falsch. Erstens ist es absolut entsetzlich, eine der schlimmsten Monstrositäten, die je veröffentlicht wurden. Zweitens ist die Gruppe, die es aufgenommen hat, nur eine Fassade für Studiomusiker, das weiß ich mit Sicherheit. Du kannst mir nicht erzählen, dass die gleiche Band, die Iron Rainbows on the International Dateline oder wie das Ding auch immer geheißen haben mag, aufgenommen hat ... egal, es war ein wunderbares Werk, prätentiös, überarrangiert, überproduziert, langatmig, geltungssüchtig und vulgär, aber nichts desto trotz wunderbar – der Glockenspielspieler hat sich siebenundzwanzig Minuten lang halb zu Tode gejammert –, auf jeden Fall, du kannst mir also nicht erzählen, dass das und dieser Schrott von derselben Band stammen. Das ist wahrscheinlich die Band ... oh Gott! Und außerdem haben sie ein entsetzliches Label. Wer hat denn schon mal was von Double Shot Records gehört? Welche Art von Promotion und Publicity haben sie denn? Keine! Wie viele Platten veröffentlichen sie pro Jahr? Wer zum Teufel weiß das? Ihr letztes halbwegs erträgliches Konzert war mit Brenton Wood, und das ist vier Jahre her. Dieses Album, das garantiere ich dir, wird sich nicht verkaufen. Sieh dir nur mal das Cover an, eine rostige Schubkarre, das Wrack eines alten Fords ohne Reifen und Motor mit einer Pappel im Hintergrund. Die Sonne ist schon fast untergegangen und es ist so dunkel, dass man praktisch nichts mehr erkennen kann. Also steht der Titel ganz oben in ochsenblutroten Buchstaben. Ochsenblut! Und jetzt kommst du an und sagst, wir sollen eine Kritik dieses Albums im Rolling Stone veröffentlichen, weil es das einzige seiner Art ist, und wenn die Leute es jetzt nicht kaufen, bekommen sie es vielleicht nie wieder. Und dann reichst du eine Kritik ein und vergleichst es mit Louis Armstrong, Elmore James, Blind Willie Johnson, Albert Ayler, Beefheart und den Stooges! Und alles nur, damit die Leute es kaufen, obwohl es nicht den geringsten Grund dafür gibt, warum irgendein musikinteressierter Mensch das tun sollte. Warum schickst du die Kritik nicht an Creem und machst es zum Album des Jahres? Oh mein Gott, und ich hatte mal Respekt vor euch Typen. Mittlerweile glaube ich, ihr habt alle den Verstand verloren oder findet Rock’n’Roll jetzt Scheiße. Es kommt noch soweit, dass Creem kein Album mehr bespricht, das nicht entweder Free Jazz oder so abgefuckter, mediokrer, lärmlastiger Metal ist, dass man genauso gut seine Ohren an einen Müllhäcksler oder eine Motorsäge halten kann. Glaub’s mir, die Öffentlichkeit kauft das nicht. Überhaupt kein Echo!‹

Weder Jon noch ich hegten deswegen einen Groll, es war nur einfach so, dass er bei Musik eine wie auch immer geartete Unzulänglichkeit nicht ertragen konnte, was durchaus nachvollziehbar war, während ich auf bestimmte provozierende Arten von Unzulänglichkeit total abfuhr. Carburetor Dung mag das unzulänglichste Album gewesen sein, das ich je gehört habe, auf jeden Fall war es auf einer Linie mit Amon Düül und Hapshash and the Coloured Coat Featuring the Human Host and the Heavy Metal Kids. Ja, Kinder, das war wirklich der Titel eines Albums, manchmal tendiere ich dazu, mir Alben auszudenken, so als wünschte ich mir, ein bestimmtes Album würde existieren, aber das tut es nicht. Also erfinde ich es, aber dieses existiert wirklich. Auch Carburetor Dung existiert wirklich, aber Double Shot promotete es aus mehreren Gründen überhaupt nicht (Titel, Meinung verschiedenster Leute seitens Presse und Industrie, Desinteresse der Öffentlichkeit und die Tatsache, dass bei Double Shot nicht einer gewillt war, darüber zu sprechen, so blamabel war die ganze Sache). Ich glaube, es verklang einfach still, wie Alexander Spences Oar und so viele andere bemerkenswerte Platten. Und was Count Five anbelangt, die gingen schließlich dahin, wo alle guten kleinen Bands hinkommen: zur großen Tankstelle im Himmel.«

»Tja, das ist ja alles hochinteressant, du erzählst uns hier vier Stunden lang was über die meteoritengleiche Karriere der Abgase ...«

»Nein, Count Five, Carburetor Dung, also Abgase, hieß das ...«

»JA KLAR, ABER WANN ZUR HÖLLE ERZÄHLST DU UNS WAS ÜBER DIE YARDBIRDS?!«

»Oh, hmmm ja, ... die Geschichte behalte ich gerne für ein anderes Mal in Reserve. Davon abgesehen, wenn man das Ganze grundlegend betrachtet, waren Count Five langfristig gesehen vermutlich genauso wichtig wie die Yardbirds. Es ist eben einfach so, dass manche Leute schon zu ihrer Zeit verstanden werden und andere nicht.«

Creem, Juni 1971

Psychotische Reaktionen und heiße Luft

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