Читать книгу Krieg und Frieden - Лев Толстой, Leo Tolstoy, Liev N. Tolstói - Страница 8
VI
ОглавлениеDie Gäste bedankten sich bei Anna Pawlowna für den »entzückenden Abend« und begannen sich zu entfernen.
Pierre zeigte sich recht unbeholfen. Von ungewöhnlicher Körpergröße, dick und breit gebaut, mit mächtig großen, roten Händen, verstand er, wie man sich ausdrückt, nicht, in einen Salon einzutreten, und noch weniger verstand er, einen Salon zu verlassen, das heißt, vor dem Hinausgehen etwas besonders Liebenswürdiges zu sagen. Außerdem war er augenblicklich auch noch zerstreut. Beim Aufstehen ergriff er statt seines Hutes einen Dreimaster mit Generalsplumage und hielt ihn, an den Federn zupfend, so lange in der Hand, bis der General ihn sich zurückerbat. Aber seine Zerstreutheit und seine Unkenntnis der Art, wie man einen Salon zu betreten, darin zu reden und schließlich wegzugehen hat, dies alles wurde durch den gutmütigen, einfachen, bescheidenen Ausdruck seines Gesichts wieder wettgemacht, so daß man ihm nicht böse sein konnte. Anna Pawlowna wandte sich zu ihm, nickte ihm mit christlicher Sanftmut zum Zeichen der Verzeihung für seine Hitzköpfigkeit zu und sagte:
»Ich hoffe, Sie bald wiederzusehen; aber ich hoffe auch, daß Sie Ihre Ansichten ändern werden, mein lieber Monsieur Pierre.«
Als sie dies zu ihm gesagt hatte, antwortete er keine Silbe; er verbeugte sich nur und ließ alle Anwesenden noch einmal sein Lächeln sehen, welches nichts weiter sagte als etwa nur dies: »Meinungen sind eben Meinungen; aber seht nur, was für ein gutmütiger, prächtiger Bursche ich bin.« Und Anna Pawlowna sowie alle ihre Gäste empfanden das unwillkürlich.
Fürst Andrei trat in das Vorzimmer hinaus, und während er seine Schultern dem Diener hinhielt, der ihm den Mantel umlegte, hörte er gleichgültig dem Geplauder seiner Frau mit dem Fürsten Ippolit zu, der ebenfalls in das Vorzimmer herausgekommen war. Fürst Ippolit stand bei der hübschen, schwangeren Fürstin und blickte sie starr und unverwandt durch seine Lorgnette an.
»Gehen Sie wieder hinein, Annette, Sie werden sich noch erkälten«, sagte die kleine Fürstin, sich von Anna Pawlowna verabschiedend. »Also abgemacht!« fügte sie leise hinzu.
Anna Pawlowna hatte bereits Zeit gefunden, mit Lisa über die Heirat zu sprechen, die sie zwischen Anatol und der Schwägerin der kleinen Fürstin zustande bringen wollte.
»Ich rechne auf Sie, liebe Freundin«, sagte Anna Pawlowna gleichfalls leise. »Schreiben Sie also an sie, und teilen Sie mir dann mit, wie der Vater über die Sache denkt. Auf Wiedersehen!« Damit ging sie aus dem Vorzimmer hinaus.
Fürst Ippolit trat zu der kleinen Fürstin, beugte sein Gesicht nahe zu ihr herab und begann ihr etwas beinahe im Flüsterton zu sagen.
Zwei Diener, von denen der eine der Fürstin, der andre ihm gehörte, standen mit dem Schal der Fürstin und dem Mantel Ippolits hinter ihnen, warteten, bis sie aufhören würden zu reden, und hörten dem ihnen unverständlichen französischen Gespräch mit einer Miene zu, als ob sie alles, was da geredet wurde, verständen und dies nur nicht zeigen wollten. Die Fürstin sprach, wie immer, lächelnd und hörte lachend zu.
»Ich bin sehr froh, daß ich nicht zu dem Gesandten gefahren bin«, sagte Fürst Ippolit. »Furchtbar langweilig da ... War ein sehr netter Abend hier, nicht wahr, sehr netter Abend?«
»Es heißt, der Ball werde heute dort ganz prächtig sein«, antwortete die Fürstin und zog die kleine Oberlippe mit dem Schnurrbärtchen in die Höhe. »Alle schönen Frauen aus der guten Gesellschaft werden dasein.«
»Nicht alle, da Sie nicht dasein werden; nicht alle!« sagte Fürst Ippolit vergnügt lachend. Dann nahm er dem Diener das Schaltuch ab, stieß ihn energisch beiseite und legte der Fürstin das Tuch um.
Aus Unbeholfenheit oder absichtlich (das hätte niemand entscheiden können) ließ er längere Zeit die Arme nicht wieder sinken, als der Schal bereits herumgelegt war, und umarmte gewissermaßen auf diese Art die junge Frau.
Mit einer anmutigen Bewegung machte sie sich frei, behielt aber ihre lächelnde Miene bei; dann drehte sie sich um und blickte zu ihrem Mann hin. Fürst Andrei hielt die Augen geschlossen; er schien müde und schläfrig zu sein.
»Sind Sie fertig?« fragte er seine Frau, an ihr vorbeisehend. Fürst Ippolit zog eilig seinen Mantel an, der ihm nach der neuen Mode bis an die Hacken reichte, und sich mit den Füßen in ihn verwickelnd, lief er die Stufen vor der Haustür hinab der Fürstin nach, welcher der Diener beim Einsteigen in den Wagen behilflich war.
»Auf Wiedersehen, Fürstin!« rief er und verwickelte sich dabei mit der Zunge ebenso wie mit den Beinen.
Die Fürstin faßte ihr Kleid zusammen und setzte sich in dem dunklen Wagen zurecht; ihr Mann brachte seinen Säbel in Ordnung, um auch einzusteigen; Fürst Ippolit gab sich den Anschein, als wolle er gute Dienste erweisen, war aber nur hinderlich.
»Erlauben Sie, mein Herr«, sagte Fürst Andrei auf russisch trocken und unfreundlich zu dem Fürsten Ippolit, der ihn behinderte vorbeizukommen.
»Ich erwarte dich, Pierre!« rief dann dieselbe Stimme des Fürsten Andrei in freundlichem, herzlichem Ton aus dem Wagen heraus.
Der Vorreiter setzte sich in Bewegung, und der Wagen fuhr davon. Fürst Ippolit brach in sein stoßweises Lachen aus, während er auf den Stufen vor der Haustür stand und auf den Vicomte wartete, dem er versprochen hatte, ihn nach Hause zu bringen.
»Nun, mein Teuerster«, sagte der Vicomte, nachdem er sich mit Ippolit in den Wagen gesetzt hatte, »Ihre kleine Fürstin ist ja allerliebst! Ganz allerliebst!« Er küßte seine Fingerspitzen. »Und vollständig, vollständig wie eine Französin!«
Ippolit prustete und lachte laut los.
»Und wissen Sie, Sie sind ja ein ganz gefährlicher Mensch mit Ihrer Unschuldsmiene«, fuhr der Vicomte fort. »Ich bedaure den armen Ehemann, diesen kleinen Wicht von Offizier, der sich ein Air gibt, als wäre er ein regierender Herr.«
Ippolit prustete immer noch und sagte mühsam während des Lachens:
»Und da haben Sie gesagt, die russischen Damen seien im Vergleich mit den Französinnen doch rückständig. Aber man muß die Sache nur richtig anzufassen wissen.«
Pierre, der den Wagen des Fürsten Andrei überholt hatte, ging als Freund des Hauses in das Arbeitszimmer des Fürsten Andrei, legte sich dort sofort seiner Gewohnheit nach auf das Sofa, nahm aus einem Regal das erstbeste Buch, das ihm in die Hände kam (es waren die Kommentare Cäsars), stützte sich auf den Ellbogen und begann irgendwo in der Mitte zu lesen.
»Wie hast du nur der armen Anna Pawlowna mitgespielt? Sie wird jetzt gewiß ganz krank davon sein!« sagte Fürst Andrei, ins Zimmer tretend, und rieb sich die kleinen, weißen Hände.
Pierre wälzte sich mit dem ganzen Körper herum, so daß das Sofa knarrte, wendete sein lebhaft erregtes Gesicht dem Fürsten Andrei zu, lächelte und machte eine Handbewegung, die ungefähr besagte: »Ach Gott, Anna Pawlowna!«
»Nein«, sagte er, »dieser Abbé ist wirklich ein sehr interessanter Mann; nur hat er eine falsche Auffassung der Sache, mit der er sich beschäftigt ... Möglich ist meiner Ansicht nach der ewige Friede; aber ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll ... indessen gewiß nicht durch das politische Gleichgewicht.«
Fürst Andrei schien sich für derartige abstrakte Gespräche nicht zu interessieren.
»Man darf nicht an jedem Ort alles sagen, was man denkt, mein Lieber. – Nun, wie ist's?« fragte er dann nach einem kurzen Stillschweigen. »Hast du dich nun endlich für irgendeinen Beruf entschieden? Willst du zur Gardekavallerie gehen oder Diplomat werden?«
Pierre setzte sich auf dem Sofa aufrecht hin, indem er die Beine unter den Leib schob.
»Können Sie sich das vorstellen? Ich weiß es immer noch nicht. Von diesen beiden Berufen gefällt mir der eine so wenig wie der andre.«
»Aber du mußt dich doch für irgend etwas entscheiden. Dein Vater wartet darauf.«
Pierre war in seinem zehnten Lebensjahr mit einem Abbé, der ihn erziehen sollte, ins Ausland geschickt worden, wo er dann bis zu seinem zwanzigsten Jahr gelebt hatte. Als er nach Moskau zurückgekehrt war, hatte sein Vater den Abbé entlassen und zu dem jungen Mann gesagt: »Fahr du jetzt nach Petersburg, sieh dich um und wähle. Ich bin mit allem einverstanden. Da hast du einen Brief an den Fürsten Wasili, und hier hast du Geld. Schreibe mir über alles; ich werde dir in allen Dingen behilflich sein.« Nun wählte Pierre schon drei Monate lang einen Beruf und tat nichts. Und über diese Wahl beabsichtigte Fürst Andrei jetzt mit ihm zu reden. Pierre rieb sich die Stirn.
»Aber er wird wohl Freimaurer sein«, sprach er; er sprach von dem Abbé, den er auf der Abendgesellschaft kennengelernt hatte.
»Das ist ja alles Torheit«, unterbrach ihn Fürst Andrei wieder in seinem Gedankengang. »Laß uns doch lieber von etwas Ernstem reden! Bist du in der Gardekavalleriekaserne gewesen?«
»Nein, ich bin nicht dagewesen. Aber da ist mir etwas durch den Kopf gegangen; das wollte ich Ihnen sagen. Wir haben jetzt Krieg gegen Napoleon. Wäre das ein Krieg für die Freiheit, dann würde ich für ihn Verständnis haben und würde der erste sein, der in den Kriegsdienst träte; aber den Engländern und Österreichern gegen den größten Mann der Welt beizustehen ... das ist nicht schön.«
Fürst Andrei zuckte zu Pierres kindlichen Reden nur die Achseln. Er machte ein Gesicht, welches besagte, daß man auf solche Dummheiten eigentlich nicht antworten könne; und wirklich war es schwer, auf diese naive Äußerung etwas anderes zu erwidern als das, was Fürst Andrei zur Antwort gab:
»Wenn alle Menschen nur nach Maßgabe ihrer Überzeugungen Krieg führten, so würde es keinen Krieg geben«, sagte er.
»Das wäre ja aber wunderschön«, erwiderte Pierre.
Fürst Andrei lächelte.
»Wunderschön wäre es vielleicht; aber dahin wird es niemals kommen.«
»Nun, warum ziehen Sie denn in den Krieg?« fragte Pierre.
»Warum ich in den Krieg ziehe? Das weiß ich nicht. Ich muß eben. Außerdem ziehe ich in den Krieg ...« Er stockte. »Ich ziehe in den Krieg, weil das Leben, das ich hier führe, nicht nach meinem Geschmack ist.«