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»Ein Merkmal der Entartung unserer Welt«

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Er fragte eine sehr einfach Sache; er fragte: warum und mit welchem Recht die einen Menschen die anderen einsperren, quälen, verschicken, peitschen und töten? Obgleich sie selber genau eben solche Leute sind, wie diejenigen, die sie quälen, peitschen und töten.

(Auferstehung)

Warum fehlt all diesen hochentwickelten humanen Menschen, die in ihrer Gesamtheit zu jedem ehrenvollen humanen Werk fähig sind, das gewöhnliche menschliche Gefühl für ein persönliches gutes Werk? Warum finden alle diese Menschen, die in ihren Parlamenten, Meetings und Vereinen mit solchem Eifer für die Lager der ehelosen Chinesen in Indien, für die Verbreitung des Christentums und der Zivilisation in Afrika und für die Gründung von Vereinen zur Besserung der gesamten Menschheit sorgen, in ihrem Herzen nicht die einfachen, ursprünglichen Gefühle des Menschen für den Menschen? Ist denn dieses Gefühl gänzlich ausgestorben, und ist an seine Stelle der Ehrgeiz und der Eigennutz getreten, von denen sich diese Leute in ihren Parlamenten, Meetings und Vereinen leiten lassen? Widerspricht denn die Verbreitung des Prinzips eines vernünftigen und egoistischen Zusammenwirkens von Menschen, das man Zivilisation nennt, dem Bedürfnis eines instinktiven und selbstlosen Zusammenwirkens?

(Luzern)

Wir sind so verstrickt, daß wir durch jeden Schritt im Leben am Bösen teilnehmen: an der Gewalt, wie der Unterdrückung. Wir dürfen nicht verzweifeln, aber müssen uns langsam aus dem Netz befreien, in dem wir gefangen sind; nicht zappeln – sonst verwickelt man sich noch mehr – sondern langsam entwirren.

(Tagebücher)

Zu etlichen Hunderttausenden hatten sich die Menschen auf einem einzigen kleinen Fleck angesammelt, und wie sehr sie sich auch Mühe gaben, die Erde, auf der sie sich preßten und drängten, zu verunstalten, sie mit Steinen zu verrammeln, damit nichts darauf wüchse, jedes Gräschen, das sich ans Licht wagte, sogleich auszujäten, die Luft mit Steinkohlen- und Naphthadünsten zu vergiften, die Bäume zu beschneiden und alle Tiere, alle Vögel zu verjagen – der Frühling war doch Frühling geblieben, sogar in der Stadt. Die Sonne wärmte, das neubelebte Gras wuchs und grünte überall, wo es nur irgend nicht ausgerissen war, nicht allein auf den Rasenplätzen der Boulevards, sondern auch zwischen den Steinplatten, und die Birken, die Pappeln, die Traubenkirschen entfalteten ihre harzigen, duftenden Blätter, die Linden trieben ihre platzenden Knospen; die Dohlen, Spatzen und Tauben machten schon in froher Lenzstimmung ihre Nester zurecht, und die Fliegen summten im warmen Sonnenschein an den Wänden. Froh waren sie alle, die Pflanzen, die Vögel, die Insekten und die Kinder. Die Menschen aber – die großen, erwachsenen Menschen – hörten nicht auf, einander zu betrügen und zu quälen. Die Menschen waren der Meinung, heilig und wichtig sei nicht dieser Frühlingsmorgen, nicht diese Schönheit der Gotteswelt, die zur Beseligung aller Wesen gegeben ist und alle Herzen zum Frieden, zur Eintracht, zur Liebe stimmt – heilig und wichtig sei vielmehr das, was sie selbst sich ausgedacht haben, um über einander zu herrschen.

(Auferstehung)

Die Zivilisation ist das Gute, die Barbarei das Böse; die Freiheit ist das Gute, die Unfreiheit das Böse. Dieses imaginäre Wissen vernichtet in der menschlichen Natur das instinktive, selige ursprüngliche Streben nach dem Guten. Wer kann definieren, was Freiheit, was Despotismus, was Zivilisation und was Barbarei ist? Wo sind die Grenzen zwischen diesen Begriffen? Wer hat in seiner Seele einen so unfehlbaren Maßstab für Gut und Böse, daß er mit ihm alle die flüchtigen und verworrenen Tatsachen zu messen vermöchte? Wessen Verstand ist so groß, daß er auch nur die Tatsachen der starren Vergangenheit umfassen und wägen könnte? Und wer hat schon je einen Zustand gesehen wo Gut und Böse nicht miteinander vermengt wären? Und wenn ich mehr von dem einen als von dem andern sehe, woher weiß ich denn, daß ich die Dinge vom richtigen Gesichtspunkte aus betrachte? Wer ist imstande, sich im Geiste, wenn auch nur für einen ganz kurzen Augenblick, so vollkommen vom Leben loszulösen, daß er es ganz objektiv von oben herab betrachten könnte? Wir haben nur einen unfehlbaren Führer: den Weltgeist, der uns alle und jeden einzelnen wie eine Einheit durchdringt, der einem jeden das Streben nach dem, was notwendig ist, eingegeben hat. Es ist der gleiche Geist, der dem Baume befiehlt, der Sonne entgegenzuwachsen, der der Blume befiehlt, im Herbste ihre Samen auszustreuen, und der uns befiehlt, uns unwillkürlich aneinanderzuschmiegen.

Diese einzige unfehlbare, himmlische Stimme übertönt die lärmende und hastige Entwicklung der Zivilisation.

(Luzern)

Ich hatte schon mehrmals Gelegenheit, den Gedanken auszusprechen, daß der Patriotismus für unsere Zeit ein unnatürliches, unvernünftiges, schädliches Gefühl sei, welches einen großen Teil der Übel verursache, unter denen die Menschheit leidet, und daß daher dieses Gefühl nicht genährt und großgezogen werden dürfte, wie es jetzt geschieht, sondern im Gegenteil unterdrückt und durch alle Mittel, die vernünftigen Menschen zugänglich sind, vernichtet werden sollte.

(Patriotismus und Regierung)

Die elende Lage der Fabrik- und Stadtarbeiter liegt nicht darin, daß er lange arbeitet und wenig bekommt, sondern darin, daß er der natürlichen Bedingungen des Lebens inmitten der Natur beraubt ist, daß er keine Freiheit hat, daß er zur unfreien, fremden und eintönigen Arbeit gezwungen wird.

(Die Sklaverei unserer Zeit)

Die Bedingungen des Lebens aber, an welche die Menschen aus den begüterten Klassen gewöhnt sind, bildet eben jene reiche Produktion der verschiedenartigen Gegenstände, die für ihre Bequemlichkeiten und Vergnügungen nötig ist und die nur dank den jetzt bestehenden Fabriken und Werkstätten und unter ihrer jetzigen Organisation möglich ist. Wenn nun die Männer der Wissenschaft über die Verbesserung der Lage der Arbeiter diskutieren, so schlagen sie als Vertreter der begüterten Klasse immer nur solche Verbesserungen vor, unter denen die Fabrikproduktion fortbestehen, und die Bequemlichkeiten des Lebens, die sie dadurch genießen, dieselben bleiben sollen.

(Die Sklaverei unserer Zeit)

Wenn die Menschen nur begreifen werden, daß man kein Recht hat, seine Mitmenschen für die eigenen Vergnügungen auszunutzen, so werden sie alle Fortschritte der Technik so anzuwenden verstehen, daß sie das Leben ihrer Brüder nicht vernichten. Sie werden lernen, das Leben so einzurichten, daß sie alle technischen Machtmittel über die Natur benutzen, die man benutzen darf, ohne ihre Mitmenschen zu Sklaven zu machen.

(Die Sklaverei unserer Zeit)

Worin besteht denn die Sklaverei unserer Zeit? Wodurch werden die einen Menschen Sklaven der anderen? Wenn wir die Arbeiter in Rußland sowie die in Europa und Amerika, die in Fabriken und bei den verschiedenen Dienstleistungen in Stadt und Land beschäftigt sind, fragen, was die Menschen gezwungen hat, jene Lage zu wählen, in der sie sich befinden, so werden sie alle sagen, daß sie dazu geführt hat: entweder, daß sie keinen Boden haben, auf dem sie leben und arbeiten können; oder daß man von ihnen Steuern fordert, direkte und indirekte, die sie nicht anders bezahlen können, als durch Verrichtung fremder Arbeit; oder auch, daß die Versuchungen der luxuriösen Gewohnheiten, die sie sich angeeignet haben und die sie nur durch den Verkauf ihrer Freiheit und ihrer Arbeit befriedigen können, sie in den Fabriken zurückhalten.

(Die Sklaverei unserer Zeit)

Wir sind sehr besorgt um die Sonntagsruhe der Handlungsgehilfen, noch mehr um die Nichtübermüdung unserer Kinder in den Gymnasien, wir verbieten den Lastfuhrleuten aufs strengste, ihre Pferde zu überlasten, wir richten sogar Schlachthöfe ein, in denen die Leiden der zum Schlachten bestimmten Tiere auf das Minimum reduziert werden sollen.

Was ist denn das für eine sonderbare Umnachtung, die uns befällt, sobald es sich um die Millionen von Arbeitern handelt, die sich überall langsam und oft qualvoll zugrunde richten durch jene Arbeiten, deren Erzeugnisse wir zu unserer Bequemlichkeit und zu unserem Vergnügen gebrauchen?

(Die Sklaverei unserer Zeit)

Es offenbart sich immer mehr und mehr, daß die Kultur nur dank dem Zwange der Arbeiter zur Arbeit existieren kann.

(Die Sklaverei unserer Zeit)

Je mehr sich die Lage der Arbeiter verschlechtert, desto mehr wächst ununterbrochen ihre Abhängigkeit von den Reichen, und mit derselben Gleichmäßigkeit und Stetigkeit wächst der Reichtum der Reichen, ihre Macht über das Arbeitervolk, ihre Furcht und ihr Haß.

(Das Gesetz der Gewalt und das Gesetz der Liebe)

Ach, dieser Luxus, dieser Reichtum, diese unaufhörliche Sorge um das materielle Leben! Wie ein an Nährstoffen überladener Boden. Reinigt und brennt man alles ringsherum aus, so gibt der zu fette Boden gute Ernte; sonst überwuchert er mit allerlei Unkraut und wird entsetzlich.

(Tagebücher)

Es ist, als ob die Menschheit unserer Zeit an irgend etwas hängen geblieben wäre; als wäre irgendeine äußere Ursache vorhanden, welche sie verhinderte, die Stellung einzunehmen, die ihr nach dem eigenen Bewußtsein ziemt, und diese Ursache – wenn nicht die einzige, so doch die hauptsächlichste – diese Ursache ist der physische Zustand der Betäubung, in welchen sich durch Wein und Tabak die ungeheure Mehrzahl der Menschen unserer Welt versetzt.

(Warum die Menschen sich betäuben)

Es ist kein Zweifel daran, daß die Panzerschiffe, die Eisenbahnen, der Buchdruck, die Tunnels, die Phonographen, die Röntgenstrahlen und so weiter sehr gut sind. Alles dies ist sehr gut; aber gut ist auch, unvergleichlich über alles gut, wie Ruskin gesagt hat, – das Leben des Menschen, welches jetzt erbarmungslos millionenweise für die Erwerbung von Panzerschiffen, Eisenbahnen, Tunnels untergeht, die nicht einmal das Leben verschönen, sondern es nur verunstalten … Sobald die Menschen nicht alle Menschen für ihre Brüder halten, und solange das menschliche Leben nicht für den allerheiligsten Gegenstand gilt, welcher nicht nur nicht verletzt werden darf, sondern welchen zu erhalten als allererste, unerläßlichste Pflicht gerechnet wird: d. h. wenn die Menschen zueinander sich nicht religiös verhalten, so werden sie immer für ihren persönlichen Vorteil das Leben des Nächsten vernichten.

(Was ist Religion?)

Je kranker die Gesellschaft ist, desto mehr Anstalten sind für die Heilung der Symptome vorhanden und desto weniger ist man um die Änderung des gesamten Lebens besorgt.

(Über Erziehung und Bildung)

Es gibt kein leitendes religiöses Prinzip unter den Völkern der christlichen Welt.

Es gibt nur eine religiöse, eine kirchliche Lüge; und nicht nur eine, sondern verschiedene, die sich feindselig gegenüberstehen: die katholische, die griechisch-katholische, die lutherische usw. Es gibt wissenschaftliche Lügen, und zwar sehr viele verschiedene, die einander befeinden und befehden. Es gibt politische Lügen und internationale Parteilügen. Es gibt Lügen der Kunst, Lügen der Überlieferung und Lügen der Gewohnheit. Es gibt viele sehr verschiedenartige Lügen, aber ein leitendes moralisches Prinzip, das auf einer religiösen Weltanschauung basiert, gibt es nicht. Und die Menschen der christlichen Welt leben dahin wie die Tiere, nur geleitet durch ihre persönlichen Interessen und den gegenseitigen Kampf, und unterscheiden sich nur dadurch von den Tieren, daß diese sich seit undenklichen Zeiten denselben Magen, dieselben Krallen und dieselben Stoßzähne erhalten, während die Menschen mit immer größerer Geschwindigkeit von Landstraßen zu Eisenbahnen, von der Pferdekraft zu den Dampfmaschinen, von der mündlichen Rede und der Schrift zur Buchdruckerei, zu Telegraphen und Telefonen, von den Segelbooten zu Ozeandampfern, von den Handwaffen zu Pulver, Kanonen, Mausergewehren, Bomben und Kriegsaeroplanen übergehen. Und das Leben mit seinen Telegraphen, Telefonen, seiner Elektrizität, seinen Bomben und Aeroplanen und dem Haß aller gegen alle, das Leben, das von keinem vereinigenden geistigen Prinzip geleitet, sondern, im Gegenteil, von allen tierischen Instinkten, die die geistigen Kräfte zu ihrer Befriedigung benutzen, zerrissen wird, – dieses Leben wird immer mehr erfüllt von Wahnsinn und Elend.

(Das Gesetz der Gewalt und das Gesetz der Liebe)

Für Menschen unserer Welt gibt es keine einzige Frage, an welche sie schlicht und einfach herantreten könnten: alle Fragen – ökonomische, innere und äußere Fragen der Regierung, politische, diplomatische, wissenschaftliche, schon nicht zu reden von philosophischen und religiösen Fragen – sind so künstlich inkorrekt aufgestellt, und darum mit einem so dichten Schleiertuch von komplizierten, unnötigen Erwägungen, von spitzfindigen Begriffs- und Wortverdrehungen, von Sophismen und Streitigkeiten umstrickt, daß alle Erwägungen solcher Fragen sich auf einer Stelle im Kreise drehen, ohne etwas zu erfassen und, wie ein Rad ohne den treibenden Transmissionsriemen, zu gar nichts führen, außer jenem einzigen Ziel, zu dessen Zweck sie auftauchen: dazu, vor sich selber und den Menschen das Böse zu verbergen, worin sie leben und was sie begehen.

(Was ist Religion?)

Die Menschen entfernen sich immer mehr und mehr, immer weiter und weiter von der Möglichkeit, die Wahrheit in sich aufzunehmen.

(Was ist Religion?)

Es scheint den Menschen, daß ihre Lage sich infolge der Änderung der äußeren Lebensformen bessert. Indessen ist die Änderung der äußeren Lebensformen stets nur eine Folge des veränderten Bewußtseins, und das Leben wird nur in dem Maße verbessert, in welchem diese Änderung auf der Änderung des Bewußtseins gegründet ist.

Alle äußeren Änderungen der Lebensformen, denen keine Änderungen des Bewußtseins zugrunde liegt, verbessern nicht nur die Lage der Menschen nicht, sondern verschlechtern sie meist noch.

(Das Gesetz der Gewalt und das Gesetz der Liebe)

Der hauptsächlichste Irrtum des Menschen ist der, daß es jedem einzelnen scheint, als ob die Richtschnur seines Lebens das Streben nach Genuß und der Verzicht auf das Vermeiden der Leiden sei.

(Der Sinn des Lebens)

Nicht der Eigennutz und der Neid, nicht Parteiprogramme und Haß, nicht Grimm und Ehrgeiz, ja selbst nicht das Gefühl der Gerechtigkeit und vor allem nicht der Wunsch, das Leben anderer Menschen umzugestalten, wird euch von dem Übel, das ihr erleidet, retten und erlösen und euch das wahre Wohl geben, nach dem ihr in so unvernünftiger Weise strebt, sondern nur die Arbeit an der eigenen Seele, die, so sonderbar es auch erscheinen mag, kein äußeres Ziel hat und keiner Erwägung bedarf, was sie zu erreichen imstande ist.

(Das Gesetz der Gewalt und das Gesetz der Liebe)

Ich habe mich vom Leben unserer Kreise losgesagt, denn ich habe erkannt, dass dies kein Leben, sondern nur Abklatsch des Lebens ist, dass der Überfluss, in welchem wir leben, uns der Möglichkeit beraubt, zu begreifen, was das Leben ist, und zwar nicht das unsrige Schmarotzerleben, sondern jenes des einfachen, arbeitenden Volkes, jenes Volkes, welches das Leben schafft.

(Meine Beichte)

Sobald ich begriffen hatte, was Reichtum und Geld sind, erkannte ich deutlich, ja mit absoluter Gewissheit, was alle anderen tun müssen, ja zwangsläufig tun werden. (…) Ich begriff, dass der Mensch nicht ausschließlich für sein eigenes Glück leben darf, sondern notwendigerweise auch dem Glück anderer Menschen dienen muss. (…) Ich begriff, dass dies das Naturgesetz des Menschen ist, jenes Gesetz, welches ihm ermöglicht, seine Bestimmung zu erfüllen, glücklich zu werden. (…) Ich begriff, dass das Unglück der Menschen in der Sklaverei liegt, welche die einen den anderen auferlegen. Ich begriff, dass die Sklaverei unserer Zeit durch den Kriegsdienst, die Aneignung von Grund und Boden und das Eintreiben von Geld herbeigeführt wird. Und nachdem ich diese drei Grundlagen der neuen Sklaverei erkannt hatte, konnte ich nur eins wünschen, nämlich daran nicht länger teilzuhaben.

(Was sollen wir denn tun?)

Die Serie der von den Mächtigen und Reichen empfundenen Gefühle, die von der Rolle der Arbeit im Leben keine Ahnung haben, ist viel armseliger, viel beschränkter und unbedeutender, als die Serie der dem arbeitenden Menschen natürlichen Gefühle.

(Gegen die moderne Kunst)

Es kam der Augenblick, da ich mich entsetzte. Wir leben von fremden Mühen, schreiben anderen vor, sie hätten für uns zu arbeiten, setzen Kinder in die Welt, die wir für dasselbe Leben erziehen. Ja, dann kommt das Alter, der Tod, und ich werde mich fragen: Wozu habe ich gelebt? Um Schmarotzer zu zeugen, wie ich einer bin?

(Und das Licht leuchtet in der Finsternis)

In ganz Rußland, ja, ich glaube nicht allein in Rußland, sondern in der ganzen Welt geschieht dasselbe. Die Reichtümer der bäuerischen Produzenten gehen in die Hände der Händler, der Gutsbesitzer, der Beamten, Fabrikanten über, und die Leute, welche diese Reichtümer empfangen, wollen sie genießen. Voll und ganz können sie dieselben nur in der Stadt genießen. Im Dorfe kann man erstens wegen der Zerstreutheit der Bevölkerung schwer die Befriedigung der Bedürfnisse reicher Leute finden, es gibt da nicht all die verschiedenen Handwerker, Verkaufsläden, Banken, Restaurants, Theater und öffentliche Vergnügungen aller Art. Zweitens kann eine der hauptsächlichsten Annehmlichkeiten, welche der Reichtum gewährt – der Ehrgeiz, das Verlangen, die Bewunderung anderer zu erwecken und sie an Luxus zu übertreffen – abermals wegen der Zerstreutheit der Bevölkerung im Dorfe schwer befriedigt werden. Im Dorfe gibt es wenig Leute, welche den Aufwand würdigen, da ist niemand, dessen Bewunderung man erregen könnte. Was für Verschönerungen seines Hauses, Gemälde, Bronzen, was für Equipagen, Toiletten der Dorfbewohner sich auch anschaffen mag – die Bauern verstehen dies alles nicht.

Und darum sammeln sich die reichen Leute bei einander und bauen sich bei eben solchen reichen Leuten mit denselben Bedürfnissen in den Städten an, wo die Befriedigung eines jeglichen luxuriösen Geschmacks sorgfältig durch die Polizei geschützt wird.

(Unsere Armen und Elenden)

Ich wollte den Armen bloß deshalb helfen, weil ich Geld habe, und ich teilte den allgemeinen Wahn, daß das Geld der Vertreter der Arbeit oder überhaupt etwas Gutes sei, doch nachdem ich begonnen hatte, dieses Geld zu geben, ersah ich, daß Geld an und für sich nichts Gutes, sondern offenbar ein Übel sei, welches die Menschen des hauptsächlichsten Heils der Arbeit und des Genusses dieser Arbeit beraubt, und daß ich dieses Heil niemandem zuwenden könne, weil ich selbst desselben beraubt sei: bei mir gibt es keine Arbeit und das Glück nicht, aus meiner Arbeit Nutzen zu ziehen.

(Unsere Armen und Elenden)

Ob die Mühe, welche auf die Erwerbung des Geldes verwendet worden war, dem Vergnügen, welches der dafür erkaufte Gegenstand gewährte, wirklich entsprach, diese Erwägung war schon lange verloren gegangen.

(Anna Karenina)

Ach, das Geld, das Geld! Wieviel Unheil verursacht das Geld in dieser Welt.

(Krieg und Frieden)

Was liegt am Geld. Geld ist Staub.

(Polikuschka)

Das Geld ist das Recht oder die Möglichkeit, von fremder Arbeit zu leben. Das Geld ist eine neue Form der Sklaverei, die sich von den älteren Formen nur durch das Unpersönliche des Sklaventums unterscheidet, durch die Befreiung von den Fesseln aller menschlichen Beziehungen zum Sklaven.

(Was sollen wir denn tun?)

Wir sind derart an den Gedanken gewöhnt, daß alles nur für uns da sei, daß die Erde mir gehöre, daß wir uns im Angesicht des Todes wundern, wenn diese meine Erde, mein Eigentum also dableibt, während ich davongehe. Der Irrtum besteht darin, daß mir die Erde als etwas Erworbenes, mir beigegeben erscheint, während ich doch von der Erde erworben, ihr beigegeben bin.

(Tagebücher)

Die Hauptursache aller Leiden ist also die, daß man das erwartet, was nicht vorhanden ist, nicht aber das erwartet, was stets da ist. Und von diesen Leiden kann man nur dadurch erlöst werden, daß man keine Freuden erhofft und nur Böses erwartet und sich darauf bereitet, es zu ertragen. (…)

Deshalb sind auch die Armen weniger unglücklich als die Reichen: sie wissen im voraus, daß ihnen Mühe, Kampf und Plage bevorsteht, und so schätzen sie alles, was ihnen Freude bietet. Weil die Reichen sich aber auf lauter Glück gefaßt machen, so sehen sie in allen Hindernissen nur Mißgeschick und übersehen und mißachten das Gute, das ihnen zuteil wird.

(Tagebücher)

Es gibt kein unnützer Ding als das Zusammenraffen, Aufbewahren oder Vermehren von Reichtümern.

(Tagebücher)

Es ist ein Merkmal der Entartung unserer Welt, daß sich die Leute ihres Reichtums nicht schämen, ja daß sie auf ihren Reichtum stolz sind.

(Tagebücher)

Wir alle – und das ist kein Gleichnis, sondern fast die Beschreibung der Wirklichkeit – wachsen auf und werden erzogen in einem Räubernest. Und erst, wenn wir erwachsen sind und uns umblicken, begreifen wir, wo wir sind und was wir treiben. Dann gilt es für jeden Einzelnen, sich zu entscheiden: die einen schließen sich den Räubern an und plündern, die andern meinen, daß sie nicht schuldig sind, wenn sie am Raube bloß teilhaben, ohne ihn gutzuheißen, besonders wenn sie sich bemühen, ihn zu verhindern; wieder andere lehnen sich auf und möchten das Räubernest am liebsten zerstören, aber sie sind schwach und ihrer sind zu wenige. Was soll man tun?

(Tagebücher)

Von den ärmsten an bis zu den begütertsten Klassen der Gesellschaft auf ist meines Erachtens die Gefräßigkeit das verbreitetste Laster unseres Lebens.

(Die erste Sprosse)

Entsetzlich sind weniger die Leiden und der Tod der Tiere als der Umstand, daß der Mensch ohne Not die edelste Regung seiner Seele, das Mitleid für die Mitgeschöpfe, in sich unterdrückt, mit Gewalt sein Herz dagegen verhärtend. Und wie tief ist es eingegraben in das Menschenherz, das Verbot, die Tiere zu töten!

(Die erste Sprosse)

Das Fleisch soll der gehorsame Hund des Geistes sein, eilends seine Gebote zu erfüllen; aber wir – wie leben wir? Das Fleisch rast und praßt, und der Geist folgt ihm hilflos und elend.

(Erinnerungen an Lew Nikolajewitsch Tolstoi)

Der Profit des einen Räubers ruft stets den Neid anderer hervor, und die gemachte Beute wird zum Gegenstande des Streites und die Ursache des Verderbens für diejenigen, die sie gemacht. Dasselbe geht bei den Hunden vor sich, und genau so ist es bei den Menschen, die zu Tieren herabgesunken sind.

(Briefe)

Erwerb auf unehrlichem Wege, durch Anwendung von List, ebenso wie der Erwerb von Bankbureaus, sind von Übel (…)

(Anna Karenina)

Land darf man, meiner Meinung nach, weder verkaufen noch kaufen, weil, wenn man es verkaufen darf, diejenigen, die Geld haben, das ganze Land aufkaufen, und dann werden sie von demjenigen, der kein Land hat, für das Recht, es zu benutzen, so viel nehmen, wie sie wollen; sie werden Geld dafür nehmen, daß man auf der Erde stehen dürfe.

(Auferstehung)

Wissen, daß irgendwo, weit von hier, die einen Menschen die anderen quälen, indem sie sie auf allerlei Weise moralisch verderben, allen möglichen unmenschlichen Erniedrigungen und Leiden unterwerfen, oder während dreier Monate fortwährend dieses Verderben und diese Quälerei der einen Menschen seitens der andern mit ansehen, – das ist etwas ganz anderes.

(Auferstehung)

Wir meinen, wirkliche Arbeit müsse etwas äußerliches sein: ein Erzeugen, Vermehren, Vermögen, Haus, Vieh, Frucht, die Arbeit an der eigenen Seele aber sei bloß eine Phantasie. Indes ist aber jede andere Arbeit außer der an der eigenen Seele, durch die die Gewohnheit des Guten vermehrt wird, nichtig.

(Tagebücher)

Mein Erwachen bestand darin, daß ich an der Realität der materiellen Welt zu zweifeln begann. Sie verlor für mich alle Bedeutung.

(Tagebücher)

Die großen Vermögen entstehen immer entweder durch Gewalt – das ist das gewöhnlichste – oder durch Geiz, oder durch einen großartigen Spitzbubenstreich, oder durch kleinere aber chronische Betrügereien.

(Aufruf an die Menschheit)

Je moralischer ein Mensch ist, um so sicherer geht er des Vermögens, das er besitzt, verlustig, und je unsittlicher er ist, um so sicherer erhält und vermehrt er sein Vermögen. Die Volksweisheit sagt: »Ist gerecht die Arbeit dein, baut sie dir kein Haus aus Stein« und »Arbeit macht nicht reich, sondern bucklig«.

(Aufruf an die Menschheit)

Es kommt die Zeit, und sie ist schon da, wo die Täuschung, welche die – mündliche – Verneinung dieses Lebens zum Zweck der Schaffung eines zukünftigen und die Anerkennung der bloßen, tierischen, persönlichen Existenz für das Leben und der sogenannten Pflicht für das Werk des Lebens ausgibt, – wo diese Täuschung der Mehrzahl der Menschen klar wird und wo nur noch durch die Not verdummte und durch ein wüstes Leben abgestumpfte Menschen existieren können, ohne die Sinnlosigkeit und Armseligkeit ihres Daseins zu empfinden.

(Das Leben)

Keiner ist besser als der andere

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