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KAPITEL 3: NIKI

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Europa. Deutschland Süd. Der Münchner Internet-Promoter Benjamin Fischer saß an seinem Computer, als sein Headset läutete, das über seinen Rechner ging.

„Fischer!“ meldete er sich.

„Hoppe, Firma Carstens!“ ertönte eine weibliche Stimme.

Fischer horchte auf. Die Firma Carstens war der größte Vermittler für sein Unternehmen. Sie forschten andere Internetnutzer ab und gaben Fischer sofort Meldung, wenn etwas gutes Geld versprach. Firma Carstens war rund um die Uhr für Fischer da. Auch wenn er nicht am Computer saß, wurde alles gespeichert.

„Herr Fischer, wir haben etwas Neues für Sie.“ sagte Frau Hoppe. Sie war eine sehr üppige Frau mit leuchtend dunklen Augen, die viel Fröhlichkeit ausstrahlten.

„Eine Computer-Software für Kinder.“ fuhr Frau Hoppe fort. „Alle wissenschaftlichen Gebiete können dabei durchgeforstet werden. Leider hat der Urheber nicht das nötige Kleingeld, um es selbst auf den Markt zu bringen. Sie könnten ihm vielleicht dabei helfen.“

Fischer senkte seinen Blick. Er schien über etwas nachzudenken, dann sagte er:

„Wissenschaft. Das ist zwar kein Verkaufsschlager für den Moment, aber auf die lange Sicht einträglich. Der Urheber soll mir eine E-Mail schicken. Was schulde ich Ihnen?“

„Das Übliche!“ lachte die Frau auf der anderen Leitung. „Ich schreibe alles zusammen.“

Nun lachte Fischer.

„Schon erledigt. Ich rufe zurück.“ unterbrach die Leitung und wählte eine andere Nummer.

Benjamin Fischer, der von allen nur Benny genannt wurde, war eher von schlaksiger Gestalt, hatte kurze dunkle Haare und war nicht der Typ Mann, von dem die Frauen schwärmen. Doch seine braunen Augen strahlten viel Wärme aus.

Benny war Witwer. Seit seine Frau Maria vor zwei Jahren an einem Unfall starb, lebte er allein mit seinem Sohn Dominik in einer kleinen Eigentumswohnung, die er sich durch sein Unternehmen als Internetpromoter zugelegt hatte. Seine Geschäfte gingen nicht schlecht, doch Reichtümer konnte man nicht mehr machen. Da in seinem Rechner sämtliche Web-Seiten seiner Kunden steckten, die monatlich ihre Gebühren blechten, das Ganze also fast automatisch ablief, konnte er sich nebenbei um seinen Sohn kümmern.

Seit dem Tod seiner Frau hatte sich Benny total zurückgezogen, was seinem Kind gar nicht passte. Der versuchte mit seinen unvergleichlichen Eigenschaften, seinen Vater immer wieder an die Frau zu bringen, doch der ging nie darauf ein.

Benny hatte sonst keine Verwandten mehr. Er war als Einzelkind aufgewachsen. Seine Mutter Raffaella, eine Halbitalienerin, starb an einer Lungenentzündung, als er fünf Jahre alt war. Sein Vater, der Fernfahrer Kurt, nahm ihn in seinen Ferien oft zu Reisen mit. Sonst verbrachte Benny seine Zeit bei seinen Großeltern in Milbertshofen oder bei den Nachbarn, bei dem das gleichaltrige Mädchen Maria wohnte.

Als Benny 17 Jahre alt war, verunglückte sein Vater tödlich mit dem Lastzug. Der Wagen war auf dem Weg nach Österreich von der regennassen Straße abgekommen und 60 Meter tief in die Mangfall gestürzt. Dabei war im vorderen Teil ein Container Benzol explodiert.

Zum Glück hatte Benny früh gelernt, sich auf die eigenen Füße zu stellen. Dabei half ihm das bildhübsche Nachbarsmädchen Maria, das er von klein auf kannte und so etwas wie südländisches Temperament hatte, obwohl sie Deutsche war. Zweifellos hatte sie das ihrem Sohn vererbt.

Maria, der größte Jungenschwarm der Schule, und der unscheinbare Benny wurden schnell Freunde. Als sie 9 Jahre alt waren, hatten sie sich kennen gelernt, nur wenige Monate später gaben sie sich den Verlobungskuss. Damals war es noch ein Spiel zwischen Kindern gewesen, doch im Lauf der Jahre festigte sich ihre Freundschaft, aus der bald mehr wurde. Benny und Maria zogen zusammen und heirateten. Ein Jahr später wurde Niki geboren.

Niki, eigentlich Dominik, war zunächst ein stilles Baby. Doch je älter er wurde, desto mehr kam das Temperament seiner Mutter durch. Der eher ruhige und nüchterne Benny sattelte bald beruflich um, nachdem er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten hatte.

Mit seinem Freund Alexander Hauser gründete er ein Internetgeschäft. Dadurch konnte er sich eine Existenz aufbauen. Anfangs gingen die Geschäfte blendend, doch das riesige Angebot im Internet machte es inzwischen etwas schwerer.

Jetzt hatte Benny die zweite Nummer gestartet.

„Hauser!“ ertönte eine männliche Stimme.

„Hi, Alex, ich bin´s, Benny.“

„Ey, Benny, servus!“ rief die Männerstimme fröhlich. „Wie war denn die Geburtstagsfeier gestern für dich? Mellie sagte, dass es super gewesen wäre.“

Alex hatte für gestern eine ungewöhnliche Geburtstagfeier für Niki ausgedacht. Der Junge hatte Nachbarskinder und Mitschüler eingeladen. Und natürlich war auch Mellie, seine beste Freundin, dabei. Statt eines Clowns, der zaubert, hatte Alex eine Kinderballetgruppe als Aliens auftreten lassen. Alex verdingte sich als Disc Jockey und spielte die bezauberndsten Songs. Meist saß Niki nur da und weinte vor Glück. Und immer war Mellie bei ihm.

Doch das größte Glück war für ihn, als Alex ihm eine Krone gab, die Niki der Königin des Tages aufsetzen sollte. Alex ließ dazu eine wunderhübsche Melodie aus einem Soundtrack laufen. Niki ging langsam auf Mellie zu und setzte ihr die Krone auf.

Diese Zeremonie und der Song waren so wunderhübsch, dass viele Kinder schluchzten. Als die Feier vorbei war, und Niki gerade die Geschenke auspackte, sagte Benny zu Alex:

„Vielen Dank, Freund. Sieh dir `mal die Kinder an. Sie sind ganz glücklich.“

„Na wir wollen es hoffen.“ meinte sein ehemaliger Partner.

„Sag´ `mal, wie lange hast du an den Choreographien gearbeitet?“ wollte der Promoter wissen.

„Na so ungefähr 3 Monate.“ grinste Alex. „Aber es hat sich gelohnt.“

„Das kann man wohl sagen.“ meinte Benny anerkennend.

Inzwischen wurden die Kinder von ihren Eltern abgeholt. Nur Mellie war noch übrig. Sie war gerade bei Niki und sagte:

„Ich hab dich so lieb.“

„Ich hab dich auch lieb.“ gab Niki zurück. Schon wurde die Kleine von ihren Eltern mitgenommen.

„Wir sehen uns demnächst.“ versprach Alex.

Jetzt saß Benny am Telefon.

„Es war auch super.“ bestätigte Benny. „Die Kinder waren alle glücklich. Ich wollte dir nur dafür danken. Du warst toll.“

„Für dich immer.“ gab Alex zurück. „Immer, wann du willst.“ Er lachte und fuhr fort:

„Jetzt ist Niki tatsächlich schon neun. Also, wo die Zeit bleibt“

„Mellie ist doch auch schon acht.“ gab Benny zurück. „Ist doch toll, dass sich die Kinder so gut verstehen. Übrigens: Heute ist doch der letzte Schultag. Holst du Mellie ab?“

„Das geht leider nicht,“ sagte Alex. „weil ich einen wichtigen Termin habe. Wie sieht es bei dir aus?“

„Ich kann mir etwas Zeit abzwicken.“ antwortete Benny. „Niki hat um eins Schluss. Übrigens; mein Rechner spinnt wieder. Ich glaube, ich sollte Brauner Bescheid geben, der kriegt das bestimmt wieder hin... Alles klar, tschau!“

Benny wählte eine dritte Nummer am Rechner.

„Brauner!“ meldete sich eine energisch-junge Stimme.

„Hier Fischer. Ich habe wieder ein Problem mit meinem Rechner.“

„Gibt´s nicht!“

„Wenn ich es sage!“ entgegnete Benny. „Am Anfang war es noch selten, aber jetzt wird es immer häufiger. Wenn ich mein Zip-Laufwerk starten will, bricht der Rechner zusammen. Ich weiß auch nicht, warum.“

„Ich kann´s mir schon denken.“ gab Brauner zurück. „Sie haben doch Ihr Laufwerk selbst installiert. Vielleicht ist es da zu einer geringfügigen Phasenverschiebung gekommen, bei denen das Zip mit einem anderen Laufwerk zusammen eingespielt wird, ohne, dass Sie es sehen können. Ich bin gerade in Ihrer Nähe. Soll ich mir den Kasten anschauen?“

„Darum wollte ich Sie gerade bitten!“ lachte Benny. „Aber so eilig wäre es sicher nicht gewesen.“

Schon wenige Minuten später stürmte der temperamentvolle Brauner durch die Tür. Er war ein stämmiger junger Mann mit Stirnglatze und einem Blick in seinen Augen, der keinen Widerspruch duldete. Zielstrebig sauste er zum Arbeitszimmer und schon hatte er das die Programme durchgeforstet.

Nach einer Minute sagte er:

„Tja, da gibt´s nur eine Lösung, Herr Fischer: Die Festplatte muss formatiert werden. Sie haben nämlich aus Versehen das Zip-Laufwerk auf das des DVD-Brenners angemeldet. Dadurch ist es zu einem Kurzschluss gekommen. Sie müssen die Daten unbedingt extern speichern. Glauben Sie, dass es noch geht?“

„Das Wichtige habe ich immer extern gespeichert.“ antwortete Benny. „Die anderen Sachen sind vielleicht nicht so wichtig oder können bald wieder neu gemacht werden.“

„Wann hätten Sie denn Zeit?“ fragte Brauner.

„Vielleicht nächsten Freitag.“ überlegte Benny. „Das Disketten-Laufwerk arbeitet ja noch, also ist es nicht so eilig.“

“Okay, Herr Fischer, ich muss jetzt abhauen.“

Wenig später war auch Benny aus dem Haus. Sein Sohn hatte bald Schulschluss und er wollte ihn abholen. Schließlich standen jetzt die Osterferien bevor.

Unterdessen wurde in einer Schule das Vorlesen von Geschichten durchgenommen, die durch einen Tageslichtprojektor an die Leinwand geworfen wurden. Die Schülerin Julia Schneider hatte gerade geendet und erntete großen Applaus. Alle Schüler hatten ihre Namen auf Schilder geschrieben, denn Frau Gerold war nur zur Vertretung für den erkrankten Herrn Baumgartner da.

„Das war sehr gut, Julia.“ lobte Frau Gerold. Sie mochte um Anfang 40 sein, hatte dunkelblonde, glatte Haare und wirkte gleichzeitig liebenswert und streng.

„Jetzt haben wir noch ein Gedicht.“ fuhr Frau Gerold fort. „Schillers Glocke. Wer möchte es vortragen?“

Viele Schüler hoben ihre Hände. Frau Gerold musterte alle Kinder. Ihre Wahl fiel auf einen dunkelhaarigen Jungen, der links in der vierten Reihe saß. `Niki Fischer´ stand auf seinem Schild. Es war Bennys Sohn.

„Niki.“ las Frau Gerold ab.

Dieser begann:

„Frisch am Platze steht sie aus Lehm gebrannt!

Heute muss sie Glocke werden. Frisch Gesellen, seid zur Hand...“

Während der kleine Niki das Gedicht vortrug, konnte man ihn genau betrachten.

Niki war das jüngere Abbild seines Vaters. Das gleiche Haar, die gleiche Nase, Gesichtsform, auch der Mund war wie der seines Vaters. Nur die tiefschwarzen Augen, aus denen viel Temperament blitzte, stammten von seiner Mutter. Obwohl Benny mit der unerschöpflichen Energie seines Sohnes oft nicht zurechtkam, liebte er das Kind abgöttisch, denn Niki war nach all den Schicksalsschlägen für Benny der einzige Trost, der ihm noch geblieben war.

Niki war für sein Alter schon recht selbständig. Er ging oft alleine Einkaufen und konnte sogar kochen. Doch sein wüstes Temperament brachte seinen Vater selbst manchmal zum Kochen.

Und dennoch: Niki besaß das gewisse Etwas, mit dem er alle Herzen erobern konnte. Seine Mitschüler schätzten und liebten ihn. Auch die Lehrkräfte lobten ihn in höchsten Tönen. Erst kürzlich hatte Benny einen Brief von der Schulleitung bekommen, in dem unter anderem stand:

„ Niki gedeiht prächtig, und er ist das Juwel in unserer Schule.“

Während Niki das Gedicht vortrug, wurde er von allen Schülern der Klasse gemustert. Besonders die dunkelhaarige Julia strahlte ihn an. Sie war ein unscheinbares, nicht sehr hübsches Mädchen mit traurigen Augen und wäre so gerne seine Freundin geworden, aber sie war viel zu schüchtern, um es ihm zu sagen. Doch jetzt stand in ihrem Blick Entschlossenheit. Ob sie ihm heute etwas sagen wollte? Sie ließ ihn nicht aus den Augen. Schließlich war heute der letzte Schultag vor den Osterferien.

Die Schulglocke läutete. Die Kinder packten alles zusammen, denn es durfte nichts vergessen werden. Niki sauste aus dem Schulzimmer und räumte seinen Spind aus. Heute trug er seinen geliebten dunkelblauen Jeans-Zweiteiler, ein schwarzes T-Shirt mit Hitmons-Aufdruck, sowie blau-weiß gestreifte Schuhe. Er war mitten am Ausleeren, als seine Mitschülerin Julia langsam auf ihn zuging.

„Hallo, Niki.“ gab sie schüchtern von sich.

Der Junge drehte sich um.

„Ach Julia. Was gibt´s denn?“

Etwas verlegen blickte das Mädchen ihn an und sagte leise:

„Alles Gute nachträglich zu deinem Geburtstag. Ich...“ Julia unterbrach sich und senkte ihren Blick. Dann sah sie ihn wieder an und fuhr fort:

„Ich habe ein Geschenk für dich.“

Sie hielt eine Packung in der Hand. Als Niki sie öffnete, bekam er große Augen. Es war eine Rauruk-Spardose, die sprechen konnte, wenn man eine Münze einwarf. Nikis Augen leuchteten über das ganze Gesicht und er drückte seiner Klassenkameradin einen dicken Kuss auf die Wange.

„Danke, Julia!“ strahlte er. „Geht´s Dir jetzt besser?“

„Ja,“ gab sie etwas traurig zurück. „Zu dumm, dass ich vorgestern krank geworden bin. Ich wäre so gerne auf deiner Geburtstagsfeier gewesen.“

„Nächstes Jahr musst du aufpassen, dass du auf meine Feier kommst.“ bestimmte Niki. „Dann werde ich zehn.“

Julia strahlte ihren Mitschüler an.

„Ich verspreche es.“ schwor sie. „Tschüß!“

Und sie verschwand.

Niki betrachtete sich die Spardose. Am Hinterkopf war ein kleiner Knopf angebracht. Niki betätigte ihn und hörte plötzlich eine Stimme:

„Huki, Huki!“

Niki´s Augen weiteten sich. Und abermals drückte er den Knopf.

„Huki, Huki, Huki!“ erklang es diesmal.

Der Junge nahm die Spardose fest in seine Hände und flüsterte:

„Ich werde sie in Ehren halten, Julia.“ Er steckte die Spardose in seinen Ranzen, holte noch eine Jacke aus dem Spind und schloss die Tür, auf der sein Name stand.

Er lief durch die Schulhalle, als sein Mitschüler Robert Schweiger auf ihn zustürmte.

„Niki!“ schrie er schon von weitem. „Dein Papa ist da. Er steht draußen am Tor!“

Niki stürmte durch die Schule geradewegs auf den Haupteingang zu, der vom Pausenhof zum Schulgebäude getrennt wurde. Er sauste durch den Schulhof und sah seinen Vater an der Mauer stehen.

„Papa!“ rief er erfreut.

Sofort lief er auf seinen Vater zu und sprang ihm in die Arme.

Ein dicker Begrüßungskuss folgte, dann sagte Benny:

„Komm, Kind. Wir gehen jetzt zum Einkaufen.“

In diesem Moment kam Frau Gerold zum Zaun. Schon von weitem rief sie:

„Na, jetzt darf ich endlich den Vater unseres Juwels kennen lernen.“

Benny blickte auf und schaute der Lehrerin in die Augen.

„Du Papa, das ist Frau Gerold.“ sagte Niki.

„Frau Gerold, wie ich erfahren habe.“ grüßte er und reichte ihr die Hand.

„Ja, das bin ich.“ bestätigte sie.

„Niki hat schon von Ihnen erzählt, dass Sie Herrn Baumgartner vertreten.“ sagte Benny. „Und auch andere Sachen.“

„Ich hoffe, dass es nichts Negatives ist.“ lachte Frau Gerold.

„Mein Sohn spricht nicht negativ über seine Mitmenschen.“ erklärte Benny. „Eine Eigenschaft, die ich sehr an ihm bewundere. Ich wünschte, ich hätte etwas mehr davon.“

„Sie scheinen ihr Kind sehr zu beneiden.“ erkannte Frau Gerold.

„Und wie.“ gestand Benny. „Er hat das, was ich will.“

„Und er hat auch eine unerschöpfliche Energie.“ fuhr Frau Gerold fort.

„Wem sagen Sie das?“ seufzte der Promoter.

Niki lachte und sagte:

„Wir wollten doch zum Einkaufen.“

Schon bald waren beide im Supermarkt. Während Benny die Waren zusammensuchte, sauste Niki wie üblich zu den Comics. Schon hatte er ein Hitmons-Heft in der Hand und blätterte es durch.

Unterdessen murmelte sein Vater:

„Mmh, ein Päckchen Nudeln noch für Niki. Ach ja, die Pommes darf ich nicht vergessen. Jetzt noch eine Limo...“

Als Benny fertig war, fuhr er mit dem Einkaufwagen zur Kasse, wo er bereits von der Verkäuferin empfangen wurde.

„Guten Tag, Herr Fischer!“ begrüßte sie ihn lächelnd. „Ist Niki heute nicht dabei?“

„Ach, der schwirrt wieder bei den Comics herum.“ gab er zu Antwort, wandte sich in Richtung Zeitschriften und rief:

„Niki, komm endlich!“

„Ich komme gleich, Papa.“ ertönte die helle Kinderstimme.

Benny stellte sich an, legte die Sachen auf das Band und rief erneut nach hinten:

„Niki! Schläfst du?“

„Ich komme ja schon.“ rief sein Sohn zurück.

Schon sauste er durch die Regale zur Kasse. Er blieb vor Benny stehen und hielt das Hitmons-Heft in seiner Hand. Seinem Vater schien das gar nicht zu gefallen. Der verschränkte seine Arme.

„Sieh einer an!“ spöttelte er. „Seine Königliche Frechheit geruhen zu kommen. Und wie immer nicht mit leeren Händen. Sofort legst du das zurück.“ Sein Ton war bereits strenger geworden.

„Ach, Papa!“ Der Kleine schaute seinen Vater mit seinen großen Kulleraugen an.

„Tu´, was ich dir sage, Niki!“ gebot Benny ernst.

„Aber Papa.“ gab sein Sohn zurück, als sein Vater genervt die Augen verdrehte. „Du hast doch früher auch so etwas gelesen.“

„So einen Unsinn nicht.“ entgegnete Benny. „Das macht nur dumm, hat keinen Sinn für Realität und fördert nicht gerade das Gedächtnis.“

„Aber das Heft ist doch toll, außerdem kostet es nicht viel, nur 2 Euro.“ belehrte ihn Niki. „Und die Hitmons sind echt cool. Jedes Hitmon hat eine andere Fähigkeit und sie können ihren Trainern helfen. Du siehst, ohne Hitmons kommt man eben nicht aus!“

„Ich sehe nur, dass du ein leichtgläubiges Opfer der Werbung geworden bist.“ sagte Benny entrüstet. „Also, weg damit. Ich will nicht, dass du auch noch so verblödest, wie die anderen Kinder, nur, weil du „in“ sein willst, oder wie ihr das heute nennt.“

„Glaubst du nicht auch, dass ein Supermarkt nicht der richtige Ort für eine Diskussion ist?“ fragte sein Sohn.

Das saß. Benny holte erst tief Luft, um seinen Ärger nicht in der Öffentlichkeit loszuwerden. Niki sah das und triumphierte innerlich. Wenn sein Papa jetzt nachgeben würde...

Benny stand an der Kasse und es dauerte nicht mehr lange, bis die Artikel seines Einkaufs alle durch waren. Niki stand dicht vor ihm, das Hitmons-Heft in seiner rechten Hand.

Benny sah seinem Sohn in die Augen. Er ahnte bereits, was jetzt folgen würde, denn der Kleine wusste genau, wie er seinen Vater um den Finger wickeln konnte. Die Popcorn auf dem Förderband waren die letzten und gleich an der Reihe. Wer würde jetzt gewinnen?

„Also gut, leg´s d´rauf!“ stöhnte Benny nachgiebig. Doch seine Augen blitzten sowohl verärgert als auch gefährlich.

„Danke, Papa!“ strahlte Niki, patschte das Hitmons-Heft auf das Förderband und schmiegte sich an seinen Vater. Der wiederum sah nicht gerade glücklich aus. Wieder atmete er tief ein.

`Wie komme ich nur gegen dieses Kind an?´ dachte er sich.

Nachdem beide den Supermarkt verlassen hatten, wollte Benny eine seiner üblichen Standpauken eröffnen. Allerdings nicht in Zorn, das war nicht seine Art. Der kühle Benny war nüchtern und sachlich, ganz das Gegenteil von seinem temperamentvollen Sohn. Doch bevor Benny beginnen konnte, kam ihm Niki zuvor.

„Da sind die neuen Hitmons drin.“ begann der Junge. „Die gibt es in der Spielkonsole der blauen Serie. Aber Rauruk ist da nicht dabei, weil er zur braunen Serie gehört. Und die Trainer sammeln Hitmons und Tom will Meister werden. Weißt du, dass es schon 100 Hitmons gibt? Aber Rauruk ist mein Liebling. Er ist wirklich süß. Aber man darf ihn nicht zu fest anfassen, sonst beißt er. Und jeder hat seine Fähigkeiten. Da kann man...“

„Hör auf, Niki!“ unterbrach ihn Benny energisch. „Du machst mich wahnsinnig!“

Die Augen seines Sohnes weiteten sich vor Schreck. Benny holte tief Luft und fuhr fort:

„Ich habe immer geglaubt, du hättest Interesse an etwas Vernünftiges. Zum Beispiel Wissenschaft. Stattdessen verbringst du deine ganze Freizeit mit diesen dummen Viechern, die weder das Gedächtnis eines Kindes fördern noch nützlich sind. Zu meiner Zeit gab es Fernsehserien, bei denen die Menschen noch zum Nachdenken angeregt wurden. Aber heute hat nur noch Dummheit Erfolg. Ich will nicht, dass du auch Opfer dieses Betrugs wirst. Wenn ich mir schon in der Musik dieses heutige Gestampfe anhören muss, wird mir schlecht. So etwas kann doch kein normaler Mensch ertragen.“

Beide waren stehen geblieben.

"Na und.“ sagte Niki. „Kann ich etwas was dafür, dass du auf klassische Musik stehst?“

„Ich steh doch nicht auf klassische Musik.“ widersprach der Vater. „Ich steh auf vernünftige Musik.“

„Was weißt du denn von vernünftiger Musik?“ fragte Niki lachend.

„Mehr, als du glaubst.“ entgegnete sein Vater. Er beugte sich und legte seine Hände auf die Arme seines Sohnes.

„Weißt du, du solltest wenigstens vernünftiger sein.“

Niki sah seinen Vater an. In seinen Augen stand so etwas wie Reue.

„Oh, bist du jetzt böse, Papa?“ fragte er mit leiser Stimme.

„Für einen Vater, dessen Sohn sich für solche nutzlosen Dinge interessiert, benehme ich mich doch sehr gefasst.“ kam es von Benny.

Niki senkte seinen Blick und stand für einige Sekunden bewegungslos still. Dann sah er auf und sagte leise:

„Aber du hast doch immer gesagt, dass ich mir eine eigene Welt aufbauen muss, um das Leben besser kennen zu lernen.“

„Da hast du mich falsch verstanden, Niki.“ korrigierte Benny. „Ich meinte damit, dass du dich nicht an Modewellen halten sollst, denn das ist nicht nur verführerisch, sondern auch schädigend. Ich will dir sagen, was die Hitmons sind. Es sind... es sind halt Hitmons.“

Niki hatte bisher wortlos zugehört, doch jetzt griff er wieder in seine berühmte Trickkiste. Zuerst schaute er seinen Vater mit seinen Kulleraugen und sagte leise:

„Papa,“

„Ja?“

„Ich hab´ Dich lieb.“

Benny nahm seinen Sohn in die Arme und sagte:

„Ich hab´ dich auch lieb, Niki.“

Ein dicker und zärtlicher Kuss zwischen Vater und Sohn war jetzt die Reaktion.

Kurz darauf blickte Niki seinen Vater mit leuchtenden Augen an.

„Weißt du,“ begann er. „es würde dir nicht schaden, wenn du wieder heiratest.“

Für einen Sekundenbruchteil erstarrte das Lächeln auf Benny´s Gesicht. Dann grinste er und gab zurück:

„Na, ich weiß, dass es dir nicht schaden würde. Komm, Kind!“

Die Rache der Hitmons

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