Читать книгу Im Schatten einer Frau - Liane Sanden - Страница 4
Erstes Kapitel
Оглавление„Achtung, Aufnahme!“
Peters rief durch das Mikrophon. Wie abgeschnitten war sofort jeder Laut. In der Tonkamera sass Meersmann, schaltete die Apparatur ein. Die Jupiterlampen flammten auf. Nichts mehr war im ganzen Raum als dies ganz leise Zischen und der hastige Schritt der Stella Hollmers, die von der Seite her ins Bild kam. Mit einer sehnsüchtigen Gebärde wandte sie sich um, sah nach der Tür. Schon kam schnell Gregor Schuwaroff, ihr Partner, auf sie zu. Ein leidenschaftlicher Dialog der beiden Helden begann, den Peters mit angespannten Sinnen und losen Gesten leitete, dirigierte, entwickelte. Nun lagen sich Stella Hollmers und Schuwaroff in dem Arm. Die grosse Szene des dritten Aktes ging dem Höhepunkt zu. In dem Seitengang stand Michael Heinsigk. Sein kantiges Gesicht sah mit dem Ausdruck äusserster Spannung auf die Szene, die sich da vorn im Jupiterlicht abspielte. Herrlich, wie Stella diese Liebesszene aufbaute! Immer aufs neue war er hingerissen von der unmittelbaren Kraft ihrer Gestaltung. Immer wieder, wenn er sie sah, so hingegeben an ihre Kunst, rückte sie ihm fern, war sie etwas, was über ihm stand ganz hoch auf einem Gipfel, auf den er niemals emporklimmen würde. Dann konnte er es immer wieder nicht glauben, dass sie sein war, seine Frau, die ihn liebte und ihm gehörte. Dann fühlte er so ganz den unendlichen Abstand zwischen ihnen beiden. In seiner Entzückung schattete immer erneuter Schmerz. Noch gelang es ihm, durch seine Liebe diesen Abstand zu überbrücken. Aber wie lange?
Immer wieder klang diese Frage in ihm.
In einer Ecke des grossen Atelierraums stand Madelen Reddinghaus. Ihre Augen lagen mit spöttischer Feindseligkeit bald auf Stella Hollmers, bald auf Michael. Diese Hollmers war ihr ein Dorn im Auge. Sie hatte alles, was sie wollte, den Ruhm, den Reichtum, die Schönheit — und alle Männer, die sie nur haben wollte. Da war Michael, mit dem Malen in der kleinen Provinzstadt zusammen am Stadttheater engagiert gewesen war. Sie hatte damals versucht, Michael für sich zu gewinnen. In der Reihe der aus aller Herren Länder zusammengewürfelten Kollegen war er etwas Besonderes gewesen. Immer höflich, immer tadellos in den Manieren, hatte er nichts von der Saloppheit vieler anderer gehabt. Es hatte sie gereizt, diesen scheuen und vornehm wirkenden Menschen mit dem leidenschaftlichschönen Kopfe für sich zu gewinnen. Aber Michael war nur einigemal mit ihr zusammen gewesen — auf Spaziergängen und einmal beim Tee in ihrer kleinen Wohnung. Da aber hatte er sich so steif und zurückhaltend benommen, als ob er nicht gemerkt hätte, was sie wollte. Er war auf keinen zärtlichen Blick, auf kein versteckt lockendes Wort eingegangen. Schliesslich hatte sie es aufgegeben. Sie hatte keine Lust gehabt, über Gott und die Welt mit ihm zu philosophieren. Wenn er nicht wusste, was er einer jungen schönen Frau schuldig war, sie hatte keine Ursache ihm nachzulaufen. Aber sie hatte es ihm nicht verziehen, dass er als Einziger ihre Schönheit nicht zu sehen schien.
Es war ihr wie ein persönlicher Triumph, dass er in seiner künstlerischen Laufbahn nicht vorwärtskam. Sie hatte es ja gewusst, jemand, der Fischblut in den Adern hatte, wie konnte der ein Künstler werden, der die anderen Menschen entflammte? Der musste ja unbekannt und im Dunkel enden.
Madelen in ihrer Oberflächlichkeit wusste nicht, dass die künstlerische Leidenschaft nichts zu tun zu haben brauchte mit der Leidenschaft der Sinne. So beurteilte sie Michael Heinsigk völlig falsch. Er war kein temperamentloser Mensch. Aber er hasste mit dem Abscheu des seelisch feinfühligen Menschen Frauen, die ihrer Leidenschaft hemmungslos Ausdruck verliehen. Er hatte in sich tief verborgen ein Idealbild der Frau — und es war in nichts Frauen wie Madelen ähnlich. So übersah er ihre spöttische Nichtachtung, ja er bemerkte sie wohl nicht einmal. Seine Seele war erfüllt von Träumen, die einen ganz anderen Inhalt hatten. Als er später Stella Hollmers kennenlernte, wusste er, wofür er sich so lange aufbewahrt hatte. In Stella Hollmers fand er jenes reine Ideal der wirklichen Frau verkörpert, das er mit der ganzen Inbrunst seiner scheuen Seele gesucht. Dass dieses Frauenideal als ein lebender und ihn liebender Mensch ihn zum Lebensgefährten erwählen würde, hätte er niemals zu hoffen gewagt. Stella Hollmers, eine der grössten Künstlerinnen — und er, ein unbedeutender kleiner Schauspieler? Aber das Wunder geschah. Stella Hollmers erwählte ihn vor allen andern Bewerbern um ihre Hand. Glück und Angst waren in seiner Seele seltsam gemischt, als sie beide vor dem Altar in Stella Hollmers Heimat, der schönen Hansastadt standen. Glück, weil er die schönste, edelste Frau sein eigen nennen durfte. Angst, weil er alle die Konflikte vorausfühlte, die sein Leben beschatten mussten. Hier in Berlin sah er unerwartet Madelen wieder. Sie war von der Bühne ganz zum Film übergegangen und war nun an der gleichen Filmgesellschaft wie Stella Hollmers engagiert. So kam sie wieder in Berührung mit Michael. Ihr Groll gegen ihn war nicht geschwunden. Im Gegenteil, dem Manne der Stella Hollmers galt ihre besondere Abneigung. Stella Hollmers stand ja ihrer eigenen Karriere im Wege. Sie hatte beim Engagementsabschluss die Hoffnung gehegt, die grossen Starrollen bei der neuen Gesellschaft spielen zu können. Da war im letzten Augenblick ein Vertrag mit Stella Hollmers zustande gekommen, die bis dahin bei einer anderen Gesellschaft tätig gewesen. Mit den stolzen Träumen Madelens war es vorbei. Sie konnte noch so viel intrigieren, noch so liebenswürdig gegen die gewaltigen Direktoren des Films sein, man konnte gegen Stella Hollmers nicht ankommen.
„Was wollen Sie, Kind“, hatte einer der Direktoren achselzuckend gesagt, „das Publikum frisst jeden Stella-Hollmers-Film wie der Feinschmecker den Kaviar.“
„Oder wie der Esel die Heubündel“, war Madelens boshafte Erwiderung gewesen. Da hatte der Direktor nur milde lächelnd geschlossen:
„Schön, auch das, wenn Sie wollen. Wenn Sie das Publikum als Esel bezeichnen, kann man nichts machen. Obwohl im Falle Stella Hollmers ich das Publikum gar nicht dumm finde. Das eine aber ist sicher, wenn wir die Beliebtheit der Hollmers nicht ausmünzen würden, wären wir wahrhaftig die Esel. Was wollen Sie übrigens? Sie sind in jedem Film unserer Produktion in einer Rolle beschäftigt. Sie könnten also zufrieden sein.“
Er hatte ihr begütigend die Wange streicheln wollen, aber sie hatte sich mit blitzenden Augen losgerissen:
„Tragende Rolle — immer neben der Hollmers. Immer im Schatten dieser Frau.“
Spottend hatte der Direktor gemeint, „dann trösten sie sich mit dem guten Michael. Der steht immer im Schatten seiner Frau.“
Dies Wort hatte Madelen sofort kolportiert. Michael hiess seitdem nur noch „Der Mann im Schatten.“
Der Direktor hatte nicht gewusst, dass er mit seinen nur spöttisch gemeinten Worten Madelen doppelt getroffen. Denn dass Michael, der sie verschmäht hatte, nun Stella Hollmers Mann war, war ein erneuter Grund für Madelens Wut. Wenn sie diese beiden Menschen nur auseinander bringen könnte! Daran dachte sie jetzt, wie sie seitlich an eine Kulisse gelehnt stand und das Spiel der Stella Hollmers betrachtete. Sie stellte wieder einmal mit brennendem Neide fest, wie alle hier, soweit sie nicht beschäftigt waren, mit Begeisterung diesem Spiel folgten. Sogar Schuwaroff, der einen Augenblick aus dem Bilde zu gehen hatte, sagte leise zu einem Kollegen: „Geradezu unvergleichlich, wie diese Frau spielt.“
Madelen biss sich auf die Lippen. Schuwaroff, auch er! Auch er im Banne dieser hochmütigen Person. Schuwaroff, der ihr hätte nützen können, der neben Stella Hollmers als berühmtester Star selbst mit den Direktoren umspringen konnte, wie er wollte. Ein paar Tage hatte es den Anschein gehabt, als ob er ihr Werben bemerkte. Aber dann war Stella Hollmers erschienen. Und mit Schuwaroffs Interesse schien es genau so vorüber, wie damals mit Michaels. Alles riss sie an sich, diese Hollmers — und man stand mit all seiner Schönheit, seinem Talent und seiner Gier nach Ruhm doch immer in der zweiten Reihe.
Wenn man es ihr doch einmal eintränken könnte, der Rivalin. Aber dazu war vorderhand nicht die geringste Aussicht; vom kleinen Laufjungen bis zum Kulissenschieber, vom Hilfsregisseur bis zu dem gewaltigen Peters, dem Regisseur, von dem kleinsten kaufmännischen Angestellten bis zum Generaldirektor hinauf, alles lag in Verzückung gleichsam auf den Knien vor Stella Hollmers.
Einen einzigen Triumph hatte Madelen bis jetzt — und das war die Gewissheit, dass Michael Heinsigk in der Ehe mit Stella Hollmers nicht glücklich war. Sie sah es ja jetzt seinem Gesicht an, mit welch verzweifelter Miene schaute er Stella und Schuwaroff zu. Vermutlich glaubte er, dass Schuwaroff ihn bei Stella verdrängen könnte. Und das würde ihm auch ganz recht geschehen, diesem Träumer, diesem Toggenburger, der Limonade in den Adern zu haben schien statt warmem, heissem Blut. Ob die Stella wirklich was mit dem Schuwaroff hatte? Nun, was nicht war, konnte ja noch werden. Da konnte Michael Heinsigk einmal am eigenen Leibe spüren, was es hiess, wenn man verschmäht wurde.
In ihrem eifersüchtigen Neide auf Stella vergass Madelen beinahe, dass sie sich ja auch für Schuwaroff interessiert hatte. Aber Schuwaroff war ein Mensch, der die Abwechslung liebte. Er war noch keiner Frau treu geblieben. Auch die Hollmers würde ihn nicht halten, wenn sie ihm erst einmal ihre Gunst geschenkt hatte. Dann war er sehr schnell übersättigt und sah sich nach einer neuen Liebe um. Dann war vielleicht ihre Zeit gekommen. Dann war Michael unglücklich und Stella Hollmers vielleicht auch. Dann würde sie, Madelen, triumphieren. Es war noch nicht aller Tage Abend. Die Beliebtheit eines Filmsterns wechselte so schnell wie die Jahreszeiten. Eigentlich sah die Hollmers doch oft schon recht alt aus. Zum Beispiel heute! Aber wie konnte man auch ohne alles Make up, ohne alle Schminke und allen Puder sich in der Öffentlichkeit zeigen? Auch auf der Probe musste man doch tadellos zurechtgemacht erscheinen. Sie zog ihren flachen Spiegel mit der Puderdose heraus und besah sich liebevoll. Nein, einmal würden auch die andern sehen, dass sie es mit Stella Hollmers aufnehmen konnte!
„Dritter Akt, vierte Szene“, rief das Mikrophon am Munde von Peters durch den ungeheuren Atelierraum.
Stella löste sich von Schuwaroff, ging mit einem Nicken durch das Atelier, stand neben Michael.
„Wie war’s“, fragte sie leise.
„Wunderbar, Stella, ganz wunderbar.“
Stella wurde rot:
„Ach, du lobst mich immer“, sagte sie. Sie sagte es wie ein ganz kleines Mädchen, das sich schämt. In ihren Augen stand tiefe Liebe.
„Du“, flüsterte sie leise und rührte heimlich an Michaels Hand.
Das Mikrophon rief.
„Mein Auftritt“, sagte Michael hastig.
Auf der Szene dröhnte es noch von Umbauten. Arbeiter in blauen Blusen schleppten Möbeldekorationen. Peters in seiner Lebhaftigkeit rannte dazwischen, legte selbst mit Hand an. Der Hilfsregisseur kam mit dem Buch. Der Maler Sternau sprach aufgeregt und offenbar wütend auf Peters ein.
„Lassen Sie mich in Frieden“, schrie Peters, „die Dekoration bleibt, wie sie ist. Wenn es Ihnen nicht passt“ — das letzte verlor sich in einem wütenden Murmeln.
Inzwischen stand Michael wartend mit ein paar anderen Schauspielern auf der Szene. Es war eine kleine Ensemblesache. Er hatte eine Charge zu spielen, wie immer eine kleine Rolle.
„Wollen Sie sich nicht ausruhen, Stella“, fragte Schuwaroff — er hatte noch ein paar Worte mit dem Hilfsregisseur gesprochen, der ehrerbietig vor dem Star der Welt-Film-A.-G. stand —, „oder wollen Sie den Auftritt Ihres Mannes mit sehen?“
Es klang ganz harmlos. Aber in Schuwaroffs Zügen war ein kleiner Ausdruck von Bosheit. Stella mit ihren feinen Nerven fühlte es sofort.
Ein heftiges Rot lief über ihr bleiches Gesicht. Hastig sah sie zu Michael herüber. Hatte der etwas gehört? Ein eigentümlicher Blick kam zu ihr. Was alles lag in diesem Blick? Sicher, wenn er auch nichts gehört hatte, dann fühlte er doch Schuwaroffs Bemerkung.
Sie nickte ihrem Mann zu. All ihre Zärtlichkeit, all ihre Güte legte sie hinein in diesen Blick.
„Lass sie reden“, sagte dieser Blick, „was kümmert’s dich? Ist denn das alles so wichtig? Die Hauptsache sind doch wir beide: du und ich.“
Aber Michaels Gesicht verlor nicht das Bedrückte. Er wandte sich seinem Partner zu. Schon kam auch Peters aus irgendeiner Ecke des Riesenateliers hervorgeschossen. Hinter ihm die unvermeidliche Suite der Hilfsregisseure, des Requisiteurs.
Peters schien zehn Münder, zwanzig Hände und viele Gehirne auf einmal zu haben, wie er jedem von seinen Begleitern antwortete, ihnen befahl, abwehrte, zustimmte.
„Grosse Gesellschaftsszene, Heinsigk“, rief er jetzt, „Sie sehen aber gar nicht aus wie einer, der in fünf Minuten die Dollarerbin vor dem Pistolenschuss retten will. Nehmen Sie es mir nicht übel, Sie sehen aus, als wären Sie selber erschossen.“
Stella drehte sich um, ging hastig ihrer Garderobe zu. Sie konnte es nicht mehr ertragen. Sie hatte es nicht für so schwer gehalten. Da stand nun Michael, der Mann, den sie liebte; dem sie gehörte bis in die letzte Faser ihres Seins, stand da und musste sich von einem Regisseur wie Peters alles mögliche gefallen lassen. Im allgemeinen wurde er ja ein bisschen besser behandelt als die meisten der anderen kleinen Schauspieler. Aber auch das tat man ihr, Stella Hollmers, zuliebe. Sie wusste es ganz genau. Alles tat man ihr zuliebe. Sie war der Star, und Michael ein kleiner Chargenspieler. Sie wusste, er litt darunter. Schweigend. Nie hätte er etwas gesagt. Aber wie oft kam es in den Stunden ihrer Liebe, in den Stunden der Zärtlichkeit, dass er sie an sich riss und mit einer angstvollen Glut fragte:
„Liebst du mich? Liebst du mich wirklich, Stella? Bin ich dir nicht zu wenig?“
Dann überschüttete sie ihn mit Zärtlichkeiten, mit der ganzen Güte ihres Herzens. Immer wieder sagte sie es ihm, dass er der einzige Mann für sie wäre. Aber ob er es glaubte? In seiner Leidenschaft war etwas wie verzweifelte Angst. Dann umschlang er sie, als fürchtete er, sie verlieren zu müssen.
Stella sass in ihrer Garderobe. Nebenan hörte sie Schuwaroff mit dem Friseur reden. Irgend jemand schien einen Witz zu erzählen.
Jetzt lachte Schuwaroff auf. Deutlich meinte sie die Worte zu hören. Sprach man nicht von ihr und Michael? Sie presste die Hände an die Ohren. Schloss die Augen. Sie wollte nichts sehen, nichts hören. Es war schrecklich, dass der Mann, den sie so liebte, vor den anderen nur „der Mann seiner Frau“ war.
Draussen stand Michael auf der Szene, spielte seine Rolle.
„Menschenskind, so geht das doch nicht“, jammerte Peters, spielte ihm die Szene vor, „Herrgott, Mann, wenn Sie doch nur einen Funken von dem Talent gewisser anderer Leute hätten.“
Michael erbleichte.
„Na ja, schon gut“, sagte Peters einlenkend. Er wollte den Mann der Stella Hollmers nicht kränken. Man musste auf den Star der Weltfilm-A.-G. Rücksicht nehmen. Wäre das nicht gewesen, nie im Leben hätte man Michael Heinsigk engagiert. Für ganz kleine Aufgaben mochte er gehen. Aber eigentlich hätte man schon die heutige Rolle nicht mit ihm besetzen dürfen. Doch die Stella Hollmers hatte es ja kontraktlich, dass in jedem ihrer Filme ihr Mann beschäftigt sein musste. Wenn es nach ihr gegangen wäre, würde Michael Heinsigk am Ende gar noch ein männlicher Star bei der Weltfilm sein sollen!
Merkwürdig, wie blind Frauen waren, wenn es um die Liebe ging! Peters breiter Mund lächelte zynisch. Was hiess schon Liebe? Ein Mann war wie der andere. Eine Frau wie die andere. Die Hollmers verpatzte sich durch ihre blöde Heirat die besten Chancen. Holywood hätte sie schon längst engagiert. Sie tat es ja nicht ohne ein Doppelengagement. Und Dadson, der allmächtige Beherrscher des amerikanischen Filmmarktes hatte es schliesslich nicht nötig, solche Bedingungen anzunehmen. Immerhin hatte die Hollmers ja noch einige Rivalinnen, die klüger waren und sich nicht mit einem solchen Ballast von Mann beschwerten. Für die Weltfilm-A.-G. war das allerdings noch ein Glück, denn sonst wäre die Hollmers schon längst in Dollarien gelandet. Dieser Gedanke beruhigte Peters etwas.
„Nochmal die Szene“, sagte er, „Herr Heinsigk, so war’s schon besser. Nur mehr aus sich herausgehen! Mehr Feuer, mein Lieber, inneres Feuer!“
Michael versuchte, inneres Feuer zu zeigen. Er wusste ganz genau, wie er seine Rolle spielen musste. Er sah sie vor sich, er hörte sie.
Wie ausserhalb von sich sah er einen Michael Heinsigk stehen, der alles so gestalten konnte, wie er es selbst fühlte. Aber zwischen dieser Phantasiegestalt und seinem wirklichen Ich stand die grosse Hemmung. Immer wieder, wenn er seine innerliche Empfindung vor den fremden Menschen zeigen wollte, war es wie eine innere Fesselung, eine Scham. Das, was er fühlte, vor tausenden Menschen zu enthüllen, war es, was ihn nie weiterkommen liess. Hätte er eine Kunst gehabt, auf der nicht die Augen von Tausenden lagen, das wäre etwas anderes gewesen. Aber wie gross diese Hemmung war, hatte er nicht gewusst, als er in den Beruf hineinging. Anstatt sich zu lockern, schien er sich mit der Zeit immer mehr in sich zu verkapseln. Und deswegen würde er nie etwas erreichen. Schuwaroff zum Beispiel, man brauchte den nur anzusehen, der Mann explodierte förmlich, wenn er auf die Szene kam. Es war oft schon beinahe grandiose Schamlosigkeit, wie er in seinem Spiel alle Triebe enthüllte, aber bewundernswert. Und doch um alles in der Welt hätte Michael nicht dastehen mögen, wo Schuwaroff stand, selbst wenn er dadurch der grosse Star geworden wäre. Es war eben etwas Verpfuschtes in seinem Beruf. Hätte er nur etwas anderes gekonnt, gewusst, aber wenn er ihn aufgab, dann war er noch mehr der Mann seiner Frau.
Wie oft hatte Stella es ihm schon gesagt, wenn er eine förmliche Angst vor dem Sich-zur-Schau-Stellen überkam.
„Lass es doch, Michael. Löse den Vertrag, du musst doch nicht. Ich verdiene doch genug.“
Da hatte er sie gequält gebeten, nicht weiter zu sprechen. Dieses bisschen Verdienst, dies bisschen selbständige Stellung, mochte sie auch weit unter ihr sein, gab ihm ein wenig Selbstbewusstsein. Da hatte sie nicht weiter gedrängt. Sie hatte ihn wohlverstanden.
Aber auch dieses schweigende Verstehen in seiner verzweifelten, zerrissenen Stimmung war eine Last. Auch Güte konnte Last sein. Alles empfing er von ihr. Sein ganzes Leben war überstrahlt von ihrem Glanz. Auch äusserlich. Er gönnte ihr alles, alles. Kein Mensch konnte ihren Ruhm leidenschaftlicher wünschen als er. Aber er war hellsichtig genug, zu wissen: Die Stellung, die sie zueinander hatten, war falsch. Die Zeiten waren vorbei, wo der Mann hoch oben stand als Gebieter, Herrscher, Entscheidung über das Leben der Frau brachte. Und es war gut, dass sie vorbei waren. Von jeher war er ein leidenschaftlicher Verfechter der Frauenrechte und Frauenentwicklung gewesen. Aber so, wie es zwischen ihm und Stella war, war es unheilvoll. Neben einander mussten Mann und Frau stehen, nicht die Frau hoch oben und der Mann tief unten. All ihre Liebe konnte ihn darüber nicht hinwegtäuschen. Er war der Mann der berühmten Schauspielerin Stella Hollmers. Ohne sie war er ein Nichts. Ohne sie hätte er nicht einmal diese Stellung hier. Das war es, was ihn lähmte, immer mehr, statt ihn vorwärts zu bringen. Als er Stella noch nicht gekannt, hatte er die Hemmung gegen die Entblössung seiner Gefühle auf der Szene überwinden können. Seitdem er sie liebte, wurde ihm das aber immer schwerer und schwerer.
Er litt in seinem Stolze als Mann und im Stolze für sie. Er wusste, wie man ihr beider Verhältnis beurteilte. Und sie selbst, Stella, war Weib genug, war so ganz Weib. Mochte sie nicht oft im stillen wünschen, einen gleichwertigen Menschen neben sich zu sehen? So konnte sich die Natur einer Frau nicht verleugnen, dass sie nicht wünschte, auf den geliebten Mann stolz zu sein. Wenn sie auch jetzt die Augen davor verschloss. Einmal würde der Tag kommen, da dieses Urgefühl des Weibes durch alle Liebe hindurchbrechen würde. An diesem Tage würde er verloren sein.
Schuwaroff hatte in den Ensembleszenen nichts zu tun. Hinterher aber wurde noch ein Stück des Films mit ihm gedreht. So beschloss er, in der Kantine sich zu erholen. Er hatte erst gehofft, mit Stella Hollmers noch ein Weilchen plaudern zu können. Aber sie war ja so betont schnell in ihrer Garderobe verschwunden, dass er genau gemerkt hatte, sie wollte nicht. Immer stellte sie ihre ganze Beziehung nur auf die gemeinsame Arbeit, war freundlich, liebenswürdig — aber nicht um einen Grad mehr als es die gemeinsamen Arbeitsinteressen erlaubten. Der Frau in ihr kam er auch nicht um einen Schritt näher. Und gerade das reizte den verwöhnten Frauenliebling. Er war gewöhnt, dass die Frauen ihm beim ersten Blick entgegenkamen. Dass sie seine Gunst suchten — dass der Mann und der grosse Star gleicherweise anziehend für sie waren. Vielleicht taten es manche auch aus Berechnung, wie die kleine Madelen — aber das machte nichts. Der Film war das Kampffeld des Ruhms, auf dem erbittert um jeden Zoll Boden gerungen wurde. Schuwaroff wusste selbst genau genug, dass Protektion und Beziehungen hier oft mehr bedeuten konnten als Talent. Und so nahm er es niemandem übel, der Gefühle mit Geschäften verquickte. Gerade darum reizte ihn wohl Stella Hollmers Verhalten besonders. Sie hatte niemals die geringsten Konzessionen gemacht — und sie war trotz dessen auf die Höhe gekommen, auf der sie jetzt stand. Er musste sich zugeben, sie war das Vollkommenste, was er je gesehen. Ihre Schönheit war ebenso makellos wie ihre Kunst. Gerade das machte sie ja so begehrenswert. Die erste Frau, die sein Werben nicht verstand — oder nicht verstehen wollte. Und warum eigentlich? Doch nicht etwa wegen dieser Null, dieses Michael! Es war schon unbegreiflich genug, dass sie ihn überhaupt geheiratet hatte. Aber lieben konnte sie ihn doch unmöglich heute noch! Damals war es vielleicht eine Laune, damals war sie ja auch noch nicht so berühmt. Aber jetzt? Was konnte ihr ein unbedeutender kleiner Filmschauspieler sein? Das Ganze war unbegreiflich und beinahe ein wenig lächerlich. Mit spöttischem Lächeln sah er der Szene zu, in der Michael jetzt spielte. Wie schwunglos das alles war, ohne die grosse Linie, die man auch in die kleinste Rolle hineinbringen konnte. Schuwaroff war einer jener Schauspieler, die mit einer beinahe nachtwandlerischen Sicherheit die Linie für eine jede darzustellende Figur fanden. Die Schauspielkunst war bei ihm etwas so Naturgegebenes, dass er kaum nachdenken brauchte, wie er diese und jene Rolle zu gestalten hatte. Das gab seiner Darstellung das Fortreissende und Wahrhaftige. Diesem naturgewachsenen Talent verdankte er seinen Ruhm. Darum aber begriff er ganz einfach nicht, wie jemand ein schlechter Schauspieler sein konnte. Er verachtete schlechte Schauspielkunst geradezu. Entweder man hatte den göttlichen Funken, oder man hatte ihn nicht, pflegte er zu sagen. Michael Heinsigk hatte ihn nicht. Wäre er nicht der Mann der Hollmers gewesen, keine Filmgesellschaft von Rang hätte ihn beschäftigt. Und ein Mann, der nur durch eine Frau gemanagt worden, sollte die Liebe dieser Frau auf die Dauer bewahren? Das war nach seiner Ansicht unmöglich.
Er zuckte hochmütig die Achseln und sagte leise zu Madelen, die neben ihm stand:
„Schauderhaft, so etwas. Man bekommt direkt Magenschmerzen.“
„Wollen wir lieber frühstücken gehen, Boris?“
Schuwaroff nickte. Er hatte die kleine blonde Madelen ganz gerne. Sie hatte sowas wie von einem hübschen kleinen Angorakätzchen, sicher, wenn man sie streicheln würde, würde sie schnurren. Wenn die Hollmers ihn abfallen liess, nun warum sollte er nicht inzwischen einen kleinen Flirt mit der kleinen Madelen haben.
„Also kommen Sie“, er fasste sie vertraulich unter den Arm und ging mit ihr der Kantine zu. Madelen war innerlich glücklich. Dass man sie so vertraut mit Boris Schuwaroff hereinkommen sehen würde, schmeichelte ihrer Eitelkeit. Schuwaroff zum Freunde zu haben, bedeutete viel für eine Schauspielerin, die noch um den Platz an der Sonne kämpfte. Und sie wollte diesen Platz erobern, sie wollte eine Filmdiva werden, so gross wie diese hochmütige Hollmers. Vielleicht konnte Schuwaroff ihr dazu verhelfen. Schliesslich würde er es doch satt bekommen, Stella Hollmers nachzulaufen. Sie kannte seine Eitelkeit. Hoffnungslose Bemühungen um eine Frau, das konnte er schon um seiner Selbstgeltung willen sich nicht lange gestatten.
Im Vorübergehen warf Madelen durch eine offenstehende Tür schnell einen Blick in den Spiegel eines Schminkzimmers. Nun, sie brauchte sich vor der Hollmers wirklich nicht zu verstecken. Sie hatte ebenso schönes, leuchtendes Haar — ihre Augen waren zwar nicht goldbraun wie die der Hollmers, sondern blau — aber strahlend und von jener lichten Kindlichkeit, wie sie jetzt so beliebt war. Ihre zierliche, schlanke Gestalt reckte sich wohlgefällig — und nun traf sie im Spiegel Schuwaroffs Gesicht —
„Na, kleine Madelen, Sie finden sich gewiss sehr hübsch?“ fragte er leise und mit einem zärtlichen Unterton.
„Aber Sie finden mich noch viel, viel hübscher“, gab sie schlagfertig zurück. Er lachte amüsiert, die kleine kecke Person machte ihm Spass.
„Woher wissen Sie?“
„Weil Sie nur schöne Frauen auffordern, Sie zum Frühstück zu begleiten.“
Nun musste er doch laut auflachen:
„Eigentlich waren Sie es ja, die mich aufgefordert hat, mit ihr zu frühstücken, kleine Madelen.“
„Pfui.“
Madelen machte ein heiter strafendes Gesicht, „wo bleibt Ihre slawische Galanterie, mein Herr? Seit wann widerspricht man, wenn eine Dame etwas behauptet?“
„Oh, Pardon“, Schuwaroff zog die kleine rosige Hand, die auf seinem Arme lag, an die Lippen und hielt sie einen Augenblick an seinem Munde, „ich gelobe Besserung, meine Gnädige. Also ich habe Sie zum Frühstück eingeladen. Darf ich um die Ehre bitten?“
Sie raffte ihr Kleid, dass die schlanken Beine in den hellgrauseidenen Strümpfen zum Vorschein kamen, „Sie dürfen, mein Herr“.
Dabei machte sie eine tiefe, zeremonielle Hofverbeugung. Ihre Augen sahen mit einem schillernden, übermütigen Blick in die Schuwaroffs. Und da — wie er auf sie niederschaute, die sich da spielerisch vor ihm verneigte, sah sie in seinen Augen ein Aufglimmen — sie kannte es von andern Männeraugen her —. Da wusste sie, der Funke war von ihr zu Schuwaroff übergesprungen. —
Triumphierend ging sie an seiner Seite, fühlte, wie sein Arm sie unmerklich an sich drückte. An den Blikken der vorübereilenden Komparsen und Tanzmädchen merkte sie, alle dachten das gleiche:
Der mächtige Schuwaroff interessierte sich für sie. Damit stieg sie gewaltig im Werte — auch für die Filmgesellschaft. Wenn sie es nur ein wenig klug anfing — Schuwaroff hatte sich gerade von Lia de Vernand getrennt, mit der man ihn ein paar Wochen verlobt gesagt. Vielleicht verliebte er sich ernstlich in sie. Sie sah sich schon als Partnerin Schuwaroffs in einem grossen Film — sah ihrer beide Namen nebeneinander an erster Stelle der Programme und Filmzeitschriften — ein heftiger Atemzug hob ihre Brust — der Ehrgeiz brannte stärker denn je in ihr auf. Sie wusste nicht, ob sie Schuwaroff liebte oder den Ruhm in ihm. Das war wohl alles eins. Und nur wer so hoch oben stand wie diese hochmütige Hollmers brauchte sich um so etwas nicht zu kümmern.
In der Kantine der Filmgesellschaft war ein buntes Durcheinander. Ein Fremder, der hier hereingekommen wäre, hätte sicherlich geglaubt, in ein Faschingsvergnügen hineingeraten zu sein. Alle Kostüme und Masken aller Zeiten waren hier bunt durcheinander gewürfelt. Denn in dem riesenhaften Ateliergebäude wurde ja nicht nur der eine moderne Film mit Stella Hollmers und Schuwaroff als Hauptspieler gedreht. Der Atelierkomplex bestand aus zehn grossen und mehreren kleinen Ateliers — es war eine ganze kleine Filmstadt, die hier draussen auf dem freien Gelände aufgebaut war. Und in einem jeden Raum wurde etwas anderes gearbeitet. Die Gesellschaft war in mehrere Untergesellschaften aufgeteilt — und sie alle drehten grössere und kleinere Filme. Infolgedessen sah man auch in den Arbeitspausen hier in der Kantine die verschiedensten Zeit- und Stilepochen durch die verschiedenen Kostüme vertreten. Da waren Grenadiere aus der Zeit des Alten Fritz, da sassen ein paar Römerinnen aus der Zeit des römischen Kaiserreiches. Ein paar Cowboys, die geradezu aus Wildwest hierher importiert zu sein schienen, sassen einträchtig am Tische mit ein paar jungen Mädels in koketter, moderner Zofentracht. In einem der Ateliers wurden Szenen zu einem phantastischen Film gedreht, ein Mann in enganliegendem schwarzem Wams, mit einem Mephistobart und einer Kappe mit aufgesetzten Teufelshörnern teilte behaglich ein grosses Schnitzel und sah durchaus nicht teuflisch aus.
Lachen und Scherzen flog von einem Tische zum andern. Alles sass durcheinander. Es gab keinen Rangunterschied. Unaufhörlich liefen die Kellner mit den gefüllten Tabletts voll Speisen und Getränken umher. Die Arbeit im Atelier war eine sehr anstrengende Tätigkeit — von der sich ein Laie keine Vorstellung machen konnte. Die Hitze der tausendkerzigen Jupiterlampen, die Wärme von Schminke, Perücken, Kostümen, das allein genügte schon, um die Kräfte der Menschen zu verbrauchen. Dazu kam die immerwährende Anspannung der Nerven, denn manche Szene wurde fünf-, zehn-, zwanzigmal geprobt, ehe sie für die Aufnahme „sass“. Viele kleine Schauspieler mussten ganze Tage im Atelier zubringen, nur um eine Szene von einer halben Stunde zu spielen. Denn anders wie beim Theater wird ja beim Film nicht Szene nach Szene in der aufeinanderfolgenden Anordnung gespielt — sondern man spielt alle Szenen, die in ein und derselben Dekoration spielen, um nicht immer wieder neue Umbauten vornehmen zu müssen. Diese fortwährende Dienstbereitschaft, dies Warten von Stunde zu Stunde zehrte an den Nerven. Dazu kam, dass die Finanzabteilung der Gesellschaft das Tempo der Arbeit immer schneller gestaltet wissen wollte. Denn jeder Tag Atelierarbeit kostete Tausende. So arbeitete man in den Zeiten der Filmherstellung von morgens bis abends. Oft mussten alle, Hauptdarsteller wie Komparsen, schon um sieben Uhr zur Aufnahme da sein. — Kein Wunder, dass in den Frühstückspausen der Körper gebieterisch sein Recht verlangte.
Schuwaroff bahnte sich, Madelen am Arme, seinen Weg bis zu einem Ecktisch, an dem einer der Produktionsleiter mit ein paar Regisseuren und einem jungen Dichter sass. Es wurde gerade über die Ausgestaltung eines neuen Drehbuches verhandelt.
„Heda, Schuwaroff“, rief man dem Schauspieler zu, „kommen Sie mal her, eine Bombenrolle für Sie, die unser junger Dichter da anbringt.“
Schuwaroff machte eine abwehrende Handbewegung, „lassen Sie mich mit Bombenrollen unbekannter Leute zufrieden, schliesslich wird es wieder ein Reinfall, wie der letzte Film von Lorenzius-Kinder, wenn ihr wieder solch einen Unfug macht, dann habt ihr mich und die Hollmers zum letzten Male gesehen.“
„Na, schön“, lachte der eine Regisseur, „wenn Sie’s nicht mal hören wollen, müssen wir halt den Mathies fragen, ich sage Ihnen, das ist ein Schlager, ein ganz grosser. Freilich, wir müssen ihn erst drehreif machen“, fügte er schnell hinzu, als er das glückliche Gesicht des jungen Schriftstellers sah, er war der Meinung, dass man das Selbstbewusstsein der Dichter nicht aufkommen lassen dürfte. Die Leute verlangten dann womöglich, genau soviel zu verdienen wie man selbst. Dabei war das schönste Dichtwerk nichts ohne die formende Hand der Regisseure. Dass die Dichter sich wiederum beklagten, weil von ihren Werken beinahe nichts mehr übrigblieb, war eine andere Sache und rührte den Regisseur nicht.
„Bitte, bitte, Herr Schuwaroff“, sagte leise Madelen, „wir wollen doch einmal hören. Denken Sie, wenn man wirklich Mathies hier engagierte —“
Schuwaroff machte ein finsteres Gesicht. Das durfte nicht sein. Dieser junge Friese war plötzlich aufgetaucht und hatte gleich in einem Film einen ungeheuren Erfolg gehabt. Er war der richtige Typ für die grossen deutschen Filme, die man nun drehte. Schuwaroff liebte es nicht, wenn ein anderer Typ Erfolge hatte. Die Filmgewaltigen waren immer geneigt, die Beliebtheit und die Art eines bestimmten Schauspielers für eine bestimmte Sorte Filme auszunützen. Es konnte ihm nicht daran gelegen sein, dass sein exotisches Aussehen plötzlich an Interesse verlor.
So ging er denn mit Madelen zusammen an den Platz, von dem aus man ihn gerufen hatte.
„Na, Madelen“, fragte der Produktionsleiter, „wie fühlen Sie sich denn so mitten unter den Stars?“
„Genau so, wie man sich fühlt, wenn man bald dazugehören wird“, gab sie keck und schlagfertig zur Antwort.
Alles lachte. Der Regisseur klemmte sein Monokel ein und sah Madelen prüfend an:
„Alle Achtung, Witz haben Sie, Kerlchen. Und an krankhafter Bescheidenheit scheinen Sie auch nicht zu leiden.“
Da sah Madelen den Regisseur mit einem koketten Blick an:
„Habe ich das nötig, Herr Doktor? Bescheiden braucht man nur zu sein, wenn man hässlich oder untalentiert ist.“
„Na, hässlich, dass kann man Ihnen nun ja nicht nachsagen. Und untalentiert — na?“
„Wenn ich untalentiert wäre, dann hätten Sie mich sicher nicht engagiert! Im übrigen, Sie brauchen es ja nur einmal mit einer grösseren Rolle versuchen, da werden Sie ja sehen, was ich in Wahrheit leisten kann!“
„Auf den Mund gefallen ist sie wirklich nicht, die kleine Madelen“, brummte der Produktionsleiter, „wäre ja auch schade um den hübschen Mund.“
„Ob die Dame nicht sehr geeignet wäre für die Hauptrolle in meinem neuen Stück“, flüsterte der Dichter dem Regisseur zu, „gerade so habe ich mir die Anneliese vorgestellt, so eine Mischung von Kindlichkeit und Koketterie.“
Der Regisseur überlegte — „vielleicht“, gab er leise zurück.
Dann wandte er sich an Schuwaroff, der eben für sich und Madelen ein paar Gerichte von der Speisekarte gewählt hatte. „Hören Sie, Schuwaroff, können Sie heute abend mal zu mir kommen? Wir könnten dann mal wegen des neuen Stücks unseres jungen Goethe hier“, er klopfte den Dichter gutmütig-ironisch auf die Schulter, „sprechen.“
Schuwaroff nickte.
„Können wir machen.“
Ein flehender Blick Madelens traf ihn. Er nickte ihr zu.
„Werd schon an dich denken, Kleine“, flüsterte er in ihr sehr hübsches kleines Ohr, das rosig unter der tiefen blonden Haarwelle hervorkam.
„Und ich werde Ihnen immer dankbar sein“, war Madelens heisse Antwort. Sie fühlte, Schuwaroff interessierte sich für sie. Nun durfte sie nicht locker lassen. Er musste über ihr alle anderen Frauen und diese Hollmers vergessen.
Während Madelen in der Kantine an der Seite Schuwaroffs ihren ehrgeizigen Zukunftsträumen nachhing, waren die Aufnahmen der Gesellschaftsszenen endlich vorüber. Der Regisseur hatte sich nach immer neuen Proben endlich einigermassen befriedigt gezeigt und man hatte die endgültige Fassung gedreht.
Michael klopfte an Stellas Garderobe. Niemand antwortete.
„Gnädige Frau sind bereits nach Hause gefahren“, sagte die Garderobiere, die den Schminktisch aufräumte, „gnädige Frau haben das Auto für Herrn Heinsigk wieder zurückgeschickt.“
„Danke“, sagte er kurz.
Warum hatte sie nicht auf ihn gewartet? Zum ersten Male nicht. Vielleicht hatte sie es nicht ertragen können, dass ein und dieselbe Szene fünf, sechsmal geprobt wurde. Sie, bei der alles auf Anhieb sass! Sie, die die Regisseure lenkte, statt von ihnen gelenkt zu werden. Er hatte Schuwaroffs Blick wohl gesehen, als er vorhin neben Stella stand. Auch den Zorn, die Verlegenheit auf Stellas Gesicht. Was mochte Schuwaroff ihr gesagt haben? Gutes konnt’s nicht sein. Mit dem sicheren Instinkt eines Mannes, der seine Frau sehr liebt, empfand er Schuwaroffs Begehren für Stella. Der Russe war ja auch Stellas Partner in allen grossen Filmen der Weltfilm-A.-G. Und so sehr er ihn in diesem Augenblick hasste, Michael musste es sich zugeben, er war der ebenbürtige Partner auch in der Kunst. Einmal würde es kommen. Dann würde der Funke von Schuwaroff zu Stella überspringen müssen. Mochte sie sich tausendmal wehren. Sie war eine Frau und den Gesetzen der Natur unterworfen.
Michaels Leben war ein verzweifeltes Warten auf diesen Augenblick. Es überschattete alles. Die glücklichen Stunden mit Stella und den Glauben an ihre Liebe. Er hätte es nicht ertragen, hätte er nicht etwas gehabt, was ihm immer wieder Stunden der Sammlung und des Vergessens geschenkt hätte. Aber das wusste ausser ihm niemand.
In seinem Schreibtisch ruhten verborgen Manuskripte. Schon in seiner Schauspielerzeit an den kleinen Wandertheatern und Schmieren hatte er begonnen zu schreiben. Getrieben von seinem inneren Gesicht hatten sich ihm Worte geformt, Verse, Novellen. Wäre er damals nicht Stella begegnet, die ein Gastspiel auf der Schauspielbühne von S. absolvierte, vielleicht hätte er weiter gearbeitet. Aber da hatte er das Wunder von Stellas Kunst und ihrer Liebe erlebt. Da war es ihm so ganz klar geworden, wie wenig er war und wie hoch oben sie stand. Die Liebe zu ihr hatte ihn als Mann beseligt, aber der Mensch in ihm fühlte zu stark den Abstand von ihr, wurde immer mutloser. Wenn Michael jetzt zurückdachte, erkannte er, die Begegnung mit Stella, das war der Augenblick gewesen, da er in seiner Kunst gehemmt wurde. Denn niemals konnte er das erreichen, was Stella war.
Und warum hatte er niemals zu ihr von diesen Arbeiten gesprochen? Er war ein mittelmässiger Schauspieler. Gut, damit hatte er sich abgefunden. Aber er mochte nicht noch in einer anderen Kunst wie ein Nichtskönner vor ihr stehen. Diese Aufzeichnungen, die er in einsamen Stunden machte, waren ein Geheimnis seiner Seele. Er hütete es schamhaft.
Er hatte den Wagen, den Stella ihm geschickt, zurückgesandt. Nach der überhitzten staubigen Atelierluft war ihm ein Stück Wanderung Befreiung. Ausserdem, immer wieder hatte er ein peinliches Gefühl, wenn er ohne Stella in dem weissen Rolls Royce durch die Strassen fuhr. Man kannte ihren Wagen, den ein filmbegeisterter Autokönig ihr nach der Premiere eines Grossfilms geschenkt hatte. „Der Wagen der Hollmers“, hiess er überall. Ja, es war ihr Wagen. Alles gehörte ihr. Und er war in den Augen der Menschen ein etwas lächerliches Anhängsel. Weiter nichts. Andere hätten vielleicht skrupellos all den Glanz, den Reichtum und die Ehrungen mit für sich in Anspruch genommen, welche Stella Hollmers zuflossen. Er vermochte es nicht. Immer wieder drückte ihn das alles nur um so tiefer in seiner Selbstachtung. Freilich, vor den andern versuchte er die Maske des glücklichen Menschen zu tragen. Aber dahinter war Verzweiflung.