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Zweites Kapitel

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Erst nach einigen Tagen fand sich Rupert wieder bei Bewusstsein, und zwar in dem kleinen Krankenhause der Insel. Von der freundlichen Schwester Martha erfuhr er endlich, wer die Unbekannte war. Eine Nichte des Fräuleins von Hilversen, der Gutsherrin der kleinen Insel Seehöft. Das gerettete Kind gehörte einer jungen Schifferwitwe, die allein im letzten Hause von Venndorf wohnte. — „Und das junge Mädchen, ist es auch erkrankt?“ forschte Rupert besorgt. Schwester Martha lachte über ihr ganzes freundliches, rotbäckiges Gesicht: „Die Elke erkrankt? Die ist wie Eisen, Herr Sartorius, die ist von Kind an gewohnt, in jedem Wind und Wetter draussen zu sein, so ein kaltes Bad macht der ebensowenig wie einem Fisch.“ — „Wer ist eigentlich die junge Dame, Sie nannten sie Elke?“ fragte Rupert interessiert und richtete sich in seinen Kissen auf. „Erzählen Sie mir doch etwas Näheres darüber, wie kommt sie zu der Gutsherrin von Seehöft, von deren Schrullen man doch Wunderdinge erzählt.“

„Sie ist eine entfernte Verwandte des Fräuleins von Hilversen, sie wird dort erzogen.“

„Diese Gutsherrin von Seehöft soll doch die Landungsstellen ihrer kleinen Inselbesitzung mit Stacheldraht gegen unerwünschte Besucher gesichert haben und mit der Schrotflinte schiessen, wenn sich jemand Unbefugtes ihrem Grund und Boden nähern will!“

Schwester Martha lächelte: „Allerdings, sie schliesst sich gegen alle Fremden ab — ist von Jugend an hart und ungütig gewesen. Das hat sich mit den Jahren noch verstärkt.“

„Aber das junge Mädchen, diese Nichte Elke, wird die auch so hermetisch abgeschlossen? Sieht man die nicht einmal wenigstens hier bei den Veranstaltungen des Kurbetriebes?“

„Ach nein, das Fräulein von Seehöft hält ihre junge Verwandte genau so von den Badegästen abgeschlossen, wie ihren eigenen Besitz.“

„Aber ein junges Mädchen“, beharrte Rupert mit eigentümlicher Eindringlichkeit, „kann doch nicht leben wie eine alte menschenfeindliche Dame — das braucht doch ein wenig Lebensfreude.“

„Sie sollen doch nicht soviel sprechen, Herr Sartorius“, mahnte Schwester Martha energisch und schob ihrem Patienten das Thermometer unter die Achsel. „Fieberfrei“, sagte sie befriedigt nach zehn Minuten, „das ist also nun der dritte Tag ohne Temperatur, na, dann wird ja unser guter Doktor ein Einsehen haben und Sie herauslassen.“

„Gott sei Dank“, sagte Rupert mit einem Aufatmen. — Schwester Martha sah ihn mit komischer Entrüstung an: „Ich bin ja ganz gekränkt, haben Sie es denn so schlimm bei uns gehabt?“

„Liebe Schwester Martha“, erwiderte Rupert Sartorius herzlich, „was hätte ich wohl ohne Ihr Krankenhaus angefangen und ohne Ihre treue Pflege? Aber schliesslich bin ich ja doch nicht zum Kranksein hergekommen.“

Aber warum er sich so sehr heraussehnte, das verriet Rupert Schwester Martha nicht; das Bild dieser jungen Elke hatte ihn während seiner ganzen Krankheit nicht verlassen, nicht im Wachen und nicht im Traum. Er musste sie wiedersehen. Bald! Um jeden Preis.

Doch vergeblich schaute Rupert in den kommenden Tagen nach der schönen Unbekannten aus — nie wieder war sie am Strande zu sehen. Wie oft war es, dass er in der Schar der Badegäste von weitem eine Mädchensilhouette erblickte, in der er Elke wiederzuerkennen glaubte. Eilte er dann nach, so hatte eine flüchtige Ähnlichkeit ihn genarrt. Nach acht Tagen hielt es ihn nicht mehr. An einem strahlenden Sommermorgen mietete er sich ein Segelboot von Fischer Gau und fuhr nach Seehöft, der Besitzung des Fräuleins von Hilversen, hinüber.

Die hohen Pappeln, die das Ufer säumten, schlossen die kleine Insel in einen undurchdringlich dichten Laubwall. Einsam träumte ein kleiner Kahn an dem Bollwerk. Die Bootskette schlug leise gegen das Holz des Pfahles. Eine dichte Mauer von Stacheldraht schloss den ganzen Uferrand der kleinen Insel ab. Die Pforte, die von dem Landungssteg hineinführte in die kleine Sommerwildnis, war mit einem schweren, altmodischen Vorhängeschloss versperrt.

Rupert trieb sein Boot dicht ans Ufer, zog die Segel ein und spähte vergebens, wo man hier an Land gehen könnte. Endlich entschloss er sich, an der alten verrosteten Klingel zu ziehen. Ein dünnes, jämmerliches Läuten ertönte. Na, mit dieser Glocke weckt man noch nicht einmal eine Katze, musste Rupert denken. Aber er hatte sich geirrt. Nach einer Weile schlürften Schritte aus dem sommergrünen Laubdickicht — ein alter Mann in einer verschlossenen Livree kam hervor. „Sie wünschen?“ fragte er und sah mit unverhohlenem Misstrauen auf die elegante Gestalt Ruperts in dem hellen Segeldress.

„Kann ich Fräulein Elke Hilversen sprechen?“ Rupert reichte aus dem Segelboot seine Karte dem Alten hinauf. Der nahm die Karte gar nicht.

„Unser Fräulein ist überhaupt nicht zu sprechen“, war seine mürrische Antwort.

„Hören Sie“, sagte Rupert scharf, „wenn Sie jetzt nicht augenblicklich meine Karte nehmen“, er tat einen Sprung aus dem Segelboot und hatte bereits die Hand an dem Griff, mit dem der Alte die kleine Tür geöffnet hatte, „dann gehe ich allein, um zu sehen, ob Fräulein Elke Hilversen für mich zu sprechen ist. Wir haben neulich zusammen einen kleinen Jungen aus dem Wasser gezogen, und ich möchte nur hören, wie es ihr nach diesem kalten Bade ergangen.“

Der Alte sah mit einem erschrockenen Gesicht auf Rupert: „Dann kann ich ja die Karte hineintragen“, sagte er, „aber viel nützen wird’s nicht, und ich würde Ihnen nicht raten, mein Herr, mir nachzukommen, wir haben Hunde, die auf den Mann dressiert sind.“

Das scheint hier ja ein reizendes Paradies zu sein, musste Rupert denken, als der alte Diener wieder abschlürfte. Stacheldraht, scharfe Hunde, möcht’ wissen, ob’s hier denn noch andere Kostbarkeiten zu bewachen gibt, ausser der reizenden jungen Elke.

Doch er kam nicht dazu, weiter nachzudenken. Schon nahten sich wieder Schritte, aber diesmal andere, feste, dazwischen ein taktmässiges Aufschlagen eines Stockes — die Zweige der tief herabhängenden Bäume teilten sich — vor ihm stand eine eigentümliche Gestalt — in hohen Stulpenstiefeln und einer Art Hose, die aber zugleich ein Rock war, darüber eine alte Joppe. — Diese erstaunliche Erscheinung, sehr lang und unglaublich dürr, hatte ein verwittertes, scharfes Vogelgesicht unter einer männlichen Schirmmütze. Zwei dunkle Augen, scharf und feindlich, spähten hinter einer enormen Hornbrille hervor. Rupert unterdrückte mühsam ein Lächeln. Also das war dies sagenhafte Fräulein von Hilversen, das mit Schrotflinte auf unliebsame Gäste zu schiessen gewohnt war. Nun, heute hatte sie zwar keine Waffe bei sich, aber der Blick, mit dem sie den vor ihr stehenden Mann musterte, verhiess nichts Gutes.

„Sind Sie noch immer hier, mein Herr?“ fragte sie mit einer knarrenden männlichen Stimme. „Der alte Lars hat Ihnen doch deutlich genug erklärt, dass wir keine Besuche auf Seehöft wünschen.“

„Verzeihen Sie“, erwiderte Rupert so ruhig er konnte, „ich glaubte, dass Sie in einem Falle eine Ausnahme machen würden, mein gnädiges Fräulein.“

„Der Teufel hole Ihr gnädiges Fräulein“, grollte die Angeredete. „Wer sind Sie eigentlich, Herr, dass Sie sich erlauben, hier an meinem Bollwerk zu landen.“

„Ach, hat der Diener verabsäumt, meine Karte abzugeben?“ fragte Rupert, und tat, als verstände er die Worte der wütenden Dame falsch, „dann gestatten Sie mir, dass ich mich vorstelle.“

„Ich gestatte nichts.“ Das alte Fräulein stiess wütend seinen Stock auf die Holzdecke des Stegs. „Ich bin nur selbst gekommen, um Ihnen klarzumachen, dass wir Ihre Annäherung hier auf Seehöft durchaus nicht wünschen.“

„Sprechen Sie auch im Namen Ihrer Nichte, gnädiges Fräulein?“ fragte Rupert ruhig.

„Ich spreche immer im Namen meiner Nichte, die zu tun und zu lassen hat, was ich wünsche. — Und nun ein für allemal, nur weil Sie mit meiner Nichte zusammen dies dumme kleine Balg aus dem Wasser gezogen haben, darum wünschen wir doch durchaus nicht, irgend etwas mit Ihnen zu tun zu haben. Und nun werden Sie sich wohl entfernen.“

Rupert machte eine stumme Verbeugung und sprang ins Boot zurück. Fürs erste war hier nichts zu machen. Dies Mannweib von Tante schien tatsächlich von einem geradezu krankhaften Menschenhass besessen. Aber man würde ja sehen, ob man diesen Drachen nicht überlisten konnte. Er war nicht der Mann, etwas aufzugeben, das er sich ernstlich vorgenommen. Und dass er seine kleine Wasserjungfrau mit den meerblauen Augen und dem samtigen Goldbraun des Haares wiedersehen würde, das lag fest in seiner Seele beschlossen. Er wandte das Segel und fuhr aus der kleinen Bucht von Seehöft — noch von fern sah er, wie das alte Fräulein, auf den Stock gestützt, ihm mit einem misstrauischen und empörten Gesicht nachblickte. —

Als Rupert ins Hotel zurückkam, war sein erster Gang zu dem Wirt.

„Hören Sie, Herr Kruse“, sagte er harmlos, „können Sie mir nicht sagen, wo der kleine Junge wohnt, den ich mit dem Fräulein vom Seehöft zusammen aus dem Wasser geholt habe? Ich möchte mal nach ihm sehen und ihm etwas bringen.“

„Gewiss, Herr Sartorius, gerade im letzten Hause drüben in Vendorf wohnt der kleine Malte. Recht verwöhnt wird der kleine Bengel seit seinem Unfall, auch das junge Fräulein von Hilversen kommt oft zu ihm.“

„So, das Fräulein von Hilversen — kommt öfters hier herüber, Herr Kruse?“

„Alle Montag, doch, Herr Sartorius, wenn sie drüben in Vendorf Besorgungen für die Woche macht. Früher kam das alte Fräulein, aber das kann wegen der Gicht nicht mehr auf den Wagen klettern, und so macht’s das Fräulein Elke.“

Rupert ging sehr befriedigt dem Strande zu — noch zwei Tage, dann war Montag, und trotz Teufel und alten Tanten würde er Elke wiedersehen. In den nächsten beiden Tagen arbeitete er eifrig an der Skizze, die er von ihr gemacht. Bald war ein Pastellgemälde fertig, aus dem Elkes süsses, reines Gesicht wie lebend herausblickte.

Wenn Liebe schweigt

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