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Wandlungen

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Die Besprechung auf J.R.s Terrasse wurde wie immer von Marias Limonade und Leckereien bereichert, die jedoch von den Daseinsverwaltern dankend abgelehnt wurden. „Schade, dass ihr unsere drei Freunde vergrault habt“, meinte George scherzhaft. „Dann würde sicher alles alle werden.“ Die haben wir nicht vergrault, dachte Manfred in die Runde. Es geht ihnen gut und wahrscheinlich auch besser mit ihren Zweitleben, als ständig zusehen zu müssen, wie wir um den Erhalt der Menschheit kämpfen.

Aber… Norbert hob gerade an, das Gespräch wieder zum Wesentlichen zu bringen, als ein donnerndes „RUHE!“ durch alle Gehirne, nicht nur jene der Telepathen, donnerte. Was war das? Thore war blass geworden und schaute entsetzt in die Runde. Allen stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Als sie sich einigermaßen wieder gefasst hatten, meinte George geistesgegenwärtig, „Ich werde umgehend die Krystalle befragen, ob sie mehr darüber wissen, und ob sie die Richtung, aus der dieser Ruf kam, bestimmen können. Er verschwand in der kurzen Dämmerung des Outbacks wie ein Spuk.

„Daran werde ich mich nie gewöhnen“, meinte J.R. und Maria lächelte. Nach einiger Zeit erschien George wieder und erklärte, dass der Befehlsruf wohl aus der Richtung des Doppelgestirns gekommen sei. Du kannst unmöglich schon vom heiligen Berg zurück sein, überlegte Thore. Und die Krystalle sind sonst auch nicht so schnell mit ihrer Analyse. Nun lächelte George hintergründig.

Das Phänomen George wurde aber zu diesem Zeitpunkt nicht weiter ergründet. Manfred erklärte, er werde sofort aufbrechen, um zu sehen, ob sein älteres Ich noch Wache halten würde oder, was mit Erika passiert sei. Ohne weitere Diskussion raste er ins All, um dort eine Raumkrümmung zu erzeugen, die ihn zum Ort des wundersamen Rufes tragen würde.

Schnell wurde es Nacht und über dem wolkenlosen Outback wurde ein sternenklarer Himmel sichtbar. Die Zurückgebliebenen saßen in ihren Schaukelstühlen und sinnierten vor sich hin. Dann schob sich langsam eine Wolke vor den Sternenhimmel. Merkwürdig dachte Norbert, der Mond ist noch vollkommen zu sehen. Das ist keine natürliche Wolke. Ein eisiger Wind kam auf und ein Kribbeln, wie von tausend Stecknadeln erfasste den Körper jedes Einzelnen der kleinen Gruppe.

Norbert und Thore sanken auf ihren Stühlen bewusstlos zusammen. Auch Maria und George verloren kurzfristig das Bewusstsein. Die Sterne wurden wie durch einen Schleier teilweise wieder sichtbar und die wolkenhafte Erscheinung wirkte nun wie von Eiskrystallen durchsetzt, welche ständig ihre Form änderten.

Es ist vollbracht, dachte die Katalysatorin und verschwand langsam wie sie gekommen war. Langsam kamen die Ohnmächtigen wieder zu sich. Ich muss eingeschlafen sein, dachte Norbert. Alle anderen waren auch wieder erwacht, aber Norbert hatte das Gefühl, dass er allein im Universum sei. Er war kopfblind und er war hungrig.

„Was ist mit uns passiert?“ Der so angesprochene Thore hatte noch nicht realisiert, dass auch er seine telepathischen Kräfte eingebüßt hatte. Als dieses ihm bewusst wurde, versuchte er als erstes einen Teleportersprung. „Du siehst aus, als würdest du etwas in die Windeln drücken“, lachte Norbert. Aber als auch sein Versuch fehlschlug, war ihm nicht mehr zum Lachen zumute.

Auch Maria und George sahen sich entsetzt an. Der einzig Normale in der Runde blieb J.R., der auch langsam die Situation erfasste. „Es wird uns nichts übrig bleiben, als auf Manfred zu hoffen“, überlegte er. „Möchte jemand etwas essen?“ Die Frage löste etwas die Schreckstarre und verblüfft sah er zu, wie sich Thore und Norbert auf die vorher verschmähten Reste des Abendessens stürzten.

Norbert rülpste lautstark. „Ist noch Bier da?“ Die Frage hatte niemand von ihm erwartet. J.R stellte ihm ein Bier hin und Norbert trank gierig. „Vater“, sagte Thore entsetzt „wir können ja froh sein, dass keine Damen, die als dein Nachtisch dienen könnten, hier sind.“ Dann griff auch er zum Bier. Immer wieder stießen sie erneut auf Agnes und die anderen Freunde an und ertränkten das Entsetzen über den Verlust ihrer Fähigkeiten im Alkohol, wie es auch manche Ebenbilder gern taten, wenn sie an ihren Fähigkeiten zweifelten. Die Umwandlung hatte begonnen.

Auch Erika und der ehemalige, oberste Daseinsverwalter fanden sich plötzlich auf der Erde wieder. Allerdings wurden ihnen nicht ihre vertrauten Körper gelassen, sondern sie erwachten in Körpern von Ebenbildern, die kurz vorher verstorben waren und deren Identitäten keinen anderen Menschen mehr interessierte. Nur die Behörden hatten manchmal noch ein gewisses Interesse an ihnen und so hatten sie zumindest gültige Ausweispapiere bei sich.

War es ein Anflug von Mutterwitz, oder war es eiskalte Berechnung? Die „Göttin“ hatte die beiden genau in die Stadt versetzt in der auch die drei „rematerialisierten“ Freunde sich niedergelassen hatten. Sollten sie mit diesen aufeinander treffen? Vorerst hatten die beiden Neuankömmlinge jedoch andere Sorgen. Erika erwachte allein in einer Seitengasse. Ihr war kalt und sie war allein. Selbst Schnulli hätte sie jetzt gern ertragen, aber er war nicht da. Sie verspürte ein ekelhaftes Hungergefühl und sie stank erbärmlich, was ihren Ekel gegen diese Art des Daseins noch unterstützte. Endlich, nach Minuten des Selbstmitleids, raffte sie sich auf und sortierte ihre Körperteile, die sich noch immer wie Tot anfühlten.

Die wenigen Habseligkeiten, die augenscheinlich der Frau gehörten, welche sie „beerbt“ hatte, fand Erika in dem Einkaufswagen, der vor ihr stand. Oh Göttin, dachte sie und stöhnte, bevor sie in ihr neues Leben trat und, den Einkaufswagen vor sich her schiebend, nach etwas Essbarem Ausschau hielt. An einem Auto, wo mitleidige Ebenbilder Suppe den nicht sesshaften Menschen ausschenkten, wurde sie fündig und so begann ihr täglicher Kampf ums Überleben. Aber statt geläutert aus dieser Situation hervor zu gehen, wuchs ihr Hass stetig.

Schnulli wachte in einem Pappkarton unter einer Brücke auf. War dieses merkwürdige Ding, was ihn hatte ohnmächtig werden lassen, eine Göttin? Er hatte niemals an die Existenz eines solchen Wesens geglaubt. Erika war Gott sei Dank nicht da und seine derzeitige Existenz bedurfte eines Brennstoffes, der nicht automatisch zur Verfügung stand. Auch die anderen Vorteile seiner früheren Existenz waren verschwunden. Ekelhaft, aber er musste etwas Essen zu sich nehmen. So begann auch für ihn der Ernst des ständigen Überlebenskampfes und er haderte mit sich, nicht rechtzeitig die Vernichtung all dieses Übels in Angriff genommen zu haben.

Zwischenzeitlich hatte Manfred das Doppelsystem erreicht und realisiert, dass dort weder sein älteres Ich, noch eine Gefangene zu finden waren. Äußerst beunruhigt machte er sich auf den Rückweg.


Die Katalysatorin

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