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Aufbruchstimmung

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Ein weiteres Mal plante Bernhard Gross eine Reise nach Ägypten, um seine Studien im Vergleich der Sozialstrukturen der alten und des derzeitigen Staatswesen zu vervollständigen. Er hatte seinen Master im Bereich Sozialwesen erfolgreich hinter sich gebracht und bastelte nun an einer Doktorarbeit, die jedoch nicht so recht voran kam. Gern hätte Bernhard es gesehen, wenn sein alter Freund Rigo, ein Weltkriegsveteran mit reichlich weltmännischer Lebenserfahrung, ihn auch dieses Mal begleitet hätte. Rigo Walder jedoch hatte lächelnd abgelehnt und seine Ablehnung damit begründet, dass er bereits mehrmals diesen Teil der Welt bereist hatte. Außerdem schmerze ihn seine alte Kriegsverletzung, meinte er noch zu seiner Verteidigung. Es handelte sich dabei um eine Kopfschusswunde, die mit einer implantierten Stahlplatte bedeckt worden war.

Die Abfuhr ärgerte Bernhard und er klopfte sich an die Stelle seines Kopfes an der bei Rigo die Stahlplatte verankert war. „Dahinter steckt sicher eine gehörige Portion Altersfaulheit oder hast du alter Einsiedler im Sommer zu viel Körperlichkeit mit den Urlauberinnen gepflegt?“ Rigo lächelte wissend. Nach den Eskapaden im Vorjahr, als sie beide in die „holde“ Agnes verknallt waren, es jedoch keiner von ihnen geschafft hatte diese nachhaltig zu begeistern, hatte der alte Rigo es wirklich mit dem Ausgleichssport übertrieben.

Seine Sommer verbrachte der berentete U-Boot Kapitän immer noch in seinem Domizil, einem alten Schafstall an der Nordsee, wo er wie ein Clochard lebte. Ab und zu verfeinerte er seine recht hohe Rente dann noch mit dem Verkauf von selbstfabrizierten Andenken oder verdingte sich als Wattwanderführer, was ihm nicht nur Klimpergeld, sondern auch die Zuneigung einsamer Damen einbrachte. Im Winter pflegte Rigo dann sein Geld zu verreisen. Da er jedoch im Sommer sehr spartanisch lebte, wurde dieses eher mehr als weniger. Als Sprungbrett in die Welt hatte Rigo gemeinsam mit der Stewardess Agnes Blaulicht und dem homosexuell veranlagten Steward Paul Hinterseher eine Stadtwohnung in Hamburg gemietet. Nachdem, wohl aus einer gewissen Torschlusspanik heraus und den körperlich und seelischen Eskapaden mit den beiden Freunden, Agnes überstürzt einen alternden Flugkapitän geheiratet hatte und mit diesem nach Australien verschwunden war, war Bernhard mit eingezogen.

Rigo war begeistert, nun in einer „halbwegs“ Männer WG den Winter zu verbringen. Diesen Winter über wollte er nur hier sitzen, die Glotze heiß laufen lassen und, sofern dieser nicht in der Luft arbeitete, sich von Paul kulinarisch verwöhnen lassen. Er dachte gar nicht daran, seinen Freund auf dieser anstrengenden Tour zu begleiten. So packte Bernhard murrend und vor sich hin brummelnd seine Sachen. Wüstenfestes Zeug, luftiges für den Tag und wärmendes für die kalten Wüstennächte. Auch Kartenmaterial und das GPS-Gerät wurden neben weiteren Utensilien im großen Rucksack verstaut. Er würde nicht vom Wege abkommen und immer wissen, wo er und seine zu dokumentierenden Studienobjekte sich befanden. Als Rigo die Vorbereitungen mit ansah, war er froh, solche geplanten, vorhersehbaren Strapazen für sich verhindert zu haben. Obwohl er im Sommer den Naturburschen gab, war er auf seinen Reisen doch lieber der verwöhnte Pauschaltourist.

„Na dann gute Reise und viel Erfolg. Und lass dich nicht auf Glaubensdiskussionen ein. Und auch keine einheimischen Damen anbaggern“, meinte Rigo noch, als Bernhard mit Rucksack, Pass und Flugkarten sowie einer umfangreichen Fotoausrüstung bewaffnet die Wohnung verließ. Bernhard lächelte Rigo zu. Er wusste, worauf dieser hinauswollte. Hatte er doch auf seiner letzten Reise einen ersten und ungeplanten, sexuellen Kontakt zur einheimischen Bevölkerung aufgenommen. So unbedarft würde er nicht wieder in eine solche Situation geraten. Auch wollte er keinesfalls Bekanntschaft mit den dortigen Gefängnissen machen. Selbst eine Ausweisung hätte seine Vorhaben arg behindert und um Jahre zurückgeworfen.

Im Konsulat hatte sich Bernhard lange vor Reiseantritt die Genehmigung geholt, mit einem Führer in die lybische Wüste hinein reiten zu dürfen, um nach alten Siedlungsspuren und Spuren des frühen Zusammenlebens der Menschen zu suchen. Es waren einige Orte bekannt, in denen vor der pharaonischen Herrschaft Menschen gesiedelt hatten und wo sogar Höhlenzeichnungen vorhanden sein sollten, die über das damalige Zusammenleben der Menschen Auskunft geben konnten. So flog Bernhard von Hamburg aus mit einem Ferienflieger, in dem glücklicher Weise noch ein Plätzchen frei war, kostengünstig nach Luxor. Dort bestieg er jedoch nicht ein Nilschiff, sondern den Zug nach Assuan, der ihn in wenigen Stunden an sein Ziel schaukelte. Dort angelangt stieg er in einem Hotel ab, in dem vor vielen Jahren eine bekannte Autorin einen nun ebenso bekannten Kriminalroman verfasst hatte. Nachdem er sich zwei Tage an die klimatischen Verhältnisse gewöhnt hatte und seine Reiseplanung noch einmal durchgegangen war, begab sich Bernhard auf die örtliche Kommandantur.

Ein zackiger, sogar deutsch sprechender Oberist begrüßte ihn zuvorkommend und Bernhard musste unwillkürlich an seine letzte Reise hierher denken, als ein popliger Bankmensch ihn nicht gerade zuvorkommend behandelt und den „Ungläubigen“ mit seinem Anliegen abgewiesen hatte. Kein Vergleich mit dieser Situation, zumal Bernhard auch noch eine Genehmigung des Konsulats vorweisen konnte. Bernhard wurde zugesagt, ihn nach Kräften zu unterstützen und Kamele und einen vertrauenswürdigen Führer zu besorgen. Eine Tour in die Wüste sei aber wegen marodierender Banden, die seit einiger Zeit ihr Unwesen treiben würden, nicht ganz ungefährlich. Bernhard blieb jedoch nichts weiter übrig als das Risiko einzugehen, da er sein Doktorandenprojekt nicht gefährden wollte.

Die Uhren gingen in diesem Land ein wenig anders und so dauerte es noch weitere drei Tage bis Bernhard Bescheid bekam, dass er aufbrechen konnte. Mit dem Führer, der sich mit dem schönen Namen Ali vorstellte und der auch gebrochen Deutsch sprach, vereinbarte Bernhard, dass sie am Folgetag, nachts, noch vor Sonnenaufgang aufbrechen wollten. In der Kühle der Nacht war das Reiten erträglich, wenn das Reiten auf einem Wüstenschiff überhaupt als erträglich zu bezeichnen war. Der Passgang des Kamels reizte bereits kurze Zeit nach dem nächtlichen Aufbruch den Magen des Forschungstouristen. Bernhard musste Halt machen und ein Medikament gegen Seekrankheit, das er vorsorglich eingepackt hatte, einwerfen.

Während der „Einwirkzeit“ und der damit verbundenen Zwangspause erzählte Ali begeistert von seiner Herkunft und von seiner Familie. Er sei Nubier und würde nun mit seiner Frau und vier Kindern am Rand von Assuan leben. Der Rest seiner großen Sippe würde in dem neugebauten Ort, bei dem Tempel Abu Simbel leben und sich dort mit allerlei Arbeiten durchschlagen. Früher hätten seine Vorfahren dort am Nil vom Fischfang gelebt. Aber ganz Nubien sei ja leider im Stausee versunken.

Durch Alis Erzählungen war Bernhards Brechreiz soweit in den Hintergrund getreten, dass einem erneuten Aufbruch nichts mehr im Wege stand. An das Schaukeln gewöhnte Bernhard sich nur langsam, aber stetig ging es ihm besser. Vor der Zwangspause waren sie bereits über die Nilbrücke und an die neugebaute Autobahn, die in Richtung Abu Simbel führte, gekommen. Einige Kilometer trotteten sie an der Autobahn entlang, jedoch im Sand und nicht auf der neuen Asphaltdecke, um die Sohlen der Reittiere zu schonen. Militärfahrzeuge und Reisebusse mit tempelhungrigen Touristen flogen an ihnen vorbei und in den sich ankündigenden Sonnenaufgang.

Ali winkte Bernhard heran und bedeutete ihm, dass sie nun auf die alte Straße abbiegen wollten. Es war der Restteil des Weges, den Bernhard von der früheren Reise und der Tour nach Abu Simbel kannte. Die pyramidenartige Landschaft, die in Jahrtausenden durch ständig erneut auftretende Sandstürme geformt wurde, zog an ihnen vorbei und trotz der Eintönigkeit der immer wiederkehrenden Bilder, konnte der erwartungsfrohe Bernhard sich nicht daran sattsehen. Dann ließen sie den Rest der Straße und der Zivilisation hinter sich und bogen ab, hinein in die Wüste.

Der Seelenspiegler

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