Читать книгу Der Seelenspiegler - Liesbeth Listig - Страница 7

Die Lebensgeister sind geweckt

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Das erste, was Bernhard mit seinem lädierten und sedierten Schädel wahrnahm, waren der Duft eines scharfen Reinigungsmittels und Geräusche des Auswringens eines Feudels über einem Wassereimer. Als er vorsichtig die Augen öffnete, sah er auf eine Automatik- Spritzenvorrichtung, die kontinuierlich ein Sedierungsmittel in seinen malträtierten Körper abgab und die er sogar bis zu einem bestimmten Punkt selbst auslösen könnte, wenn die Schmerzen zu heftig würden. Er war an einem sicheren Ort, augenscheinlich in einem Krankenhaus gelandet. Bernhard schloss die Augen und versank wieder in Morpheus Armen.

Von wilden Träumen geplagt, in denen ein Manfred, wie auch seine erste Liebschaft aus dem früheren Urlaub sowie seine große Liebe Agnes vorkamen, schreckte Bernhard auf, als ein Schrubber arbeitsam an sein Bett stieß. Schemenhaft, aufgrund einer erneuten Dosis Glück aus der Spritze, sah er eine Gestalt, die er zu kennen glaubte. Nachdem sein Blick sich ein wenig geklärt hatte, erkannte er tatsächlich das Mädchen wieder, welches auf seiner letzten Reise auf dem Nilschiff gearbeitet hatte und durch welches er, ein wenig schmerzhaft, seine Unschuld verloren hatte. Sie hatte ihm, um nicht lauthals über seine hilflose Gestalt loszulachen, in die Schulter gebissen. Dieses hatte zwar verhindert, dass sie fast kompromittiert worden wäre, aber auch weiterer Genuss musste erst einmal wieder aufgebaut werden.

Dieses Mädchen stand nun vor ihm. Sie hatte also ihren Arbeitsbereich gewechselt. Lächelnd wandte sie sich von ihren Arbeitsutensilien ab und Bernhard zu. Auch sie hatte ihn nicht vergessen und war nur allzu gern bereit ihre Bekanntschaft wieder aufzufrischen und ihre triste Arbeit zu unterbrechen. Rasch, erst noch einen Blick aus der Tür werfend, wendete sie sich Bernhard zu, dessen Kopfwunde verdächtig zu pochen begann. Er erinnerte sich daran, dass sein Freund Rigo viele Jahre auf sexuelle Aktivitäten verzichtet hatte, um nicht die Kopfverletzung, durch den unweigerlich steigenden Blutdruck, wieder zu aktivieren und in Mitleidenschaft zu ziehen. Bernhards Gedanken waren dem Vorhaben seiner Gespielin nicht zuträglich und sie mühte sich redlich seine negativen Gedanken auszugleichen. Was sie in Anwendung brachte, hatte Hand und Fuß und auch Mund, sodass beide letztendlich das Ziel erreichten. Bernhard schlief mit einem seligen Lächeln ein und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Erneut wurde er vom Schrubber, der an seinem Bett ruckelte, geweckt. Bernhard erschrak zutiefst, als er in das feiste, grinsende Gesicht der Raumpflegerin blickte. „Na“, tönte eine bekannte Stimme von der anderen Seite des Bettes, „bist du endlich anwesend oder etwa immer noch im Wunschbereich“? Sein alter Freund Rigo war tatsächlich zu ihm gekommen. „Die Fußbodenkosmetikerin wollte schon die Ärzteschaft rufen, so hast du deinen feuchten Traum bearbeitet.“ Bernhard wurde knallrot unterhalb seines Kopfverbandes. Die Krankenschwester kam ins Zimmer, machte lächelnd waschi-waschi, wechselte das Laken und verschwand diskret wieder, um weiteren Patienten hilfreich zur Seite zu stehen.

Die Wiedersehensfreude war groß. „Du wolltest doch den Winter vor der Glotze verbringen. Was treibt dich denn an mein Krankenbett, fragte Bernhard“? „Hab in den Nachrichten gesehen, dass ein Tourist und Forscher in der Wüste überfallen und schwer verletzt wurde. Hab sofort gedacht, dass du Glückspilz es warst und weiter nachgefragt. Dann wurde der nächste Flug nach Kairo gebucht und ein weiterer nach Assuan und dann habe ich wochenlang diese komatöse Leiche angestarrt. Endlich gibst du wieder Antwort. Obwohl, seit einer Woche redest du auch wieder im Schlaf mit dir. Und wer ist eigentlich Manfred“?

Bernhard horchte auf. „Och, das ist bloß ein Hirngespinst, mit dem ich wohl das ein oder andere besprochen habe, lachte Bernhard“. Erzähl mir lieber, wie ich hierher gekommen bin und was eigentlich passiert ist. Rigo begann zu erzählen, dass Bernhard in der Wüste angegriffen worden sei und sein Führer Ali habe die Armee zur Hilfe geholt. Mit Hilfe des GPS-Senders habe man ihn noch schnell genug gefunden und nach Assuan ins Krankenhaus per Hubschrauber geflogen. Hier habe man ihn dann sofort am Gehirn operiert und den offenen Schädelbruch mit einer Stahlplatte verschlossen. Dann habe man ihn erst einmal ins künstliche Koma versetzt und alle hofften nun, dass er keinen bleibenden Dachschaden davongetragen hätte.

„Nun haben wir beide einen eingebauten Stahlhelm, frotzelte Rigo. Wir werden uns immer ähnlicher. Wenn du nun auch noch deine Sommer an der See in aller Abgeschiedenheit verbringen möchtest, werde ich dir irgendwann meinen Schafstall vermachen“. Der Chefarzt kam in Begleitung seines Gefolges zur Tür herein und das Gespräch wurde auf später verschoben. Der dunkelhäutige, hochgewachsene Asket sprach Bernhard in perfektem Bayerisch an. Er hatte in München viele Jahre gelebt und auch dort studiert. So war die Sprachübersetzung nicht all zu schwer. Das: „Folgen Sie mit den Augen meinem Finger“, war verständlich und auch der dezente Hinweis auf den feuchten Traum klang auf Bayerisch irgendwie nicht so kompromittierend, sondern rustikal normal. Trotzdem, Bernhard wurde wieder knallrot im Gesicht, da er nun erkannte, dass das gesamte Krankenhauspersonal Bescheid wusste. Der Chefarzt sagte zu seinem Anhang etwas auf Arabisch und alle lachten pflichtbewusst. Dann waren Bernhard und Rigo wieder allein.

Die Plauderei ging weiter. „Glücklicherweise hast du es noch bis in den Schatten des Hügels geschafft, sonst wärst du im Sand mumifiziert worden. Ist bestimmt den Leuten, die du erforschen willst, auch häufig so ergangen. Übrigens, hatten die schon Gummisohlen am Schuhwerk? Man hat in deiner Nähe drei Paar mit Sand überzogene…“. Bernhard hörte nicht weiter zu. Ihm wurde schlecht, dass er fast erbrochen hätte. War der Seelenspiegler, an den er sich jetzt genau erinnern konnte, nun einem Albtraum entsprungen oder doch Realität? Nein, das war sicher ein Hirngespinst. Bei einer solchen Kopfverletzung wäre das auch kein Wunder. Damit tat Bernhard die Sache ab und wendete sich wieder den Erzählungen Rigos zu.

„Hast du mir eigentlich zugehört, oder soll ich dich erst mal eine Runde ausruhen und schlafen lassen“? Bernhard schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin noch aufnahmebereit. Was hast du gerade gesagt?“ „Ich sagte, bei deinen Sachen hat man auch so einen Ring gefunden. Weißt du, so einen, den es in Kaugummiautomaten gibt, der schillert und je nach Hautspannung die Farbe wechselt. Hattest du den von Agnes bekommen? Hallo, Bernhard. Hallo!“ Aber Bernhard war ohnmächtig geworden und Rigo verließ den vermeintlich eingeschlafenen Freund, um seinen knurrenden Magen zufrieden zu stellen und endlich etwas zu essen.

Was für ein Albtraum, stöhnte Bernhard auf, als er endlich wieder zu sich kam und sich allein und mit knurrendem Magen vorfand. Es dauerte nicht lange und die Schwester kam mit einem Tablett lächelnd zur Tür herein. Zum Anbeißen, dachte Bernhard, dessen körperliche Genesung in den letzten komatösen Wochen augenscheinlich gut vorangekommen war. Das Essen war nicht das Einzige, was Bernhard innerlich so tituliert hatte. Ein tiefschwarzer, langer Zopf, ein ebenmäßiges, freundliches Gesicht und vor allen Dingen die vielversprechenden Rundungen, ließen Bernhard dahin schmelzen. Jetzt nur nichts Blödes veranstalten, dachte Bernhard und befolgte Rigos Anweisung bezüglich einheimischer Damen. Er bedankte sich höflich für das Essen und verspeiste das köstlich Dargebrachte.

Vor dem Mittagsschlaf ließ das von Rigo Erzählte Bernhard keine Ruhe. Natürlich konnten die panierten Gummisohlen rein zufällig dort gelegen haben. Und der Ring? Bernhard konnte sich nicht entsinnen, so etwas in seinem Besitz gehabt zu haben, bevor er die Untat über sich ergehen lassen musste. Er kramte in seiner metallenen Nachtschrankschublade. GPS, Kompass, Geldbörse und ein schillerndes Etwas. Er nahm den Ring ohne weiter zu überlegen und streifte ihn auf. Nichts geschah und Bernhard legte sich zufrieden zurück in die Kissen.

Wenn ich beleidigt sein könnte, wäre ich es jetzt, dachte Manfred. Hirngespinst. Ich sei ein Hirngespinst. Bernhard saß aufrecht im Bett. Seine Kopfwunde pochte wie beim imaginären Liebesspiel. Da war es wieder. Ich hab eindeutig einen Sprung in der Schüssel, dachte Bernhard aufgeregt. Ja, das hast du zweifellos, feixte Manfred, und wenn es dir leichter fällt, das alles zu akzeptieren, dann halte mich ruhig für ein Hirngespinst und eine Folge des Hirnschadens. Mir ist es egal und wenn es dir hilft, nicht verrückt zu werden, bitteschön, dann machen wir das so. Der Ring ist nur Beiwerk für Leute, denen die Akzeptanz der Realität leichter fällt. Den kann ich verschwinden lassen.

Bernhard starrte auf seine Hand und der schillernde Ring verblasste und verschwand schmerzfrei unter der Haut, bis er auch nicht mehr zu fühlen war. So, dacht Manfred, fertig. Und fortan lebte Bernhard mit seinem Dachschaden, von dem er niemandem erzählen konnte, ohne Gefahr zu laufen, dauerhaft weggesperrt zu werden. Übrigens, wenn du es mal Leid bist, mein Wirt zu sein, brauchst du nur mit Hammer und Meißel in meine Höhle kommen und mich zu befreien. Schon bin ich weg, meinte Manfred noch. Leck mich…, dachte Bernhard unfein. Ich bin doch nicht bekloppt und versuche etwas zu befreien, was es nicht gibt, meinte Bernhard weiter und tippte sich vorsichtig an die verbundene Stirn. Na, dann warte ich eben, bis die Verhältnisse sich ändern. Kann ein paar tausend Jahre dauern. Aber die Welt ist im Wandel. Aus welchem Buch hast du den Spruch kopiert? Bernhard schlief endlich ein, oder schlief er bereits?


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