Читать книгу Lebensfreude - Lili Barnett - Страница 8

Kapitel 1

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Obwohl es fast Mitternacht war, machte sich Sara am selben Abend in der kleinen Küche ihres Bungalows einen Kaffee, als er sie an der linken Schulter berührte.

„Fuck violence“, rief ein Betrunkener mit spanischem Akzent von der Straße. „Viva México!“, jaulte ein weiterer Trinker zurück, obwohl es noch zu früh für den Unabhängigkeitstag war.

„Haltet den Mund“, brüllte Petra von unten am Pool. Alle hatten sich wieder von der Vergiftung erholt. Sara hörte ihre eigenen beiden Jungen fröhlich aufkreischen. Das Babyfon, mit dem sie Petras und Lucas’ Zwillinge überwachte, rauschte im Hintergrund.

Er malte mit seinem Finger einen Kreis auf ihre nackte Haut, ein O, das in ihr nachpulsierte. Sara fuhr unmerklich zusammen. Plötzlich hautumspanntes Licht. Vielleicht war es nur Max. Aber er lachte gerade unten am Pool – mit leicht betrunkener Fröhlichkeit – über Petras Reaktion.

Lucas zog seinen Finger zurück, und Sara wandte ihren Kopf nach ihm um. Seine Hand, sein Arm, sank langsam zu ihrer Hüfte herab. Sara spürte einen Windstoß auf dem Gesicht. Eine aufgeregte Schläfrigkeit.

Es war nur ein Zusammentreffen von zwei Zentimetern hellerer und dunklerer Haut.

Sie hätte jetzt eine freundliche, belanglose Bemerkung machen können. Eine der einfältigen Fragen, die jeden Zauber zerstörten. Sie hätte lächeln und ihn fragen sollen: „Willst du auch einen Kaffee?“ „Habt ihr unten Spaß?“ Aber sie tat es nicht. Sie schwieg und schaute ihn an.

„Warum kommst du nicht zu uns?“, brach er schließlich das Schweigen. Die Stimme rau und voller Atem. „Das Meer ist wild heute und sieht in der Dunkelheit wunderschön aus.“

Der Kaffee zischte im Hintergrund, lief rasend aus dem Espressokocher in die kleine weiße Tasse hinein.

Erleichtert griff sie danach. Sie deutete auf das Babyfon in der Ecke. „Ich habe Petra versprochen, auf die Zwillinge aufzupassen“, erklärte sie, ihre Stimme beinahe ruhig. Sie war stolz darauf.

Lucas atmete ein und wollte vermutlich sagen, dass sie das Babyfon einfach mit nach unten nehmen konnten. Womöglich wusste er, dass Petra sie ohnehin nur darum gebeten hatte, weil Sara ihr nach ihrer Ankunft erzählt hatte, dass sie müde war und am Abend lieber in ihrem Bungalow bleiben wollte.

Aber er hielt inne. „Danke“, sagte er nur.

„Gerne.“

Lucas trat auf den Kühlschrank zu. Er wankte und schien leicht zu zittern. „Ich nehme mir noch ein Bier.“ Als er schon an der Tür stand, fragte er: „Werden wir morgen gemeinsam frühstücken?“

Mit „gemeinsam“ hatte er alle gemeint. Sein Leben – Petra und die Zwillinge ‒ und ihres mit Max und den beiden Söhnen waren intakt und fast nicht ins Wanken gebracht worden.

Etwas später lag Sara in ihrem Zimmer und konnte nicht schlafen. Es waren noch die Gedanken an Lucas und zu viel Koffein in ihr. Durch das geöffnete Fenster fielen das Mondlicht und kühle Luft, untermalt vom gleichmäßigen Rauschen des Meeres. Max lag neben ihr und schlief. Sara strich über sein dunkles, gewelltes Haar. Sie fuhr mit dem Zeigefinger seinen Arm entlang, starrte auf die Konstellationen der Muttermale auf seiner Haut. Max’ Lider zitterten in einem Traum. Aus dem Nebenzimmer hörte sie, wie ihre Söhne im Schlaf atmeten.

Sara sah an ihrem Körper herab, der ausgestreckt auf dem Bett lag, braun gebrannt, schlank, in dem dünnen Stoff ihres Seidennachthemds. Sie setzte sich auf und betrachtete ihre langen, dunklen Haare im Wandspiegel, die in der nur vom Mond erleuchteten Nacht noch dunkler erschienen. Ihre Augen waren blau-grün wie die von Lucas.

Aber sie leuchteten nicht wie seine. Sie strahlten nicht die Kraft aus, die er in seinem Leben gefunden hatte. Sara zog vorm Spiegel eine traurige Grimasse. Lucas hatte auf dem Boot gesagt, er sehe in ihr ein Licht. Sie hatte den Gedanken seitdem nicht abschütteln können, obwohl sie ihn nicht verstand.

Ihr Körper müsste dafür eine Kerze, eine Fackel sein.

Sara legte sich leise wieder ins Bett, um Max nicht zu wecken.

Jetzt hatte Lucas sie berührt. War das ein Betrug? Der erste Schritt auf einem Weg, auf dem auch sie – wie so viele vor ihr – einem anderen Menschen Leid zufügen würde?

Max seufzte im Schlaf, als würde er ihre Gedanken hören. Sara wurde kalt. Hastig stand sie auf und schloss das Fenster. Dann kroch sie zurück ins Bett. Sie schmiegte sich an Max und saugte seine Wärme wie eine tröstende Warnung ein.

Als Sara am nächsten Morgen mit ihren Söhnen Esteban und Fabián an der Hand aus der Tortillería zurückkam, saßen die anderen bereits auf dem Balkon vor einem Frühstück, das aus Spiegeleiern mit scharfer Tomatensauce, Bohnen und Kaktusgemüse bestand.

Der Balkon war blau gestrichen und bot einen Panoramablick auf die Boote, den Strand und das Meer. Max und Lucas hatten mit dem Essen noch nicht begonnen. Vielleicht wollten sie auf sie warten, bis sie zurückgekommen waren. Petra und die Zwillinge Andromache und Lucio sahen sie an, alle drei mit dem gleichen eindringlichen Blick.

Die Jungen rasten los, umarmten die Zwillinge, streichelten sie, zogen fröhliche Grimassen, in ihrer Begeisterung für die „Babys“. Sara nahm verkrampft die Reaktion der Zwillinge wahr, Lucios Schritte zurück, Andromaches schmollenden Mund. Wie sehr sie dieser Trotz, diese Distanz an Petra erinnerte!

Sie legte die frischen Tortillas auf den Tisch.

Sara brauchte ein paar Sekunden, bis ihr Körper die Erinnerung an Lucas’ Berührung zurückgedrängt hatte und sie endlich, wenn auch noch mit angespannten Schultern, „buenos días“ murmeln und Max auf beide Wangen küssen konnte.

„Sarita“, rief Max und schob seine Brille zurecht.

Max. Sara studierte seine herrlich dunkle Gesichtsfarbe, die haselnussförmigen Augen, die absichtlich nachlässig rasierte Kinnpartie und empfand, zu ihrer Erleichterung, Wärme. „Entschuldige, dass die anderen schon angefangen haben. Wir haben es heute eilig, ich sag dir gleich, warum.“ Er legte seinen Zeigefinger kurz auf ihr rechtes Augenlid, dann beugte er seinen Kopf in Richtung der Gäste, als wolle er sie daran erinnern, dass Sara sie noch nicht richtig begrüßt hatte.

Sara trat auf Petra zu, die sie von ihrem breiten Stuhl aus mit zusammengekniffenen Lippen und hochgezogenen Augenbrauen beobachtet hatte.

Sara küsste sie auf die rechte Wange. „Hallo.“

Petra nickte Sara wohlwollend zu. „Hallo, hallo! Na, wie geht es dir denn heute, Sara?“, fragte sie besorgt, als sei sie eine ihrer Patientinnen. „Bist du immer noch so müde?“

„Es geht mir gut. Und heute fühle ich mich ausgeschlafen“, log Sara, wobei sie sich ein Lächeln abrang. „Und wie geht es dir?“

„Bestens. Ich liebe Manzanillo. Und wir hatten es so lustig gestern! Schade, dass du nicht zu uns gekommen bist!“

„Es tut mir leid.“ Saras Blick wanderte zum Boden, blieb an den braunen, leicht angeschlagenen Fliesen hängen. „Aber bestimmt haben wir heute einen schönen gemeinsamen Tag.“

„Das hoffe ich. Darf ich mir schon eine von den frischen Tortillas nehmen?“, hörte Sara Petra fragen, als sie auf Lucas zuschritt, der sich erhob und plötzlich in seiner vollen Größe vor ihr stand.

Auch sie küssten sich kurz auf die Wange, aber seine Lippen berührten kaum ihre Haut. Statt einander fest zu umarmen, wie es unter Freunden üblich gewesen wäre, näherten sie sich einander nur kurz, fahrig, drückten sich nicht, ließen sich viel zu schnell wieder los.

„Hallo“, sagte sie.

„Hallo“, antwortete er.

Saras Stirn fühlte sich enger an; ihre Brust weit. Lucas sah müde aus. Bestimmt hatte er gestern zu viel getrunken.

Sara setzte sich und schloss eine Sekunde lang die Augen. Dann stellte Max, der inzwischen aufgestanden war, einen Teller vor sie und brachte zwei Plastikteller mit Eiern und Bohnen für die Jungen, die immer noch mit den Zwillingen Baby zu spielen versuchten.

Petra trat auf die vier Kinder zu und zog die Zwillinge, die langsam Vertrauen zu fassen schienen, von Esteban und Fabián fort, um sie zu füttern.

„Esteban! Fabián! Setzt euch jetzt bitte und esst euer Frühstück”, rief auch Sara.

Die Jungen sahen auf, kamen ohne Protest zum Tisch, griffen nach den warmen Maisfladen, die ihnen Sara reichte, und bissen hinein.

Sara zerteilte ihr Ei. Sie tauchte eine Tortilla in den warmen, orangefarbenen Dotter. Auch Lucas begann nun endlich zu essen. Sara biss in ihre Tortilla. Sie liebte den Geschmack von Mais, herb und trocken, mit einem Versprechen nach Süße, das sich nie wirklich erfüllte und dadurch immer erhalten blieb.

Die anderen sprachen über die Feier am nächsten Tag, den Grito de la Independencia, den berühmten „Schrei der mexikanischen Unabhängigkeit“, am 15. September. Es war ein großes Fest, bei dem mit „Viva“-Rufen der Nationalhelden, die an den Freiheitskämpfen beteiligt gewesen waren und ursprünglich auch der Vírgen de Guadalupe, gedacht wurde.

„Ich kann mich noch erinnern, als Mexico City am gefährlichsten war, und die Provinz ein Paradies. Ha!“ Petra lachte theatralisch auf. „Und jetzt? Jetzt sind wir nicht einmal in unserem heiligen Colima mehr sicher. Gegen all diese merde – entschuldigt mich bitte – brauchen wir wenigstens ein Unabhängigkeitsfest. Als Erinnerung daran, dass auch die tragischsten Phasen unseres Landes wieder vorbeigegangen sind!“

Saras Nacken versteifte sich, und sie verspürte eine leichte Übelkeit. Besorgt sah sie Esteban an. In letzter Zeit hatte er oft über Albträume geklagt. Aber er aß konzentriert sein Frühstück und schien gar nicht zuzuhören. Dann wanderte ihr Blick zu Petra, ihren dunklen Brauen, den hellbraunen Augen mit dem eindringlichen Blick, dem ebenmäßigen Gesicht. Geheimnislos, aber kräftig. Sie war groß, ein bisschen rundlich und hatte etwas von einer profanen Göttin der Weiblichkeit, der Fruchtbarkeit, des Wissens. Vielleicht nicht Weisheit, aber Wissen.

„Franco findet unser freudiges Rufen zu Ehren der sogenannten Unabhängigkeit lächerlich. Wir sind in einem unmenschlichen System gefangen“, erklärte Max.

„Typisch Herr Zeitungsmagnat“, erwiderte Petra. Und obwohl sie selbst am meisten von der merde des Landes gesprochen hatte, fügte sie hinzu: „Ich kann dieses negative Blabla nicht mehr ertragen. Francos Vision von Mexiko ist nicht anders als die, die sie uns immer in Paris präsentiert haben, alles Gewalt, alles schlecht. Und natürlich so, als hätten unsere mexikanischen Probleme nichts mit ihnen zu tun. Als sei Europa kein Teil dieser Welt, sondern ein eigener Planet, der nicht zufällig, gemeinsam mit den USA, auch noch Komplize vieler unserer Tragödien war und noch heute ist. Wie siehst du das, Madame aus dem deutschsprachigen Raum?“

Sara war zu müde, um auf Petras Argumente einzugehen. Hinrichtungen, Geköpfte, zahllose Tote, vor allem – aber nicht nur – unter denen, die in die Drogenkartelle verstrickt waren. Die Nachrichten berichteten von unvorstellbaren Grausamkeiten. Wie die Geschichten aus dem Weltkrieg, die ihr ihre Großmutter erzählt hatte; selbst noch aus der Zeit danach.

„Ich bin doch die Erste, die Mexiko liebt und verteidigt.“ Saras Stimme klang lauter als beabsichtigt.

Esteban wurde die Diskussion der Erwachsenen zu viel. Er warf lachend eine warme Tortilla in Fabiáns Gesicht.

Saras kleines Ebenbild kreischte auf, halb fröhlich, halb erschrocken, riss sich die Tortilla vom Gesicht und feuerte sie, seinen Bruder verfehlend, auf eine ausgetrocknete Bougainvillea, die in der Ecke stand.

Sofort warf Petra Sara einen vorwurfsvollen Blick zu. „Brave Kinder werfen nicht mit Essen“, ermahnte sie die Jungen, die jetzt beide lachten und gierig auf den Rest ihrer Spiegeleier starrten, um sie mental auf ihr Wurfpotenzial zu testen.

Petra schüttelte den Kopf. Ihr Blick streifte selbstgefällig die Zwillinge, die brav in ihren Kinderstühlen saßen und kauten.

Max blickte von seinen Kindern zu Petra, zurück zu seinen Kindern und lachte. Seine Augen zeigten dasselbe verschmitzte Funkeln, in das sich Sara damals verliebt hatte. Petras Kommentare hatten ihn noch nie aus der Ruhe gebracht. Er legte eine Sekunde lang seine Hand auf Saras Oberschenkel und küsste sie auf die Wange.

„Und du sagst dazu gar nichts?“, fragte Petra Sara nun mit unterdrückter Wut in der Stimme.

Ihre Jungen wandten sich erwartungsvoll zu ihr.

Sara sah Petra mit einer Mischung aus Verwunderung und Befremden an.

„Du hast ja schon für sie gesprochen“, warf Lucas ein und starrte Petra, zu Saras großer Erleichterung, herausfordernd an. „Was soll sie denn noch sagen?“

Petra schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen spielerisch gen Himmel.

„Ich liebe es, wenn Monsieur Schriftsteller mich in der Öffentlichkeit kritisiert“, flötete sie.

„Genug jetzt“, bat Max.

Aus einer stillen Solidarität ihrer Mutter gegenüber, gaben Esteban und Fabián den Wunsch auf, noch weiter zu werfen, und begannen nun eifrig damit, ihr Frühstück aufzuessen.

„Andere Länder“, begann Petra und lächelte nun demonstrativ freundlich, „andere Sitten.“

„Franco kommt heute“, wechselte Max das Thema. Lucas blickte eine Sekunde lang zu Sara, bevor er wieder wegsah. Er griff nach einer Zeitung, die vor ihm auf dem Tisch lag.

Saras Augen blieben an Lucas hängen. Er hatte ihr Schulterblatt nur kurz berührt. Das war alles gewesen. Sie wandte sich wieder von ihm ab. Die Welt war auch ohne ihn interessant.

„Franco?“, fragte sie. „Kommt er extra aus Mexico City? Oder war er gerade in der Gegend?“

„Aus Mexico City“, erwiderte Max. „Aber er kommt nur kurz, er möchte Lucas und mich allein sehen. Er hat ein Buchprojekt, über das er mit uns sprechen will.“

Eine Stunde später war Franco bereits da. Er war der dritte im Freundestrio: Franco, Lucas, Max. Er trat auf den Balkon, klein, blass, mit wilden Stoppeln auf geröteter Haut. Er war dünn geworden. Dennoch hielt er sich wie immer aufrecht, mit seinem perfekt gebügelten, hellblauen Hemd und seinen eleganten beigen Shorts.

Alle außer Esteban und Fabián, die nun in einer Ecke mit Autos und Puppen spielten, denen Arme, Beine und sogar Köpfe fehlten, traten auf ihn zu. Petra und Lucas mit jeweils einem Zwilling auf dem Arm.

Franco blinzelte Sara mit seinem sarkastischen Blick an. Er wirkte müder als sonst.

„Sara, poetische Schönheit“, rief er aus, als er sie auf die Wange küsste und an sich drückte. „Wenn ich daran denke, dass ich einmal gegen die europäischen Ambitionen dieses malinchistas war.“

Er stieß dabei Max spielerisch in den Bauch. Sara lächelte höflich über diesen schlechten Scherz. Sie mochte das Wort malinchista nicht und weniger noch, wenn es dafür verwendet wurde, um ihren Ehemann zu charakterisieren.

„Was ist denn ein machinchista?“, fragte Esteban aufmerksam, der nun gerade mit seinem Bruder ein Wettrennen mit den amputierten Puppen veranstaltete.

Sara lächelte. So klang es eher nach einer Affenart.

„Ein Mexikaner, der alles Ausländische dem eigenen Land vorzieht“, erklärte Petra. „Ein sexistischer und ausländerfeindlicher Ausdruck, meiner Meinung nach. Er spielt auf die Malinche an, eine indigene Frau, die sich in den Kolonialherren Cortés verlie… “

„Und da ist dann natürlich auch noch Petra, die große Psychologin!“, unterbrach Franco sie und verteilte weitere Küsse auf ihre Wangen. „Sexistisch und ausländerfeindlich bin ich also. Lass mich für die Nachwelt aufschreiben, wie freundlich du einmal wieder zu mir warst. Wie lange bleibt ihr hier?“

„Hallo Franco“, murmelte Petra trocken. „Wir bleiben noch bis nach dem Unabhängigkeitstag.“

Franco nickte und deutete auf die Jungen, die nun zu einem Wettwerfen mit den Puppen übergegangen waren. „Selbst die Kleinen spielen schon Mexiko heute. Gewalt statt Gehalt.“ Dann richtete er sich wieder an Petra: „Wie geht es deinen Therapie-Opfern und meinem Lieblingsopfer Lucas?“

Franco spielte wieder einmal auf die offizielle Liebesgeschichte zwischen Lucas und Petra an. Darauf, dass Lucas einmal kurz in Paris Petras Patient gewesen war, er sich aber angeblich gleich nach der ersten Sitzung und der berühmten „Todesübung“ für eine Karriere als Schriftsteller – und nicht als Anwalt – entschieden hatte.

„Deinem Lieblingspatienten geht es gut“, entgegnete Lucas und strahlte Franco an.

„Und deinem neuen Roman? Deinen schreibenden Migranten?“

„Ebenfalls gut“, sagte Lucas. „Das heißt, den Migranten natürlich nicht wirklich …“

Was für eine Beschönigung, dachte Sara. Vielleicht konnte man das eine Leid nicht gegen ein anderes abwägen, und doch waren die Geschichten dieser getriebenen Menschen, die vor Zerstörung fliehend oft in neuer Zerstörung landeten, wie ein moderner Holocaust. In keinem anderen Sinne vielleicht, als dass Menschen einander blind hassten und sich unbeschreibliche Grausamkeiten antaten.

„Reden wir später darüber!“ Franco zwinkerte den Zwillingen zu und zwickte ihnen in die Wange, worauf Petra – viel heftiger noch als ihre Kinder – das Gesicht verzog. „Gehen wir los!“

Gleich darauf ging Max, mit einem Kuss auf Saras Wange, ging Lucas, mit einem Kuss auf Petras Wange, ging Franco, mit einem letzten, erschöpften Zwinkern. Und die drei Freunde fuhren in Francos weißem Mietauto davon.

Sobald die Männer fort waren, sagte Petra: „Sara, gehen wir schwimmen! Treffpunkt in 15 Minuten am Pool!“, und verschwand, mit einem Zwilling auf jeder Hüfte, in ihrem für ein paar Tage gemieteten Bungalow.

Sara setzte sich auf die Couch im kleinen Wohnzimmer, das zwischen dem Balkon und der Küche lag.

Sie schloss die Augen und ließ sich Sekunden lang nach hinten in die Sofakissen fallen. Sie atmete langsam aus und wieder ein. Sie lächelte über ihre Nacht, in der sie kein Auge zugetan hatte, weil Lucas sie an der Schulter berührt hatte. Wie gut sie darin war, ein Drama aus mehr oder weniger gar nichts zu machen! Hatte sie tatsächlich gedacht, dass ein unsichtbares O, das ein beschwipster Lucas ihr auf die Haut gezeichnet hatte, der Anfang einer Affäre sei?

Zum Glück hatte er es nur aus Versehen gemacht. Vielleicht hatte auch er auf dem Boot eine Verbundenheit gespürt, die er auf diese Art zum Ausdruck bringen wollte.

„Estéban, Fabían, auf mit euch“, rief sie mit einer Fröhlichkeit, die sie nicht empfand. „Es ist Zeit, die Autos und armen Puppen aufzuräumen.“

Die Jungen liefen zu ihr, umarmten sie und taten unerwartet widerstandslos, worum Sara sie gebeten hatte. Sie kicherten über die „armen Puppen“, die sie in einer Schrankecke ihres Schlafzimmers, wohl eine Hinterlassenschaft ihrer Vormieter, gefunden hatten.

Sara stellte die schmutzigen Frühstücksteller in die Spüle und packte Badetücher, Getränke und Äpfel in eine blaue Tasche. In ihrem Schlafzimmer zog sie sich schnell aus und betrachtete ihren nackten Körper im Spiegel. Das Wort „Lucas“ flitzte durch ihre Gedanken, und sie wandte sich hastig ab und schlüpfte in einen schwarzen Bikini, über den sie ein weißes Kleid zog. Vor ihr wiegten sich die Palmen im Wind; in ihren knisternden Blättern hatte sich ein Lichtstrahl verfangen. Sie seufzte und schaltete das Radio ein. Es ertönten die letzten Klänge einer leidenschaftlichen Liebeserklärung untermalt von Blasmusik. Dann kamen die Nachrichten.

„Die Leichen drei toter Männer wurden heute Morgen im Barrio von San Pedrito aufgefunden. Es handelte sich vermutlich um einen weiteren Fall der …“

Sara schaltete das Radio wieder aus. Sie ließ sich noch einmal auf das Sofa fallen. Sie musste jeden Moment zu dem Treffen mit Petra aufbrechen. Doch sie fühlte sich mit einem Mal zu schwach.

Sie war schon wie eine frustrierte Hausfrau aus einem Roman, wie zum Beispiel Edna Pontellier in Kate Chopins Das Erwachen, die eine Mischung aus Langeweile und Existenzangst zunächst in den Ehebruch und dann in den Selbstmord trieb. Sie musste endlich wieder mit dem Schreiben beginnen, wieder sie selbst sein, und sich aus diesem seltsamen Dahinschweben zwischen ihrer freudigen Besessenheit mit Lucas und ihrer traurigen Besessenheit von der Gewalt zu befreien, die in Mexiko an der Tagesordnung war.

Sara sah auf die Uhr. Sie war bereits zu spät dran.

Innerhalb weniger Minuten gab sie Esteban eine rote Badehose und zog dem protestierenden Fabián seine Shorts an, bevor sie die beiden eincremte. Dann fuhren sie gemeinsam zu dem kleinen, mit Palmen- und Bougainvilleas geschmückten Garten vor dem Strand hinunter, in dem das Schwimmbad lag.

Petra war noch nicht da. Sara empfand sofort eine tiefe Erleichterung, als hätte sie sich vor einem größeren Unheil gerettet als einer genervt mit den Achseln zuckenden Petra. Sie hatte die Zeitangabe zu ernstgenommen. Sie lächelte, dass ihr das immer noch geschah, nach mehr als sechs Jahren in Mexiko.

Sie setzte sich an den Rand des großen, türkisfarben gekachelten Pools, blies schnell Fabiáns Schwimmflügel auf, steckte einen auf jeden Arm. Die Jungen sprangen kreischend ins Wasser, spritzten sich nass und lachten. Sara nahm einen rot-blauen Wasserball und warf ihn den Kleinen zu.

Sie spielten sogleich eifrig damit, und Sara blickte über das Schwimmbad hinweg auf das blau-graue Meer, auf die sanften Wellen, die sich erschöpft am Strand brachen. Sie hob den Kopf und beobachtete die Vogelschwärme am Himmel, kleine Raben, Möwen und die düsteren Bussarde, die immer – wie kreisende Götter – Zerstörung und Wiedergeburt ans Firmament zu schreiben schienen. Auch darüber könnte sie eines Tages ein Gedicht verfassen. Über versteckte Freudenbotschaften, die die Welt den Menschen überbrachte.

Sara drückte ihre Zähne fest aufeinander. So etwas würde wohl niemand lesen wollen.

Petra kam, in einem sportlichen Badeanzug, mit perfekt eingecremten Zwillingen in Schwimmwindeln – rosa für Andromache und blau für Lucio –, die sie auf ihren breiten Hüften platziert hatte.

Sie nickte Sara zu und steckte gleich darauf Lucio und Andromache in ihre passend blau und rosa Babyschwimmreifen. Trotz ihrer verschreckten Gesichter warf sie den Jungen und gleich darauf das Mädchen ins Wasser.

Als Petra sah, wie Sara zusammenzuckte, grinste sie nur.

„So verlieren sie die Angst vor den Schrecken des Lebens”, erklärte Petra fröhlich. „Und vor kaltem Wasser natürlich auch gleich dazu. Praktisch, findest du nicht?“

Sie lachte laut auf und sprang den Zwillingen hinterher.

Petra begann, mit ihren Kleinen Französisch zu üben.

„Un, deux, trois, quatre, cinq, six, un, deux, trois …“, raunte sie und zog sie in ihren Reifen durchs Wasser, Esteban und Fabián ausweichend, damit sie weder angespritzt noch vom Ball getroffen wurden.

Sara tauchte ihre Füße in den Pool und spürte die angenehme Kühle auf ihrer Haut. Sie war nicht eifersüchtig auf Petra, spürte kein Stechen in der Brust, wenn sie sie, wie jetzt, in ihrem praktischen, blau-grünen Badeanzug mit den Zwillingen spielen sah. Sie wollte nicht in Petras Körper stecken und nicht in ihrem Leben. Sie empfand kein Bedürfnis danach, Petras Gesicht im Spiegel zu sehen, nicht einmal in Lucas’ Augen, sie hatte keine Lust, Petra, oder Lucas’ Frau, auf Familienfesten, bei Familienausflügen, bei Essenseinladungen von Freunden zu sein.

Dennoch beneidete sie Petra darum, dass Lucas sie jeden Abend in seinen Armen hielt, dass sie jedes Stück seines Körpers kannte, er mit ihr bestimmt offen über seine inneren Bewegungen sprach. Vielleicht handelte es sich um einen Fall von positivem Neid, der ein Zeichen dafür war, was man sich im eigenen Leben wünschte. Aber was wünschte sie sich wirklich?

Sara blickte auf das Meer und sehnte sich danach, Petras Nähe zu Lucas zu stehlen, wenn auch nur für eine Stunde, einen halben Tag. Sie wollte – Lucas. Seine Essenz, den Teil, der so hartnäckig aus ihm leuchtete – auch wenn er es gewesen war, der von einem Licht in ihr gesprochen hatte.

Sara stellte sich vor, wie sie sich mit Lucas traf, an einem kleinen Ort am Meer. In ihrem Tagtraum ähnelte er dem nahegelegenen Fischerdorf Barra de Navidad. Sie malte sich aus, wie sie, eng nebeneinander auf einer Bank sitzend, redeten ‒ über viel mehr noch als auf dem Boot. Wie sie sich ihre Lebensgeschichten im Abendlicht erzählten.

Lucas. Nein, sie durfte diese Fantasien nicht zulassen!

Plötzlich kam Sara eine Idee.

„Petra“, fragte sie nervös. „Kann ich dich etwas fragen?“

Petra sah auf, mit nassem Gesicht und ihrem interessierten Therapeutinnenblick, jetzt ein paar Zentimeter vor ihr.

„Natürlich”, antwortete sie. Vielleicht war sie erleichtert darüber, dass Sara ein Gesprächsthema gefunden hatte, das einen kleinen Teil des gemeinsamen Tages füllen würde.

Sara suchte nach Worten.

„Du hast doch damals Lucas mit deiner sogenannten Todesübung geheilt. Dabei stellt man sich vor, dass man alt ist, bald stirbt und man von dieser Situation ausgehend einen Brief an sich selbst verfasst, oder? Man schreibt auf, was einem im Leben wichtig ist.“

Petra nickte ungeduldig mit dem Kopf.

„Ich finde das beeindruckend“, fuhr Sara vorsichtig fort. „Aber hast du so etwas auch für Menschen, die zwar wissen, dass sie schreiben wollen und auch schon geschrieben haben, es aber plötzlich nicht mehr können?“

Petra sah Sara amüsiert an.

„Für Menschen wie dich, meinst du? Lucas hat mir von deiner Schreibblockade erzählt. Ihr habt gestern bei eurem Bootsausflug darüber gesprochen.“

Sara lächelte beschämt und versuchte, nicht rot zu werden.

„Warte doch einfach ab. Es ist ja nur ein Hobby für dich“, schlug Petra vor.

„Ein Hobby?“, entfuhr es Sara heftiger als beabsichtigt. Ihre Jungen blickten zu ihr herüber, und der Ball hörte Momente lang zu fliegen auf. Die Zwillinge planschten unabgelenkt weiter.

„Es ist meine Arbeit“, erwiderte Sara leise. Oder war ihre Arbeit, wenn sie ihr Stipendium nicht verlängern konnte, weil sie keine Ergebnisse vorzuweisen hatte.

Petra lächelte und sagte nichts. Sara wäre gerne unauffällig zurückgeschlichen, zu dem Moment, vor dem sie Petra um Hilfe gebeten hatte.

Sie stieß mit dem rechten Bein tief ins Wasser.

Petra blickte ein paar Sekunden auf Saras Bein.

„Na, vielleicht solltest du einfach etwas anderes tun, um Geld zu verdienen. Du könntest ja wieder Deutsch unterrichten. Vielleicht hat dich dein Muttersein verändert.“

So etwas Ähnliches hatte Max ihr auch vor Kurzem gesagt. Aber im Unterschied zu Petra hatte Max es wohl gut gemeint. Oder war Sara ungerecht?

„Wie auch immer, Sara“, Petra zog an Andromaches Reifen, vermutlich um die Kleinen nun aus dem Wasser zu holen. „Wenn dir das Schreiben so wichtig ist, dann mach eben eine Therapie. Da du sowas wie eine Freundin bist, kann ich dich nicht behandeln. Und Gratis-Therapien“ – Petra lachte, wohl um zu tun, als sei es ein Scherz ‒ „gibt’s bei mir schon lange nicht mehr.“

Petra und Sara saßen auf dem Balkon. Es war schon spät am Abend, die Kinder schliefen, das Babyfon der Zwillinge, die in dem angemieteten unteren Bungalow geblieben waren, rauschte leise im Hintergrund. Ein paar Sterne standen am Himmel, winzig und fast lichtlos, als hätten sie Angst vor dem tosenden Meer.

Mit einem Weinglas in der einen Hand blätterte Petra in dem neuesten literaturwissenschaftlichen Buch von Max. Es ging darin um ein paar junge mexikanische Schriftsteller und ihre Tendenz, sich auf die schlimmsten Probleme des Landes zu konzentrieren, um – als einzig mögliche Rebellion ‒ die tägliche Gewalt bis ins kleinste grausame Detail zu dokumentieren. Sara las, traurig und verzaubert, Gedichte von einer ihrer Lieblingsautorinnen, Alejandra Pizarnik. „Der Käfig hat sich in einen Vogel verwandelt und flog davon. Mein Herz ist verrückt.“

Sie seufzte leise in die Dunkelheit hinein.

Nach ihrem Gespräch am Pool hatte Petra ihren Zwillingen einen Mittagsschlaf verordnet, und Sara war mit den Jungen ins Stadtzentrum gefahren. Zu Saras Erleichterung – so konnte sie Petra eine Weile entfliehen – war ihr eingefallen, dass sie noch ein paar Sachen für die von der Schule organisierte Unabhängigkeitsfeier am nächsten Abend einkaufen musste. Rote, grüne und weiße Schminke, um sich die mexikanische Fahne auf die Wangen zu malen, sowie traditionelle Sombreros. Ohne diese Pause, hätte Sara jetzt nicht gemeinsam mit Petra den Abend entspannt genießen können.

Die Frauen sahen auf, als die Männer die dicke Glastür aufschoben und auf den Balkon traten. Sara spürte sofort, dass etwas nicht in Ordnung war.

Max’ Körper senkte sich leicht nach vorne, als wolle er sich verkriechen, sich vor etwas verstecken. Lucas lächelte verbissen. Er sah Sara traurig an, dann ging er zu Petra und strich ihr übers Haar.

„Schlafen die kleinen Wilden schon?“, fragte er leise. Petra küsste ihn auf den Mund und nickte.

„Max, was ist denn los?“, fragte Sara.

„Nichts ist los, Sarita, gar nichts“, protestierte er mit dem starren, kindlich trotzigen Blick, der – wie Sara wusste – bedeutete, dass er log, aber sie es nicht wagen durfte, an seiner Aussage zu zweifeln. „Wir sind nur müde. Und enttäuscht, dass Franco schon wieder zurück nach Mexico City fliegen musste.“

Saras Augen wanderten fragend von Max zu Lucas. Auch Petra starrte ihn eindringlich an.

Lucas seufzte, setzte sich und nahm einen Schluck aus Petras Weinglas.

„Es ist alles in Ordnung. Wir wollten nur, dass er noch ein paar Tage bleibt. Zumindest, um eure Jungen morgen singen zu hören!“

Petra schüttelte den Kopf und wandte sich wieder Max’ Buch zu.

„Seid mir nicht böse“, sagte Max. „Ich muss jetzt dringend arbeiten.“

Er trat vom Balkon durch die offene Glastür in das kleine Wohnzimmer mit der Küche. Vielleicht war er einfach nur müde, weil Franco zu dominant und fordernd mit dem Buchprojekt war.

Auch Sara war erschöpft. Sie hatte Durst. Sie würde noch ein paar Seiten lesen, dann ein Glas Wasser trinken und schlafen gehen.

„Wir war euer Tag?“, fragte Lucas, als Sara gerade wieder nach dem Gedichtband gegriffen hatte.

Sara lächelte. Seine Stimme hatte etwas Warmes, selbst wenn er offensichtlich melancholisch war. Plötzlich musste Sara an die Kastanien denken, die sie als Kind im Herbst gegessen hatte.

Petra blickte von ihrer Lektüre auf. „Interessant!“ Sie griff nach ihrem Weinglas und leerte es in einem großen Schluck. Sara war zu müde, um ihren Gästen noch etwas anzubieten. „Sara wollte eine Gratis-Therapie von mir“, sagte Petra grinsend. „Wegen ihrer Unfähigkeit zu schreiben. Sie denkt, ich hätte noch eine weitere einfache Methode wie die berühmte Todesübung in meinem Repertoire.“

Petra wandte sich zu Sara.

„Apropos, ich glaube nicht, dass ich Lucas damit in einer Mini-Sitzung geheilt habe. Ich glaube, er verknallte sich einfach sofort in mich und heilte sich selbst schnell, um mit mir ausgehen zu können.“

„Hast du wirklich solche Probleme damit, Sara?“, fragte Lucas besorgt, ohne weiter auf Petras Kommentar einzugehen.

Sara spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde. Ihr Blick wanderte zu einem dunklen Fleck auf dem Boden.

„Ja“, flüsterte sie. „Ich weiß, es gibt viel Schlimmeres, aber …“

Petra widmete sich wieder ihrer Lektüre, und Lucas beugte sich leicht zu Sara.

„Denkst du, es ist eine klassische Schreibblockade? Das ist normal. Vor allem in Zeiten wie diesen. Nach unserem Gespräch gestern hatte ich den Eindruck, du glaubst, dass du nichts beizutragen hast. Das ist ein Irrtum. Worte sind immer wichtig, denn …“

Er verstummte und lächelte sie traurig an.

Saras Körper entspannte sich, während sie Lucas lauschte, und gleichzeitig war ihr seine Aufmerksamkeit unangenehm. „Danke, Lucas.“

„Worte sind das Wichtigste von allem“, spottete Petra und küsste Lucas auf die Wange. „Schriftsteller werden die Welt verändern. Auf die Idee, einfach etwas zu spenden, kommt ihr überhaupt nicht.“

Sie zwinkerte Sara kokett zu.

„Natürlich spende ich“, erklärte Sara, aber Petra hörte ihr nicht mehr zu.

„Sara“, sagte sie stattdessen, „überlege dir das noch einmal mit einer Therapie. Bei unserer Ankunft hast du recht zufrieden gewirkt, aber heute scheint es dir wirklich schlecht zu gehen.“

„Das mache ich“, murmelte Sara, griff nach dem Gedichtband und stand auf. So schlimm war es nun auch wieder nicht! „Ich wünsche euch eine gute Nacht! Bleibt ruhig hier, solange ihr wollt.“

„Gerne, ihr habt die schönere Aussicht. Adiosito, Sara“, rief Petra und wandte sich ab.

Lucas schwieg.

Sara ging rasch durch das Wohnzimmer in die Küche. Sie griff nach einem leeren Glas und nahm eine Flasche mit kaltem Wasser aus dem Kühlschrank.

„Petra“, sagte Lucas auf dem Balkon. „Denkst du nicht, dass wir dann besser in unseren Bungalow gehen sollten, um Max und Sara nicht länger zu stören?“

„Natürlich nicht. Hol mir lieber noch ein Glas Wein“, erwiderte Petra und fügte nach einer Pause hinzu. „S’il te plaît, mon chéri.“

Lucas trat ins Wohnzimmer und schloss die Glastür hinter sich. Sara füllte ihr Glas langsam mit Wasser.

Der Klang seiner Schritte kam näher. Dann stand er hinter ihr. Sie glaubte, die Wärme seines Körpers zu spüren, Zentimeter von ihrem entfernt.

Sara befürchtete, er würde sie wieder berühren, obwohl sie es sich insgeheim wünschte.

Sie wartete.

Sie sehnte sich danach, seine Finger auf ihrer Haut zu spüren.

Sie wartete weiter.

Nichts geschah.

Sie drehte sich um.

Er sah sie an, die sonst leuchtenden Augen plötzlich müde, fast leer.

„Sara, es tut mir leid, dass es dir nicht gut geht“, sagte er, beinahe tonlos. „Wenn du reden möchtest, bitte sag mir Bescheid. Und ich wollte gestern nicht …“

„Ja?“, fragte Sara. Ihre Gesichtsmuskeln verkrampften sich.

Er sprach nicht weiter, sondern hob nur kurz seinen rechten Finger und ließ ihn wieder sinken. Er bemühte sich zu lächeln, leicht und charmant, aber es gelang ihm nicht.

„Weißt du“, sein Blick fiel durch die Glastür auf Petra, die auf den Balkon saß, „es ist diese Hitze und das Meer, und ich stecke manchmal in den Geschichten fest, die ich gerade schreibe.“

Also konnte er sich erinnern! Er hatte der Berührung eine Bedeutung gegeben. Und sie glücklicherweise gleich wieder zerstört.

„Geschieht dir das auch manchmal? Mit deinen Gedichten?“, fragte er erwartungsvoll.

Sara schüttelte den Kopf.

„Natürlich“, stammelte er.

Sie trat instinktiv ein Schritt von Lucas zurück, sodass sich ihr Körper gegen das kühle Metall der Spüle presste. Auch er schritt ein wenig zurück, in die entgegengesetzte Richtung, auf Petra zu, die hinter der Tür auf dem Balkon saß.

„Was schreibst du denn?“, fragte sie, während sie Lucas das Glas mit Wasser, das sie sich gerade eingeschenkt hatte, hinhielt. „Einen neuen Roman?“

„Ja“, er nahm das Glas und blickte verlegen zu Boden, „eine Art Liebesgeschichte.“

Seine Wangen begannen sich leicht zu erröten. Er räusperte sich erneut.

„Es geht wieder um meine Migranten“, erklärte er. „Wie immer. Ein Einwanderer, der sich in eine Mexikanerin verliebt. Sie kommen erst nach vielen Problemen wirklich zusammen – aber seine Gefühle geben ihm schon von Anfang an die Kraft zurück, um trotz allem ans Leben zu glauben und sich spirituell zu entwickeln.“

Sara lächelte befreiter. Er lächelte dankbar zurück.

„Hättest du noch ein bisschen Wein?“, fragte er dann. „Ich verspreche dir, wir gehen dann gleich.“

Sara deutete auf den Kühlschrank und ging in ihr Schlafzimmer zu Max.

Als sie am nächsten Morgen aufwachte, waren Lucas und Max bereits wieder fort. Sie hatten nur eine Botschaft hinterlassen, die Sara im Nachthemd in der Küche hochhielt und las. „Sarita, wir sind nach Miramar gefahren, um ein bisschen spazieren zu gehen und über das Projekt mit Franco zu sprechen.“

Sara nahm ihren kleinen Espressokocher, befüllte ihn und stellte ihn auf den Herd. Wieder ließen sie sie mit Petra und den Kindern, die wegen der Feiern der mexikanischen Unabhängigkeit am Abend – es war der 15. September ‒ schulfrei hatten, allein. Sie hätten ja auch hier spazieren gehen können. Aber nein, der Strand von Miramar war weiter entfernt.

Sollte sie etwas sagen? Sich beschweren? Wieder sah Sara Farben vor ihrem inneren Auge, ein düsteres Rot und ein ebenso düsteres Braun. Ein kurzes Bild ihrer Mutter, die schwieg, als sie zum dritten Mal erfuhr, dass Saras Vater sie betrogen hatte. Sara holte tief Luft und wartete, bis der Kaffee in ihre weiße Tasse schoss und sich sein belebender Duft in der Küche verteilte.

Dann ging sie, die Tasse umklammernd, in das Kinderzimmer. Der kleine Raum bestand aus zwei weiß bezogenen Betten, einem großen Fenster mit Blick auf das Meer und Bergen von Spielzeug. Sara war Franco immer noch dankbar dafür, dass er ihnen in seiner Heimatstadt diesen günstigen Bungalow besorgt hatte, als sie und Max – noch ohne Kinder – nach Mexiko gezogen waren.

Die Jungen bewarfen sich gerade mit Konfetti und jagten sich damit von einer Ecke in die nächste.

Sara schmunzelte und setzte sich auf ein Bett.

„Mami, Mami!“, kreischte Fabián begeistert, wobei er seinen Bauch hervorstreckte. „Schau, was wir Tolles haben. Vorsiiiiiiiicht!“

Schon fiel ein Regenbogenregen auf Sara. Sie lachte und fischte vorsichtig das nasse, bunte Papier aus ihrer Tasse.

Die Jungen jauchzten auf und warfen Sara – kurz nachdem sie die Tasse auf den Boden gerettet hatte – um. Auf dem Bett ausgestreckt, umarmte Sara die kleinen, noch nach Schlaf riechenden Körper in ihren Batman- und Robin-Pyjamas. Ein Lichtstrahl erhellte mit einem Mal das Zimmer, und Sara empfand ein Verlangen danach, diese Freude einzufangen, in einem Gedicht. Die Körper ihrer Kinder. Buntes Konfetti, das auf sie fiel.

Sie hörte, wie sich die Eingangstür öffnete. Dann ertönte auch schon Petras Stimme: „Con permiso. Kann ich reinkommen?“

Sie wartete keine Antwort ab, und ihre Schritte kamen näher.

„Wir sind hier, im Kinderzimmer“, rief Sara außer Atem. Sie setzte sich schnell auf und betrachtete das Zimmer mit Petras Augen. Unordnung, nichts unter Kontrolle.

„Bestens, wir kommen!“, entgegnete Petra.

Sekunden später stand sie schon da, ein Kleinkind an jeder Hand.

„Guten Morgen, guten Morgen“, flötete sie und ließ – wie Sara es sich gerade noch vorgestellt hatte ‒ ihren kritischen Blick von dem Konfetti-Chaos zu Sara und den Jungen schweifen. Doch sie schwieg und fragte nur: „Wie habt ihr denn geschlafen?“

„Gut, danke“, sagte Sara und griff wieder nach ihrer Tasse Kaffee, klemmte sie noch fester als sonst zwischen ihre Finger. „Und ihr?“

„Bestens!“ Petra streichelte Andromache kurz über ihr perfekt gekämmtes Haar. „Was hältst du denn von unseren schrecklichen Männern, die einfach so früh morgens verschwinden? Aber davon lass ich mir den Tag nicht verderben. Wir“, sie deutete mit dem Kopf auf Lucio und Andromache, die jetzt gierig auf das Konfetti starrten, es aber nicht wagten, sich von der Hand ihrer Mutter loszureißen, „haben nämlich eine Überraschung für euch. Ich habe heute keine Lust auf Strand und Meer. Also lade ich euch zum Frühstück woanders hin ein.“

„Woanders“ war das Lokal einer der unzähligen Restaurantketten des Landes. Betont farbenfroh und kinderfreundlich, bot das Lokal Plastikbäume zum Klettern, Plastikrutschen, eigene Kinderspeisekarten mit aufgemalten Barbies, Autos und Prinzessinnen an. Es gab Kindersitze, Wickeltische, gratis Ölkreide, Bonbons und so, theoretisch, ein bisschen Ruhe für die Eltern, damit sie sich unterhalten konnten.

„Mama, Mama dürfen wir spielen gehen?“, wollte Fabián aufgeregt wissen, während Sara sich in eine der farbenfrohen Sitzbuchten zwängte.

Esteban fragte erst gar nicht, sondern bewegte sich zielbewusst auf einen der Plastikbäume zu.

„Alle sofort hierher!“, kommandierte Petra, und Sara zuckte zusammen. „Zuerst wird gegessen.“

Esteban und Fabián sahen zu Sara, die mit weit geöffneten Augen zurückstarrte, als bitte sie die beiden mit ihrem Blick, Petra – den Gast – noch für kurze Zeit zu tolerieren. Die Jungen schienen zu verstehen und kletterten nun auch ein wenig resigniert, aber folgsam auf Saras Seite in die Sitzbucht hinein.

Inzwischen arbeitete Petra gemeinsam mit einem der Kellner daran, zwei der zahllosen Kindersitze zu ihrem Platz zu schleppen und verfrachtete je einen der Zwillinge darin.

„Also los.“ Petra verteilte die Kinderspeisekarten, die der Kellner auf den Tisch gelegt hatte. „Andromache, Lucio, was wollt ihr?“

Die Kinder bestellten ihre Variationen aus Fruchtsäften, heißen Schokoladen, Hotcakes und Eiern. Sara bat um einen Kaffee und Huevos Divorciados, „geschiedene“ Spiegeleier auf Tortillas, eines mit roter, das andere mit grüner Tomatensauce.

Während sie von der Klimaanlage eiskalt umweht auf das Essen warteten, beschäftigte sich jede Mutter mit ihren Kindern. Dann, sobald die je nach Geschlecht rosa oder blau gefärbten Tassen und Teller mit Essen vor ihnen gelandet und Andromache und Lucio mit Lätzchen versehen worden waren, legte Petra los.

„Sara“, sagte sie, sanft und gleichzeitig autoritär. „Ich habe gestern noch lange über dich nachgedacht!“

„Danke, Petra!“ Sara lächelte verkrampft.

„Gern geschehen.“ Petra biss in ein Stück Tortilla mit Schinken und Ei. „Also hör zu! Es tut mir leid, wenn ich gestern ein bisschen forsch war, als du mich um meinen Rat gebeten hast. Ich habe in der Nacht noch mit Lucas über dich gesprochen.“

Sara schluckte. Sie hatte das Gefühl, als rutschte ein Kieselstein umständlich von ihrem Mund durch ihren Hals.

„Er macht sich Sorgen um deine Gedichte. Er sagt, du bist wirklich gut! Ich verstehe natürlich kein Deutsch – meine Tante hatte nicht genug Geld, um mich luxuriös wie Lucas und deinen Max ins Goetheinstitut zu schicken – und deshalb kann ich das nicht überprüfen. Wie auch immer, ich glaube wirklich, dass du dir Hilfe suchen solltest. Wie du weißt, stecken oft alte Traumata in unserem Geist und unserem Körper fest, die uns daran hindern, in uns und unserer Welt Frieden zu finden.“

Sara hörte Petra aufmerksam zu und blickte kurz auf ihre Kinder, die allerdings vollends mit ihren Hotcakes, auf die sie bereits Unmengen von Honig gegossen hatten, beschäftigt waren.

„Petra“, begann sie vorsichtig. „Ich weiß, dass das dein Beruf ist. Aber darf ich dir etwas gestehen? Ich habe dich zwar selbst um Hilfe gebeten, aber in mir sträubt sich auch etwas dagegen, mich um meine – wie du es nennst – Traumata zu kümmern. Vor allem in Zeiten wie diesen, wo es so viele Menschen so viel schlimmer haben als wir. All die Drogentoten, all die Migranten, die leiden, die Armen …“

Petra verdrehte die Augen.

„Nicht schon wieder“, beklagte sie sich. „Du klingst schon genauso wie Lucas. Hast du noch nicht den klugen Satz gehört, dass du anderen erst helfen kannst, wenn es dir selbst gut geht? Dass du, esoterischer ausgedrückt, mit deiner inneren Balance angeblich sogar die Balance der Welt verbessern kannst?“

Sara nickte und sog Petras Worte dankbar auf.

Petra machte eine fröhliche Geste mit der rechten Hand. „Also genug von deinem Hat-es-einen-Sinn-sich-um-mich-selbst-zu-kümmern. Du willst schließlich eines Tages wieder schreiben, oder? Erzähl mir also lieber von deiner ehemaligen Krise mit Max. Stimmt es, dass er dich einmal betrogen hat?“

Sara verschlug es die Sprache.

„Wie bitte?“, fragte sie, als sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. „Nein. Wir waren zu diesem Zeitpunkt nicht zusammen und außerdem …“ Sara deutete auf die Kleinen.

Petra sah sie mit nachsichtiger Zärtlichkeit an.

„Gut“, fuhr sie fort. „Lassen wir das. Vielleicht sollten das die Kinder wirklich nicht hören. Vertrauensbrüche können sehr traumatisch sein.“

Sara sah in Petras hellbraune Augen, in denen eine durchdringende Intelligenz und Neugier leuchtete. Sie konnte sich schon vorstellen, dass sich der kluge und sensible Lucas in diese Augen verliebt hatte.

Petra verzehrte ein weiteres Stück Ei-Schinken-Tortilla.

„Dann gehen wir das Problem von einer anderen Seite an. Nur kurz, Sara. Nur als Ansporn für deinen eigenen Weg! Also, wann hat denn das Problem mit dem Nicht-Schreiben-Können begonnen?“, fragte sie.

„Im Juni“, sagte Sara. „Ende Juni, um genauer zu sein.“

„Ich nehme an, dass war gleich, nachdem du dein Stipendium bekommen hast? Der Druck war einfach zu groß?“

Petra wischte erst Andromache, dann Lucio heftig über die schokoladeverfärbte untere Gesichtshälfte. „Petits cochons!“, murmelte sie stolz.

Sara schüttelte den Kopf. „Nein, anfangs konnte ich gut schreiben. Ich freute mich sehr über das Stipendium, um ehrlich zu sein. Es hat mich eher inspiriert. Es war herrlich für mich, nicht mehr jeden Tag unterrichten zu müssen, und …“

Sie hielt inne. Sollte sie Petra das wirklich alles erzählen?

„Na gut!“ Petra war nun in ihrem Element. „Also nicht einfach Druck. Ist etwas anderes im Juni geschehen? Kurz bevor du nicht mehr schreiben konntest? Wurde einer der Jungen krank und du fühltest dich vielleicht schuldig?“

„Nein, Petra!“ Sara schnitt erst jetzt durch ihre Huevos Divorciados, genau auf der Linie, wo sich die grüne Sauce mit der roten vermischte. Als Sara auf das Rot starrte, kam ihr plötzlich ein Bild. Ein toter Mann in einem Sack. „Oder warte! Aber ich glaube nicht …“

„Was?“, fragte Petra. Die Kinder, die offensichtlich die Intensität des Gesprächs ihrer Mütter spürten, waren erstaunlich ruhig.

„Also, mit den Kindern war nichts. Das Einzige, was mir einfällt ist, dass sich Ende Juni die Nachrichten über Migrantenmisshandlungen häuften und sie den ersten Drogentoten in Manzanillo gefunden haben. Aber das kann es doch nicht sein, oder?“

Petra schien ein wenig enttäuscht zu sein. „Wenn es dir viel bedeutet hat“, sie entfernte rasch mit der Zunge einen grünen Korianderfaden von den Zähnen, „kann es das natürlich sein.“

Sara sah Petra beeindruckt an. Sie musste wirklich eine Koryphäe auf ihrem Gebiet sein. Nie hätte sie ihr Schreiben mit Nachrichten oder gar dem Tod eines Fremden in Verbindung gebracht.

Sie wollte Petra gerade ihre Bewunderung aussprechen, als diese kurz die Augen schloss und dann Sara herausfordernd ins Gesicht blickte.

„Dann kann so ein behütetes jeune – oder nicht mehr ganz so jeune – fille aus Europa also doch nicht mit Mexiko umgehen. Du hast Angst bekommen, was? Dabei betrifft es doch deine Lieben nicht direkt, Sara. Also wirklich?“

„Behütet?“, platzte es aus Sara heraus. „Was meinst du damit? Petra, es tut mir leid, wenn ich das sage, aber ihr habt hier so oft die Vorstellung, dass Europa wie ein glänzendes, luxuriöses Kaufhaus ist, in dem es überhaupt keine Probleme gibt!“

Petra richtete sich auf.

Esteban blickte seine Mutter verunsichert an, und Sara nickte ihm beruhigend zu.

„Ich denke, ihr könnt jetzt spielen gehen“, erlaubte Sara. Noch ehe Petra etwas einwenden konnte, sprangen sie auf und liefen zu den Plastikbäumen und Plastikrutschen.

„Meine liebe Sara“, sagte Petra gedehnt. „Wenn ich dich vielleicht daran erinnern kann, habe ich viele Jahre in Frankreich gelebt. Ich weiß sehr wohl, dass Europa kein Kaufhaus ist. Aber dennoch kannst du euer privilegiertes Dasein dort nicht mit Mexiko vergleichen.“

Sara traf das Wort „privilegiert“ mit voller Wucht. Sie vergaß ihr Frühstück, das sie bis jetzt kaum angerührt hatte.

„Vielleicht stimmt das. Aber wenn du wüsstest …“

„Was?“

Sara spürte, wie sie ihre Kontrolle verlor. Sie hatte das Gefühl, gleich in Tränen auszubrechen wie ein verletztes Kind. Sie musste sich zusammenreißen. Sonst würde sie noch mit Petra streiten. Wie sie sich mit einem Mal nach Lucas sehnte, nach seinem ruhigen Verständnis auf dem Boot.

„Meine Kindheit war nicht einfach. Mein Vater hat meine Mutter unzählige Male betrogen. Meine Mutter litt, aber hat ihn dennoch niemals verlassen. Sie hatte sogar Mitleid mit ihm. Weil er selbst so eine schreckliche Kindheit hatte.“

„Warum? Was war denn so schlimm an seiner Kindheit?“

„Alles“, entgegnete Sara heftig. „Eines Tages, nach Kriegsende, fand seine Mutter – meine Oma – seinen Vater zerstückelt in einer Kiste vor der Tür. Er hatte wohl zu wenig rechte Gedanken für seine Umgebung gehabt.“

„Faszinierend“, rief Petra, deren Laune sich deutlich besserte.

„Wie bitte?“, fragte Sara. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Petra sah sie triumphierend an.

„Na, da haben wir’s. Betrug. Ein zerstückelter Körper in einer Kiste. Menschen, die zu anderen Menschen grausam sind. Das sind ein paar Ihrer Traumata, Madame.“

Sara schob ihre Füße in den warmen Sand. Sie ließ ihre Augen noch ein paar Minuten geschlossen und genoss die Sonne auf ihrem Gesicht. Sie atmete die Brise ein, die sie angenehm schwindlig machte, vor Reinheit, Salz und Meer. Wenigstens hatte sie sich vor Petra und den anderen mit ihrem Laptop in dieses Strandcafé retten können, während Max sich, als Ausgleich für sein Verschwinden am Morgen, nun um die Kinder kümmerte.

Was war beim Frühstück geschehen? War es möglich, dass das Schweigen in ihr tatsächlich mit den wachsenden Unruhen im Land zu tun hatte? Mit den nicht enden wollenden Geschichten von Migranten oder Migrantinnen, die ausgeraubt, vergewaltigt, ermordet oder in die Hände von Menschenhändlern geraten waren? Mit dem ersten zerstückelten Drogentoten in ihrem geheimen Meeresparadies, das sie in Wirklichkeit von ihrer Traurigkeit wegen Alicia hätte heilen sollen?

Wenn sie Petra richtig verstanden hatte, dann steckte sie nicht nur in dem Leid über ihr Umfeld fest, sondern in der Vermischung der Gegenwart mit ihrer Vergangenheit. In ihre Seele – oder ihren Körper – hatten sich schmerzvolle Geschichten eingegraben. Schlimmer noch, altes Leid und neues Leid vermischten sich zu dem Gefühl, in einer heillos düsteren Welt zu existieren, in der Menschen einander wieder und wieder betrogen und Schmerzen zufügten. Vor all dem floh sie nun offensichtlich in ihre lächerliche Lucas-Illusion.

Einer der Dichter, den sie als Mädchen am meisten verehrt hatte, schrieb davon, dass die Menschen aufeinander Acht geben sollten, wenn sie schon permanent von Problemen wie Krankheiten und Naturkatastrophen bedroht wurden. Aber nein – in der Geschichte ihrer Großeltern und Eltern, in ihrer eigenen Geschichte hier an diesem Ort – kehrte immerzu die Hypothese zurück, dass die Menschen in die Arme der Gewalt liefen. Sich ihr hingaben. Ihr zum Opfer fielen. Und was unternahm sie, Sara, dagegen?

Gedichte schreiben, und nicht einmal mehr das.

Sie nahm einen Schluck von ihrem Mineralwasser und ließ die kühle Flüssigkeit nachdenklich über ihre Zunge und durch ihren Rachen gleiten. Aber was, wenn sie wirklich Hilfe benötigte? War es nicht arrogant, selbst helfen zu wollen, ohne dabei ihrem Bedürfnis nach Hilfe zu folgen?

Obwohl sie die Sonne leicht blendete, tippte sie ein paar Worte in ihren Laptop. „Therapie, Manzanillo. Preiswert“. Es war angenehm, ihren kleinen weißen Laptop wieder für etwas zu verwenden, statt immer nur frustriert auf den leeren Bildschirm zu starren, der vergebens auf Gedichte von ihr zu warten schien.

Leider waren die Resultate nicht sehr ermutigend. Auf den Seiten, die ihr als Vorschläge erschienen, waren „Therapie“ und „preiswert“ nicht vereinbar.

Sara seufzte. Sie wollte nicht auf mehr Geld hoffen. Sie hatte ihr Leben so gewählt. Sie wusste, dass es auch ohne viel „presupuesto“, wie sie hier Budget nannten, eine Möglichkeit für sie geben musste.

Tatsächlich fand sie bald ein paar Angebote. Kartenlesen mit schneller Heilung. Ein Hexentrick, der die Liebe ihres Lebens für ewig an sie binden würde. Eine körperliche Behandlung am Strand „La Boquita“ von Miramar, die physiotherapeutische Methoden dazu anwandte, im Körper gespeicherte Traumata zu erspüren und durch gezieltes Fühlen zu heilen. Das klang besser, aber beinahe zu einfach.

Dann sah Sara etwas, das ihr gefiel.

„Erschreie deine Seele“, hieß es. Es handelte sich um ein Programm eines Meditationszentrums in der Innenstadt, wo es darum ging, alte Schmerzen aus sich herauszuschreien, um zu einem neuen inneren Licht zu finden. Das Wort „Licht“ erinnerte sie an das, was Lucas zu ihr auf ihrem Bootsausflug gesagt hatte.

Sara schrieb sich die Nummer für nähere Informationen auf eine Serviette und steckte sie in ihre Handtasche. Dann trank sie ihr Mineralwasser aus und lächelte ein wenig über sich selbst. Zuerst erfand sie Gefühle für den besten Freund ihres Mannes. Jetzt würde sie sich vielleicht irgendeiner absurd-esoterischen Heilungsmethode unterziehen.

Wohin sollte das alles nur führen?

Zunächst führte es sie nur in Richtung des Festsaals, in dem sie die Unabhängigkeit Mexikos feiern würden. Es war Abend geworden, und sie saßen zu acht in einem geliehenen Auto, Lucas am Steuer, Petra neben ihm und hinten, auf zerfetztem Plastik zusammengedrängt, Max, Sara, Esteban, mit je einem kleinen Kind auf dem Schoß. Esteban hielt seinen zufrieden kichernden Bruder, Max und Sara je einen der Zwillinge, mit ihren angespannten Körpern. Sicherheitsgurte gab es nicht.

Esteban und Fabián sprachen aufgeregt über das vor ihnen liegende Fest, über ihre Freunde, die Tänze, die Tacos und ihren Auftritt. Alle anderen schwiegen und lauschten dem krächzenden Radio, das eine Symphonie von Mozart spielte. Von draußen drang der Lärm der ersten Feuerwerke und Raketen.

Max griff nach Saras Hand und drückte sie, mit einem fröhlichen Nebenblick auf ihre Jungen, die bis auf das von ihnen selbst wild verschmierte Rot-Weiß-Grün auf den Wangen, mit ihren Cowboystiefeln, Jeans, weißen Hemden und Sombreros aussahen wie Mexikaner in einem europäischen Kinderbuch. Auch Lucio hatte darauf bestanden, sich so wie die „Großen“ anzuziehen, und Andromache trug ein entzückendes Kleid, ebenfalls in den Farben der mexikanischen Flagge. Petra und Lucas mussten die Verkleidungen während Saras Aufenthalt in dem Café noch irgendwo aufgetrieben haben.

Sara lächelte Max an, erleichtert, dass er nun endlich entspannter zu sein schien. Sie sah aus dem Fenster. In dem schwindenden Abendlicht standen überall improvisierte Läden, die Rasseln, Trompeten, Trommeln, Fahnen, Fähnchen, Hüte – alles weiterhin in den mexikanischen Farben, teils komplett mit Adler und der Schlange ‒ verkauften. Eine ansteckende Ausgelassenheit lag in der Luft, eine Wildheit, die Sara so sehr liebte.

Über dem Eingang des Festsaals hing ein überdimensionales Bild der Vírgen de Guadalupe, der in Mexiko so verehrten dunklen Gottesmutter, mit ihrem blauen Sternenmantel, dem sanft gesenkten Blick, von einem Halbmond getragen. Eines Tages würde Sara gerne ein Gedicht über dieses Wesen schreiben, das zwei Welten – es war aus einer Mischung der aztekischen Muttergottheit Tonantzin und der katholischen Jungfrau Maria entstanden ‒ und vielleicht verborgene Weisheiten in sich trug.

Im Gegensatz zum Chaos auf den Straßen strahlte der von der Schule der Jungen gemietete Festsaal eine gewisse Gediegenheit aus – runde Tische mit weißen Tüchern, weiße Stühle, die Wände mit glänzenden mexikanischen Fahnen geschmückt. Überall liefen Kinder umher, die ähnlich wie die Jungen und Andromache verkleidet waren, die Mädchen teilweise mit langen dunklen Zöpfen, echt oder einfach auf Haarreifen befestigte, patriotische Mähnen. Die meisten Kinder waren älter als die Jungen – schließlich wurden in ihrer Schule Zwei- bis Achtzehnjährige unterrichtet. In einer Ecke neben der kleinen Bühne spielte eine Band Lieder, die – als Rockmusik aufbereitet – die Geschichte Mexikos rezitierten und die Sara nicht kannte.

Sie setzten sich an einen der wenigen noch leeren Tische, Lucas neben Petra, Sara neben Petra und Max, die Kleinen ein wenig entfernt von ihnen. Sofort eilte ein elegant gekleideter Kellner auf sie zu, der ihnen Getränke von einem vollen Tablett servierte.

„Und was möchten Sie essen?“, fragte er und grinste sie trotz eines fehlenden Schneidezahnes breit an. „Für die Kinder gibt es ein Buffet. Für die Erwachsenen hätten wir grüne Pozole mit Huhn, rote Pozole mit Huhn, grüne Pozole mit Schwein, rote Pozole mit Schwein, dann noch weiße Pozole mit …“

„Grüne Pozole mit Huhn“, riefen Sara und Lucas gemeinsam aus. Petra sah von Sara zu Lucas und verdrehte die Augen. Sara senkte den Blick.

„Rot mit Huhn“, bestellte Max und lächelte.

„Weiß mit Schwein“, sagte Petra. „Ich hasse grüne Pozole. Die machen sie in Colima und Manzanillo viel zu scharf. Ich habe mir das scharfe Essen in Paris abgewöhnt.“

„Wir haben uns heute befreit, durch unser Rufen, unser Schreien. Viva unser geliebtes Land“, grölte die Rocksängerin, die vielleicht eine Schülerin aus der Oberstufe war.

„Wann ist der Auftritt unserer hervorragenden Sänger?“, fragte Max Sara.

Sara sah auf die Uhr.

„Ich glaube, in einer halben Stunde“, antwortete sie.

„Also los“, Max wandte sich den Kindern zu, „gehen wir zum Buffet, damit ihr noch schnell ein paar Unabhängigkeits-Hotdogs essen könnt.“

„Unser Held Hidalgo schrie in der Stadt Dolores, die jetzt Dolores Hidalgo nach ihm heißt. Das war 1810! So lange ist es her. Viva México. Viva la Vírgen de Guadalupe. Viva Morelos, tra-la-la-la-la. Unser Held Hidalgo schrie in der Stadt Dolores, in der Stadt der Schmerzen, die jetzt …“, schmetterte die Sängerin unbeirrt weiter.

„Haben sie die Vírgen nicht schon längst aus dem Ritual gestrichen?“, fragte Petra laut, um die Musik zu übertönen.

„Bestimmt wurde der Text von Schülern geschrieben“, sagte Sara. „Vielleicht von den Mitgliedern der Band.“

„Na, das wäre doch was für dich, Sara!“, schlug Petra vor. „Du könntest doch, wenn deine Schreibblockade vorbei ist, die Lieder für die Schulfeier nächstes Jahr ein wenig korrekter umdichten. Wäre das nichts?“

Sara war sich nicht sicher, ob Petra einen Scherz machte, sie beleidigen wollte oder ob es sich um einen gut gemeinten Vorschlag handelte.

Zum Glück brachte der Kellner in diesem Moment ihre mit riesigen Maiskörnern gefüllten, bunten Suppenteller, und Max kehrte mit den Kindern und ihren Hotdogs zurück.

Ein paar Momente lang aßen alle schweigend und lauschten der Band, die nun weniger politische, traditionellere Lieder spielte. Sara sah Lucas an, der gerade Radieschen Scheiben und Oregano in seinen Pozole gab. Dann blickte sie zu Petra und Max.

„Petra“, begann sie. „Jetzt weißt du schon so viel von mir und ich noch immer so wenig über dich. Max hat mir einmal erzählt, dass du ursprünglich aus Guadalajara bist? Also gar nicht so weit von hier?“

Petra nickte und kaute langsam ein Stück Schwein fertig, ehe sie antwortete: „So ist es, Sara. Das kann man kaum glauben, oder? Dass ich aus einem solch konservativen Nest komme? Meine Familie war furchtbar katholisch.“

Max und Lucas aßen beide weiter und hörten aufmerksam zu. Sie schienen erleichtert zu sein, dass ihre Frauen so friedlich plauderten. Sara hatte noch keine Zeit gehabt, Max von ihren Gesprächen mit Petra zu erzählen, und sie wusste nicht, ob Petra Lucas darüber berichtet hatte.

„Und wann bist du dann nach Mexico City gezogen?“, fragte Sara weiter.

„In die Stadt der Wilden?“ Petra sah Lucas und Max mit spielerischer Herausforderung an. „Ich meine, der großen Schriftsteller und Literaturkritiker? Mit zwölf.“ Ihre Stimme wurde ein wenig leiser. Diesmal wollte sie vermutlich nicht, dass die Kleinen sie hörten. Sara befürchtete, dass sie zu direkt gewesen war. „Als meine Mutter starb. Wir waren sechs Kinder, mein Vater schickte mich und meine Schwester, die beiden Ältesten, zu meiner Tante.“

„Das tut mir leid“, murmelte Sara und wandte sich wieder ihrem Pozole zu.

„Der Teil mit meiner Mutter war furchtbar“, gestand Petra ernsthaft. „Aber das Leben bei meiner Tante hat mich gerettet. Sie ist auch Psychoanalytikerin und mit einem Franzosen verheiratet. Durch sie entdeckte ich endliche la liberté.

„Bitte sing jetzt nicht auch noch die Marseillaise“, bat Max fröhlich. „Sonst gehe ich heute noch an einer Überdosis Nationalismus zugrunde.“

Lucas lächelte. Petra lachte auf.

„Wie auch immer“, sagte sie. „Das ist also meine Geschichte. Das sind meine Traumata. Seit ich sie aufgearbeitet habe, kann ich auch für die Welt – meine Patienten – nützlich sein. Was ist denn jetzt mit dir? Hast du dich schon für eine Therapie entschieden?“

Sara starrte Petra an, bevor sie verlegen auf die Uhr schaute. „Esteban, Fabián! Esst fertig, gleich ist es soweit.“

„Eine schlechte Ablenkungsmethode“, spottete Petra. „Also?“

Lucas sah Sara mit liebevoller Besorgnis an. Max blickte fragend, und Sara nickte ihm zu, um ihm anzudeuten, dass sie es später erklären würde.

„Ich habe heute Nachmittag etwas im Internet gefunden“, erwähnte Sara schnell. „Es nennt sich Schreitherapie. Es geht darum, sich alte Probleme aus der Seele zu schreien, glaube ich.“

Petra nickte interessiert, und Sara sprach von den wenigen Dingen, die sie darüber wusste.

„Das klingt gar nicht so schlecht“, erklärte Petra. „Negative Gefühle in einem passenden Rahmen zum Ausdruck zu bringen, ist immer gut. Und Schreien tun wir ja heute auch. Uns die Seele aus dem Leib zu kreischen, damit wir wachsen können. Damit die heilende Krise ihren Lauf nehmen kann! Ich rate dir auch dazu, dass du dich um Traumata, die im Körper festhängen, kümmerst. Damit du dich so richtig vorbereiten kannst, für diese böse Welt. Wusstest du, dass …“

Zu Saras Erleichterung trat eine Frau mit einer übergroßen Brille in einem rosa Kleid auf die Bühne.

„Herzlichst willkommen zu der großen Feier der Schule Nuevo Mundo. Wir bitten zur Eröffnung unserer Feierlichkeiten unsere Kleinen aus der Stufe Kinder 1, 2 und 3 zu uns.“

Esteban und Fabián sprangen auf und liefen, gefolgt von Lucio und Andromache, die sofort von Petra und Lucas zurückgeholt werden mussten, der Dame entgegen.

Auch Sara eilte ihnen nach und drückte sie fest an sich, bevor sie auf die Bühne kletterten.

Sekunden später standen bereits an die 50 kleine Sänger und Sängerinnen auf der Bühne und schmetterten mit Hingabe „México lindo y querido“, „Du schönes, geliebtes Mexiko.“

Fabián streckte ehrfürchtig die Arme gegen die Festsaaldecke. Esteban strahlte seine Mutter an. Sara hatte Tränen in den Augen. Farben und Klänge flossen, und Sara gab sich ihnen dankbar hin.

Dann verstummte das Lied, und die Jungen hüpften von der Bühne.

„Das war unglaublich“, lobte Sara.

„Ihr seid geborene Künstler!“, jubelte Max lächelnd. Sara bemerkte erst jetzt, dass er nur etwa einen Meter hinter ihr gestanden hatte.

Als sie zurück an den Tisch kamen, spürte Sara, dass eine Spannung zwischen Lucas und Petra lag. Sie sprachen nicht miteinander, und malten, mit zu angestrengtem Gesicht, mit den Zwillingen ein Bild mit rot-grün-weißer Ölkreide, die sie mitgebracht oder jemand ihnen geschenkt hatte.

„Toll wart ihr“, beteuerte Lucas ein wenig verkrampft.

„Très bien“, bestätigte Petra.

Alle setzten sich wieder hin. Auf der Bühne folgten weitere Auftritte, Lieder, Gedichte und Tänze von den älteren Schülern.

Nachdem die Rockband noch einmal ein Lied über die Indigenenpolitik des Landes – diesmal auf der Bühne – vorgetragen hatte, kletterte ein Mann im Anzug, mit der Schleife der mexikanischen Flagge um den Körper, auf ein leicht wackliges Gerüst mit einem improvisierten Balkon. Er räusperte sich feierlich.

Sara blickte verstohlen zu Lucas. Lucas blickte verstohlen zurück. Es war, als ziehe seine Gegenwart etwas aus ihr heraus, als werfe er sie auf einen ihr noch unbekannten, verzweigten, verworrenen, befreienden Weg.

Der Mann atmete dramatisch ein, und Sara hatte Angst, er würde jeden Moment hinunterstürzen.

„Viva Hidalgo!“, rief er schallend in den Raum.

Stimmen explodierten um Sara, kleine Kinder, Jugendliche, Erwachsene, ältere Menschen, die alle gemeinsam brüllten. „Viva Hidalgo!“

„Viva Morelos“, ging es weiter. Der Balkon bebte. Der Raum schien zu schwanken.

Sara beobachtete die Jungen. „Viva Morelos!“, kreischten auch sie. Und dann bald, nach weiteren Rufen: „Viva México! Viva México! Viva México!“

Sobald alle fertig geschrien hatten und sich verschwitzt und verwirrt anstarrten, als wären sie gerade erst aufgewacht, sagte Lucas zu Max und Sara: „Es tut uns leid. Aber wir haben vorhin beschlossen, morgen früh nach Hause zu fahren. Petra …“

„Findet, es ist Zeit, dass wir uns um uns selbst und nicht immerzu um eure Probleme kümmern“, ergänzte sie.

Lucas sah seine Frau fragend an. Dann fügte er traurig hinzu: „Also, ich muss mich um meine eigenen Probleme kümmern. Außerdem muss ich mich noch auf eine neue Schreibwerkstatt in Mexiko City vorbereiten. Wir danken euch für die schöne Zeit.“

Lebensfreude

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