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Klaus steigt auf den Trecker und bringt ihn in Position. Wenige Augenblicke später steigen die Frauen wieder auf den Hänger und die Fahrt geht weiter. Gesa genießt die kühle Morgenbrise und spürt noch etwas anders: Die Blockade, die jeden Tag so schwer und jeden Gedanken so sinnlos machte, hat sich in Luft aufgelöst. Ihre Augen kleben an den Gewächsen am Wegesrand, lassen sich kein Kraut entgehen. Eine Kräuterfarm… hier oder anderswo… Sie würde auch den beiden Klientinnen helfen können, bei denen sie zurzeit nicht weiterkommt. Da fehlt die entscheidende Ergänzung… In ihrem Kopf sprudelt es nur so.

Michelle beobachtet schweigend ihre Freundin. Da ist wieder dieses Glänzen in ihren Augen, das so lange verschwunden war. Gesa scheint inspiriert zu sein. Klaus steuert den Traktor vom Weg ab auf eine große Fläche, die gleich am Waldrand liegt. Die gartenartige Anlage birgt sonnige und schattige Beete, die durch schmale Pfade getrennt sind.

„Oh, das ist ja ein riesiger Kräutergarten!“

Gesas Begeisterung ist ansteckend. Marlene springt vom Hänger und bevor sie ihr die Hand reichen kann, ist auch Gesa schon mit beiden Füßen auf dem weichen Boden gelandet. Klaus geht voran und Gesa folgt ihm auf dem Fuß. Die beiden verschwinden in einem Beet mit rosa blühenden Kräutern.

„Was ist das für ein Kraut?“, fragt Michelle und nimmt Marlene den Picknickkorb ab.

„Das ist Quendel, wilder Thymian. Der hilft bei allen möglichen Beschwerden, ganz besonders bei Problemen der Atemwege.“

„Und wo sind die Ziegen?“

Michelle schaut sich suchend um.

„Ach, das Ziegengehege befindet sich an einer ganz anderen Stelle. Die Dringlichkeit des Melkens hat Klaus nur vorgeschoben, als Motivationshilfe für Gesa.“ Marlene lacht. „Gemolken werden die Tiere am Abend.“

Michelle ist zufrieden. Marlene und Klaus scheinen die richtige Strategie zu kennen, um eingeschlafene Kräfte wieder zu wecken und Menschen aus der Reserve zu locken. Sie hatte damals gleich ein gutes Gefühl, als sie durch den Zeitungsartikel auf ihre Seite im Internet stieß, und sie für alle Fälle in ihre Favoriten gespeichert.

„Marlene, kommst du mal? Wir brauchen deine Hilfe. Wozu benutzt du das Eisenkraut?“

Klaus winkt seine Frau zu sich in ein Beet mit kniehohen, zart blühenden Pflanzen. Gesa und Michelle lernen an diesem Morgen einiges über den Anbau von Wald- und Wiesenkräutern, das ihr Wissen optimal ergänzt. Die guten Tipps zur Kultivierung wilder Pflanzen sind sehr wertvoll und Gesa ist völlig fasziniert.

„Eigentlich brauche ich ein Notizbuch, um mir all das aufzuschreiben. Das kann ich doch nicht alles im Kopf behalten.“

„Nicht nötig. Ich habe dir ja versprochen, dass du Kopien meiner Aufzeichnungen bekommst“, beruhigt Marlene sie.

Gesa fragt sich, ob die Kräuterbäuerin jedem Interessenten ihre mit großem Einsatz erlangten Erkenntnisse aushändigt, als Marlene ergänzt:

„Ich gebe sie dir, weil ich spüre, dass sie bei dir gut aufgehoben sind und dass du gut mit ihnen arbeiten wirst. Vielleicht bleiben wir ja sogar in Kontakt. Würdest du mich über deine Ergebnisse informieren? Was meinst du?“

„Sehr gern. An einem Austausch ist auch mir gelegen. Aber so weit bin ich ja noch lange nicht.“

Marlene zuckt mit den Schultern.

„Na, wer weiß? Manchmal kommt alles anders als man denkt und plant… Aber jetzt machen wir erst mal eine kleine Pause.“

Jetzt spürt Gesa, wie hungrig sie in der Zwischenzeit geworden ist. Marlene holt den Picknickkorb aus dem Schatten und Klaus breitet eine Abdeckplane, die er vom Hänger geholt hat, auf der Wiese aus.

„Ach ja, ich habe die Decke vergessen. Na, macht ja nichts – so geht es auch“, entschuldigt Marlene sich.

Sie zaubert wieder kleine selbst zubereitete Köstlichkeiten aus dem Korb hervor, die sich alle schmecken lassen. Als besondere Erfrischung gibt es Apfelschaumwein, dessen leichter Alkoholgehalt für noch bessere Stimmung sorgt.

Nach der Mittagspause räumen sie alle Reste zurück in den Korb, den Marlene sogleich zum Hänger trägt. Klaus steht auch auf und gibt Gesa und Michelle mit einem Zeichen zu verstehen, dass sie sitzen bleiben sollen.

„Wir überlassen euch nun den Rest des Tages, denn auf uns wartet noch einige Arbeit. Ruht ein wenig aus und genießt die Natur. Der Weg zurück ist ganz einfach. Ihr braucht zu Fuß etwa zwei Stunden.“

Marlene kommt noch einmal zurück und reicht den beiden Gästen eine Flasche Wasser.

„Ich erwarte euch pünktlich zum Abendbrot. Um sechs.“ Sie lacht. „Also, bis später.“

Das Motorengeräusch des Traktors wird immer leiser je weiter er sich entfernt und schließlich hört man wieder nur die Vögel und das sanfte Rauschen der Bäume im Wind.

„Was für ein Tag!“

Gesa lässt sich auf den Rücken fallen und sieht in den Sommerhimmel. Michelle legt sich neben sie, beobachtet, wie die Vögel von Baum zu Baum fliegen - bis ihr die Augen zufallen.

Von einem schmerzhaften Stich wacht sie auf und springt mit einem Satz auf die Beine. Noch ein Stich – und noch einer. Jetzt krabbeln ihr die Ameisen sogar übers Gesicht. Keine Stiche, sondern Bisse!

„Oh nein!“

Hektisch reißt sie sich das T-Shirt vom Leib und schlüpft aus der Jeans. Wie Rumpelstilzchen ums Feuer springt sie im Gras umher und schlägt sich die emsigen Tierchen von der Haut. Gesa steht im Kräutergarten und sieht verdutzt zu ihr hinüber. Als sie Michelle schließlich erreicht, kann sie sich vor Lachen kaum noch halten. Sie greift zu den Klamotten und schlägt sie kräftig aus.

„Blöde Viecher“, schimpft Michelle sichtlich gestresst.

Sie sieht überall kleine schwarze krabbelnde Punkte.

„Du weißt, dass sie nicht blöd sind – und Ameisensäure ist gut gegen Rheuma. So, jetzt müssten die Sachen wieder tragbar sein. Meine Finger sind vom Ausschütteln schon ganz dick.“

Michelle nimmt Gesa die Jeans aus der Hand und wirft sicherheitshalber noch einen Blick in die Hosenbeine.

„Danke. Ich habe übrigens kein Rheuma.“

„Ja, eben.“

„Wieso mussten die beiden auch die Plane schon mitnehmen.“

„Damit wir sie jetzt nicht zu schleppen brauchen. Wir müssen sowieso jetzt los, damit wir nicht zu spät kommen.“

Gesa nimmt die Wasserflasche und wirft noch einen Blick auf den Kräutergarten. Dann stapfen die beiden los.

„Meinst du, im Kräutergarten sind alle Kräuter, mit denen Marlene arbeitet?“

Gesa sieht Michelle fragend an.

„Das weiß ich nicht. Auf der Internetseite ist erwähnt, dass die beiden Kräuter anbauen, die allein für die Verarbeitung von Lebensmitteln geeignet sind. Arzneien waren nicht darunter, bestenfalls Teemischungen.“

„Hm…“

Gesa versinkt wieder in Gedanken.

Das Abendbrot mit der Familie ist ein schöner Tagesausklang. Nach einer ausgiebigen Dusche lernen die beiden Städterinnen wieder Köstliches aus der Bauernküche kennen und Gesa wird nicht müde, nach den Rezepten zu fragen. Marlene ist eine geduldige Gastgeberin und gibt bereitwillig Auskunft.

„Morgen widmen wir uns ganz deinen Fragen. Dann führe ich dich auch in unsere Gewächshäuser und auf die Kräuterfelder“, lächelt sie. Gesa horcht auf. Dann ist der Kräutergarten am Waldrand doch nicht die einzige Anbaufläche! Sie hat es doch geahnt.

Michelle kann sich ein Gähnen nicht verkneifen und nach dem Abräumen schlägt Klaus vor, draußen im Hof den obligatorischen Schlummertrunk zu nehmen. Die friedliche Stimmung lässt auch Gesas letzte Anspannung verschwinden – sie ist erschöpft und glücklich.

Hugo kräht, was das Zeug hält, und schließlich gelingt es ihm, auch Gesa und Michelle aus dem Bett zu brüllen.

„Ach, ich hab geschlafen wie ein Stein!“, verkündet Gesa bester Laune und öffnet das Fenster.

Michelle reckt sich ausgiebig und horcht nach draußen.

„Ist das nicht himmlisch? Keine Autos, keine Kleinkrafträder, kein Auspuffmief… Nur Hugo und das Vogelzwitschern. Also, wenn du mich fragst, sollten wir uns solche Pausen öfter gönnen.“

„Da sagst du was. Huch…“, Gesa sieht auf die Armbanduhr, „es ist schon fast zehn. Wenn wir noch frühstücken wollen, sollten wir uns beeilen.“

Als die beiden in die Küche kommen, sind schon alle ausgeflogen. Zwei Gedecke stehen auf dem Tisch und ein Zettel liegt daneben: Bitte fühlt euch zuhause und bedient euch am Kühlschrank. Auch das Bedienen der Espressomaschine trauen wir euch zu ;-) Um elf hole ich euch zur Führung ab. Gruß, Marlene

„Klar, dass die nicht auf uns Faulenzer warten können“, meint Michelle und öffnet den Kühlschrank.

„Süßes oder Saures?“, fragt sie und greift nach der Butterdose und einem Glas Marmelade.

„Süßes“, bestätigt Gesa die Wahl und schaut, ob sich noch genug Wasser im Tank der Maschine befindet. Kaffee, frisch gebackenes Brot und eine traumhafte Marmelade, in der auch Kräuter verarbeitet wurden, liefern die perfekte Grundlage für den Morgen.

Sie müssen nicht lange warten. Marlene betritt die Küche vom Hof aus und steuert direkt auf die Kaffeemaschine zu.

„Guten Morgen, ihr beiden. Ihr müsst entschuldigen, aber unsere Sonntage unterscheiden sich nicht allzu sehr von den anderen Wochentagen. Nur die Kinder dürfen ausschlafen. Einen Kaffee gönne ich mir auch noch und dann geht es ab in die Gewächshäuser. Klaus kann leider nicht dabei sein. Er sieht sich im Wald eine verwüstete Bärlauchwiese an. Die Wildschweine haben mal wieder zugeschlagen.“

„Wildschweine? Und wo ist die Bärlauchwiese?“

Gesa sieht gespannt zu Marlene, die sich den Kaffee schmecken lässt.

„Die Wiese ist nicht weit von hier. Vom Bärlauch ist nicht mehr allzu viel zu sehen. Die Saison ist ja schon vorbei. Aber riechen kannst du ihn. Und die Wildschweine scheinen ihn auch zu mögen, allerdings pflügen die Kameraden ja gleich alles um. Eine Plage ist das hier. Gegen Wildschweinbraten mit Bärlauchgemüse habe ich indes nichts einzuwenden. Seid ihr startklar?“

Gesa kann es kaum noch abwarten. Sie läuft schnell zurück ins Gästezimmer, um die Kamera, ein Notizheft und einen Stift zu holen. Michelle und Marlene warten auf dem Hof auf sie. Schon auf dem Weg zu den Gewächshäusern erfahren die Freundinnen vieles über die mühevolle Kultivierung von Wildkräutern.

„Inzwischen haben wir einige wunderbare Züchtungen erreicht, die sich hervorragend anbauen und vermarkten lassen. Mit anderen Kräutern ist es schwieriger, aber wir geben nicht auf und probieren immer wieder Neues.“

„Wer sind eure Abnehmer?“, interessiert sich Michelle auch für den wirtschaftlichen Aspekt des Kräuteranbaus.

„Ausgesuchte kleinere Supermärkte, die ihren Schwerpunkt auf ein gutes Gemüse- und Obstsortiment aus der Region setzen, und Bioläden. Außerdem verkaufen wir auch auf Wochenmärkten.“

„Und davon kann man leben?“

Michelle ist recht unverblümt, aber Gesa erkennt das echte Interesse.

„Wenn man sich an den Verbraucherbedürfnissen orientiert, gut wirtschaftet und die Qualität nicht der Geldgier opfert, kann man sogar gut davon leben. Das Konzept muss natürlich stimmen. Große Supermarktketten sind nicht unsere Partner, denn dieses Preisdumping würde unser Geschäft und das ganze Konzept kaputt machen. Natürlich muss sich die Sache lohnen, aber das große Geld ist nicht, was im Vordergrund steht.“

Gesa klebt Marlene förmlich an den Lippen. Sie notiert alles, was ihr wichtig erscheint, in das Notizheft, schießt Fotos von jedem Kraut, macht kleine Zeichnungen und lernt zum Beispiel, welche Kräuter etwas mehr Abstand zueinander benötigen.

„Auch manche Kräuter können sich nicht riechen“, lacht Marlene am Ende der Führung und weist Michelle und Gesa mit der Hand auf den Weg zum Hof.

Schon von Weitem duftet es deftig und Michelles Magen macht sich bemerkbar.

„Hier riecht es jedenfalls wunderbar“, schwärmt sie beim Betreten der Küche und erntet ein Lächeln von Marlenes Mutter, die das Essen gekocht und den Tisch gedeckt hat.

Den Stadtpomeranzen schmeckt es herrlich und das liegt nicht nur an der Kochkunst der Köchin. Die gute Atmosphäre des Hauses tut Gesa und Michelle gut. Michelle ist glücklich, dass sie eine so gute Wahl getroffen hat. Es war zwar nur eine Seite im Internet, aber auf ihr Bauchgefühl ist Verlass. Schade eigentlich, dass sie nach dem Mittagessen schon den Heimweg antreten müssen.

Beim Abschied überreicht Marlene Gesa einen ganzen Ordner mit Material.

„Hier, das habe ich wie versprochen alles für dich zusammengesucht. Wenn du Fragen hast – und ich hoffe, dass du die hast – rufst du einfach an.“

Sie nimmt Gesa lachend in den Arm und umarmt auch Michelle zum Abschied. Auf einmal erscheint Klaus mit einer großen Kiste in der Schuppentür.

„Wolltest du den beiden das hier nicht auch noch mit auf den Weg geben?“

Er nähert sich Michelles Auto und Marlene schlägt sich gegen die Stirn.

„Da hätte ich ja beinahe das Wichtigste vergessen. Ohne ein vernünftiges Startsortiment gibt es natürlich keine neuen Erkenntnisse.“

Klaus platziert die Kiste im Kofferraum und gibt den Blick auf viele kleine Kräuterpflänzchen frei. Gesa ist so überrascht, dass sie gar nicht weiß, was sie sagen soll.

„Aber nicht, dass du denkst, die gäbe es gratis. Als Gegenleistung will ich von dir hören, wie sich die kleinen Babys machen. Versprochen?“

Marlene sieht Gesa gespielt verschwörerisch an.

„Fest versprochen. Und ganz, ganz lieben Dank.“

Gesa umarmt sie noch einmal lachend und steigt dann in den Wagen, der sich langsam in Bewegung setzt.

„Macht es gut und kommt bald wieder“, ruft Marlene den beiden hinterher und winkt.

Die erste Viertelstunde im Auto verläuft schweigsam. Gesa und Michelle verarbeiten jede für sich ihre Eindrücke. Ein schöner Platz ist das, an dem sie ihr Wochenende verbracht haben. Ein wunderbares Geschäftskonzept, eine harmonische Familiengemeinschaft und eine gut funktionierende Partnerschaft – alles nahezu perfekt und bestens geeignet, sich etwas davon mitzunehmen in den Alltag.

„Was für sympathische Menschen“, seufzt Gesa. „Und trotz der vielen Arbeit so entspannt. Das ist richtig ansteckend. Findest du nicht?“

Sie sieht zu Michelle. Deren Blick löst sich kurz von der Fahrbahn und sie nickt bestätigend.

„Aber nicht nur die Stimmung ist ansteckend, sondern auch das Konzept. Das funktioniert dort alles Hand in Hand. Wäre das nicht auch etwas für uns?“

„Du musst bedenken, wie lange sie das schon machen. Sicher war es am Anfang nicht leicht. So perfekt kann es nur funktionieren, wenn man genügend Erfahrungen gesammelt hat. Glaube mir: Die beiden haben sicher auch einige Federn lassen müssen.“

„Aber das gehört doch dazu. Von kleinen Rückschlägen und Flauten darf man sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Schlimmstenfalls muss man das Programm ein wenig anpassen und optimieren. Die schlechten Erfahrungen sind bekanntermaßen die wertvollsten.“

„Da ist zwar was dran, aber das macht die schlechten Erfahrungen auch nicht angenehmer.“

„Du hast doch nicht etwa Angst vor der besonderen Herausforderung, oder?“

Michelle sieht Gesa mit einem provozierenden Lächeln an.

„Langsam, langsam – du bist doch nicht etwa schon dabei, einen Traktor zu kaufen und Felder zu bepflanzen. Ich habe das Wochenende als Inspiration verstanden und nicht gleich als übereilten Einstieg ins Landleben.“

„Feigling!“

Gesa boxt Michelle in die Seite.

„Du bist ja irre.“

„Nein, nur ziemlich entschlossen. Ich brauche bloß noch eine ebenso entschlossene Mitstreiterin. Außerdem ist das Boxen der Fahrerin während der Fahrt strengstens verboten.“

„Okay, ich bin dabei.“ Gesa lacht. „Ich stelle meinen Balkon als Testfeld zur Verfügung.“

„Hm, wenn das so ausgeht wie mit deinem letzten Petersilientopf, sehe ich schwarz.“

„Vorsicht. Fahrerin hin, Fahrerin her: Noch so ein Spruch und es gibt blaue Flecken.“

„Jetzt gibt es erst mal eine Blitzausladung deiner Klamotten. Wir sind nämlich zu Hause.“

Mit Schwung hält Michelle in der zweiten Reihe vor Gesas Haustür und steigt aus.

„Komm schnell, hopp, hopp! Ich helfe dir, die Sachen in den Flur zu tragen und dann suche ich einen halbwegs vernünftigen Parkplatz.“

Die Kiste mit den Setzlingen und der Rucksack sind schnell ausgeladen. Gesa sieht Michelle verwundert an.

„Warum machst du denn plötzlich eine solche Hektik? Hast du noch einen Termin? Ich dachte, wir trinken noch einen Kaffee…“

„Ich habe einen Bärenhunger!“, lacht Michelle. „Wir trinken zusammen einen Kaffee und essen eine Pizza und einen Salat und eine Zabaione.“

Dann verschwindet sie im Wagen und braust um die Ecke.

„Landluft macht hungrig“, stellt Gesa fest und geht vergnügt ins Haus.

Sie schultert den Rucksack und nimmt die Kiste mit den Kräuterpflänzchen auf den Arm.

„Ich liebe besondere Herausforderungen“, murmelt sie torkelnd und steigt langsam Stufe für Stufe hinauf in den zweiten Stock. Dort setzt sie die Kiste stöhnend vor der Wohnungstür ab, um den Schlüssel aus dem Rucksack zu kramen.

Der Geruch ihrer ungelüfteten Wohnung schlägt ihr entgegen und bevor sie die Pflanzen hineinträgt, öffnet sie erst einmal alle Fenster. Wieder zu Hause. Die Spätnachmittagssonne scheint ins Wohnzimmer. Schön hier. Nicht so schön wie auf dem Land. Aber doch auch schön. Die Kiste mit den Pflanzen steht kaum auf dem Balkon, als es klingelt. Michelle hat ja schnell einen Parkplatz gefunden. Normalerweise gurkt man am Wochenende, wenn alle zu Hause sind, stundenlang um den Block.

„Oh Wunder! Eben fuhr doch jemand genau vor meiner Nase aus einer Parklücke. Der muss mein Magenknurren gehört und sich erschreckt haben.“

Michelle kommt lachend in die Wohnung.

„Na, was ist? Gehen wir zum Italiener? Ich lade dich ein.“

„Nichts da. Du hast das Wochenende geplant und jetzt bin ich an der Reihe. Der Ausklang geht auf meine Kosten. Aber hat die Küche überhaupt schon geöffnet?“

Gesa sieht auf die Uhr.

„Offiziell erst in einer Stunde. Aber ich hoffe doch, dass sie für Halbverhungerte eine Ausnahme machen. Und wenn nicht: Die eine Stunde kriegen wir auf der Terrasse bei einem leckeren Espresso auch noch rum.“

Eigentlich geht es weniger ums Essen als darum, das schöne Wochenende zu resümieren und zusammen ausklingen zu lassen. Gesa und Michelle lassen es sich bei ihrem Lieblingsitaliener so richtig gut gehen. Dabei vergleichen sie den einen oder anderen Happen mit den wohlschmeckenden Speisen der Brockmanns.

„Zur Pasta kann ich mir einen Löffel Rucola-Pesto sehr gut vorstellen. Du auch?“

Gesa nickt.

„Aber frisch ist er mir doch noch lieber. Pesto ist allerdings eine gute Alternative, wenn man keine frischen Kräuter griffbereit hat. Eigentlich kann man doch aus allen möglichen Kräutern ein Pesto machen. Basilikum kennt man ja bereits. Jetzt Bärlauch und Rucola…“

Sie denkt nach. Sauerampfer vielleicht oder…

„Morgen wieder hinterm Schreibtisch. Ich mag gar nicht daran denken.“

Michelle sieht in den Himmel, als müsse sie morgen eine Gefängnisstrafe antreten. Gesa betrachtet sie verwundert.

„Ich wusste ja gar nicht, dass du mit deiner Arbeit haderst.“

„Nein, nicht wirklich. Aber manchmal träume ich wirklich davon auszusteigen und etwas ganz anderes zu machen. Die Idee mit der Kräuterfarm ist nicht das Schlechteste, weißt du. Wir haben ja schon des Öfteren darüber gesprochen. Ich hätte richtig Lust dazu. Und du? Wie ist es mit dir? Hast du nicht auch Appetit bekommen?“

„Appetit schon.“

Gesa sieht über die Straße.

„Aber woher soll ich das Geld für ein solches Unternehmen herholen? Das ist doch völlig utopisch.“

„Wieso? Das ist doch nicht utopisch. Mit einem guten Business-Plan lässt sich sicher ein preiswerter Kredit als Startkapital bekommen. Da gibt es doch entsprechende Förderprogramme. Man muss sich nur mal schlau machen.“

„Mit dir gehen nach dem Wochenende auf dem Kräuterhof offenbar die Pferde durch“, seufzt Gesa und verschluckt sich am Wein, als Michelle plötzlich laut wiehert und mit den Händen galoppgerecht auf dem Tisch herumtrommelt.

„Schon gut, ganz ruhig, Brauner“, hustet sie mehr als zu reden und kann sich angesichts der Gesichter anderer Gäste das Lachen nicht verkneifen.

„Wir kriegen hier noch Lokalverbot, wenn wir so weitermachen.“

„Nicht, wenn wir den Laden erst mit unseren erstklassigen Kräutern beliefern. Dann wird man sich sprichwörtlich die Finger nach uns lecken, meine Liebe“, gibt Michelle zurück.

Sie ordert einen zweiten Espresso und bedenkt die irritierten Gäste am Nachbartisch mit einem freundlichen Kopfnicken.

Die Freundinnen trennen sich an diesem Abend nur ungern. Aber schließlich ist jede zurück in ihrer Wohnung und lässt während kleiner Vorbereitungen für die neue Woche die Erlebnisse des Wochenendes noch einmal vorüberziehen. Gesa öffnet vor dem Schlafengehen alle Fenster und lässt die Abendluft durch die Räume ziehen. Auf dem Balkon steht immer noch die Kiste mit den Kräuterpflänzchen. Ein paar Handgriffe und die kleinen Dinger beleben die seit zwei Sommern verwaisten Blumenkübel am Geländer.

„Sicher nicht die ideale Aufzuchtstation, aber das Beste, was ich euch momentan bieten kann.“

Gesa buddelt das letzte Baby mit der Wurzel in die alte Erde, füllt die verblasste Kunststoffgießkanne in der Küche mit Wasser und gießt die Setzlinge an.

„Gut, morgen in der Mittagspause besorge ich frische Pflanzerde. Das ist wohl das Mindeste. Aber für heute muss es genügen. Gute Nacht allerseits.“

Die Babymacherinnen

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