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1. Kapitel: Wo bin ich?

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Unser Haus ist in Sichtweite, deshalb laufe ich von der Furcht gepackt dorthin. Aus heiterem Himmel bemerke ich einen Schatten bei den Laternenlichtern.

Sollte das womöglich ein weiterer Mensch sein, der hier an diesem unbekannten Ort feststeckt? So wie ich? Doch, so schnell er aufgetaucht ist, so schnell ist er auch wieder verschwunden. Und ich bin zu feige, demjenigen hinterherzulaufen. Kurz bevor ich beim Haus bin, fängt es wieder an zu blitzen. Doch diesmal wache ich nicht bei meinen Eltern auf. Ich wache überhaupt nicht auf, sondern stehe immer noch da, wo ich war. Das wäre auch zu schön gewesen.

Was war das für ein komisches Blitzen? Keine Zeit fürs Rätselraten. Schnell renne ich ins Haus und verriegle, erneut von Angst ergriffen, die solide Eingangstür. Ich bemerke, dass die Fenster alle wieder offen sind. Dabei hatte ich sie, bevor ich bei meinen Eltern erwachte, alle verschlossen. Dann juckt es mich hinter dem Ohr und ich beginne zu kratzen. Meine Hände berühren die Stelle, doch ich kann keinen Grund für das komische Gefühl ausmachen.

Da ist ja gar nichts, denke ich mir. Doch dann fällt mir wieder ein, was es sein könnte. Dieses blöde Implantat. Vor zwei Monaten wurde mir eine Art Chip hinter dem Ohr eingepflanzt, den ich mittlerweile schon wieder fast aus meinem Gedächtnis verbannt hatte. Damit werden wohl meine Vitalwerte überprüft, damit die Ärzte immer Bescheid wissen, wie sie mich behandeln sollen. Außerdem, so meinte zumindest der Hersteller, wird das Teil in naher Zukunft meine Epilepsie heilen können. Keine Ahnung, wie das vonstattengehen soll, aber ich glaube es einfach mal. Meine Gedanken kreisen nur darum, wie ich wieder zu meinen Eltern gelange. Ob ich sie nochmal wiedersehe?

Im Haus zieht plötzlich eine unangenehme Kühle auf, die mir einen Schauer über den Rücken jagt und es beginnt wieder hinterm Ohr zu kribbeln. Eine Gänsehaut überzieht augenblicklich meinen Körper. Aus der Küche kommt ein Geräusch. Sollte ich nachsehen? Das ist wie in einem schlechten Horrorfilm. Mein Herz klopft heftig vor Angst. Was ich erblicke, macht es auf keinen Fall besser. Ein seltsamer Nebel steigt aus der Kellertür auf. Er formt sich und nimmt Gestalt an. Blitzartig manifestiert sich ein Wesen mit einer schwarzen Kutte, als ob es der Tod höchstpersönlich wäre, vor mir. Das Wesen besitzt kein Gesicht und trotzdem scheint es mich anzusehen. Ich bin für einen Augenblick wie erstarrt. Es scheint genau zu wissen wo ich bin. Entweder es wittert mich oder nimmt mich wahr, denn es schwebt schnell auf mich zu. Bevor mich dieses Etwas erwischen kann, schnelle ich nach draußen. Aber auch hier ist der Nebel überall und formt sich zu diesem Ding. Und auf einmal sind es an die zehn Stück, die mich umzingeln.

Panik breitet sich in mir aus und ich beginne stark zu schwitzen. Adrenalinausschüttung. Wahrscheinlich lässt der Epilepsieanfall nicht lange auf sich warten. Doch wenn das passieren sollte, dann kriegen mich die Viecher. Ich muss in Bewegung bleiben, kommt es mir in den Sinn. Also laufe ich, was das Zeug hält Richtung Stadtmitte. Wenn es die überhaupt in dieser Welt hier gibt. Ich weiß gar nicht, wie viel Zeit vergangen ist, bis ich stehen bleibe und nach Luft schnappe. Total erschöpft vom Laufen setze ich mich auf den Boden. Meine Atmung rast richtig. Ich keuche so stark, als ob ich Asthmatikerin wäre.

Ein schwerer Fehler, denn die komischen Dinger haben mich sehr schnell eingeholt. Gleich hat mein letztes Stündlein geschlagen. Ganz unerwartet höre ich ein Pfeifen. Ich sehe mich um und entdecke in der Nähe eine menschliche Silhouette. Sie winkt mir zu und bedeutet mir, ihr zu folgen. Mit letzter Kraft stemme ich mich nach oben und renne demjenigen hinterher. Als ich denke, ich kann nicht mehr, bleiben wir vor der evangelischen Kirche im Ort stehen. »Hier rein«, ruft die Person.

Ich erkenne, dass es sich um einen Mann handeln muss. Die Stimme kommt mir sogar bekannt vor. Er hält mir die Kirchentür auf und ich laufe hinein. Gleich darauf folgt er mir, schließt die Tür hinter sich und verriegelt sie mit einem Brett. Die Kirche wurde einer früheren, aus alten Zeiten, nachempfunden. Die Menschen verschlossen früher mit einem Brett ihre Türen und Tore. So auch hier. Eigentlich eine tolle Idee, wenn man die jetzige Lage bedenkt. Der letzte Zufluchtsort: Die Kirche. Wie schon im Mittelalter, wenn die Menschen nicht mehr ein noch aus wussten. Ich schnaufe erstmal richtig durch und schaue mein Gegenüber an. Ich traue meinen Augen kaum. Es ist mein Ex-Freund. Mich überkommen Gefühle der Verletzbarkeit, wenn ich an unsere Trennung zurückdenke. Aber das muss ich auf später verschieben.

»Vince? Was machst du denn hier?«, frage ich ganz überrascht im Wissen, wer mir gegenübersteht. »Ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin. Ich weiß nur, dass ich dazwischen mal bei mir zu Hause, in der realen Welt aufgewacht bin und dann wieder hier reingezogen wurde.«

Genau, wie bei mir.

»Bist du alleine hier? Oder hast du noch andere getroffen?«, frage ich ihn.

»Tatsächlich sind hier noch andere unterwegs. Die, die ich finden konnte, habe ich hier in der Kirche in Sicherheit gebracht. Hier können die Wesen da draußen nicht eindringen.«

Bevor ich die nächste Frage stellen kann, tritt das Jucken wieder ein. Diesmal folgt ein Stromschlag danach. »Aua«, rufe ich vor Schmerz und Überraschung aus.

»Das wird dir noch öfter passieren. Mein Chip spinnt auch, seitdem ich hier bin«, erklärt er. Wer hätte gedacht, dass ich meinen Ex-Freund gerade hier in dieser seltsamen Welt treffe. Vincent, ist sein Name und er leidet an Epilepsie, genau wie ich. Er war mein erster und bisher einziger fester Freund. Er zog weit weg, deshalb mussten wir uns trennen. Eine Fernbeziehung scheiterte leider. Und trotz allem empfinde ich immer noch was für ihn und habe auf einen Schlag wieder diese Schmetterlingsgefühle im Bauch, wie früher. Doch unser Liebesleben hat in so einer Situation erstmal keinen Vorrang.

»Kannst du mich bitte zu den anderen bringen? Vielleicht erkenne ich jemanden aus der Stadt«, bitte ich ihn. Er führt mich nach hinten, vorbei an den schön verzierten Wänden der Kirche und dem riesigen Jesuskreuz – ein bisschen gruselig. In mir entsteht so ein Gefühl, als ob der heilige Sohn mir direkt in die Augen schaut und mit seinem Blick folgt, – in einen Raum. Wahrscheinlich der Vorbereitungsraum für den Pfarrer. Dafür kenne ich mich zu wenig mit Kirchen aus. Der Baustil ist das Einzige, was mich immer fasziniert hat. Alles andere kann mir gestohlen bleiben. Im Raum angekommen erblicke ich um die sechs Kinder, zwischen fünf und zwölf Jahre geschätzt. Ich erkenne Frederik aus der Nachbarschaft. Ein Neunjähriger mit Down-Syndrom, auf den ich ab und zu aufpassen durfte. Er spricht ganz normal, sodass ich ihm Fragen stellen kann.

»Hallo, Frederik. Ich bin es, Celeste. Wie geht es dir? Kannst du mir sagen, was hier passiert?«, frage ich ihn ganz langsam sprechend. Wenn man zu schnell redet, kann es sein, dass er einen nicht versteht.

»Hallo Celeste. Mir geht es g…g…gut. Ich weiß nichts. Mein Ohr juckt hinten«, antwortet er nur und stottert dabei ein bisschen. Also hat er auch einen Chip.

»Kein Problem. Ruh dich gut aus«, beruhige ich ihn. Ich betrachte die Kinder und stelle fest, dass sie alle aussehen, als ob sie eine Behinderung haben. Ob das Zufall ist?

»Vince? Kann ich kurz unter vier Augen mit dir reden?«

Wir gehen zur Seite, sodass niemand unser Gespräch mithören kann.

»Hast du bemerkt, dass die Kids alle speziell sind? Du weißt, was ich meine. Und höchstwahrscheinlich haben alle dieses blöde Implantat«, stelle ich fest. Vince kratzt sich kurz am Kopf, blickt zu den Kids und antwortet:

»Du hast Recht. Ich glaube nicht, dass das Zufall ist. Diese Dinger werden inzwischen allen Eltern angeboten, die Kinder mit Einschränkungen haben. Meine haben sich auch dazu überreden lassen. Deshalb trage ich das Teil seit kurzem auch«, erklärt Vince und ich höre die Skepsis in seiner Stimme.

»Ich habe ein sehr schlechtes Gefühl, wo wir uns hier befinden. Es ist, als ob wir in unserer Stadt wären. Zumindest sieht dieser Ort danach aus. Aber nur wir sind hier. Kein anderer der Einwohner.«

Vielleicht hat es was mit den Chips zu tun, geht es mir durch den Kopf. Die Frage, wo wir hier wirklich sind, müssen wir wohl auf später verschieben. Als erstes müssen wir rausfinden, warum wir hier sind und was das Ganze soll.

Wo ist hier?

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