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Kapitel 3

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Am Donnerstag haben wir in der ersten Stunde Sport. Da kommen normalerweise alle schon in ihren Sportsachen in die Schule. Heute joggen wir im Freien, aber danach müssen wir in die Garderobe, um uns umzuziehen.

»Vergesst nicht zu duschen!«, ruft Nils uns nach.

Weiß er nicht, dass es in unserer Klasse kein einziges Mädchen mehr gibt, das nach dem Sport duscht? Schon seit Mitte der sechsten Klasse ist das so, und kein Erwachsener hat uns jemals kontrolliert.

Ich bin total verschwitzt vom langen Laufen und würde eigentlich gern duschen. Aber ich will nicht das einzige Mädchen sein, das sich nach dem Sportunterricht nackt auszieht und duschen geht.

Glücklicherweise habe ich saubere und trockene Klamotten dabei. Und ein Deo. Schnell streiche ich mir damit unter die Achseln und ziehe mir ein frisches T-Shirt an. Ich stehe mit dem Gesicht zur Wand und versuche, das Umziehen so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Alle Mädchen in der Klasse tragen jetzt BHs. Seit Schulanfang bin ich die Einzige, die das nicht tut, denn Mama meint, damit könne ich ruhig noch ein wenig warten. Aber bald wird Sarah wohl anfangen, das zu kommentieren, und sich vielleicht über mich lustig machen. Ich schminke mich jeden Tag, aber das reicht nicht; ein BH muss ebenfalls sein. Irgendwie muss ich Mama dazu bringen, das zu verstehen.

Sarah hat einen neuen bekommen. Einen nagelneuen rosa Spitzen-BH. Als Ebba und Yasmin ihn zu Gesicht bekommen, sagen sie laut, dass sie sich dasselbe Modell kaufen wollen. Seit den Sommerferien hat Sarah plötzlich viel größere Brüste bekommen. Nicht so groß wie Ebbas, aber immerhin hat sie jetzt die zweitgrößten Brüste in der Klasse. Ich bin immer noch flach wie ein Brett. Wie ein platter Fahrradreifen. Ich denke an alles, was flach und traurig ist, und muss ein wenig seufzen. Da ist einfach nichts zu machen: Mein Oberkörper sieht aus wie der eines Jungen. Da hat Ebba völlig recht.

Es ist ein kleiner Trost, dass Leona genauso flach ist wie ich. Auch sie trägt keinen BH. Das ist gut zu sehen, wenn wir in T-Shirts rumlaufen. Also sind wir wenigstens zu zweit.

»Oh, ich habe solche Angst, dass meine Brüste zu groß werden«, sagt Ebba laut. »Dann muss ich mich vielleicht operieren lassen. Wie meine Tante.«

Ich seufze noch einmal. Wie alt war eigentlich diese Tante, als sie operiert wurde? Bestimmt nicht zwölf. Ebba gibt sich einfach allzu viel Mühe, cool zu sein. Sie versucht, so zu sein wie Sarah, dabei ist Sarah keineswegs immer nett zu ihr.

Ich sage nichts und drehe mich niedergeschlagen zu Leona und Amina um. Und da fällt mein Blick auf etwas Merkwürdiges. Etwas, das ich noch nie gesehen habe.

Leona hat sich ein großes, hellblaues Stoffstück um den Körper gewickelt. Es sieht aus wie ein Laken. Sie kann es am Hals mit einer Schnur zusammenknoten, sodass es an ihrem Körper herunterhängt und ihn völlig verdeckt. Rasch zieht sie sich unter dem Laken Shorts und T-Shirt aus, und ebenso rasch zieht sie sich frische, saubere Kleider an: Jeans und ein Spitzentop mit Knöpfen.

Sie hat eine ganz eigene Technik mit dem T-Shirt, sie aalt sich gewissermaßen daraus hervor und zieht es über den Kopf. Ich begreife gar nicht, wie sie das so schnell hinbekommt. Sie muss es geübt haben. Im Handumdrehen hat sie frische Klamotten an, knüpft das Laken – oder was auch immer es ist – auf und rollt es zusammen.

Die anderen Mädchen haben dasselbe gesehen wie ich. Auf einmal werden alle ganz still. Sarah und Ebba kichern. Yasmin blickt Leona fragend an.

»Bist du Muslima oder so was?«, fragt Ebba.

Aber das ist eine dumme Frage, denn sowohl Amina als auch Yasmin sind Muslimas, und keine von uns hat sie je dabei beobachtet, wie sie sich unter einem Laken umgezogen hätten.

»Hör endlich auf mit diesen Vorurteilen!«, sagt Amina, aber Ebba protestiert.

»Es stimmt doch, dass muslimische Mädchen ihre Körper nicht herzeigen wollen. Ist das etwa nicht wahr? Ist das nicht eine richtig große Sünde für Muslimas, Yasmin?«, ruft Ebba.

»Für manche«, sagt Yasmin und zuckt mit den Schultern.

»Na eben!«, sagt Ebba, beinahe triumphierend.

Und dann wendet sie sich wieder Leona zu:

»BIST du Muslima?«, möchte sie wissen.

»Nein«, sagt Leona und macht ihren Rucksack zu. Hastig läuft sie aus der Garderobe.

»Kaum zu glauben«, stöhnt Ebba.

Sofort bekommt sie Unterstützung von Sarah.

»Die Frau ist so schüchtern, dass sie wohl bald unsichtbar werden wird«, sagt Sarah, und Ebba nickt eifrig.

Sarah trägt Lipgloss auf und zieht sich die Augen mit Eyeliner nach. Danach macht sie sich im Waschbecken eine Locke ihres langen Prinzessinnenhaars nass. Wenn Nils fragt, ob sie geduscht hat, kann sie ihm ihre nassen Haare zeigen.

»Eines Tages werden wir nur noch ihren Schatten sehen. Und vielleicht den Schulrucksack. Das wird richtig gruselig. Was, wenn Leona in Wahrheit ein Gespenst ist?«, fragt Sarah.

Ich muss daran denken, wie viel Spaß Leona und ich gestern beim Rumalbern über Gespenster gehabt haben. Ebba lacht. Sie reißt die Augen auf und ruft ein dünnes »Hiiilfe«. Auch Yasmin lacht. Offenbar nimmt sie es mit ihrer Rolle als ehrwürdige Beschützerin Leonas nicht mehr ganz so genau. Sie scheint genug davon zu haben, nach nur zwei Tagen.

Das ist so typisch Yasmin. Der Rektor sollte ihr keine solchen Aufgaben geben. Nur weil sie hübsch ist, glaubt er, dass sie auch nett ist, aber in Wahrheit eifert sie einfach nur Sarah nach, genau wie Ebba.

Ich werde mich nicht von Sarah herumbossen lassen. Das nehme ich mir vor, während ich mir die Haare kämme und sie zu einem Pferdeschwanz zusammenbinde. Ich widerspreche Sarah zwar nicht, aber ich schmiede einen Plan: Ich will Leonas Freundin werden.

»Vielleicht ist an ihrem Körper irgendwas Ekliges, das sie keinem zeigen möchte. Richtig viele Haare über den ganzen Bauch und den Rücken«, sagt Ebba.

Ein paar Mädchen schaudern.

»Was, wenn sie eine Affenfrau ist«, sagt Yasmin.

Irgendjemand schnappt nach Luft.

»Oder eine Löwenfrau. Die Löwenfrau Leona«, sagt Ebba.

»Hört jetzt auf damit!«, ruft Amina plötzlich laut.

Die anderen Mädchen hören auf zu lachen.

»Sie ist einfach schüchtern«, sagt Amina.

Ich wünschte, ich wäre genauso mutig wie Amina, aber ich kann sie wenigstens unterstützen.

»Das glaube ich auch«, sage ich schnell und leise.

Sarah wirft Amina einen finsteren Blick zu. Mich übersieht sie.

Amina ist noch nicht fertig.

»So ein … Umkleidezelt … oder wie man das nennt … ist eigentlich recht praktisch. Wär gar nicht dumm, so etwas am Strand dabei zu haben«, sagt Amina.

Sarah rollt mit den Augen, sagt aber nichts.

»Ich glaube, ich werde Mama bitten, mir für nächsten Sommer eines zu nähen«, sagt Amina. »Mit Handtüchern funktioniert es ja doch nie. Die gehen immer auf, und genau dann, wenn man sich gerade umzieht, fallen sie plötzlich runter.«

Einige in der Klasse kichern. Yasmin wird rot. Als wir im Juni mit der Klasse einen Badeausflug gemacht haben, ist ihr nämlich beim Umziehen das Handtuch runtergefallen. Ich kann mich gut daran erinnern, wie peinlich es ihr war, auch wenn niemand etwas gesehen hat. Und wenn doch, dann jedenfalls nicht viel. Vielleicht einen kleinen Schimmer ihrer Brüste. Danach haben die Jungs jeden Tag darüber geredet, bis zu den Sommerferien.

Ich bin bestimmt nicht die Einzige, die sich jetzt daran erinnert, denn plötzlich ist es, als wäre Leona völlig vergessen. Ein eigenes Umkleidezelt oder -laken, oder wie auch immer man es nennen mag, scheint plötzlich gar keine so schlechte Idee mehr zu sein.

Wenn wir doch nur Löwen wären

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