Читать книгу Liebe 2 - Ida und Marco - Line Kyed Knudsen - Страница 5
Kapitel 2
ОглавлениеIch starre Alexander lange an. Wir stehen immer noch auf Ellas Balkon. Er will mit mir zusammen sein. Das hat er mich eben gefragt. Wie romantisch es ist, mit dem Sonnenuntergang hinter uns. Ich konzentriere mich wirklich darauf, Schmetterlinge in meiner Bauchgegend zu spüren. Aber da ist nichts. Nur die Chips, und die liegen ruhig und still in meinem Magen.
„Du sagst doch ja, oder?“, fragt Alexander und hält mich fest.
Eigentlich will ich nicken, denn irgendwas muss ich ja schließlich tun. Aber dann spüre ich seine Hand. Langsam löst er sie von meiner Schulter und fährt mit ihr in Richtung meiner Brüste. Ich starre sie an, während er den Stoff meines Kleides enger umfasst. Vielleicht ist da eine Fehlermeldung in seinem Gehirn. Vielleicht denkt er, ich bin eine Ketchupflasche. Er drückt jedenfalls in diesem Moment meine Brust, wie man eine halbleere Flasche drückt, aus der man noch etwas herausbekommen möchte. Dasselbe versucht er mit der anderen Brust und nun ist es eindeutig zu viel.
Immerhin habe ich noch nicht ja gesagt, und nun steh ich hier und lass mich von ihm angrabschen. Und dann stinkt er auch noch so widerlich nach Bier.
Ich springe zurück und plustere mich auf. Stelle mich auf die Zehenspitzen, so dass ich etwas größer wirke als er. „Lass das, Alexander!“, zische ich ihn an.
Eigentlich meinte ich nur, er solle aufhören mich anzutatschen. Aber Alexander verzieht sich wortlos und mit hochrotem Kopf nach drinnen.
Als ich wenige Minuten später selbst wieder hineingehe, stürmt Sofie auf mich zu.
„Was ist passiert?“, fragt sie mit großen Augen. „Was hast du zu ihm gesagt?“
„Nichts. Aber er hat mich angegrabscht“, antworte ich sauer, immer noch schockiert, dass er mich da angefasst hat. Aber vielleicht war er nur betrunken? Immerhin hat er sich eine Dose Bier mit Sebastian geteilt. Ich stöhne auf und meine Blicke suchen Alexander im Wohnzimmer. Kann sein, dass ich etwas zu hart zu ihm war, aber ich will mich von keinem Jungen an den Brüsten anfassen lassen. Das ist wirklich nicht der Grund, warum ich Brüste habe.
Eigentlich weiß ich gar nicht, wozu ich sie habe. Meine Brüste meine ich, weil ich sie nie benutzen werde. Wirklich dumm, dass Gott sie gerade bei mir so groß wie zwei Ballons werden lassen musste. Ich will keine Kinder bekommen. Never ever! Das überlass ich meiner Mutter. Sie benutzt ihre Hängebrüste jeden Tag, wenn sie meine kleine Schwester stillt, und das ist das letzte, was ich mit ansehen kann.
Ich will gar nicht wahrhaben, dass ich selbst mal schmatzend und fetter werdend an so einer rosafarbenen Brust hing.
Sofie verlässt das Wohnzimmer, ich leere eine Dose Cola und tanze ein bisschen mit Ella. Dann werfe ich mich neben Sebastian aufs Sofa. Wenn Perser mit mir auf dieser Party wäre, würde es viel mehr Spaß machen. Er würde arabische Tänze tanzen und meine Hand küssen, bevor wir mit seinem fliegenden Teppich vom Balkon aus in die Nacht entschweben. Und natürlich hätte er auch kein Bier getrunken. Nur Tee. Sofie kommt zurück ins Wohnzimmer. Sie steuert direkt auf mich zu. „Sitzt du hier und pennst?“, ruft sie aufgebracht gegen die laute Musik an. „Hast du auch was getrunken?“ Ich schüttele den Kopf. „Natürlich nicht, du Trottel!“ Ich verdrehe die Augen und schiebe mir eine Handvoll Chips in den Mund. Ich schwitze. Es ist wirklich heiß hier im Wohnzimmer. Fast so wie in Griechenland. Ich kaue, schlucke und spüle die Chips mit Cola herunter.
„Alexander hat sich auf der Toilette eingeschlossen“, sagt Sofie streng und schüttelt mich. „Das ist deine Schuld!“ Sie wirkt, als wolle sie mir gleich an die Kehle springen. Ich hab sie noch nie so gesehen. Ihre flache Brust hebt und senkt sich unter dem engen hellblauen Kleid. Ich verlasse das Wohnzimmer, um an die Klotür zu klopfen.
„Alexander! Mach auf!“, rufe ich genervt. „Ich bin’s, Ida!“ Ohne zu zögern öffnet er. Ich schließe dir Tür hinter mir und sehe ihn an. Mit einem tiefen Seufzen lehnt er den Kopf an den Spiegel. Er blinzelt, als hätte er Tränen in den Augen.
„Also, es ist ja nicht so, dass ich nein gesagt habe“, stammele ich los. Ich kann es einfach nicht ertragen, ihn so traurig zu sehen. Außerdem möchte ich Sofie eine Freude machen. Sie will doch so gerne, dass wir zusammen kommen. Und das sind wir fünf Minuten später auch schon, aber ich bin immer noch nicht verliebt. Auch nicht, als Alexander hoch und heilig verspricht, mich nicht mehr an den Brüsten anzutatschen. Die restliche Party über sitzen wir nebeneinander auf dem Sofa. Alexander hat den Arm um mich gelegt. Er ist schwer, finde ich. Das tut weh im Nacken und es fühlt sich an, als würde Alexander an mir dranhängen.
„Das ist nicht wirklich so angenehm, Alexander“, säusele ich mit meiner süßesten Stimme. Ich habe keine Lust, ihn schon wieder zu verletzen. Stattdessen greife ich seine Hand und lege sie in meine. Das fühlt sich etwas besser an. Einen Augenblick lang stelle ich mir vor, wir zwei wären einfach nur richtig gute Freunde. Aber als Alexander mir plötzlich einen Kuss auf die Wange drückt, reiße ich die Augen weit auf und wische mir seinen Kuss mit dem Handrücken ab.
Ich habe einfach keine Lust, hier auf Ellas Party rumzuknutschen. Ich hab auch keine Lust mehr zu tanzen. Eigentlich gehen Ella und ich immer total ab. Aber nicht heute. Weil Alexander an mir dranklebt, obwohl ich jedes Mal versuche, mich von ihm zu lösen, indem ich meine Hand nach der Wasserflasche ausstrecke oder um Chips aus der Schüssel zu angeln. Wenn Sofie nicht auf der anderen Seite neben mir sitzen würde, wäre das Ganze hier echt peinlich. Aber es wirkt so, als hätte Sofie begriffen, nicht von meiner Seite zu weichen und mich nicht mit Alexander allein zu lassen. Nicht jetzt. Nicht heute Abend. Dazu bin ich noch nicht bereit.
Sofie lächelt uns die ganze Zeit an. Ein wenig steif vielleicht, aber so ist Sofie nunmal.
„Ihr seid das perfekte Paar“, wispert sie mir ein paar Mal ins Ohr. Stocksteif nicke ich ihr zu. Ich fühle mich gerade nicht so perfekt.
Am nächsten Tag ruft Alexander schon vormittags an. Es ist Samstag. Sofie packt gerade ihre Sachen zusammen und ich hab vergessen, mein Handy auszuschalten. Er erkundigt sich nach meinen Plänen für heute Abend.
„Wie verknallt er in dich ist!“, bemerkt Sofie nach unserem Telefonat, während sie ihren Schlafsack fest zusammenrollt, damit er in seine Hülle passt.
Ich nicke zögernd. „Ich bin auch ganz verliebt in ihn“, sage ich. Das ist eine Lüge, aber ich bin gut im Lügen. Ich sollte dankbar sein. Ich bin gerade mit meinem ersten richtigen Freund zusammengekommen und sollte fröhlich und bescheuert vor Glück sein, stattdessen frag ich mich nur, was ich mit ihm anstellen soll, wenn er zu Besuch kommt.
Und als er kommt, ist es genauso übel, wie ich es befürchtet hatte. Wir sitzen nebeneinander auf meinem Bett und sagen gar nichts, bis ich vorschlage, dass wir einen Film gucken könnten. Da ist er dafür, und so sitzen wir zwei steife Stunden vor dem Fernseher und schauen einen Film über ein Mädchen, das gegen eine Menge andere Kinder in einem Wald in einer Art Spiel ums Überleben kämpft. Es gibt auch einen Jungen, der in sie verliebt ist, aber sie kann seine Gefühle nicht recht erwidern. Sie tut nur so als ob, was ihr das Leben rettet.
„Voll guter Film!“, sagt Alexander und streckt sich, so dass ich bis an die Wand rutschen muss.
Am Montag in der Schule will Sofie wissen, was wir so gemacht haben, nun, da wir ein Liebespaar sind. Eigentlich sollen wir gemeinsam mit Sebastian und Alexander eine Gruppenaufgabe erstellen, aber ich habe keinen Bock. Ehrlich gesagt ist es echt hart, ein Liebespaar zu sein und dann auch noch in dieselbe Klasse zu gehen.
„Habt ihr gar nicht geknutscht und sowas alles?“, fragt Sofie neugierig und lehnt sich über den Tisch. Sie schaut mich fast schon gierig an.
„Ja, doch so ein bisschen und wir haben uns ein bisschen angefasst, aber mit Klamotten an und so“, schwindele ich. Die Wahrheit ist, dass wir uns nur diesen Film angesehen haben. Und dass ich alles unternommen habe, um mich vor einem Kuss zu drücken. Darauf habe ich nämlich wirklich keine Lust.
Die ganze Woche versuche ich, so wenig Zeit wie möglich mit Alexander zu verbringen. Wir sehen uns schließlich jeden Tag in der Schule und ich finde, das ist genug. Er muss wirklich nicht jeden Tag bei mir zu Hause vorbeikommen. Höchstens zwei Mal die Woche sollte jawohl genug sein.
„Du Glückliche!“, seufzt Sofie. „Alexander hat wirklich so eine wie dich verdient!“
„Jep“, murmele ich, ganz von schlechtem Gewissen zerfressen. Ich denke so gut wie nie an ihn. Ich habe keine Schmetterlinge im Bauch, wenn er abends bei mir vor der Tür steht. Das nervt mich einfach nur. Ich hätte viel mehr Lust, von Perser zu träumen. Aber das kann man ja niemandem verraten.
Zu Beginn der Sommerferien haben wir uns immer noch nicht geküsst. Und langsam wird Alexander ungeduldig. Wir schauen eigentlich nur Filme zusammen, wenn er mich besuchen kommt. Außerdem bin ich immer noch sauer, dass wir dieses Jahr nicht wegfahren.
„Ich wünsche mir so, dass wir wieder nach Griechenland fahren“, seufze ich an unserem letzten Schultag. Ich sitze auf einer Couch und nasche den Rest aus der Süßigkeitentüte, die wir im Lehrerzimmer bekommen haben, als wir uns von unseren Klassenlehrern verabschiedeten.
Rasmus grunzt nur und tippt auf seinem Handy herum, als hätte er mich nicht gehört. Meine Mama stillt meine kleine Schwester und trinkt Kaffee. Genervt schüttelt sie den Kopf. Sie hat es mir tausendmal erklärt. Wir können es uns dieses Jahr einfach nicht leisten, da meine kleine Schwester ein Bettchen, eine Babytrage und Babysachen braucht.
„Wir machen dieses Jahr schön Ferien zu Hause!“, sagt meine lächerliche Mutter.
„Anstelle von Sommerurlaub hast du jetzt eine niedliche kleine Schwester“, lächelt Rasmus und legt sein Handy weg. Böse starre ich auf den Kinderwagen, der draußen auf der Terrasse steht. Eine kleine Schwester stand nicht auf meiner Wunschliste. Nur eine Reise nach Griechenland. Auch Rasmus habe ich mir nicht gewünscht, aber er ist trotzdem bei uns eingezogen, nachdem meine Mutter mir die Schocknachrichten überbrachte: Sie war schwanger von einem Mann, den sie bei der Arbeit getroffen hatte. Meine Mutter verkauft nämlich Sportmaschinen an FF - Fantastische Fitness und traf Rasmus in seinem Fitnessclub. Letzten Herbst stand er dann mit einem Umzugswagen und fünf Freunden vor unserem Haus und stellte die ganze Auffahrt mit Ledermöbeln und Kartons voll Proteindrinks zu. Die Ledermöbel kamen zum Glück in der Garage unter – so benebelt war meine Mutter dann auch wieder nicht. Wir haben immer noch unsere weiche, cremefarbene Sofagarnitur mit den hellroten Zierkissen, die ich mal im Freizeitclub genäht hatte. Und um ehrlich zu sein, ist Rasmus’ Fernseher echt toll. Der ist megagroß und hat Dolby Surround und ich durfte unseren alten Fernseher in mein Zimmer stellen.
„Außerdem kannst du so den ganzen Sommer mit Alexander verbringen“, säuselt meine Mutter und schickt vielsagende Blicke zu Rasmus.
„Du kannst auch mit in den Fitnessclub kommen und ein bisschen trainieren“, schlägt Rasmus vor und nimmt meine rülpsende Schwester auf den Arm.
„Das glaubst du doch selbst nicht!“, erwidere ich und lege meine langen bleichen Beine auf den Tisch. Er klingt fast so wie Sofies Vater, der auch ganz verrückt nach Ausdauerlauf und Gewichtestemmen ist.
„Denkst du etwa, ich bin zu dick?“, frage ich ihn plötzlich misstrauisch und ziehe den Bauch ein.
„Eigentlich nicht, aber Sport ist gesund“, sagt Rasmus schnell, während er energisch auf seinem Kaugummi gnatscht.
„Dann glaubst du also, ich bin ungesund?“, frage ich, mache ein schmales Gesicht und streife mein blondes Haar hinter meine Ohren.
„Nein, du siehst hübsch und gesund aus“, seufzt er und geht, um meine Schwester zu wickeln.
So wie ich es schwierig finde, mich in Alexander zu verlieben, kann ich auch keine rechten Gefühle für meine kleine Schwester entwickeln. Seitdem sie auf der Welt ist, hat sie ununterbrochen geschrien. Ehrlich gesagt finde ich, dass sie ein furchtbares Ding ist und manchmal, wenn meine Mama im Bad und Rasmus einkaufen gegangen ist, überlege ich, sie nicht mal aus Versehen auf den Boden fallen zu lassen. Das ist natürlich nur ein Gedanke – ich will sie nicht wirklich fallen lassen. Ich halte sie immer gut fest und spreche mit ihr in so einer Tröste-Stimme, damit ihr auch ja nichts zustößt.
„Du kleiner rosafarbener Schreihals“, lächele ich sie zuckersüß an. „Wer zur Hölle hat dir erlaubt, in den Bauch meiner Mama einzuziehen, du verwöhnter Schmarotzer?!“
Das Schlimmste überhaupt ist ihr Name. Ich selbst habe den kürzesten und langweiligsten Namen der Welt: Ida. Aber ich finde, der Name meiner Schwester sollte zu meinem passen. Zum Beispiel hätte sie Eva heißen können. Das hätte wirklich gut zusammengepasst. Ida und Eva. Aber das haben meine Mama und Rasmus offenbar nicht geschnallt, weswegen sie Karoline Amalie heißt. Total bescheuert. Ich hätte vielleicht auch gern zwei Namen gehabt!
„Gut, dass ich nicht ihre Mutter bin, ich hätte garantiert eine postnatale Depression bekommen“, sage ich zu meiner Mutter gewandt und schaue aus dem Fenster Rasmus hinterher, der mit Karoline Amalie spazieren geht, damit sie einschläft. Ich verstehe einfach nicht, warum meine Mutter jetzt noch ein Kind kriegen musste. Sie ist doch schon steinalt! Sie hat immer gesagt, ich und ihre Arbeit seien ihr genug, aber dann kommt ein Rasmus daher und mit ihm ein schreiendes Teufelsbalg.
Ich nehme mein Handy vom Tisch, als just eine SMS ankommt. Sie ist von Alexander. Ob er heute Abend vorbeikommen könne. Genervt schmeiße ich das Telefon weg. Ich habe damit geliebäugelt, ihn erst morgen sehen zu müssen.
Ich schnappe mir einen Karamellbonbon und kaue hart und lange auf ihm herum, bis das klebrige Zeug überall an meinen Zähnen klebt. Dann antworte ich ihm.
Kann leider nicht, süßer A., muss meine kleine Schwester babysitten, seufz, aber können wir uns nicht morgen sehen? Vermiss dich, Kuss, Ida.
Ich nasche noch einen Karamellbonbon, schicke die Nachricht ab und bereue es sogleich. Es gibt keinen Grund, ihm zu sagen, dass ich ihn vermisse. Das ist doch gelogen. Und ich habe mir selbst geschworen, nicht mehr zu lügen. Oder zu übertreiben oder wie auch immer Sofie das nennen mag, wenn ich nicht ganz die Wahrheit erzähle.
Von draußen klingen die Schreie meiner Schwester herein. Die Fenster sind offen und ich kaue und kaue auf dem Karamell, dass mir die Kiefer schmerzen.
„Ich werde noch wahnsinnig von dem Geschrei“, grummele ich und schmeiße mein Handy mit einem Knall auf den Couchtisch. Meine Mutter steht schwerfällig auf, gießt Tee in eine Tasse und setzt sich mir gegenüber auf einen Stuhl.
„Egal wie alt man ist“, beginnt sie mit ernstem Ton, „es ist immer schwer, eine große Schwester zu sein.“
„Bla bla...“, höhne ich und wickle mir die halbleere Naschtüte um den Finger. Meine Mutter glaubt von sich selbst, sie sei weise. Abgesehen davon, dass sie alles über Laufbänder und Hanteln weiß, hat sie Abendkurse in Psychologie belegt, weswegen sie immer eine Antwort auf alles hat. Auch, wenn man eigentlich nur in den Arm genommen werden will.
„Wie läuft es denn mit deinem neuen Freund?“, will sie wissen und rückt sich den BH zurecht.
„Total super!“, werfe ich ihr entgegen und verschwinde in meinem Zimmer.