Читать книгу Malik - Lisa W. Barbara - Страница 4
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ОглавлениеUm kurz vor zwei in dem Café Red in der Innenstadt bei den Stachus Passagen traf ich Sina, meine beste Freundin. Sie war größer als ich, was ja auch nicht schwer war, und hatte dunkle Haare, die sich wild unter ihrer Mütze hervorkringelten. Ich hatte sie erst nachdem ich mein neues Leben begonnen hatte kennengelernt. Zuerst hatte ich sie gehasst. Ja, wirklich gehasst. Für eine Frau wie ich, die normalerweise keine Emotionen zuließ, war dieser Hass das Stärkste gewesen, das ich seit jener Nacht gespürt hatte.
Doch sie wollte seltsamerweise mit mir befreundet sein und auch, als ich sie immer wieder kalt abblitzen ließ, wollte sie sich verabreden und irgendwann, zwischen Businessmeetings und Kaffee-über-meine-neue-Bluse-schütten wurden wir Freunde, was eigentlich die stärkste Bindung war, die ich seit der Ermordung meiner Eltern eingegangen war.
Sie trug einen braunen Poncho und braune UGGS. Ich würde so etwas nie tragen. Nie. Und bei uns beiden war es wirklich so. Gegensätze ziehen sich an.
Seltsamerweise erkannte sie mich erst, als ich direkt vor ihr stand und sie anlächelte.
"Oh mein Gott, Phina. Was ist denn mit dir passiert?", rief sie laut, sie war immer so laut, sodass sich viele Leute nach uns umdrehten. Ich ignorierte das, ich war ja schließlich auch niemand, der nervös wurde oder sich so leicht von etwas aus der Bahn bringen ließ (außer seit heute) und grinste noch ein bisschen breiter.
"Ich dachte, ich probiere mal was neues aus", sagte ich und bereute es sofort wieder. Immerhin wollte ich ja morgen wieder in mein strukturiertes Leben zurückkehren, aber Sina würde mich bestimmt zwingen, noch Shoppen zu gehen, und meine heutige Stimmung vollkommen ausnutzen so wie ich sie kannte.
Sie umarmte mich stürmisch und gab mir Küsschen auf jede Wange, was sie immer tat.
"Na das musst du mir mal erklären?", fing sie unser Gespräch an, ich schüttelte nur den Kopf und betrat das Kaffee. Ich konnte spüren, dass sie nur Zentimeter hinter mir war.
Wir setzen uns an einen kleinen Tisch, der noch frei war, beziehungsweise ich setzte mich nachdem ich meinen Mantel ausgezogen und über die Stuhllehne gelegt hatte, während Sina immer noch vor mir stand und mich entgeistert ansah.
"Sina, sei so gut und setz dich einfach hin, okay?", sagte ich bestimmt und sie klappte den Mund zu. Dann setzte sie sich endlich hin und der Kellner, der hinter ihr gestanden hatte lächelte mir dankbar zu. Er hatte ein riesen Tablett auf den Armen. Komisch, sonst wäre mir so etwas nie aufgefallen, aber er sah eigentlich echt gut aus.
Sina holte mich aus den Gedanken zurück , als sie sich eine meiner Haarsträhnen um die Finger zwirbelte.
"Ich hab dich glaub ich noch nie mit offenen Haaren gesehen. Was soll denn der neue Look? Wer ist daran schuld? Wie heißt er? Wie schaut er aus, wo kommt er her, was für eine Kreditkartennummer hat er?", redete sie ohne Punkt und Komma.
"Nein, das ist es nicht. Ich. . . ich hab mich heute einfach anders gefühlt", murmelte ich. Normalerweise murmelte ich nie, sondern sagte immer mit klarer lauter Stimme, das was ich mir vorher in Gedanken zurecht gelegt hatte.
"Das ist normal wenn man verliebt ist", meinte Sina mit einem Lächeln, wackelte mit den Augenbrauen und starrte mich immer noch an.
"Kannst du mal aufhören? Es ist echt nichts, ich fühl mich heute nur einfach nicht wie ich. Ist das so unverständlich für dich?", entgegnete ich ein bisschen zu schroff, was sie aber keineswegs störte, nur aus ihrer Starre holte. Sie zog sich endlich, immer noch grinsend den braunen Poncho über den Kopf.
"Wenn du´s nicht mal deiner besten Freundin erzählen willst. . .", sagte sie beleidigt und studierte die Karte.
Innerlich musste ich ein bisschen grinsen. Sie konnte mir nie böse sein, auch wenn ich wirklich eine Idiotin war. Eine eiskalte Idiotin.
Ich zuckte mit den Schultern. "Sina, es ist echt nichts. Wirklich nichts, worüber du dir Sorgen machen musst. Morgen bin ich wieder ganz die Alte, versprochen."
"Eigentlich mag ich dich so lieber. Also dein Outfit. Ich hätte nie gedacht, dass du so tolle Haare hast. Sonst trägst du sie ja immer so zugebunden nach oben, dass ich mir schon immer Sorgen machen muss, dass du sie dir nicht alle ausreißt, so streng sind sie nach hinten gebunden. Aber so gefällst du mir echt besser. Viel viel besser. Weißt du was? Wir sollten später noch shoppen gehen und dir eine eigene Jeans kaufen, die da, wo du anhast, die vermiss ich nämlich schon. Die wollte ich letztes Mal eigentlich anziehen, als ich mit Janik auf diese Vernissage wollte, ich war ihm schon ganz sauer, weil ich dachte, er hat mal wieder meinen Schrank ausgemistet ohne mich zu fragen. Weißt du noch, wo er meinen kostbaren Hebammenkoffer aus dem 19ten Jahrhundert weggeschmissen hatte, weil er dachte, dass er kaputt ist? Ach war ich da sauer. . ."
Ihre Redeflut wurde erst unterbrochen, als der Kellner am Tisch stand und ich bestellte. Wie immer hatte sie noch keine Ahnung, was sie trinken wollte, sie war ja vor lauter Reden noch nicht dazugekommen, die Karte zu lesen und bestellte sich auch einen Kaffee, mit Milch und Zucker. Ich trank meinen immer schwarz, außer morgens mit fettfreier Milch.
"Darf´s sonst noch was sein?", fragte der Kellner und schaute mich dabei mit einem schüchternen Lächeln an.
"Nein danke, das war´s", wimmelte ich ihn ab und er schwirrte mit hängenden Schulter zum nächsten Tisch.
"Hast du nicht gemerkt, dass der dich total scharf fand? Also ich mein, dass du das nicht merkst. . . ich dachte ja früher immer, dass du lesbisch bist, weil du dich nie mit irgendwelchen Kerlen getroffen. . .", setzte sie schon wieder an.
"Sina, lass mich doch mal in Ruhe. Immer hast du was an mir rumzumeckern", giftete ich sie an, was sie aber keinesfalls als Beleidigung aufnahm.
"Ich bin so stolz auf dich. Endlich sagst du auch mal, was dir in den Sinn kommt und nicht immer deine langweiligen Floskeln."
Ich ersparte mir eine Rede über meine langweiligen Floskeln und sah mich um.
"Ich geh kurz auf die Toilette. Beziehungsweise, wenn ich mir die Schlange ansehe, dann eher lang", sagte Sina amüsiert und schwebte Richtung Toilette.
Ein bisschen gelangweilt hob ich meine Tasche auf den Schoß und wollte meinen Terminplaner rausholen, als mir das grüne Blinken auf meinem Smartphone auffiel.
Ich öffnete die Nachricht, natürlich war sie von Malik, den ich schon fast vergessen hatte, und der einer der Gründe war, warum ich heute so war, wie ich heute eben war.
´Ich erwarte nichts von dir, Josephina, jedenfalls jetzt noch nicht. Ich wollte dir nur noch was sagen. Ich habe vor, nach Deutschland zu kommen und ich möchte dich kennenlernen. Ich mein, man muss ja nicht gleich heiraten. . .´
Ich musste die Nachricht zweimal lesen, als ich beim ersten Mal nicht ganz kapierte, was darin stand.
Was sollte das denn? Mein Herz fing an, schneller zu schlagen. Unwillkürlich natürlich.
Als ich nicht antwortete, schrieb er: ´Hast du einen Freund? Ich weiß, dass ich dich damit überrasche und ich weiß auch, dass alles etwas Zeit braucht. Ich kenne eine Menge Leute, die sich in jemanden verliebt haben, ohne dass sie sich persönlich kannten.´
Ich war wie in Trance. Was passierte da nur? Ich war so völlig unvorbereitet auf die ganze Situation, und das obwohl ich mich immer auf alles vorbereitete. Aber das überforderte mich schlicht und einfach.
Als der Kellner die zwei Kaffee auf den Tisch stellte, erschrak ich so sehr, dass ich meine Tasse umschüttete.
"Oh, entschuldige!", rief ich lauf und sprang sofort hoch, hatte die Tasche auf meinem Schoß vergessen, die runterfiel und den gesamten Inhalt über den Boden verteilte. Und als könnte der Tag nicht schon seltsam genug sein, breitete sich auf meiner Hose ein riesen Fleck aus, von dem Kaffee der über die Tischkante tropfte.
"Ist alles okay?", fragte der Kellner und legte mir eine Hand auf den Arm, bückte sich dann aber schnell, um meine Sachen wieder in meine Tasche zu befördern, als er sich einen bösen Blick von mir einfing. Mit schlechtem Gewissen, was ich sonst auch nie hatte, half ich ihm.
"Das tut mir wirklich leid. Ich bringe dir sofort einen neuen Kaffee und der Rest geht auch aufs Haus. Ich hol schnell was, um das auf zu wischen", sagte er, erhob sich und ging schnell, mit hochrotem Kopf in Richtung Küche. Ich rappelte mich ebenfalls wieder auf, stellte die Tasche auf den Boden und setzte mich wieder auf den Stuhl. Ich war so überfordert mit der Situation (mal wieder), dass ich richtig froh war, als Sina wieder in mein Blickfeld kam.
"Was hast du denn jetzt wieder angestellt?", fragte sie und sie wirkte wirklich überrascht.
"Eigentlich passiert ihr nie so etwas. Also ihrem alten Ich. Aber heute ist sie einfach ganz anders, was mir echt gefällt, oder etwa nicht? Sehen Sie doch mal, wie hübsch sie heute aussieht und das Grün des Pullovers, natürlich ist der aus Kaschmir, sie würde niemals Polyester anziehen, der unterstreicht ihre schönen Augen einfach nur noch mehr, was meinen Sie?", rief Sina der älteren Frau am Nebentisch zu, die uns, beziehungsweise zuerst mich, und jetzt Sina entgeistert ansah.
Ich merkte, wie mein Gesicht rot anlief, was wieder eine neue Erfahrung war.
Der Kellner kehrte zurück und gab mir ein feuchtes Tuch, mit dem ich den Fleck auf meiner Jeans rausrubbelte, jedenfalls so gut es ging und er wischte den Kaffee vom Tisch.
Ich bedankte mich bei ihm und wir setzten uns wieder.
"Was ist denn los, Phina?", fragte Sina, als sie mir in die Augen sah. "Du bist ja ganz blass."
Ich hatte gar nicht gemerkt, wie sich auf einmal alles um mich drehte.
"Hast du überhaupt schon was gegessen?"
"Nein, es ist nichts. Alles okay."
"Sicher?", fragte sie nochmal und noch besorgter.
Ich nickte und als der Kellner nochmal zu uns an den Tisch kam, bestellte sie noch Waffeln. Und ich aß diese mit samt der Sahne und der ganzen Kalorien auf, obwohl ich sonst nie auch nur so etwas essen würde.