Читать книгу Ein Fohlen bring Glück - Lise Gast - Страница 4
Оглавление„Nanu? Es ist ja so hell? Hab’ ich etwa verschlafen?“
Dori hockte im Bett, bohrte die Fäuste in die Augen und riß diese dann wieder auf. Merkwürdig. Sie nahm sich nicht die Zeit, die Vorhänge zurückzuziehen, sondern sprang aus dem Bett und lief barfuß der Küche zu. Immer führte ihr Weg nach dem Aufwachen zuallererst in die Küche, um Tante Ulle zu begrüßen und Würfelzucker oder altes Brot für Donner zu erbetteln. Für Donner, ihr Pferd, ihre große Liebe, ihren kostbarsten Besitz. Schon vor der Schule mußte sie ihn begrüßen und füttern, sonst hätte sie nicht eine Sekunde stillsitzen können.
Heute aber stimmte etwas nicht. Es war zu hell für die Jahreszeit, sie mußte tatsächlich verschlafen haben.
Die Küche war leer. Es roch auch noch nicht nach Kaffee, wie sonst, und die blaugewürfelten Scheibengardinen waren noch zu. Dori ging zum Fenster, schob den Stoff beiseite – und war im Augenblick hellwach. Schnee! Deshalb war es so hell. Schnee, jetzt schon. Es war ja erst Anfang November. Ob Peter das wußte?
Peter, Tante Ulles Sohn, Doris Vetter, war eine schreckliche Schlafmütze. Er fand und fand nicht aus dem Bett, man hätte Kanonen neben ihm abschießen können, er wäre nicht aufgewacht. Dori rüttelte ihn, zog ihm das Deckbett weg und schrie ihm in die Ohren: „Wach auf, Peter, es hat geschneit! Schnee, dicker Schnee, Peter. Nun wach doch endlich auf!“
Als alles nichts half, lief sie nach nebenan ins Bad und suchte einen Waschlappen. Den hielt sie unter das kalte Wasser und kam damit, eine Tropfspur hinter sich lassend, in Peters Stube zurück. Klatsch, da hatte er die kalte Nässe im Gesicht, und das half nun endlich.
„Du Ferkel, was soll denn das?“ Peter hatte sich aufgesetzt und wischte mit dem Schlafanzugärmel über Augen, Nase und Mund. „Bist du närrisch? Heute ist doch Sonntag!“
„Ach so! Daran hatte ich gar nicht gedacht. Aber geschneit hat es, Peter, alles ist weiß. Wach auf, wir müssen die Pferde holen!“
„Warum denn das? Die fühlen sich sicher ganz wohl im Schnee, und ich will endlich mal ausschlafen.“
„Unsinn, wir müssen sie holen. Wie spät ist es denn eigentlich?“
Peter drehte sich zur Wand und antwortete nicht.
„Na schön“, sagte Dori, „dann bleib. Du bist mir ein richtiger Pferdefreund, schäm dich. Erst das Pferd, dann der Reiter. Ich hol’ sie.“
Sie rannte in ihr Zimmer zurück, zog sich an und flitzte wieder in die Küche. Noch immer niemand hier. Also die Wendeltreppe hinunter, die ins Atelier führte. Das war früher der Pferdestall gewesen, als der Schloßhof noch bewirtschaftet wurde. Jetzt war es ein großer, heller Raum; die Ständer standen noch, an denen früher die Flankierbäume befestigt waren. Wenn Tante Ulles Mann, Onkel Martin, eine Ausstellung seiner Bilder vornahm – er war Maler –, dann fand sie hier statt. Das kam aber nur alle zwei, drei Jahre vor. Dori hatte es einmal miterlebt, es war ein großes Fest gewesen.
Dori warf die Tür hinter sich zu und rannte über den Hof. Überall sauberer, glatter Schnee, noch niemand war darübergegangen und hatte eine Spur getreten. Ob sie mit dem Fahrrad durchkam? Die Pferde standen ein Stück weit entfernt auf der sogenannten Schmetterlingswiese. Wie aber sollte sie alle drei auf einmal führen, wenn sie auf dem Fahrrad saß? Schon eins neben sich zu führen, wenn man radelte, machte Schwierigkeiten. So entschloß sich Dori, zu laufen. Halfter wußte sie auf der Schmetterlingswiese.
Dori lief also über den Hof, an Großmutters Häuschen vorbei, den steilen Weg hinunter. Es war ein Vergnügen, so zu rennen, nur allzu schnell durfte man nicht werden, sonst flog man auf die Nase. Aufatmend stoppte sie am Fuß des Weges und konnte nun die große Straße entlangmarschieren, mit langen Landbriefträgerschritten, das schaffte am meisten.
Dori sah sich um. Die ganze Landschaft war verändert, das Tal wirkte viel enger, und alles war so neu und so sauber. Dori merkte, daß sie pfiff – und als sie es merkte, mußte sie aufhören, weil sie so lachen mußte. Sie hatte ihr Lieblingslied aus dem Gesangbuch gepfiffen: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud’ in dieser lieben Sommerszeit“ – na, Sommerszeit paßte ja nun wirklich nicht. Aber Freud’, ja, das konnte man sagen.
Sie suchte nach einem passenden Lied. Lange Strekken, die man radelt oder läuft, werden kürzer, wenn man singt, das wußte Dori auch aus eigener Erfahrung. Was paßte also für heute? Das erste Weihnachtslied, das man singen „durfte“? „Es ist für uns eine Zeit angekommen“?
Nein, lieber nicht. Man sollte nicht zu zeitig mit Weihnachtsliedern anfangen, dann dehnte sich die Adventszeit gar so sehr. Aber Sankt Martin war jetzt bald, Sankt Martin, der, wenn es schneit, auf einem Schimmel geritten kommt. Hier im Dorf, zu dem das Schloß und der Schloßhof gehörten, war der alte Brauch noch nicht vergessen. Die Kinder bastelten sich Lampions oder schnitzten sich welche aus Rüben, und der Lehrer hatte ihnen außer dem bekannten Martinslied „Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind“ zwei andere beigebracht. „Ich geh’ mit meiner Laterne“ und „Was ist der schönste Vogel, kipp, kapp Kogel, das ist die Gans“.
Dori sang. Und es war wie immer: Durch das Singen wurde der Weg kürzer. Schließlich kletterte sie den steilen Trampelpfad hinunter, wobei sie sich vorsichtig rechts und links am Gesträuch festhielt, und atmete erleichtert auf, als Donner auf ihr Rufen sogleich wiehernd antwortete.
Sein Wiehern klang wie „Halleluja!“, fand Dori immer, aber sie sprach das nie aus. Peter hätte ihr sofort einen Vogel gezeigt und es überall herumposaunt. So ein richtiger Pferdefreund war Peter eben immer noch nicht. Er ritt zwar auf seiner Sambesi, wenn Großmutter ihn aufforderte; aber Dori glaubte, er täte das vor allem, weil er ihr das Pony nicht gönnte, und nicht aus reiner Liebe zum Pferd. Sonst wäre er doch bestimmt heute aufgestanden und mitgelaufen, um die Pferde zu holen. Nun, sie brachte sie auch allein zum Schloßhof. Während Dori den Zucker verfütterte, den sie eingesteckt hatte, überlegte sie. Natürlich kann man drei Pferde führen, wenn diese sich kennen und leiden mögen. Manche Pferde vertragen sich ja nicht; dann gibt es Gekloppe und Gebeiße, und man muß achtgeben, daß man nicht zwischen die Streitenden gerät. Aber ihre drei Pferde waren aneinander gewöhnt und vertrugen sich, so verschieden sie waren: Perle, das helle Großpferd, das von der Großmutter geritten wurde, Sambesi, das zottige Shetlandpony, und Donner, der noch nicht geritten werden durfte; er war ja erst zweijährig.
Dori hob sich auf die Zehen, um Perle den Zügel über den Hals zu legen, damit sie den Pferdekopf herunterziehen konnte. Bei Sambesi ging das Aufhalftern im allgemeinen schnell, da konnte sie einen Arm über die Mähne legen, während sie mit der andern Hand das Mäulchen aufsperrte. Heute war das nicht mal nötig, denn die Pferde bekamen nur Stallhalfter an.
Dori zog Perle und Sambesi hinter sich her und hoffte, Donner würde mitlaufen. Den Trampelpfad hinaufzukommen war nicht leicht. Dori trat selbst sehr unsicher, weil der Schnee jede Unebenheit verdeckte. So dauerte es viel länger als sonst, bis sie oben waren. Immerhin benahm Donner sich klug und artig – er kam mit, sie brauchte ihn nicht einmal zu locken.
Oben angekommen, atmete sie erst einmal auf. Nun ging es ein Stück über ein verschneites Stoppelfeld zur Straße hin. Sehr viel Verkehr würde heute am Sonntagmorgen nicht herrschen. Kein Autofahrer hatte um diese Zeit schon Winterreifen auf den Rädern, der Schnee war ja sehr überraschend gekommen. Warum sollte sie also nicht versuchen zu reiten? Hier riskierte sie ja nicht viel. Wenn es Perle einfallen sollte, Dummheiten zu machen, konnte sie sich immer noch heruntergleiten lassen. Dori sagte sich das, fühlte aber dennoch ein ziemliches Herzklopfen. Sie hatte wohl schon manchmal auf Perle gesessen, aber immer nur mit Sattel und auf dem Reitplatz. Jetzt dagegen …
Dori zog ihr Dreigespann am Wald entlang, denn sie wußte, nach ungefähr fünfhundert Metern gab es dort eine Bank. Dort angekommen, kletterte sie auf die Lehne und versuchte, das eine Bein über Perles Rücken zu schieben.
„Komm näher ran, so ist es mir zu weit“, murmelte sie und bemühte sich, das Pferd an sich zu ziehen. Perle warf den Kopf.
Nein, so ging es nicht. Perle war schlau genug, sich schräg zur Bank zu stellen, und dabei linste sie frech nach hinten: „Wenn ich nicht will, kommst du nie auf mich drauf!“
Dori zog das Bein zurück. Aber die Aussicht, mit den drei Pferden den ganzen Rückweg zu Fuß machen zu müssen, trieb sie vorwärts. Und da hatte sie auch schon eine Idee. Sie sprang von der Bank herunter, schwang sich auf Sambesi, was keine Kunst war – auf das Shetti sprangen sie immer ohne Bügel, es war ja niedrig –, und trieb den kleinen schwarzen Kerl an Perle heran. Dann zog sie die Beine unter sich, stand einen Augenblick auf Sambesis Rücken – wozu hatte man denn Voltigieren gelernt – und warf sich mit dem Bauch über Perles Rücken. Die stand einen Augenblick verblüfft still, und diesen Augenblick nutzte Dori. Das rechte Bein über die Kruppe, und sie saß. Und obwohl Perle nur ein Stallhalfter trug, hatte Dori sie doch am Zügel, sozusagen jedenfalls.
„Vorwärts, Perle!“
Wahrhaftig, Perle ging. Und Sambesi ließ sich mitziehen. Sie ging links von Perle, und Dori konnte sie mit dem linken Fuß ein paarmal sanft in die Flanke schubsen. Das tat dem kleinen Pferd nicht weh, und es schien zu verstehen. Jedenfalls gingen die zwei Pferde brav nebeneinander vorwärts. Dori konnte es beinah nicht glauben. Und Donner?
Ja, Donner machte erst Ärger. Er blieb stehen und knabberte am Gesträuch des Waldrandes. Dori rief und rief nach ihm.
Schließlich dachte sie, er käme vielleicht besser mit, wenn sie nicht im Schritt dahintrödelte, sondern etwas schneller ritt. Versuchsweise puffte sie Perle mit beiden Hacken an und flüsterte: „Terrab!“ Laut zu rufen wagte sie nicht.
Und siehe da, Perle gehorchte. Sie machte ein paar Trabschritte, die Dori gut aussitzen konnte, und wurde dann von selbst schneller. Sambesi ließ sich mitziehen, und jetzt, da der Abstand zu den beiden Reitpferden größer wurde, schien Donner so zu denken, wie Dori gehofft hatte. Er setzte sich auch in Trab, holte den Abstand auf, machte ein paar Bocksprünge und galoppierte dann neben Perle her.
Dori fühlte sich wie ein Westernreiter. Nur schade, daß niemand sie sah und bewunderte.
Aber auch das sollte ihr beschieden sein an diesem herrlichen Tag des ersten Schnees. Als sie mit ihren drei Pferden den Weg zum Schloßhof hinaufgekommen war, trat gerade Großmutter aus ihrem Häuschen, den Strohbesen in der Hand. Sie wollte den Schnee vor ihrer Haustür wegfegen. Und da sah sie Dori herankommen, jetzt im Schritt. Ihr lachte das Herz.
„Fein, Dori, tüchtig! Warte, ich mach’ dir den Stall auf!“
Tante Ulle hatte in der Scheune einen Laufstall bauen lassen, für den Winter und auch, wenn mal ein Pferd nicht auf der Wiese stand, weil man es morgens zeitig brauchte oder weil man den Schmied erwartete oder den Tierarzt. Dort hinein dirigierte Großmutter zunächst Sambesi, deren Halfter sie an sich genommen hatte, und dann Donner. Dori ließ sich seitlich von Perle herabgleiten und führte sie hinterher.
„Fein hast du das gemacht, Dori“, lobte Großmutter noch einmal. „Aber warum hast du mich nicht geweckt? Ging es denn mit den dreien?“
„Gut“, sagte Dori, vergnügt und erleichtert, und erzählte Großmutter dann, wie sie auf Perle hinaufgekommen war. Großmutter lachte. Gerade erschien auch Tante Ulle im Hof, ebenfalls mit einem Strohbesen in der Hand.
„Nun nimm du auch noch einen, und dann reiten wir drei Hexen auf den Blocksberg“, sagte Großmutter. „Ach nein, ich kann ja nicht fort, ich hab’ ja einen Mann, der auf das Frühstück wartet.“
Dori mußte lachen.
„Er sollte dir das Frühstück ans Bett bringen“, rief sie, aber Tante Ulle hatte eine noch bessere Idee.
„Nicht doch! Hol ihn, Mutter, ihr seid heute alle bei mir eingeladen. Ich habe gestern abend noch Martinshörnchen gebacken.“
„Oh!“ juchzte Dori. Und dann gab sie ihrem Herzen einen Stoß und sagte: „Ich hol’ auch Peter dazu, ja?“
Sie hatte erst ganz etwas anderes sagen wollen: „Der Faulpelz kann weiterschlafen“ oder „Ihm geschieht es gerade recht, wenn er nichts abbekommt“. Aber nein, nun gerade nicht. Sie lief ins Haus und in sein Zimmer und rüttelte ihn.
„Peter, es gibt Martinshörnchen!“
Da wurde der müde Vetter sehr schnell munter.