Читать книгу Ein Fohlen bring Glück - Lise Gast - Страница 5

Оглавление

Am Samstag war Sankt Martin. Alle Schulkinder, aber auch Größere und Kleine aus dem Kindergarten des Dorfes hatten sich versammelt, als es anfing zu dämmern. Sie alle hielten Laternen in der Hand, und jedes hatte ein Säckchen umgehängt, in das sie die Süßigkeiten hineinsammeln wollten, die sie beim Krämer, im Forsthaus, bei den Bauern und schließlich im Schloßhof zu bekommen hofften.

Jetzt kam der Heilige angeritten, in einem orangefarbenen Rock und einem silbernen Helm. Es war Frau Doktor Groß auf Perle. Sie sah wunderbar aus. Ihre dunklen Haare quollen rechts und links unter dem Helm hervor, und Perle ging unter ihr wie eine Eins. Dori sah entzückt zu ihr auf.

Davon abgesehen war sie nicht sehr entzückt von ihrer augenblicklichen Lage. Tante Ulle hatte nämlich, ehe sie zum Sankt-Martins-Zug aufbrachen, Besuch bekommen: eine junge Frau, die zwei kleine Mädchen mitbrachte, Zwillinge, etwa drei Jahre alt. Als sie hörte, daß heute Sankt Martin war, lief sie schnell zum Krämer und besorgte noch zwei Lampions. Die drückte sie ihren Töchtern in die kleinen Patschhände.

„Dori und Peter nehmen euch mit“, verkündete sie begeistert. „Ihr sollt mal was erleben, was ihr noch nie erlebt habt. Da ist etwas los!“

Ja, es war allerhand los. Der Schnee war nicht nur liegengeblieben, sondern es war noch mehr dazugekommen, und der kleine Ort wimmelte von Kindern mit Lampions.

Dori zerrte das ihr anvertraute Kind mit sich, daß dies beinah hinter ihr herschleifte, und Peter machte es ähnlich. So errcichten sie den Laternenzug und ordneten sich ein.

Gleich darauf gab es eine Panne. Ein Bauer, der mit seinem Pferd gekommen war, hielt Sankt Martin an, in dem er die Tierärztin erkannt hatte, und bat: „Bitte, bitte, steigen Sie einen Augenblick ab! Mit meiner Stute ist etwas. Sie ist –“ Seine Erklärungen gingen im Gesang der Kinder unter. Frau Groß sprang von Perle.

„Ich komme. Peter, los, sitz du auf! Gib die Kleine deiner Großmutter –“ Und schon hatte sie Mantel und Helm an Peter weitergegeben, Großmutter das Kind an die Hand gehängt und Dori Perles Zügel in die Hand gedrückt.

„Hier, führ sie, Peter ist wohl noch nicht so ganz sattelfest. Ich muß erst sehen, was die Stute des Bauern hat.“ Sie bohrte sich hinter dem aufgeregten Mann durchs Gedränge, und weg war sie.

Peter war ganz verblüfft, sich auf einmal als Sankt Martin hoch zu Roß zu befinden. Wohl war ihm nicht dabei. Immerhin sah er bald darauf Großmutters Hand am Zügel seines Pferdes.

„Fein, Peter, da kannst du zeigen, was du bei mir gelernt hast“, ermutigte sie ihn.

Das war jedoch leichter gesagt als getan. Perle wurde von dem Gesang der Kinder beunruhigt. Sie trat hin und her, schließlich fing sie an zu tänzeln. Das Kind, das an Großmutters Hand ging, kriegte Angst und begann zu weinen.

„Ruhig, ruhig, mein Kleines!“ flüsterte Großmutter und nahm das Kind hoch. „Ich passe schon auf, daß dir nichts passiert.“

Natürlich paßte sie auf. Aber ein fremdes Kind auf dem Arm, das nun richtig ins Heulen kam, an der andern Hand ein Pferd, das immer unruhiger wurde, und darauf ein Junge, der noch nicht sehr fest im Sattel saß – niemand wußte besser als Großmutter, daß das schiefgehen konnte. Sie sah sich nach Dori um.

Dori drängte sich zu ihr hin. Ihr war der Zwilling, den man ihr gegeben hatte, etwas unheimlich, zumal auch dieses Kind, als es sein Schwesterchen weinen hörte, einzustimmen begann. Beide zusammen übertönten beinah den Gesang der Kinder.

Himmel, was tat man nur? Dori wechselte ihr Kind auf den andern Arm hinüber und versuchte, Großmutter den Zügel abzunehmen und Perle zu halten. Aber deren Kind fing jetzt an zu strampeln, sich nach rückwärts zu werfen und noch lauter zu brüllen.

„Ich lass’ dich fallen, wenn du hier so herumhampelst“, knirschte Dori.

Schließlich erbarmte sich ein junger Mann mit Brille und Bart, den bedrängten Frauen zu helfen. Er nahm erst Großmutter und dann Dori ihre wildwütige Last ab, hob beide Kinder geübt auf die Arme – „Ich habe zu Hause auch zwei von der Sorte, es wird schon gehen“ – und marschierte mit ihnen dem Sankt Martin hinterher. Der fühlte sich nun auch sicherer, als er sah, daß Großmutter nur noch ihn zu betreuen hatte. So kam der Zug wieder in Bewegung.

Vor der Kirche durfte Peter absitzen. Perle konnte natürlich nicht in die Kirche hinein. Die Kinderschar strömte an ihr und dem Heiligen vorbei, denn es hatte sich inzwischen herumgesprochen, daß jedes Kind in der Kirche eine Sankt-Martins-Brezel bekommen würde.

„Sitz ab, Peter“, hatte Großmutter gesagt, und nur zu gern gehorchte der kleine Heilige. Nun aber mußte er noch zu dem Bettler gehen, der auf den Kirchenstufen saß und fror, und ihm den halben Mantel geben. Der war aus demselben Stoff wie der wirkliche hergestellt, und Peter hatte ihn über der Schulter gehabt. Er tat, als schnitte er ihn mit seinem Schwert ab, und gab ihn dem Bettler. Der hüllte sich hinein.

„Sankt Martin gibt den halben still,

der Bettler rasch ihm danken will,

Sankt Martin aber ritt in Eil

hinweg mit seinem Mantelteil.“

Dieser Sankt Martin ritt nicht; Großmutter führte sein Pferd, und die andern folgten. In der Aufregung um die Sankt-Martins-Brezel fiel es den Dorfkindern nicht auf, daß sie, aus der Kirche kommend, ohne ihren Heiligen im Schnee standen.

Großmutter führte Perle zum Hänger, Dori und Peter hatten die hintere Klappe schon heruntergelassen, und Perle, gottlob, sträubte sich nicht. Sie polterte die Schräge hinauf, und man sah ihr an, was sie dachte: Lieber im vertrauten Hänger als in so einer verrückten Kinderschar.

Das war ein Ritt“, sagte Großmutter, als sie im verschneiten Schloßhof standen und Perle wieder im Stall hatten. „Daran werde ich lange denken. Und ihr, Dori und Peter, seid unverletzt aus diesem Abenteuer herausgekommen?“

„Gott sei Dank, ja, und ihr kleinen Brüllaffen auch.“

Es hatte wieder zu schneien begonnen, und sie schüttelten alle den Schnee ab, bevor sie ins Haus gingen. Dort saß die Mutter der Zwillinge behaglich bei Kaffee und Martinshörnchen in Tante Ulles warmer Stube, und als sie „Na ihr?“ fragte, hätte Dori sie gern erdolcht. Sie wollte gerade von der Brüllerei der beiden Kleinen erzählen, aber da kam Großmutter aus dem Flur, wo das Telefon hing. Sie hatte angerufen und sich nach der Stute des Bauern erkundigt, der Frau Doktor Groß um Hilfe gebeten hatte. Sein Pferd hatte eine Schlundverstopfung gehabt, die aber gut ausgegangen war. Da atmeten alle im Zimmer auf, und von dem Geschrei der Zwillinge war keine Rede mehr. Das war sicher auch besser so.

Großmutter hatte sich bei dem fremden Helfer noch herzlich bedankt und ihn samt seinen zwei Töchtern eingeladen und versprochen, daß sie auf Sambesi reiten dürften.

„Na, ob die wollen?“ fragte Dori zweifelnd. Und Peter erzählte von einem ganz berühmten Rennfahrer, der als Dreijähriger immer geheult habe, wenn man ihn ins Auto setzte. Die anderen lachten.

„Du würdest wohl auch gern Rennfahrer werden“, stichelte Dori, „jedenfalls lieber als ein guter Reiter, stimmt’s?“

„Laß Peter in Ruhe, Jungen haben es halt mit den Autos“, sagte Großmutter versöhnlich. „Es muß nicht jeder dasselbe wollen.“

Dori antwortete nichts, aber sie dachte, Großmutter habe vielleicht recht. Wenn Peter so versessen aufs Reiten wäre wie sie, würde er ihr wahrscheinlich immer die Perle wegnehmen wollen, sobald sie aufsitzen durfte.

Ein Fohlen bring Glück

Подняться наверх