Читать книгу Ritt in den Morgen - Lise Gast - Страница 6
ОглавлениеEs war später abend, als ich, müde und verstaubt, endlich ins Wohnzimmer kam. Die meisten Reiterinnen waren schon da, und man empfing mich freundlichnachsichtig.
»Ein verlängertes Mittagsschläfchen gehalten?« So begrüßte mich gönnerhaft Gloria, die Dame, die angeblich jeden Abend eine Stunde Dressur reitet, auf Großpferden natürlich, wie sie betont. Und ihre Freundin Germa, von uns ›Tante Turtelhütchen‹ genannt, weil sie stets mit abenteuerlichen Kopfbedeckungen reitet, fügte wehmütig hinzu: »Ach ja, als junges Mädchen hat man noch Zeit, auszuschlafen. Unsereins wäre glücklich, wenn er auch einmal ausruhen dürfte.«
Ich sagte nichts, lächelte so liebenswürdig wie möglich und setzte mich zu Tisch.
Mutter reichte mir den Rest Obstsalat herüber, den sie vorsorglich für mich beiseite gestellt hatte. Viel war es nicht mehr.
Gäste sind Gäste. »Du sollst deinen Gast ehren wie einen Gott.« »Der Gast, und ist er noch so schlecht, er wird geehrt, es ist sein Recht.« Hunderttausendmal habe ich das gehört und am Ende auch berücksichtigt. Aber eins weiß ich: einen Verleihstall mache ich einmal nicht auf. Meine Kinder, sollte das Schicksal mir je welche bescheren, dürfen in ihren Betten bleiben und müssen nicht Urlaub nehmen, um einzuspringen ...
Halt! Einspringen tat ich selbstverständlich gern, doch ja. Ich blinzelte Mutter, die mich besorgt betrachtete, tröstend zu und ging sogar auf ein Gespräch mit Frau Häberle ein, die, Pastorenfrau und mehrfache Mutter, sich alljährlich diesen kleinen Urlaub im Sattel gönnt, den ihr Mann in der Gemeinde mit Stillschweigen übergeht.
Sie ist wirklich nett, die Frau Häberle. Ob ich denn genug Salat hätte, fragte sie, und hier habe sie mir noch zwei Brote gestrichen, ehe die Wurst zu Ende war. Vorhin ging es so um diese Wurst ...
Sie hat ein süßes rundbackiges Gesicht und ist auch sonst ein bißchen rundlich, kein Wunder bei so vielen Kindern. Aber sie denkt immer an die andern, sie muß bemuttern und sorgt für sie, und ich bitte allen reitenden Hausfrauen im geheimen viel ab, wenn ich an Frau Häberle denke.
Frau Reuter, die Frau eines Verlegers aus Köln, fragte nach den Bildern des letzten Rittes im Herbst. Anna brachte den Projektionsapparat, und wir ließen es bunt über die Leinwand laufen. Die Aufnahmen sind gut geworden, tief in den Farben; und während ich sie betrachtete, fühlte ich, wie all mein Ärger verging – mein Ärger über Petra und über die merkwürdigen Frauensleute, die nun einmal unsere Kunden sind. Ein Brennen stieg in mir auf, das ich von klein auf kenne, von den ersten Malen her, da Mutter sagte: »So, und nun kommt Kari drauf. Willst du auf Berta reiten oder auf Bertchen?«
Wir hatten damals zufällig zwei Ponys, die Berta hießen, ein größeres und ein kleineres, speckfett rundes. Anfangs wollte ich immer auf dies, auf Bertchen, dessen Tonnenbäuchlein meine Beine natürlich nicht umspannen konnten und von dem ich regelmäßig nach wenigen Minuten nach rechts oder links abglitt. Später fand ich heraus, daß man auf Berta viel sicherer saß und besser ritt. Schon damals wogte es heiß in mir auf, wenn ich reiten durfte, und auch jetzt noch, nach längerer Abwesenheit von daheim, habe ich dieses Gefühl, sobald ich auf einem Ponyrücken sitze.
Morgen geht’s los, sagte ich mir; du bist einen ganzen, ewig schönen Sommertag im Sattel, und übermorgen auch – und überübermorgen ...
Meine verpaßte Verabredung sank unter dieser Wolke des Glücks weg, als hätte jener Roland nie existiert; ich vergaß ihn vollständig und kniff Mutter, die im verdunkelten Raum neben mir saß, in den Arm, daß sie aufstöhnte, und flüsterte: »Morgen auf Wisky! O Mami!«
»Ja, Kari. Wie schön!«
Tatsächlich, ich habe wenig Talent, unglücklich zu sein.