Читать книгу Anja und Petra zu Pferde - Lise Gast - Страница 4

Ein neuer Plan

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Die Sonne mußte vergessen haben, daß es nicht mehr Hochsommer, sondern schon September war. Jedenfalls brannte sie beinahe unerträglich vom Himmel herab. Petra war mit dem Fahrrad zum Reitverein gekommen, Anja im Dauerlauf zu Fuß. Sie trafen sich auf dem kleinen Weg, der von der Bundesstraße abbiegt und „frei für Anlieger“ ist, wie das Schild auswies. Heute sollte Heu eingeräumt werden, da mußten sie helfen. Aufatmend sprang Petra vom Rad und ließ es an die Stallwand fallen.

„So eine Hetze, da bestellen sie einen für zwei, und niemand ist da. Nötig ist das ja nicht. Komm, wir verschnaufen erst mal.“ Sie zog Anja an der Hand mit sich zur Halle hinunter und um diese herum. Dort warf sie sich mit einem Schwung ins Gras, daß sie sich um die Längsachse rollte. Anja hatte sich vorher von ihrer zerrenden Hand befreit und blieb stehen, atemlos wie die Freundin, aber immerhin auf den Beinen.

„Immer mußt du rasen! Wir sind ja zur Zeit da!“

„Ja, wieder mal die ersten.“

„Wieder mal“ war übertrieben. Petra zerriß das Zielband zwar meist noch im letzten Augenblick, wenn sie irgendwo angefordert wurde, erreichte es aber so gut wie nie mit Zeitreserve. „Ich muß dir was erzählen, ganz schnell, komm!“

„Ja? Was denn?“

„Was Geheimes.“

„Dann schrei nicht so –“

„Hier hört uns ja keiner. Oder etwa Tante Täubchen? Meinst du, daß sie hinter der Gardine lauert?“ Petra zeigte zu dem Fenster hinauf, hinter dem Frau Taubes Stübchen lag. „Tantchen, huhu! Bist du wach, oder träumst du im Mittagsschlaf?“ Sie winkte hinauf.

„Nun sag schon, was du erzählen wolltest!“ drängte Anja und setzte sich neben sie. „Du mußt es ja nicht brüllen. Aber schnell, sonst kommt der Heuwagen doch noch dazwischen.“

„Ja. Also – weißt du, daß Cornelia heiratet?“ Petras Augen waren rund wie Tennisbälle, und das Haar sträubte sich um ihren Kopf. Merkwürdig, so was gab es nur bei Petra; bei keinem anderen Menschen, den Anja kannte, hatte sie das je gesehen.

„Natürlich weiß ich das“, sagte sie und lachte. Es war ja längst klar, daß Cornelia, die von ihnen beiden heißgeliebte junge Ärztin, die so gut ritt und überhaupt in jeder Beziehung bewundernswert war, mit Anjas Onkel Kurt verlobt war. Wer verlobt ist, heiratet eines Tages – das war so klipp und klar und einfach, wie zwei mal zwei vier ist. Aber –

„Aber wann! Das weißt du nicht, bitte sehr! Hättest du mich nicht, würdest du es vermutlich erst am Tag der Hochzeit erfahren haben. Es ist nämlich geheim, ganz geheim –“ Petras Flüstern war bereits wieder so laut, daß man es über den halben Sprunggarten hin gehört hätte, wenn jemand dort stünde. Aber niemand außer ihnen war da. Ein Glück.

„Cornelia will nicht, daß es jemand erfährt. Warum, ahne ich nicht“, sprudelte es aus Petra heraus, „aber wir müssen trotzdem was ganz Großartiges anstellen zu dieser Hochzeit. Etwas, das noch nie da war. Weißt du was?“

„Ich? Wie soll ich denn – du hast doch immer die tollen Ideen“, sagte Anja.

Das war kein Witz und keine Ausrede. Petra sprühte vor Ideen, immer schon, seit sie einander kannten. Anja machte dann mit, folgte der Freundin treulich, fand alles wunderbar, aber der geistige Urheber der Ideen war so gut wie immer Petra.

„Weißt du, ich hab’ mir schon was überlegt – bei Hochzeiten von Reitvereinsleuten bilden die Reiter manchmal Spalier vor der Kirche, stehen rechts und links, die Pferde geschmückt – oder –“

„Oder sie reiten zur Trauung?“ fragte Anja. Petra hob die Schultern.

„Hab’ ich noch nie erlebt. Oder – nein, weißt du, warum der Reitverein nichts davon wissen soll? Vielleicht deshalb, weil Onkel Kurt nicht reitet. Darum will Cornelia es geheimhalten.“

„Hm.“ Das konnte Anja verstehen. „Und seine hundert Hündchen können nicht Spalier bilden, das ist klar.“

Sie lachten beide. Onkel Kurt war Tierarzt und züchtete Hunde, besser: Hündchen, ganz kleine, sie hießen Chihuahuas und haben komische kleine Tütenohren, das heißt, für die Köpfe sind diese Ohren nicht klein. Sie stehen hoch und geben den Tierchen einen sehr lustigen, aufmerksamen Ausdruck. Die beiden Mädchen fanden die winzigen Hunde rein zum Verlieben. Aber Spalier bilden konnten sie wirklich nicht.

„Das würde Jahre dauern. Und so lange sollen Cornelia und Onkel Kurt nicht warten müssen mit der Hochzeit“, sagte Petra. „Nein, wir müssen uns etwas anderes ausdenken. Wenn Onkel Kurt schon nicht reitet, vielleicht könnte er in die Kirche fahren, mit Pferden, das wäre doch wunderschön! Das würde Cornelia ganz toll finden, und bei ihm merkte man nicht, daß er nicht reiten kann.“ Petra fand, daß ein Mensch, der nicht ritt, schrecklich mangelhaft sei. Anja war derselben Meinung.

„Fahren? Da müßte man Herrn Taube fragen.“ Herr Taube war ihr Reitlehrer, eine ziemliche Respektsperson. Sie sahen einander nachdenklich an. Ob er es erlauben würde?

„Etwa mit Kerlchen? Im Dogcart?“ fragte Anja nach einer Weile hinterhältig. Petra fuhr auf.

„Immer legst du den Finger auf den wundesten Punkt, das ist geradezu brutal von dir“, sagte sie – so hatte ihr Vater einmal gesagt, als er sich über Mutter entrüstete, die ihn ein wenig damit aufzog, daß er gern gut aß, „weil ich damals Pech hatte und der Dogcart umflog, und überhaupt warst du nämlich genauso schuld. Wenn du –“

„Ich! Wieso ich?“ konterte Anja entrüstet, „ich bin ja nur mitgefahren und unschuldig wie ein neugebornes Fohlen. Du warst es, die Kerlchen –“

Sie lachten beide. Jene nicht ganz nach Plan verlaufene Fahrt mit dem alten, treuen Isländer Kerlchen, den sie heimlich eingespannt hatten, stand ihnen beiden noch deutlich vor Augen. Petra hatte kutschiert und beim Wenden die Kurve zu eng genommen, der Wagen kippte, Kerlchen wollte heim, und Anja hing eine Weile hinten an dem umgestürzten Gefährt, bis sie loslassen mußte und eine tolle Bauchlandung machte, wobei sie ihre Nase genau in den einzigen Knetelhaufen bohrte, der am Wege lag. Das vor allem hatte Petra sehr amüsiert.

„Nächstes Jahr fahr’ ich, und du hängst hinten dran“, grollte Anja.

„Na schön, aber ohne das Brautpaar. Es bedeutet zwar Glück, wenn es in die Brautkrone oder den Brautkranz regnet, aber ob es Glück bringt, wenn man mit der Hochzeitskutsche umschmeißt, weiß ich nicht. Außerdem müßte man mindestens zweispännig fahren an solch einem Tag!“

„Was heißt ‚mindestens‘? Mehr als zweispännig hab’ ich hier noch keine Kutsche gesehen.“

„Gerade deshalb! Eine Troika haben wir nicht, also müßte vierspännig gefahren werden –“

„Vierspännig? Wunderbar! Vier silbern glänzende Schimmel“, sagte Anja verträumt.

„Und eine Kutsche aus Glas“, fuhr Petra im selben Ton fort, „und ein Prinz darin, neben Cornelia, im dunklen Anzug und mit Brille.“ Onkel Kurt war Brillenträger. „So was hab’ ich mir immer erträumt.“

„Egal, ob Brille oder nicht. Brille ist kein Charakterfehler“, sagte Anja ärgerlich, weil sie aus ihrem Traum gerissen worden war. „Onkel Kurt ist schon in Ordnung, soweit ein Nichtreiter das sein kann. Aber woher nehmen wir den Vierspänner?“

Ja, das war ein Problem. Petra versank in Gedanken, während sie zwei Äpfel aus der Hosentasche grub. „Hier hast du einen. Ich kann am besten nachdenken, wenn ich esse.“ Sie warf Anja einen Apfel zu, die ihn geschickt auffing, und biß in den anderen. „Wir müssen mal richtig überlegen. Früher gab es keine Pferde – ich meine, in der Zeit, in der die Bauern anfingen, alles mit dem Trecker zu machen, und überall wurde gejammert: ‚Das Pferd muß bleiben!‘ Jetzt gibt es überall wieder welche, wenn auch keine Arbeitspferde. Um so besser. Wir wollen Cornelia ja auch nicht mit Hüh und Hott und Peitsche von riesigen Ackergäulen zur Kirche zerren lassen. Nein, elegant muß es aussehen, und alle Leute sollen Stielaugen machen, und die Presse muß da sein und klicken, oder auch das Fernsehen –“

„– und wir auf dem Bock. Du kutschierst, und ich sitz’ neben dir, mit übereinandergeschlagenen Armen, wie beim Turnier, wenn die Zweispänner hereinfahren –“

„Ja. Wunderbar! Nur – ob man uns die Pferde anvertraut? Geborgte, meine ich? Pferdebesitzer sind oft schwer davon zu überzeugen, daß man fahren kann –“

„Kannst du denn? Ich meine: vierspännig?“ fragte Anja.

„Eben nicht. Vielleicht kann man es bis dahin noch lernen!“

„Bis – ja, wann heiraten sie denn? Kennst du das Datum?“

„Nein, aber Vater sagte was von vier Wochen – er wußte nicht, daß ich zuhörte. Ist denn so was ein Geheimnis? Ich finde nicht.“

„Ich auch nicht. Na, ich werd’ es schon ergründen. Du, da kommt der Wagen. Auf, los, erst mal an die Arbeit. Dort kommt auch Gero. Na, mit solch großer Hilfe –“

Gero war klein, kleiner als die Kameraden seines Alters, ritt aber ordentlich. Man darf niemanden wegen seiner Körpermaße auslachen oder verspotten, das tat Petra auch nicht. Sie grüßte und kletterte dann die Leiter zum Heuboden hinauf, Gero und Anja hinterher. Und nun wurden Ballen aufeinandergesetzt. Das war schwere Arbeit, und die Kinder schwitzten und waren froh, als auch noch zwei erwachsene Reitvereinsmitglieder dazukamen. Herr Anders, der Pferdepfleger, reichte die Ballen durch die Luke hinauf. Keiner redete dabei, alle waren froh, genug Atem für die Arbeit zu haben. Ja, Reiterleben ist hart.

Aber schön! Nicht nur das Reiten selbst, auch das Schuften für die Pferde. Als der Wagen leer war, fühlten sie sich zwar wie durch den Fleischwolf gedreht, so sagte Petra, aber sehr befriedigt.

„Wir gehen noch nicht heim. Komm, ich lade dich zu einem Sprudel ein.“

Sie liefen zur Baracke hinüber, zogen sich jeder einen Sprudel aus dem Automaten und setzten sich auf den Tisch, die Beine herunterbaumelnd. Oh, wie es zischte, wenn man trank, so durstig machte das Heueinräumen. Wirklich, wie im Hochsommer!

„Aber jetzt weiß ich was!“ sagte Petra und stieß die Luft aus, nachdem sie die Flasche leergesogen hatte, „jetzt ist mir was eingefallen! Vierspännig – ich weiß jemanden, der vierspännig fährt, wenigstens manchmal. Wenn auch nicht mit Pferden. Sondern –“ sie sah Anja auffordernd an, als wäre sie die Lehrerin und Anja müßte antworten. „Mit –“

„Mit Ziegenböcken etwa? Womit kann man denn fahren außer mit Pferden“, sagte Anja ärgerlich. „Los, raus damit!“

Petra sah sie strafend an. „Nicht so vorwitzig! Deine Bildung ist recht lückenhaft! Man kann beispielsweise mit Kühen fahren, wenn das jetzt auch kaum mehr ein Bauer tut, oder –“

„Mit Eseln?“

„Ja, auch mit Eseln. Ich meine aber was anderes. Hast du schon mal das Wort Pony gehört?“

„Pony? Kleine? Klar, aber das sind doch auch Pferde, und –“

„Ja, natürlich. Quatsch beiseite, ich weiß einen Hof, wo es Ponys gibt. Gar nicht sehr weit von hier. Eine Ponyfarm. Wir sind den Leuten vor ein paar Jahren mal im Winter begegnet, als es viel Schnee gab. Vater fuhr uns im Wagen, denn wir suchten einen Hang, wo man Schiläufen üben konnte, einen Hang ohne Bäume für die ersten Anfänge. Mein Bruder war damals noch klein. Und da trafen wir einen Ponyschlitten. Eine junge Frau fuhr ihn, vierspännig. Der Mann und drei kleine Jungen saßen mit drin. So was Nettes! Die Ponys waren winzig, etwa so hoch –“ sie maß vom Boden etwa einen Meter ab, „– zwei gescheckte und zwei schwarze. Dick bepelzt, Ponys leben auch im Winter im Freien, und da wächst ihnen ein dickes Fell. Und sie haben einen wilden Busch über der Stirn und lange, lange Schweife. Die vier trugen rote Ledergeschirre, das sah toll aus. Auf den Rücken hatten sie ein Geläute, das herrlich klangvoll tönte. Nicht bimmelte, sondern tönte, im Dreiklang abgestimmt. Und die junge Frau hatte rote Backen und eine knallblaue Mütze auf dem Kopf und lachte uns zu, als wir winkten – ich wäre am liebsten aus dem Auto gesprungen und bei ihr mitgefahren, so gut gefiel mir das. Ich habe mich dann erkundigt, woher diese Leute stammen, und bekam es auch raus. Natürlich wollte ich sofort hin, um sie kennenzulernen. Vorsichtshalber rief ich an, aber da sagte mir jemand, es paßte jetzt nicht, ich sollte später noch mal nachfragen. Später war ich dann weg, in den Ferien, wie so was eben geht. Aber der Name fällt mir bestimmt wieder ein! Wir müssen einfach mit der Frau reden, Anja.“

„Du, da fällt mir was ein.“ Anja machte große, nachdenkliche Augen. „Ich hab’ da neulich mal ein Bild in der Zeitung gesehen, das muß derselbe Schlitten gewesen sein. Darin saß aber ein Mann. Der brachte den Weihnachtsmann in die Stadt, auch mit einem Ponyschlitten, aber nur zweispännig. Vielleicht war das der Mann der jungen Frau. Meinst du nicht auch, daß das sein kann?“

„Na sicher! So was gibt’s nicht oft. War der Schlitten rot? Ach so, in der Zeitung sieht man das ja nicht. Aber an den Ort erinnere ich mich jetzt wieder. Wir sehen mal im Telefonbuch nach.“

„Aber –“ Anja starrte die Freundin an.

„Was denn schon wieder für ein Aber?“ fragte Petra ärgerlich. „Immer hast du ein Aber, beinahe schon, als wärst du erwachsen. Die sehen doch auch überall nur Schwierigkeiten.“

„Ich meine nur, wir haben doch keinen Schnee. Und Cornelia heiratet diesen Herbst –“

„Schlaumeier! Wer einen Ponyschlitten hat, wird wohl auch einen Wagen haben. Eine Kutsche. Oder mehrere. Schnee ist ja, Gott sei’s geklagt, seit einiger Zeit Mangelware und wird nur wenige Wochen im Jahr gereicht. Das find’ ich schade, ich hab’ den Winter lieber als den Sommer. Da ist es bloß heiß, und die Fliegen plagen die Pferde, und –“

„Ja, ich mag den Winter auch mehr. Und den Herbst. Den Herbst, wenn Jagden geritten werden. Ob wir dieses Jahr schon mitdürfen?“

„Zur richtigen Jagd? Du bist bekloppt! Kannst froh sein, daß du voriges Frühjahr wenigstens so eine Art Jagd mitreiten durftest. Das war ein ganz großes Glück.“

„Als du den Affen fingst –“

„Richtig, ja. Du, den müssen wir wieder mal besuchen, ach, war der süß! Und Gero ist damals beinahe ertrunken. Wenn Cornelia nicht gewesen wäre –“ Sie saßen und schwatzten, Gero kam herein und gesellte sich zu ihnen. Sie vergaßen die Zeit über lauter Weißt-du-Nochs. Ach ja, nirgends war es so schön wie im Reitverein!

Anja und Petra zu Pferde

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