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Großer Spaß mit kleinen Pferden

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Sie hatten versprechen müssen, nicht die große Straße zu fahren, wo die Autos einander jagten und man nichts als Auspuffgase schluckte. Die Feldwege waren trocken und hart, und wenn man nicht in die ausgefahrenen Spuren kam, radelte es sich ganz gut. Einmal ging Petra zu Boden, als sie nicht aufpaßte – sie hatte einem Keil Wildgänse nachgesehen, der am Himmel entlangzog.

„Meine älteste Schwester ist nach ihrem Abitur nach Schweden gefahren“, erzählte sie, als sie wieder auf dem Rad saß, „sie wollte etwas von der Welt sehen. ‚Folg der Vogelfluglinie!‘ riet ihr meine Mutter, ‚das ist die schönste Tour, die man dort machen kann.‘ ‚Ach nein‘, jammerte Martina. Meine Mutter war erstaunt: ‚Warum denn nicht?‘ ‚Ach weißt du, mit den Wildgänsen fliegen, dazu hab’ ich keine Lust!‘ sagte meine Schwester. Du kennst doch sicherlich das Buch vom Nils Holgersson.“

Anja lachte.

„Natürlich. Jetzt sind wir bald da!“

Sie überquerten die Straße, fuhren einen kleinen Weg an Tennisplätzen entlang und kamen dann in einen Hof, in dem rechts ein Brunnen stand. Er plätscherte vor sich hin, richtig romantisch. Links und rechts lagen kleine alte Fachwerkhäuser, gegenüber eine Scheune. An der rankte sich Wein empor. Drei Hunde standen auf dem Hof und sahen ihnen entgegen: ein Basset, niedrig, lang, schwarzbraunweiß gefleckt, ein kohlschwarzer Riesenschnauzer und einer, dessen Rasse Petra nicht feststellen konnte. Vielleicht war sie überhaupt nicht festzustellen, auch von Kennern nicht, besser: von Kennern erst recht nicht. Der große schwarze Schnauzer fing jetzt an zu bellen, tief, grollend. Petra und Anja sprangen vom Rad und blieben stehen.

Aus dem linken Fachwerkhaus ertönte jetzt ein „Tina, hierher!“, und der Schwarze verstummte. Eine junge Frau trat in die offene Tür, in Jeans und einem bunten Hemd, und winkte den beiden.

„Kommt, sie tut euch nichts, wenn ich dabei bin.“

Petra und Anja folgten. Die Frau führte sie in eine niedrige Küche, und die Hunde folgten. Die Küche war holzgetäfelt und richtig gemütlich, fanden die beiden Mädchen sofort. Am Tisch saß ein kleiner Junge und blies Blockflöte, immerzu dieselbe Zeile einer Melodie, die sie auch kannten; ein anderer kroch auf der Erde einer Katze nach, ein Gipsbein hinter sich herziehend. Der dritte hatte eine Trillerpfeife im Gang, die einem in die Ohren gellte. Tina murrte und grollte noch, und auf dem Herd zischte es. Die ganze Küche roch nach Birnen und Zimt, herbstlich süß, und nach Pferden. Der Hausherr, ein junger Mann mit dunklem Haar und freundlichem Gesicht, stand am Tisch und versuchte mit einem Brotmesser eine Schraube an einem Türschloß zu lösen.

„Warum nimmst du nicht den Schraubenzieher?“ fragte seine Frau, und er antwortete friedlich:

„Weil ich ihn nicht finde, Stine, mein Goldkind.“

Petra mußte lachen. Sie wußte, wie sehr sich ihr Vater immer ärgerte, wenn jemand sich erfrecht hatte, an sein Handwerkszeug zu gehen. Lag das nicht genau an seinem vorbestimmten Platz, so gab es ein furchtbares Donnerwetter ...

„Warte, hier. Ich hatte –“ Stine griff hinter sich und reichte ihm dann einen Schraubenzieher, der in einer Pellkartoffel gesteckt hatte, die dampfend in einem Topf auf dem Herd standen. „Ich wollte sehen, ob sie gar sind.“

„Danke. Ja, so geht’s besser. Und was möchte unser lieber Besuch?“

„Wir möchten – wir haben angerufen“, schoß Petra los, „wir haben Sie mal vierspännig fahren sehen, mit dem Pferdeschlitten – mit Ponys –“

„Ach so.“ Holle, damit war Stines Mann gemeint, legte die Schraube auf den Tisch und das Türschloß daneben. „Ich weiß. Stine, diese beiden jungen Damen möchten eine andere junge Dame vierspännig zur Hochzeit fahren.“

„Hoffentlich auch einen jungen Herrn dabei“, sagte Stine vergnügt. „Wo, wann, wen?“

Petra berichtete, und Anja gab immer einmal ein Wort oder einen Satzteil dazu. Hier waren sie richtig, merkten beide schnell, hier würden sie mit ihrem Wunsch Verständnis finden. Das junge Ehepaar mit den drei kleinen Jungen schien daran gewöhnt zu sein, daß man sie um merkwürdige Dinge bat, die die Ponys betrafen, und Stine stellte den Topf mit den Kartoffeln erst einmal zum Abkühlen vors Fenster. Sie sagte:

„Kommt! Ihr wollt doch sicherlich die Ponys sehen.“

Anja und Petra nickten begeistert. Der älteste der drei kleinen Jungen, Johannes, genannt Jo, legte die Flöte weg und Moritz, der Trillerpfeifer, sein Lärminstrument ebenfalls. Da schrie auch der mit der Katze, Thomas, der jüngste, er wolle mit. Petra angelte ihn unterm Tisch hervor und nahm ihn auf den Arm. Himmel, war das Gipsbein schwer!

„Du kannst ihn noch nicht tragen“, mahnte Stine.

„Wohl kann ich!“ eiferte Petra, ihn hochhievend, „ich hab’ auch einen kleinen Bruder zu Hause, den ich manchmal rumschleppen muß, auch ohne Gipsbein ist der schwer –“

Stine lachte und half ihr, den Kleinen auf den Rücken zu nehmen.

„Huckepack mag es gehen, ja, so. Nun kommt. Die Ponys sind auf der Koppel, sie müssen sowieso rein. Wir haben sie im Elektrozaun, und der muß umgesetzt werden.“

„Wir helfen!“ sagten Anja und Petra sofort. Sie gingen über den Hofplatz an einem niedrigen selbstgebauten Stall entlang und dann einen schmalen Weg, der zum Wald führte. Nach etwa achthundert Metern sahen sie die Ponys von weitem auf einer Wiese stehen. Da rannte auch Petra mit ihrem Gipsbein-Jungen auf dem Rücken los. Wer kann schon langsam gehen, wenn er eine Herde winziger Ponys sieht, dick bebuscht, die Nasen sofort wendend, als sie Menschen und Hunde kommen hörten.

„Nein, so was Hübsches! So was Nettes! Nein, sind die süß!“ rief Anja, und Stine begann sogleich Namen zu nennen und Eigenschaften aufzuzählen: Lettchen war die älteste, dreiundzwanzig Jahre alt, aber beim Ziehen noch fleißig und vorbildlich; Erie, der kleine Schimmel, manchmal frech und im Geschirr etwas faul, aber gut zum Reiten; Nikolo, jener Scheck, noch jung und eben erst eingefahren; Peuke zuverlässig unterm Reiter und unermüdlich. Der Stolz der Herde, der weiße Hengst Winnetou, stand ein wenig abseits und beobachtete seine Herde mit ruhiger Würde. Dann gab es noch ein paar Halbwüchsige, zwei Jährlinge und zwei Zweijährige.

„Dürfen wir sie reinführen?“ fragten Petra und Anja wie aus einem Munde.

„Führen? Wir reiten sie immer rein“, antwortete Jo ein wenig von oben herab, „oder wollt ihr lieber nicht?“

Und ob sie wollten! Stine lachte zwar und warnte sie.

„Sobald ich den Zaun aufmache, gibt’s ein großes Wettrennen nach Hause, wo sie Kraftfutter und Lecksteine vermuten. Traut ihr euch zu, oben zu bleiben? Reiten tut ihr doch, im Reitverein, sagte Holle. Also?“

„Auf einem Pony hab’ ich noch nie gesessen“, gab Anja zu, „aber schwieriger als Pferde sind sie doch sicherlich nicht, oder?“ Sie wollte natürlich unter gar keinen Umständen zurückstehen. Petra hatte schon auf kleinen Pferden gesessen, wie sie sagte.

„Galopp ist doch leicht. Wenn sie wirklich sofort angaloppieren –“

„Das tun sie, darauf könnt ihr euch verlassen. Also, wer nimmt wen?“

„Ich die Erie, bitte, bitte –“

„Ich den Peuke –“

„Ich –“ schrien die kleinen Jungen durcheinander und hopsten an Stine hoch. Die nahm Petra erst einmal den kleinen Gipsbeinigen vom Rücken. Aber der schrie Protest und zappelte und wollte auch reiten.

„Also, Augenblick. Ich schalte zunächst den Strom aus.“ Stine ging an den Zaun, wo die Batterie stand und sich am Draht ein Griff befand, knipste an dem Kasten und fühlte dann am Draht.

„So, in Ordnung. Nun rauf auf eure Rösser. Jo, du nimmst am besten Winnetou, mit dem können die andern nicht.“ Jo war schon unterm Draht durchgeschlüpft und beim Hengst angelangt. Wupp, saß er drauf.

„Und Mo den Nikolo –“

„Ja, reitet ihr denn ohne Zügel?“ fragte Anja etwas perplex. Daß man diese kleinen Pferde nicht sattelte, hatte sie erwartet, aber ohne Zügel – da wußte man doch gar nicht, wohin sie liefen.

„Die laufen zum Stall, unter Garantie!“ Stine lachte. „Festhalten muß man sich an der Mähne. Dazu hat der liebe Gott sie ja wachsen lassen.“

Ja, wenn man die Mähnen der kleinen Pferde mit denen der großen verglich, dann konnte man allerdings sagen: Hut ab! Das waren dicke, meist nach beiden Seiten herabhängende Mähnen, struppig und ein wenig gewellt, hart anzufassen. Stine war seitlich über den Zaun gesprungen, ging zu Peuke, einem breiten kleinen Sommerrappen ... und faßte ihn vorn an seinem dicken Schopf. „So, steh schön, mein Dicker, und du steig auf. Auf so einen kommst du auch ohne Bügel“, sagte sie freundlich zu Anja, „ich halt’ ihn solange.“

Petra hatte sich bereits eiligst, als habe sie Angst, daß doch noch ein Nein kommen könnte, auf den Scheck geschwungen. Moritz sprang gerade auf Lettchen. Da gab sich Anja einen Ruck und stemmte sich – komme, was wolle – auf Peuke. Natürlich kommt man auf ein so kleines Pferd ohne Bügel leichter als auf ein großes mit Bügeln, aber ein Ruck gehörte bei Anja schon dazu. Stine, den kleinen Thomas auf dem Rücken, Peuke neben sich herführend, fragte noch: „Alles klar?“ und ging zum Eingang in dem Zaun, hakte den Griff aus und trat zur Seite, Peuke vorläufig noch festhaltend. Sogleich kam Winnetou angeschossen, seinen kleinen Reiter auf dem Rücken, und lief schräg durch die Öffnung, Richtung Heimat. Nikolo folgte, Petra auf sich; die hatte die Knie eng angeklemmt und beide Hände in der Mähne. Anja sah ihr lachendes Gesicht an sich vorbeisausen, den Mund halb offen, in den Augen blitzte es.

Da gab es auch für Peuke kein Halten mehr. Stine gab seinen Busch frei, und schon ging er im Galopp los. Anja dachte zuerst, sie flöge im allerersten Moment schon von seinem Rücken, weil er die Kurve so eng nahm. Blindlings griff sie nach vorn und krallte sich in die starren Mähnenhaare und kam wieder ins Gleichgewicht. Neben ihr jagte Mo auf Lettchen. Es ging über eine Wiese, dann einen kleinen Hang schräg empor, hinauf auf die schmale Straße, die sie vorhin gefahren waren.

„Er wird schon wissen, wohin es geht“, dachte Anja verweht, während sie nur darauf bedacht war, im Sitz zu bleiben. „Wer ist denn da abgeschmiert?“ Neben ihr galoppierte ein lediges Pony – es war aber, wie sich später herausstellte, eins der Zweijährigen. „Hoffentlich ist der Stall offen, damit ich nicht an die Tür fliege, wenn Peuke stoppt!“ Sie sah Petra auf Nikolo vor sich, gleich darauf ging es nach links, da bremste Peuke tatsächlich. Er bremste aber nicht mit einem Ruck, sondern verlangsamte seine Galoppsprünge; Anja hatte sich bereits auf ihn eingestellt und blieb oben. Jetzt kam links eine offene Stalltür, Anja duckte sich – „nur nicht mit dem Kopf an die obere Türleiste knallen“ – und war drin. Hier allerdings hielt Peuke auf der Stelle, und da gab es kein Obenbleiben mehr. Anja flog über seinen Kopf hinweg und landete in einem Haufen Grünfutter, das in der Ecke des Stalles abgelegt worden war. Aufatmend wälzte sie sich herum, wischte sich über das Gesicht und richtete sich auf.

„Na? Glücklich gelandet?“ fragte Petra, während sie sich von Nikolo schwang, und betrachtete Anja vergnügt, „alles noch dran? Dann komm, wir haben versprochen, Stine zu helfen, wenn sie den Zaun umsetzt. Du kannst hier nicht hockenbleiben und darüber rätseln, wie es kam, daß du eine Luftreise gemacht hast.“ Sie hatte Anjas Hand ergriffen und zerrte sie empor. Anja folgte, leicht benommen. Die beiden kleinen Jungen waren abgesessen und verteilten das Grünfutter in die verschiedenen Raufen. Petra und Anja halfen. Und dann liefen sie zu viert wieder hinaus auf die Weide.

Zaunumsetzen ist bei schönem Wetter ein Vergnügen, bei Kälte, Regen oder großer Hitze weniger. Jetzt aber war es herrlich. Einer wickelt den Draht auf, die anderen ziehen die metallenen Pfosten aus der Erde und schleppen sie dahin, wo der Zaun neu aufgebaut wird. Je mehr Hände, desto schnelleres Ende. Stine holte die Batterie, die für die kleinen Jungen zu schwer war, und nun wurden die Pfosten neu gesteckt – alle zwölf Schritte einer – und der Draht daran entlanggezogen.

Jo, der schon glücklicher Besitzer einer Armbanduhr war, kontrollierte die Zeit.

„So schnell ging es noch nie!“ triumphierte er, und Stine sagte: „Wir sind ja auch zwei Leute mehr als sonst. Wenn ihr beiden nicht wärt –“ Anja und Petra lachten geschmeichelt.

„Achtung, weg vom Zaun. Ich probiere.“ Stine schaltete ein, nahm dann einen Grashalm und hielt ihn an den Draht.

„Er tut es“, sagte sie.

„Und warum fassen Sie den Draht nicht richtig an?“ fragte Petra begierig.

„Du kannst es ja versuchen.“ Stine lachte. Petra griff zu – und hopste gleich darauf laut schreiend auf einem Bein herum.

„Der tut es wahrhaftig!“ rief sie. „Ich hab’ einen Schlag bekommen, nicht von schlechten Eltern –“

„Man erschrickt“, sagte Stine, „passieren tut aber nichts.“ Und nun marschierten sie alle miteinander zurück.

„Morgen früh kommen sie wieder hinaus“, sagte Stine, „das machen die Jungen allein. Um diese Jahreszeit reiten sie sie stets vor der Schule hinaus, das ist ein guter Tagesanfang.“

O ja, davon waren Anja und Petra überzeugt. Jo, Mo und To hatten es gut in ihrem Zuhause, ohne Zweifel.

„Auch, wenn sie im Winter die schweren Wassereimer schleppen oder gefrorenen Mist aufladen und fortkarren müssen?“

„Auch dann! Es gibt ein chinesisches Sprichwort, das heißt: Dreierlei Arbeit schändet nicht, die für den Vater, die für den Sohn und die fürs Pferd.“

„Stimmt. Und fürs Pferd tut ihr alles, gelt? Wie ist das aber mit der für den Vater?“ fragte Stine und lachte. „Immer bereit, wenn er bittet? Na, schön wär’s. Daß man fürs Pferd gern zufaßt –“

„Das haben wir immer getan. Wir sind –“ und nun erzählten sie von den Ferien, die sie bei Dagmar verlebt hatten, mit aller Arbeit und Sorge um Pferde und Hunde, und Stine fragte nach Dagmars Nachnamen, und da stellte sich heraus, daß sie sie kannte.

„Ist Ströppchen noch bei ihr – ja? Und Lotte? Die hab’ ich auch geritten, und noch ein drittes Pferd hatten sie –“

„Pußta, die ist auch noch da! Die kenn’ ich persönlich!“ rief Petra. „Die hat mich gleich beim ersten Mal abgesetzt.“

„Mich auch“, fiel Stine ein und lachte. Und dann mußten sie noch zum Abendbrot bleiben und Holles Most probieren. Es war ein herrlicher Nachmittag, nur viel zu schnell vorbei. Auf einmal war es dunkel – im September sind die Tage ja schon kurz –, und als Anja auf die Uhr sah, wurde sie fast ohnmächtig vor Schreck. Nun mußten sie wieder einmal zu Hause anrufen, daß sie später kämen, sie hätten eine Panne gehabt. Bei Anja meldete sich allerdings niemand.

„Die Panne war, daß Stine so nett ist und man bei ihr die Zeit vergißt, das reimt sich, also ist es wahr“, sagte Petra.

„– und so verzögerte es sich etwas, aber passiert ist nichts, nur keine Angst.“

Sie sahen einander an, als Petra aufgelegt hatte. Zum wievielten Mal hatten sie so etwas durchgeben müssen?

„Warum wird’s auch so zeitig finster“, murmelte Anja kleinlaut. Petra aber gab ihr einen Stoß.

„Das holen wir wieder ein. Los, jetzt wird geradelt wie vorhin geritten: im Galopp, im sausenden –“

Was blieb ihnen auch übrig? Nur, leider, die Zeit überholen kann man nicht.

Anja und Petra zu Pferde

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