Читать книгу Reiterferien mit Anja und Petra - Lise Gast - Страница 4

Das wäre was!

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„Und du, Anja? Was machen wir mit dir?“

Vater und Tochter sahen einander an. Keiner von beiden sagte etwas, obwohl beide so viel, so viel zu sagen gehabt hätten. Anja das, was sie sich wünschte, heiß – so heiß, wie man es eigentlich nur mit zwölf Jahren tun kann. Und Vater das, was wiederum er sich wünschte, vielleicht nicht weniger stark: seine kleine Tochter glücklich machen zu können. Nur die Ansichten über das, was Glück bedeutet, sind bei Vätern und Töchtern leider oft recht verschieden.

Vater war nicht Anjas richtiger Vater. Er hatte ihre Mutter geheiratet, als Anja neun war, und dann hatten sie zwei kleine Söhne auf einmal bekommen, Zwillinge, Reinhold und Volker, jetzt etwa anderthalb Jahre alt. Niemand hatte je gefragt, ob er nicht lieber Töchter gehabt hätte, er hatte ja eine, Anja. Und er liebte sie, wie manche Väter ihre richtigen Töchter nicht lieben. Er liebte sie bewußt und voll des besten Willens, ihr ein guter Vater zu sein. Gelang ihm das immer? Er wußte es nicht.

„Tja, was machen wir mit dir?“ wiederholte er jetzt. Er hatte ihr ausführlich auseinandergesetzt, daß Mutter Erholung brauchte. Sie sollte über Ostern in ein Heim für überarbeitete Mütter im Schwarzwald gehen, das auch Kleinkinder mit aufnahm, in einem gesonderten Haus pflegte und betreute, so daß die Mütter sie nahe bei sich und doch keine Arbeit mit ihnen hatten. Und er selbst, Lehrer, Hauptfach Erdkunde, wollte nun endlich die Amerikareise machen, die er sich schon immer gewünscht hatte. Übrig blieb also Anja, die weder mit ins Heim noch mit Vater ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten konnte. Was sollte nun aus ihr werden in den drei Wochen, die die Osterferien diesmal dauerten?

„Ich wüßte schon was, aber es ist teuer“, druckste Anja schließlich heraus, als Vater immer noch wartete. „Was ganz, ganz Schönes, aber –“

„Was für ein Aber steckt denn dahinter?“ fragte Vater lächelnd. „Nun sag’ schon. Jeder von uns soll doch etwas Schönes haben. Ich will nach Amerika, um recht viel dazuzulernen, Mutter in den Schwarzwald, um mal endlich auszuruhen. Und du?“

Anja gab sich selbst Galopphilfe und ging über die Hürde. Und ihre Worte kamen jetzt auch wie im Galopp, ohne Pause, Sprung um Sprung hintereinander.

„Also weißt du – besinnst du dich noch auf Stine? Die Onkel Kurt und Cornelia zur Hochzeit gefahren hast mit dem kleinen Vierspänner, der Kutsche mit den Shetlandponys? Die wohnt auf einem kleinen Hof – ja, du warst überhaupt mal dort –“ Vater lachte. Als ob er das vergessen hätte! So etwas kann man doch gar nicht vergessen! Stine und ihr netter Mann und ihre kleinen Söhne, drei an der Zahl, und die vielen winzigen Pferdchen, auch ein paar größere hatte sie dabei, und einen Esel. „Nicht wahr, du weißt? Du hast sie sogar mal abgeholt, vom Seehof, so heißt das Kleinpferdegestüt. Die nimmt in den Ferien Kinder auf und läßt sie reiten, wie es jetzt viele Ponyhöfe machen, nur, daß Stine eben anders ist. Stine hat den Reitwart gemacht, das heißt, die Prüfung zum Hilfsreitlehrer, sie kann also Kinder ausbilden, und da kostet es etwas, dort zu sein, sogar eine ganze Menge jeden Tag. Stine könnte sich die Pferde gar nicht halten, wenn sie diesen Betrieb nicht hätte, die Pferde müssen ja auch etwas bringen, sagt sie. Und da –“ Anja sagte noch viel. Eifrig und selbstvergessen schilderte sie, und Vater hörte zu, geduldig, aufmerksam und still amüsiert über die Lebhaftigkeit seiner Tochter. Ja, wenn es um Pferde ging! Eine der besten Eigenschaften dieses Vaters war, daß er zuhören konnte.

„Soso, gar nicht schlecht“, sagte er nach einer Weile, als Anja Atem schöpfte, „das ist also Stines Job. Mit Pferden kann sie umgehen, das hat sie gelernt, und mit Kindern kommt sie sowieso gut zurecht. Später lassen wir einmal Reinhold und Volker dort reiten, was meinst du? Denn du kannst es ja schon, dazu haben wir dich ja in den Reitverein geschickt!“ Er lachte ein bißchen verschmitzt. Anja in ihrem himmelstürmenden Eifer merkte nicht, worauf er hinauswollte.

„Können? Ich soll reiten können?

O Vater, hast du eine Ahnung! ,Ich kann reiten‘, sagt man nie, nie! ,Ich lerne‘ oder ,ich reite seit einem halben Jahr im Reitverein‘ oder ,ich hab’ jetzt vielleicht fünfzig Stunden‘ – das kann man sagen, aber nie: ,Ich kann reiten.‘ Auch die ganz großen Asse, die auf internationalen Turnieren mitreiten, würden das nie sagen, weil man ja nie auslernt.“

„Schön. In Ordnung. Dann wäre es also nicht verkehrt, wenn du –“, er hielt inne.

„Ich?“ jauchzte Anja, aber ganz leise erst, gleichsam niedergehalten, denn sie wagte noch nicht, zu Ende zu denken, was da vor ihr aufleuchtete, geschweige denn, es auszusprechen.

„Erst müssen wir mit Stine sprechen, sie fragen, was es kostet, ob sie Platz hat für dich. Vielleicht ist sie für die Osterferien schon ausgebucht. Wollen wir anrufen oder besser hinfahren? Was meinst du?“

„Hinfahren! Aber –“

„Na, was für ein Aber kommt denn nun?“ fragte Vater freundlich. Anja sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

„Petra muß mit! Ich möchte nicht ohne Petra etwas anfangen –du weißt doch, wie sehr wir befreundet sind. Darf ich sie anrufen, ob sid mitkommt?“

„Schön, ruf sie an. Und dann schlagen wir Stine den nächsten Samstag vor, sagen ihr, daß wir mal kommen möchten und mit ihr sprechen. Einverstanden?“

„Samstag erst?“ fragte Anja. Es klang wie „in tausend Tagen“. Dabei war heute schon Donnerstag.

„Ja, Samstag. Da hat sie vielleicht etwas mehr Ruhe als an anderen Tagen. Viel Ruhe hat diese Stine, glaube ich, überhaupt noch nie gehabt in ihrem Leben.“

Petra war natürlich Feuer und Flamme für diesen Plan. Anja war sofort zu ihr hingestürzt; am Telefon kann man so etwas ja nicht richtig, nicht gründlich genug besprechen. Sie hockten also miteinander in Petras hübschem Zimmer, durch dessen breite Fenster die Schneehelle des scheidenden Winters fiel. Es war unbeschreiblich gemütlich hier: die Wände hell getäfelt, überall Bücher. Und das schönste war, Petra brauchte nicht aufzuräumen. Das wußte Anja, und darum beneidete sie die Freundin glühend.

„Bei mir heißt es immer wieder: ,Nun räum doch mal endlich auf! Wie sieht denn dein Zimmer wieder aus!“‘ stöhnte sie auch jetzt, während sie sich neben Petra auf die Couch fallen ließ. „Zum Auswachsen, immer dasselbe. Ich kann’s schon nicht mehr hören.“

„Kenn’ ich“, sagte Petra und schob Anja eine Schale mit Apfelsinen zu, „bei uns war es genauso.“

„Wirklich?“ wunderte sich Anja. Petra nickte.

„Bis sie mir die Schlafcouch statt des Bettes gaben. Die wollte ich nämlich zu gern haben. Bettenmachen, ekelhaft! Man macht es nie glatt genug und kann sich dann den ganzen Tag über nicht drauf legen. Aber alles Bettzeug einfach in die Truhe stopfen und eine hübsche Couch haben, das ist eine Wucht!“ Sie zeigte hinüber auf die alte Truhe an der Wand, ein Silberpokal stand darauf, der in das Zimmer mit den Holzwänden hineinpaßte wie ein handgroßer Fettfleck auf eine Siegerurkunde.

Anja lachte. „Ja, das ist was anderes. Nur – muß dieses Ungeheuer von Pokal dort stehen und jedesmal weggenommen werden, wenn man das Bettzeug hineinstampft?“

„Muß, jawohl. Dieses Ungeheuer ist nämlich ein Preis, ein Ehrenpreis, daß du es weißt! Mein erster und bisher einziger von einem Turnier. Den würde ich auch sechsmal am Tag wegnehmen und wieder hinstellen.“

„Du hast mal einen Ehrenpreis bekommen, auf einem Turnier? Einen richtigen Silberpokal? Nicht nur Schleifen?“ Anja deutete auf die Reihe von bunten Seidenrosetten mit einem herabhängenden goldgeprägten Ende, die über der Truhe an der Wand hingen.

„Hab’ ich, jawohl. In grauer Vorzeit, als ich dich noch nicht kannte.“

„Und wofür?“ fragte Anja ganz gespannt.

„Für Über-ein-Feuer-Springen. Ja, das klingt großartig, aber so toll war es wahrhaftig nicht. Man muß nur das Pferd danach haben. Ich bekam damals einen Norweger, der sich vor nichts fürchtete. Unter uns gesagt, er war ziemlich pomadig. Die Reiterin, die ihn springen lassen wollte, war bei einer andern Disziplin zu Boden gegangen und konnte also diese Nummer – eine Schaunummer – nicht mehr reiten. Da fragte sie mich. ,Wenn es das Pferd macht, mach’ ich es auch‘, sagte ich und kletterte in den Sattel. Nein, was sind Norweger manchmal pummelig! Es gibt natürlich solche und solche, aber der war speckfett, daher vielleicht auch seine Pomadigkeit. Ich kriegte überhaupt keinen Knieschluß auf ihm, so spreizte mir sein breiter Rücken die Beine auseinander. Na schön, versuchte ich halt, in der Balance zu reiten. Und siehe da, das genügte! Der Gute ging. Man hatte eine etwa sechs Meter lange Blechrinne aufgestellt, dahinein wurde Heizöl gegossen oder Petroleum, ich weiß das nicht so genau, und das zündeten sie an. Es brannte vielleicht einen Viertelmeter hoch und flackerte ein bißchen, das war alles. Und darüber sprang mein Norwegerchen, als wäre es ein dünner Baumstamm, unerregt und gehorsam. Also.“

„Trotzdem! Es heißt doch immer, Pferde fürchten sich so sehr vor Feuer.“

„Das tun auch die meisten. Der aber nicht, ich hab’s ja gemerkt.“

„Und warum hast du den Pokal erst jetzt hier auf die Truhe gestellt? Den hab’ ich doch noch nie gesehen“, sagte Anja. Petra lachte.

„Weil mein liebes Brüderchen ihn mir geklaut und zweckentfremdet hatte, wie man heute sagt. Werner, du weißt ja. Er hatte die Idee zu beobachten, wie aus Kaulquappen Frösche werden, und brauchte dazu ein Gefäß. Da er den Pokal mit Inhalt hinter seinem Schrank versteckt hatte, fand ich ihn nicht, als ich mich in seiner Bude umsah. Denn immerhin hatte ich schon den Verdacht, daß Werner lange Finger gemacht haben könnte.“

„Und sind es Frösche geworden?“ fragte Anja.

„Noch nicht. So etwas braucht Zeit. Inzwischen aber hat Werner ein anderes gläsernes Gefäß aufgetan, in dem man die Quäppchen besser beobachten kann. Diesmal ist Vater der Bestohlene. Ich bin gespannt, wann er merkt, wo sein viereckiger Glaskasten hingekommen ist, in dem er bisher alle möglichen Kostbarkeiten aufbewahrte. Auf jeden Fall habe ich meinen Pokal wieder.“

Anja hielt ihn in den Händen und drehte ihn um und um, las die Gravierung und putzte mit dem Ärmel an ihm herum.

„Ob ich auch mal einen bekomme?“

„Na sicherlich. So was kann einem anfliegen wie ein Schnupfen. Vor Bomben und Preisen ist niemand sicher, sagt mein Vater immer.“

„Versteh’ ich nicht.“

„Das werde ich dir gleich verklikkern. Also, sperr die Ohren auf. Werner ist ja ein fürchterlicher Hasenfuß, wenn es ums Reiten geht, das weißt du. Und als er noch kleiner war, erst recht. Einmal hatten wir ihn zu einer Stutenschau mitgenommen, weil er nicht allein zu Hause bleiben sollte. Nur deshalb. Reiten wollte er um nichts in der Welt. Lady und Traute, unsere zwei Stuten, die Vater und Mutter reiten, sollten auch gezeigt werden. Aber Mutter wurde ans Telefon gerufen, gerade als alle einundvierzig Stuten vorgeführt werden sollten, immer vier nebeneinander, als Schlußlicht unsere Lady. Ich ritt Traute, und da Mutter ausfiel, packte der Reitlehrer einfach unseren kleinen Angsthasen Werner unter den Achseln und hob ihn auf Lady, ohne vorher gefragt zu haben. Das hätten Mutter oder ich mal versuchen sollen, das hätte vielleicht ein Geschrei gegeben! Aber da blieb Werner still, er war völlig perplex und dachte nicht daran zu protestieren. So ritt er also allein hinter uns anderen her – im Schritt natürlich, Lady ist sehr zuverlässig – und machte sich erstaunlich gut im Sattel. Das schienen andere auch zu finden, denn plötzlich hieß es: ,Halt. Eine halbe Wendung um die Vorderhand!‘ Und auch das machte Lady, ohne mit der Wimper zu zucken. Die andern vierzig natürlich auch. Und nun stand Werner, der fünfjährige Knirps, mit seinem Pferd als Tete vor lauter Erwachsenen, ein Bild, sag’ ich dir! Er heulte keineswegs, sondern hielt sich aufrecht wie eine kleine Eins. Süß sah er aus, und die Fotoapparate der Zeitungsleute klickten nur so. Sein Bild kam dann in unserem Wurschtblatt ganz groß heraus, so was hatte er sich nie im Leben erträumt. Und wir andern hätten das nicht für möglich gehalten. Wenn Werner, das Nichtreiterlein, also als Tetenreiter der gesamten Stutenschau geehrt und geknipst wurde, warum sollst du nicht auch mal einen Ehrenpreis kriegen?“

„Na danke. So einen möchte ich lieber nicht“, sagte Anja. „Entweder einen, den ich wirklich verdiene, oder gar keinen.“

„Da hast du auch wieder recht. Na, dann reite mal schön, eines Tages verdienst du dir einen“, sagte Petra friedlich und steckte das letzte Stück Apfelsinenschnitz in den Mund. „Und jetzt heißt es, unsere Eltern davon zu überzeugen, daß wir in den Osterferien unbedingt zu Stine gehen müssen. Denn glaubst du etwa, ich ließe dich allein dorthin? Da bist du schiefgewickelt, meine Teure. Entweder wir gehen beide oder keine von uns.“

„Dann schon lieber beide. Ich fürchte nur, deine Eltern sind eher herumzukriegen als meine“, seufzte Anja. „Sie reiten ja beide und deine Schwestern auch.“

„Trotzdem weiß man nie, wie sie reagieren“, warf Petra ein. „Nun, hoffen wir das Beste. Also dann, übermorgen?“

„Ja. Übermorgen“, sagte Anja. „Das wäre was!“

Reiterferien mit Anja und Petra

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