Читать книгу Reiterferien mit Anja und Petra - Lise Gast - Страница 5
Auf dem Seehof
Оглавление„Du, Vater, borgst du dir ein Fahrrad?“ fragte Anja. Sie stand neben seinem Schreibtisch und hatte lange versucht, die Frage zu unterdrücken. Aber der Uhrzeiger rückte immer weiter.
Vater, der eben dabei war, das letzte Heft des Stapels, der vor ihm lag, zu korrigieren, sah auf. Er versuchte, abzuschalten und auf sie einzugehen. Trotzdem mußte er erst fragen: „Wozu denn?“
„Wenn wir heute zu Stine fahren.“
„Heute? Zu Stine? “
„Ja, zu Stine auf den Seehof! Um uns anzumelden für die Osterferien – oder uns wenigstens zu erkundigen. Du hast es uns doch versprochen!“ Anja erschien es undenkbar, daß man so etwas Wichtiges vergessen könnte. Vater hatte es vielleicht auch nicht vergessen, sondern er tat nur so.
„Ach ja, richtig, in das Kleinpferdegestüt. Nein, dazu borge ich mir kein Fahrrad.“
„Aber?“ Anja hatte die letzten beiden Tage an nichts anderes gedacht und versuchte vergeblich, ihre Unruhe zu verbergen. „Aber wir müssen doch hin. Du sagst doch, telefonieren ist nicht so gut.“
„Wozu denn radeln? Können wir nicht laufen?“ fragte Vater mit Gemütsruhe und strich einen Fehler rot an. Anja trat von einem Fuß auf den anderen.
„Laufen? So weit?“
„Warum nicht, geliebte Tochter?“ Vater schlug das Heft nun endlich zu, legte es auf die anderen und sah Anja an. „Es gibt ein Sprichwort, das heißt: ,Zu Fuß ist das vornehmste. Da ist immer eingespannt.‘‘‘
„Ach so. Es ist aber weit –“
„Dann laufen wir eben weit.“ Vater stand auf. „Ist deine Freundin Petra schon da? Die wollte doch mit.“
„Nein, aber sie muß jeden Augenblick kommen. Vater, du könntest dir das Fahrrad von Frau Schubert borgen, sie gibt es dir bestimmt. Außerdem wären wir eher dort und könnten vielleicht noch etwas helfen. Petra kommt bestimmt mit dem Fahrrad.“
„Ach, weißt du, wir sind so lange nicht marschiert.“
Im selben Augenblick schrillte draußen eine Fahrradklingel. Anja stürzte ans Fenster.
„Petra! Ja, da ist sie. Und natürlich –‘‘
„Also schön. Dann hol’ ich mir Frau Schuberts Rad. Wenn du meinst, sie gibt es mir. Nur –“
„Nur?“ fragte Anja, schon halb im Absausen.
„Nur – ich dachte, wenn wir zu Fuß kommen, fährt uns Stine vielleicht mit dem Ponywagen zurück oder doch wenigstens ein Stück. Ich würde sehr gern mal Ponywagen fahren.“
„O Vater, ich auch!“
Da hatte er doch wahrhaftig wieder einmal gewonnen. Anja hätte es eigentlich wissen müssen – Vater mit seiner Ruhe und seinem verschmitzten Humor schaffte es immer. Sie lief hinaus zu Petra. Und Petra war natürlich einverstanden.
Es wurde ein schöner Marsch. Vater kannte viele der Lieder, die Anja und Petra liebten, und sie sangen immer alle Verse durch. So merkten sie auch nicht, wie weit der Weg war. In den Ackerfurchen lag noch alter Schnee, aber die Luft roch nach Frühling. Schließlich kamen sie an die Unterführung, durch die sie damals gefahren waren, nicht ohne Angst, daß es gutgehen, daß kein Zug kommen und die Ponys scheuen lassen würde. Es kam dann eine Lok, aber die war schnell vorbei, und sie hatten die Unterführung auch schon ein Stück hinter sich. Sie erzählten Vater das alles und malten ihm jede Kleinigkeit aus. Und dann waren sie auf der großen Straße, die überquert werden mußte, und bogen in den schmalen Weg ein, der zum Seehof führte.
„Siehst du den Brunnen, da rechts?“ fragten sie aufgeregt. „Und dort, das ist die Scheune. Und in dem Haus links wohnen die Ferienkinder, wenn welche da sind.“ Anja und Petra nahmen sich gegenseitig das Wort aus dem Mund. Nun waren sie endlich da.
Ja, und da standen auch schon ein paar von den Hauptbewohnern des Gestüts, ein paar Rösser. Stine züchtete vor allem Welsh-Ponys, die etwas größer als Shettys, aber kleiner als Großpferde sind. Rechts, am Brunnen, war der Boden gepflastert, damit man nicht im Matsch stehen mußte, dahinter konnte man eine dicke Ouerstange sehen. Dort wurden die Pferde und Ponys angebunden, wenn man sie sattelte oder absattelte, wenn man sie im Sommer wusch oder wenn sie, wie jetzt, auf den Schmied warteten. Der Schmied war nämlich da. Er hatte seinen kleinen tragbaren Ofen, der vor sich hin fauchte, neben sich stehen und paßte gerade ein glühend gemachtes Eisen auf den Huf des Pferdes, dessen Bein Stine angewinkelt festhielt. Es zischte, qualmte, stank – aber es war ein wundervoller Gestank, nach verbranntem Horn, so beißend, daß man es nie vergaß. Viele Leute, die in ihrer Kindheit mit Pferden zu tun hatten und sich darum rissen, „aufhalten“ zu dürfen, verdrehten noch als Erwachsene die Augen, wenn sie etwas Ähnliches rochen. „Wie in der Schmiede“, sagten sie, und wer es nicht kannte, schüttelte verständnislos den Kopf. Vater schüttelte ihn nicht, sondern sog den Geruch mit Genuß ein.
„Herrlich, ja, so muß es riechen. Guten Tag, wir dürfen doch zusehen?“ Sie waren alle drei an Stine und den Schmied herangetreten. Stine sah aus ihrer gebückten Stellung hoch und lachte.
„Ach, Petra und Anja, die beiden Hochzeitspagen. Grüß euch! Und euren Vater habt ihr mitgebracht?“
Stine sah wieder aus, daß den beiden das Herz hüpfte vor Bewunderung und Begeisterung: Stiefel, alte Reithosen, ein kariertes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, ein verrutschtes Kopftuch auf dem kurzen Haar, im Gesicht schwarz geschmiert wie des Teufels rußige Großmutter.
,So möchte ich auch aussehen dürfen‘, dachte Anja. ,Immer heißt es: Wasch dich und ziehe dich ordentlich an!‘ Dabei war es bei Stine nicht nachlässig, sondern ,richtig‘. Stine war richtig, wie sie zufaßte, ruhig und trotzdem fest, und wie sie Vater zulachte.
Aufhalten ist keine leichte Sache, aber das wußte Anja noch nicht. Schmiede, heutzutage sehr gefragte Leute, sind sehr streng. Man darf ein einmal gefaßtes Pferdebein nicht wieder loslassen, wenn das Pferd anfängt zu schlagen, sonst macht es das beim nächstenmal von Anfang an. Da gilt es oft, Stöße oder Schläge einzustecken, und immer muß man die Ruhe behalten. Dieses Pferd hier stand wie eine Eins, brav und geduldig. Der Schmied lobte es auch. Dann aber –
„Komm, bring mir den Ramses, da steht er, er muß ausgeschnitten werden“, sagte Stine, sich aufrichtend, zu Petra, „und du, Anja, bring die Kachel weg. Sie kann auf die Hausweide dort drüben.“ Sie deutete mit der Hand in die Richtung. „Und nun endlich: Guten Tag!“ Damit gab sie Vater die Hand. „Sie verstehen, wir müssen erst einmal dranbleiben, wenn unser Hochverehrter hier ist.“ Sie blinzelte dem Schmied zu. Der lachte.
„Die beiden noch? Und nur ausschneiden? Das dauert keine Ewigkeit mehr.“
Petra hatte Ramses, das eine Hengstfohlen, das an der Querstange stand, schon losgebunden und führte es her. Anja ging mit Kachel – das war ein Spitzname – hinüber zur Weide. Vater blieb stehen und sah zu, wie Ramses erstmals das Abenteuer Schmied bestand.
Nicht sehr pannenlos, das mußte man zugeben. Zwar war Stine immer darauf bedacht, jedes Fohlen an das so nötige Fußgeben zu gewöhnen, manches aber gewöhnte sich nur langsam oder auch gar nicht. Es gibt Pferde, die nie schmiedefromm werden, wie man es nennt. Und Ramses schien zu diesen zu gehören. Er trat aufgeregt hin und her, wollte keins seiner Beine heben, feuerte aus und stieg. Stine versuchte es auf jede erdenkliche Weise, sprach mit ihm, streichelte ihn, hob immer und immer wieder einen Vorderhuf auf – Ramses aber zitterte und zeigte das Weiße im Auge. Schließlich trat Petra hinzu, hob auf Stines zustimmenden Blick hin eins der Hinterbeine an, ein wenig nur, Stine versuchte es wieder vorn. Der kleine Hengst, nun auf zwei diagonal stehenden Füßen balancierend, konnte sich nicht mehr recht wehren, denn er riskierte es umzufallen. Petra stemmte mit der Schulter gegen – richtig, jetzt hielt er endlich still. Der Schmied hatte sein Messer schon parat, er fuhr damit um den Rand des Hufes, dann in die Mitte hinein, schnipselte, rundete.
„Jetzt den anderen“, befahl er. Stine setzte ab, auch Petra, und nun ging es an den nächsten Huf. Diesmal hielt Ramses eher still, er hatte ja gemerkt, daß es nicht weh tat. Mißtrauisch war er noch immer, warf den Kopf, schlug einmal, als sie wechselten, Stine unters Kinn, so daß ihr ein heftiger und nicht sehr salonfähiger Fluch entfuhr, dann aber war der eine und endlich auch der andere Hinterhuf behandelt. Aufseufzend ließen sie beide los. Der Schmied richtete sich auf, fuhr mit dem Ärmel über das schweißnasse Gesicht und machte ein Zeichen: „Der nächste!“
Vater hatte den andern kleinen Hengst schon abgebunden und führte ihn dem Schmied zu. Petra stand auf der Lauer. Nun war auch Anja wieder da und wartete gespannt.
Diesmal ging es leichter. Der kleine Hengst gab den ersten, dann den zweiten Fuß – Petra brauchte gar nicht in Aktion zu treten. Auch bei den Hinterhufen klappte es einigermaßen. Stine bekam zwar noch einen Schlag, war aber geschickt ausgewichen, so daß er sie nur streifte.
„Danke, das wär’s für heute“, sagte sie abschließend. Der Schmied nickte ihr zu und begann, seine Habseligkeiten einzusammeln.
„Ist mir lieb, daß wir nicht weitermachen. Ich hab’ heute meinen Buben nicht mit, der liegt zu Hause mit Grippe im Bett. Zu anderen Leuten wäre ich ohne ihn überhaupt nicht gekommen, aber bei Ihnen weiß man ja, daß Sie zufassen.“ Er sah Stine an. „An Ihnen ist ein guter Hufschmied verlorengegangen.“
„Danke für das Kompliment!“ Stine lachte. Der Schmied bestieg sein Auto und brummte davon, und Stine führte mit Vater das zweite Hengstfohlen seiner Box zu. Sie öffneten die Tür und schoben es hinein, richtiger: sie wollten es hineinschieben, das brave Tier aber schien plötzlich von seiner Tugend verlassen zu sein. Es senkte den Kopf, schlüpfte zwischen Vater und Stine durch und raste über den Hof mit triumphierend gehobenem Schweif. Anja, die nichts ahnend herangeschlendert kam, wurde einfach umgerissen. Sie lag auf der Erde, ehe sie begriff, was los war. Und dann sah man nur noch das davonspringende junge Pferd.
„Dann geht es eben auf die Weide zu den anderen“, sagte Stine ungerührt, „schieb mal das Querholz dort beiseite, Petra. Geht‘s? Das zweite auch. Und jetzt – warten Sie, ich laufe – bleiben Sie hier und sperren Sie ab!“ Stine hatte sich bereits hinter das jetzt still stehende junge Pferd gemogelt. Petra lauerte mit ausgebreiteten Armen, Anja hatte sich längst aufgerappelt und sperrte die dritte Seite ab. Der kleine Hengst sah sich umgeben von freundlich auf ihn einsprechenden, sacht scheuchenden Menschen. Willig ging er ein paar Schritte auf das Koppeltor zu, noch ein paar –
„So, den hätten wir“, sagte Petra und schob die obere Stange wieder in ihre Halterung, während Anja sich an der unteren mühte. Aufatmend wanderten sie zu viert zurück zu dem einen kleinen Fachwerkhaus, das vor den Ställen lag. „Ich gehe voraus“, sagte Stine und kletterte eine etwas brüchige, vom Wetter angenagte Außentreppe hinauf. Das Geländer wackelte, aber ein kleines Dach schützte gegen Regen und Schnee. Oben trat man in einen kleinen Flur, in dem Kopfstücke und Geschirre an der Wand hingen.
„Ja, das gefällt mir. Das ist ja – also –“ Vater hielt inne. Es war , als gingen ihm die Worte aus.
Das war kein Wunder. Selten hatten er, Anja und Petra, die sich hinter ihm hineindrängelten, ein so hübsches Zimmer gesehen. Ursprünglich waren es zwei winzige gewesen, das war noch deutlich zu erkennen; aber die Wände waren herausgeklopft und nur die Balken des alten Fachwerks geblieben. So befand man sich in einem größeren Raum, der nach drei Seiten Fenster hatte. Durch das eine sah man hinüber zu den Bäumen, die neben dem andern Fachwerkhäuschen standen, schwerästige Tannen, alt, behäbig. Durch das andere blickte man in den Hof mit dem Brunnen hinunter. Vor dem dritten standen zwei Birken, jetzt noch kahl, die hängenden Zweige dicht am Fenster. Schon das allein machte das Zimmer sehr anheimelnd. Und dann erst die gemütliche Inneneinrichtung. Auf den waagerechten Balken standen allerlei alte, schöne Dinge: Becher aus Zinn und Schalen aus Messing, dazwischen fand sich auch mal eine Lochzange oder ein Hufkratzer – kurzum, man sah, daß das Zimmer bewohnt war. Auf einem der oberen Balken entdeckten die Mädchen sogleich einen großen Vogelkäfig. Darin saß auf einer Stange ein Papagei.
„Auf Wiedersehen!“ schrie er den Eintretenden entgegen, sehr deutlich und sehr laut, und Vater und die beiden Mädchen mußten lachen. Es war ein Graupapagei, diese Art gälte als besonders gelehrig, erklärte Stine.
„Eine Gruppe Reitkinder hat ihn mir geschenkt, als sie abfuhr“, erzählte sie, „vorher gehörte er einem Matrosen. Wenn er gute Laune hat, krächzt er ,La Paloma‘, dazu kann er sogar die Geräusche des Schifferklaviers nachmachen. Dann wieder schreit er ,Besetzt!‘. Das kommt davon, daß er einmal ein paar Monate in einer Pension im Flur gelebt hat. Wenn die Gäste dort auf die Toilette wollten und die Tür verschlossen fanden, sagten sie halt öfter ärgerlich vor sich hin: Besetzt!‘ Er kann auch das Tuckern unseres Traktors nachmachen.“
„Hach, mit einem Papagei haben wir auch mal was erlebt!“ platzte jetzt Petra heraus. „Bei Dagmar, die kennen Sie doch auch! Dort ist uns einer zugeflogen –“, sie erzählte, und Anja nickte dazu und gab, wenn Petra einmal schlucken oder husten mußte, die weiteren Stichworte. Und dann rückte Vater endlich mit seiner Frage heraus.