Читать книгу Hundsviech, geliebtes - Lise Gast - Страница 4

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»Kuppeln, Momme, kuppeln! Du kannst doch nicht schalten, ohne zu kuppeln!« Coronas Stimme klang verzweifelt, obwohl sie sich Mühe gab, freundlich zu bleiben. »Kupplung treten, und dann langsam kommen lassen.«

»Tu ich doch. Denkst du, ich weiß nicht – also ein Säugling bin ich nun doch nicht mehr«, grollte Momme. Dieser Name war abgeleitet von ›mom‹, der amerikanischen Kurzform für Mutter. Corona hatte ihn, wie alle Geschwister, sofort übernommen, als eins von ihnen aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten zurückgekommen war. Momme hatte sich gegen ›mom‹ gewehrt, den Namen mit e am Ende aber sofort akzeptiert, da er in einem Gedicht vorkam, das sie seit ihrer Kindheit liebte. Es war zwar ein Jungenname und stammte von der Waterkant, aber das störte sie nicht.

»Nein, aber –«

»Aber ich hab den Führerschein seit –«

»Seit Olims Zeiten, ich weiß. Immerhin bist du dreißig Jahre lang nicht gefahren, und der Verkehr –«

»Was hat denn Kuppeln mit Verkehr zu tun?« Wupp, der Wagen machte einen Satz vorwärts. Corona faßte den Bügel vorn am Armaturenbrett und hielt sich daran fest.

»Langsam kommen lassen, hab ich gesagt. Sachte, mit Gefühl. Und gleichzeitig Gas geben, aber wenig –«

»Ich finde, daß ich sehr gut fahre.« Momme hatte sich jetzt zurückgelehnt und streckte nicht mehr das Kinn vor, wie es verkrampfte Anfänger zu tun pflegen. Sie ließ den Wagen genüßlich laufen, viel zu schnell, fand Corona.

»Nimm Gas weg. Schnell fahren ist noch nicht gut fahren«, stöhnte sie. Momme gehorchte.

»Na schön. Jetzt nuckelt er wieder –«

»Dann mußt du eben zurückschalten.« Corona brach ab. Es ist schon ein Kreuz mit alten Müttern, die einfach nicht alt werden. Jahrzehntelang daran gewöhnt, alles besser zu können, erwiesen sie sich als miserable Schülerinnen. Dabei war es Coronas Idee gewesen, Momme wieder zum Autofahren zu bringen.

Früher hatte Momme einen Wagen besessen, sehr viel früher. Nach dem Tod ihres Mannes konnte sie sich mit der schäbigen Rente und dem klitzekleinen Nebenverdienst kein Auto mehr erlauben und war ohne Murren aufs Fahrrad umgestiegen. Es war auch so gegangen. Nun, da die Kinder groß waren, hätte es wohl wieder zu einem Wagen gereicht, wenn sie an anderem sehr sparte. Momme konnte sparen, das wußte Corona. Aber sie konnte verständlicherweise nicht mehr fahren, und so fühlte Corona sich verpflichtet, ihr Nach- oder besser Vorhilfestunden zu geben, ehe sie sie auf den Moloch Verkehr losließ. Die größeren Geschwister, vier an der Zahl, sollten sowieso noch nicht wissen, was sie da angezettelt hatte.

»Na, fahre ich nicht wunderbar?« fragte Momme in die Grübeleien der Tochter hinein.

»Sehr schön. Vergiß nicht den Blinker, wenn du jetzt abbiegst – ja, hier müssen wir abbiegen.«

»Warum denn schon?« fragte Momme, der es gefiel, den Wagen geradeaus laufen zu lassen. Corona hob die Augenbrauen.

»Weil wir heim müssen. Übrigens – einen Rote-Kreuz-Kursus solltest du auch noch machen, sozusagen als neu ausgebildeter Fahrer, das gehört heute dazu«, sagte Corona, als sie die Stadt wieder erreicht hatten. Momme lachte.

»Meinst du? Hab ich nicht genug erste Hilfe geleistet in meinem Leben, bei euch vielen? Was habt ihr alles gehabt, Schlüsselbeinbrüche, Löcher im Kopf, Arm- und Beinbrüche, Schnittwunden an den Füßen, wenn ihr in Scherben getreten wart, Gehirnerschütterungen, ich weiß nicht mehr, wie viele. Jeden Tag etwas. Na, das vielleicht nicht, aber doch keine Woche ohne etwas.«

»Trotzdem. Ich mach jedes Vierteljahr einen solchen Kurs mit, das schadet nie. Es werden ja immer neue Techniken entwickelt, z. B. beim Mund-zu-Mund-Beatmen, oder –« Corona kam direkt in Feuer, »das alles ist überhaupt hochinteressant, und sehr wichtig, für jeden. Man kann da nicht genug lernen.«

»Gut, mach ich«, versprach Momme. »Und Kuppeln tu ich jetzt auch, jedenfalls beim Autofahren. Sonst liegt es mir nicht – sag selbst, hab ich je gekuppelt? Wie andere Mütter das tun? Nie. Deshalb war ich vielleicht erst etwas zaghaft dabei –«, sie lachte, während sie, stolz nach rechts und links blinzelnd, ins Städtchen einfuhr. Sah auch jeder, daß sie am Steuer saß? Ein wenig hatte es sie immer gewurmt, wenn andere Frauen chauffierten und sie nicht.

Momme wohnte im Hinterhof eines Hauses, das einstmals in einem Garten gelegen hatte. Der diente jetzt leider als Lagerhof für eine Baufirma, die im Nebenhaus ihr Büro betrieb. Steine lagen da aufgeschichtet; Betonröhren und Platten. Momme ließ den Wagen auf der Straße stehen, die sehr schmal war. Corona fand das nicht richtig.

»Kannst du nicht wenigstens so viel von deinem ehemaligen Garten Eden zurückverlangen, daß der Wagen Platz hat?«

»Sicherlich. Ich versuch es. Vorläufig hab ich ja noch keinen eigenen.«

Das stimmte. Sie waren mit dem der Tochter gefahren. Trotzdem ärgerte sich Corona. Mommes Art, Ja zu sagen und keinerlei Konsequenzen daraus zu ziehen, brachte sie auf. So war sie immer gewesen, die Alte, auch heute noch.

»Du mußt den Fußboden richten lassen –«, man trat im Flur schon durch die Dielenbretter. »Jaja, mach ich.« Nichts geschah. »Du brauchst eine Putzfrau. Dazu wird es wohl reichen!« – »Jaja.« Auf die nach Monaten neu gestellte Frage hin erinnerte sich Momme an ihr Jawort von damals nicht mehr. »Ach so, richtig. Aber es gibt ja keine. Niemand will dem anderen den Dreck wegräumen.«

Nicht, daß die kleine, ziemlich unpraktische Wohnung verwahrlost gewesen wäre. Aber Corona ärgerte sich, wenn sie Momme an den Fenstern turnen sah, um die Scheiben zu putzen, oder wenn sie die Treppe fegte. »Kehrwoche«, dumme Sitte, in anderen Gegenden half man sich anders. Und ging auch nicht unter dabei.

Corona setzte eben an, dieses Problem neuerlich zur Sprache zu bringen, als sie durch einen Schrei ihrer Mutter abgelenkt wurde.

»Cor, ich glaube –«, sie vergaß, den Zündschlüssel abzuziehen, und rannte ins Haus, die wieder einmal ungefegte Treppe hinauf, »Rupprecht!«, und versank in den Armen eines sie weit überragenden, breiten und – leider! Momme hatte einen etwas altmodischen Geschmack – bärtigen Mannes. »Du bist gekommen? Ich sah nämlich unten deinen Wagen.«

»Ich auch. Aber so schnell wie unsere Mutter kombinierte ich nicht –« Corona war der Mutter nachgelaufen und lachte den großen Bruder an. »Allein? Wo ist Nikolaus?«

Momme hatte zu ihrem grenzenlosen Entzücken – sie liebte Kinder und hatte sich immer welche gewünscht – als erstes Zwillinge bekommen, zwei Jungen, und noch dazu Anfang Dezember. Und es durchgesetzt, daß diese Rupprecht und Nikolaus genannt wurden. Ihr Mann, ruhiger als sie und still amüsiert über seine junge Frau, in die er sehr verliebt war, hatte lächelnd zugestimmt. Warum nicht Rupprecht und Nikolaus, wenn sie es so wollte?

»Nur ein Glück, daß es nicht Drillinge sind«, hatte er lediglich gesagt, schmunzelnd, als Momme – damals noch Melinde – ihm mit der ihr eigenen Vehemenz diese beiden Namen vorgeschlagen hatte.

»Warum? Ich würde auch mit dreien fertig.«

»Weil –«, so argumentierte der stolze junge Vater – es war ganz zu Anfang, als Momme noch strahlend in der Klinik lag und, frei von Schmerzen, nicht ahnen konnte, was das Doppelpaket von Adebars Gnaden an immer wiederkehrender Arbeit bedeutete, an gestörten Nächten und doppelten Sorgen neben dem großen, mehr als doppelten Glück zweifacher Mutterschaft – »weil du den dritten vermutlich Weihnachtsmann taufen würdest. Und das –«

»Das?« fragte Momme gespannt.

»Das käme vielleicht beim Standesamt nicht durch«, sagte ihr Mann und küßte sie. Momme schwieg, wie man es tut, wenn man geküßt wird, jung verheiratet und zärtlich verliebt ist in seinen Mann, seine Kinder und sein Leben, »außerdem würdest du das vielleicht selbst nicht wollen.«

»Du etwa?« fragte sie vergnügt dagegen.

»Ich will immer das, was du willst.«

Momme sah zu ihm auf, in das geliebte Gesicht, in die Augen, ritterspornblau, die gerührt auf sie gerichtet waren. Ganz plötzlich wurde sie ernst, mitten in ihrer übermütigen Verliebtheit.

»Du –«, sie schlang die Arme um seinen Hals und zog sein Gesicht an ihres. Das war einer der glücklichsten Augenblicke ihres Lebens, sie vergaß ihn nie. Ein Stück Ewigkeit, etwas, wofür man alles, was das Leben bringen würde an Schwerem, willig und randvoll dankbar auf sich nehmen würde.

Lang, lang war das her, unvergessen ruhte es in ihrem Herzen wie in einem Schrein. Jetzt aber sahen ebenso blaue Augen sie zärtlich an, ein ähnlicher Mund küßte sie, wenn er auch von einem Bart umrahmt war, den sie nicht begeisternd fand. Ihr Mann war stets glattrasiert gewesen und hatte dadurch viel jünger gewirkt als die heutige Generation im gleichen Alter.

»Rupprecht! Bleibst du über Nacht?«

»›Wann machste denn wieder fort?‹ fragten wir früher immer, wenn Besuch kam, oder ›Wann geht denn dein lieber Zug?‹«

»Also bei euch hab ich sowas noch nie gefragt, bei euch Kindern! Nie! Und wehe, wenn ein anderer sowas gesagt hätte! Nur bei Besuch. Ihr seid ja keiner, ihr kommt nach Hause. So wie Cor. Sie ist nun schon drei Wochen hier, und wir haben uns noch nie gekabbelt.«

»Wirklich?«

»Niemals. Höchstens –«

»Momme kuppelt nicht –«

»Ich sag doch, ich hatte es nie nötig –«

»Nein. Wir haben alle vier zeitig geheiratet. Und jetzt sollte sie ausgerechnet bei dir kuppeln, die du –«

»Quatsch, nun versteh du das auch noch verkehrt. Ich bring Momme das Autofahren wieder bei, da kuppelt sie nie – oder doch zu spät. Es zerreißt mir die Ohren und die Seele –«

Sie waren in das winzige Wohnzimmerchen getreten und hatten sich an den Tisch gesetzt, Corona stand noch einmal auf und nahm Tassen aus dem blauen Bauernschrank, schaltete den elektrischen Topf ein, ging hin und her. Momme saß, benommen von Glück, und sah zu ihrem Sohn auf. Der lachte.

»Also kuppeln mußt du noch lernen, Momme. Wie figura lehrt. Und du willst dir wahrhaftig einen Wagen kaufen?«

»Höchstens eine uralte Schleuder. Etwas ganz, ganz Bescheidenes. Ich hab gut verdient, nicht nur redigiert, auch übersetzt. Ein reizendes Buch, aus dem Holländischen. Das ist vielleicht eine lustige Sprache! Ich glaube, etwas Ernsthaftes könnte man darin gar nicht ausdrükken.«

»Aus dem Holländischen? Ja, kannst du denn Holländisch?«

»Aber nein, jedenfalls – ach, weißt du, ein kluger Mann hat mir einmal gesagt: ›Hauptsache, der Übersetzer kann deutsch.‹ Und weil ich doch nun so viele – in all den Jahren summiert sich das – so viele Manuskripte stilistisch redigiert habe, meine ich, vom Deutsch-Schreiben etwas zu verstehen. Da hab ich es gewagt und mir die Übersetzung ausgebeten, und siehe da, der Verlag war vom Resultat sehr angetan. Er versprach mir sofort neue Aufträge. Gut, ja?«

»Gut, Momme. Nein, was haben wir doch für eine Mutter!«

»Ach, weißt du, eine neue Sprache lernen, das ist, als ob sich dir eine Tür öffnet, durch die man in ein neues Land hineingeht. Sehr schön, sehr spannend, und lustig! Weißt du, was auf holländisch ›unbefestigte Randstreifen‹ heißt? ›Verblödelte Rabatten‹. Herrlich, nicht? Und ›Universitätsklinik‹? ›Akademisches Ziekenhus‹!«

»Siechenhus«, verbesserte Corona leicht indigniert. Momme aber lachte.

»Ziekenhus ist viel schöner. Ich weiß, daß es von siech, Siechtum her kommt. Ja, und als Cor nun fand, ich müsse ein Auto haben, da hab ich zugestimmt. Warum nicht? Wenn nicht große andere, notwendige Ausgaben dazwischenkommen. Man kann ja nie wissen. Ich will es »Pourquoi-pas« nennen. Meine erste Übersetzung hab ich nämlich aus dem Französischen gemacht, Französisch hab ich in der Schule so sehr geliebt. Da besaß ich wenigstens eine Grundlage. Es war eine reizende kleine Liebesgeschichte, verschämt und gleichzeitig stolz – man küßt sich auf der Straße, aber eingehakt geht man nicht ...«

»Du kommst ja richtig ins Schwärmen, Momme«, sagte Rupprecht verwundert, »so, als hättest du es erlebt. Warst du je in Frankreich?«

»In Paris, wenn du nichts dagegen hast«, sagte die Mutter. Sie wurde rot und ärgerte sich darüber. Deshalb fuhr sie fort, nun gerade: »Ja, sogar zu zweit, wie sich das für Paris gehört. Es ist zwar lange her –«

›Was lange her ist, stört die Kinder nicht mehr‹, hatte Marika, eine sehr amourös veranlagte Freundin Mommes, einmal gesagt, die, ebenfalls verwitwet war und ebenfalls Kinder hatte. Rupprecht, der samt seinem Zwillingsbruder eine Zeitlang in einem Internat gelebt hatte, also nicht immer zu Hause gewesen war, tat sehr erstaunt-moralisch. »Aber Momme! Und wir nichtsahnenden Söhne –«

»Halt den Schnabel. Ihr braucht ja nichts zu ahnen. Ahne ich etwa, was für verschlungene Liebespfade ihr –«

»Also doch Liebespfade! Ich hatte gehofft, du wärst rein beobachtend, sozusagen geschäftlich in der capitale d’amour gewesen, jetzt aber hast du dich verschnappt. Jedoch sei es dir verziehen, wenn es lange her ist. Immerhin – oh Momme, und dir wollte ich meine Kinder anvertrauen! Übrigens, wenn du dann einen Wagen hast, paßt das ja großartig. Ihr könntet ins Schwimmbad fahren –«

»Wann? Wann soll Momme mit deinen Kindern –« Corona trat, die Kaffeekanne in der Hand, an den Tisch. Sie war kurz verschwunden und hatte sich umgezogen, trug jetzt einen knallroten Pulli, ziemlich anliegend, ›körperfreudig‹ nannte man das in der Familie, zu einer engen weißen Hose und sah bezaubernd aus, wie Momme wieder einmal insgeheim feststellte.

»Ach so, ja«, fuhr Rupprecht fort, »ich hab vergessen, dir zu sagen: Sigrid läßt natürlich grüßen, sehr sehr herzlich. Und wir fahren diesen Sommer nicht nach Sizilien, sondern nur in die Heide. Längst geplant. Sigrid muß sich einmal von den Kindern erholen, muß gar nichts tun als schlafen und essen, was andere gekocht haben, hie und da ein Blümchen pflücken – wenn es in der Heide welche gibt, oder sonst eben Heidekraut – und danach wieder alle viere von sich strecken. Sich richtig ausruhen. Und da wollten wir dir die Kinder bringen. Das dürfen wir doch?«

»Selbstverständlich. Großmütter sind dazu da, Enkel zu hüten. Sie tun es auch gern. Im Sommer? Falls Corona bis dahin –«, sie brach ab.

»Natürlich hab ich bis dahin eine Bude«, sagte Corona rasch. Sie bewohnte zur Zeit Mommes drittes Zimmer, ein viertes gab es nicht in dieser Wohnung. Momme sah zu ihr hinüber. Sie fragte nicht, aber es fragte aus ihren Augen.

»Na ja, wenn du schon pausenlos in mich hineinbohrst«, sagte sie kratzbürstig, »ich will nämlich die PH machen, hab mich zur Prüfung angemeldet. Momme muß ja immer alles wissen ...«

»Hab ich gefragt? Und gebohrt schon gar nicht«, fuhr die Mutter auf. »Ich frage nie, weil ich von meiner Mutter immerzu gefragt wurde. Dauernd wollte sie wissen, welchen Mann ich heiraten und welchen Beruf ich ergreifen wollte. Deshalb hab ich euch nie gefragt. Du bist mit der pädagogischen Hochschule von selbst herausgerückt. Sehr schön, sehr ordentlich. Hoffentlich klappt es mit der Prüfung. Wann ist sie denn?«

»Ich denke, du fragst nie?«

»Himmel, wenn ich nur ein einziges Mal etwas völlig Sachliches frage –«

»Nie gekabbelt. Immer vertragen. Drei Wochen in schönster Eintracht gelebt«, stellte Rupprecht lakonisch fest. »Die PH willst du machen, Cor? Sehr vernünftig. Und hier wohnen bleiben?« Die PH befand sich in der zehn Kilometer entfernten Kreisstadt. »Das ist für Momme ja sehr schön. Und wenn Corona sowieso auf eine Bude ziehen will, hast du doch Platz für die Kinder, Mommelein, nicht wahr?« Man sah ihm an, daß es ihm schwerfiel, es auszusprechen. Immer muß man die Mütter bitten, einzuspringen. Er dachte an die Redensart, die er neulich gehört hatte: Wenn eine Frau denkt, jetzt hat sie es geschafft, wird sie Großmutter, und alles fängt wieder von vorn an.

»Natürlich hab ich Platz. Ich schaff’ dann einfach Übereinander-Betten für die Kinder an. Das wollte ich übrigens schon lange. Es gibt jetzt solche, die über Eck stehen, also sehr raumsparend sind. Wart, ich zeig dir eine Abbildung. Sogar Erwachsene können drin schlafen, mal eine Nacht oder zwei, oder auch eine Woche lang. Wer streckt sich beim Schlafen schon ganz aus! Natürlich, solche Mordstrümmer von Männern wie meine Söhne würden nicht hineingehen –«, sie lachte zu Rupprecht empor. Noch immer fand sie es überwältigend, daß sie, die höchstens mittelgroße, stämmige Person, solche Riesensöhne großgezogen hatte.

»Und du meinst, du findest hier eine Bude?« fragte Rupprecht seine jüngere Schwester. Die blitzte ihn mit ihren schwarzen Augen an.

»Ich krieg alles, was ich will. Das wär gelacht!« sagte sie. Er glaubte es ihr.

Da war Momme wieder. Sie breitete Bilder von hellen, modernen skandinavischen Möbeln vor ihm auf dem Tisch aus. Und alle drei steckten die Köpfe darüber zusammen. Neuanschaffungen haben immer etwas Faszinierendes, vor allem für Leute, die in großer Sparsamkeit aufgewachsen sind. Zu denken: »Das und das kannst du dir jetzt leisten. Es ist nicht nur für andere da, du, du selbst könntest es dir kaufen –« Wundervoll! Sie genossen es alle drei. Und dann rückte der Sohn sogar damit heraus, daß er heute über Nacht bleiben könne. Momme war hingerissen.

»Dann machen wir uns einen schönen Abend!«

Dieser Abend fand ohne Corona statt. Sie hatte ›etwas vor‹ und verschwand sehr bald; Rupprecht sah ihr bedauernd nach.

»Da war die Flaggengala, die sie aufgezogen hat, also gar nicht für mich«, sagte er. »Wem mag sie gelten? Hat sie jemanden hier?«

Er forschte im Gesicht der Mutter. Corona, die Jüngste der Familie, hatte immer etwas von einem enfant terrible gehabt, genauer gesagt: sie war reiner Sprengstoff. Es gab kaum einen Tag im Zusammenleben mit ihr, an dem der Familie die Luft nicht irgendwann wegblieb angesichts einer neuen Idee, die ihr gerade gekommen war. Diese Schwester endlich unter der Haube zu wissen, wäre Rupprecht eine Erleichterung gewesen. Er sprach es aus. Momme sah ihn zweifelnd an.

»Rupprecht, deine liebevolle Sorge in Ehren – aber glaubst du wirklich, die Ehe sei heutzutage noch der sichere Hafen, in den früher einmal die weiblichen Schifflein eingelaufen sind, die Segel vom Dankgebet geplagter Eltern geschwellt? Motto: Die ist nun in guten Händen? Ach, längst, längst vorbei! Beruf, Ehe, keine Ehe – alles ist gleichermaßen gefährdet in unserer Zeit. Zwar ist das nicht neu. Wie sagt Hamlet, der zweifelsohne vor einigen hundert Jahren lebte? ›Die Zeit ist aus den Fugen.‹ Damals schon, jetzt nicht weniger. Ich denke oft neidvoll an den Alten Fritzen, der, als man ihn auf den Namen Sanssouci seines Schlosses hin ansprach, gesagt haben soll: ›Erst im Grabe werde ich ohne Sorge sein.‹ Ich nicht, mir geht es nicht so gut. Ich werde mich noch im Grabe um euch sorgen, immer, immer. Zumal um Corona.«

»Hat sie irgend etwas –«

»Nicht, daß ich wüßte. Versteh mich richtig, natürlich hat sie Freundschaften, und natürlich schlägt sie vorn und hinten aus, wenn ich meine, diese Freundschaften sollten sich auf den Tag beschränken. Wir sind hier den Augen der Nachbarschaft derart ausgesetzt, das Städtchen ist klein, jeder kennt jeden. Und wenn hier nächtelang die Autos auf der Straße stehen –«

»Das geht keinen was an, Corona ist großjährig«, sagte Rupprecht rasch. Momme schüttelte den Kopf, den sie ein wenig gesenkt hatte. Er sah zum erstenmal, daß ihr Haar, von Natur aus dunkelblond, ein wenig strähnig, kurz geschnitten, jetzt mit Grau durchsetzt war. Es fiel nicht sehr auf, und immer hatte er seine Mutter vor Augen, wie sie damals war, als er anfing, über sie hinauszuwachsen: resolut, fröhlich, oft drastisch in ihrer Ausdrucksweise, patent. Alterslos. War das vorbei? Natürlich, alle Menschen altern, wenn sie nicht früh sterben. Aaaaber ...

»Weißt du, was sie mir neulich sagte, als ich fand, sie käme recht spät heim?« hörte er seine Mutter fortfahren. »Es ist sicherlich ein Schnack, der nicht von ihr stammt, aber ich hätte meiner Mutter seinerzeit so etwas nicht zu sagen gewagt. ›Ein anständiges Mädchen‹ dozierte sie im Ton einer Gouvernante, ›ist um acht zu Hause. Sie schläft nämlich nachmittags mit ihrem Freund.‹ Na?«

Momme sah, daß Rupprecht lachen mußte. Sie lachte auch.

»Trotzdem solltet ihr hier raus«, sagte er dann, wieder ernsthaft werdend. »Und zwar bald. Am liebsten sofort. Um das einmal mit dir zu besprechen, bin ich hergekommen. Nicht nur deshalb, aber auch deshalb. Und wie nötig es ist, hast du mir ja bewiesen. Wenn wir alle zusammenlegen, könntest du schon zu einem eigenen Haus kommen, verdient hast du es um uns.

Ich sage das nicht, weil wir dir die Kinder aufhalsen wollen. Immerhin hast du eine Anzahl Enkel, die gern zu dir kommen, und da braucht eine Großmutter ein Haus mit einem Garten drumrum, in dem getrampelt und gelacht, geheult, gestritten und getobt werden kann, wo Corona ihre eigene Etage hat, die keinen etwas angeht, ein Haus, vor dem Autos stehen können, ohne daß die liebe Nachbarschaft sich die Klatschmäuler zerreißt –«

»Oh Rupprecht, wie sehr hab ich mir das gewünscht, von jeher!« Momme sah ihn an, ihr Blick war weich und versonnen. ›So mag sie ausgesehen haben, als sie jung war‹, dachte der Sohn und schlug die Augen nieder. Wie den meisten der jungen Generation war es ihm peinlich, sich vorzustellen, daß auch seine Eltern einmal jung gewesen waren – mit allen Konsequenzen. Sie schwiegen beide. Dann gab sich Rupprecht einen Stoß:

»Du wärst also einverstanden, hier raus und in ein sturmsicheres Haus zu ziehen?«

Momme lachte.

»Wenn uns eins über den Weg läuft, natürlich! Ja und topp und einverstanden!« Sie hielt ihm die Hand hin. Er schlug ein. ›Wenn uns eins über den Weg läuft ...‹ Wem läuft schon ein Haus, ein Traumhaus über den Weg!

Am andern Morgen kam es gelaufen, und zwar so:

Als Rupprecht von Mommes Fahrkünsten gehört hatte, schlug er vor, sie solle ihn ein Stück begleiten, damit sie seinen Wagen fahren könne. Die Rückfahrt per Bundesbahn werde er ihr spendieren. Voller Vergnügen sagte die Mutter zu. Auf diese Weise hatte sie ihren Sohn noch ein Weilchen für sich.

Es war noch früh am Morgen, kühl und frisch. Corona schlief, sie war spät heimgekommen. Auch das Städtchen fing eben erst an, sich zu rühren.

Das Haus lag im Flußtal, durch das die große Straße der Bahn parallel lief. Nebentäler mündeten im rechten Winkel hinein. Eins dieser Täler wählte Rupprecht, um abzubiegen, hielt gleich am Anfang und ließ Momme ans Steuer. Von hier aus ging es nach Norden durch die schöne hohenlohesche Landschaft, über wenig befahrene Straßen mit vielen Kurven, durch eine liebliche Gegend. Mit leichter Beklemmung nahm Rupprecht auf dem rechten Sitz Platz, der Mutter noch einmal die Fahrtechnik erklärend. »Der Rückwärtsgang liegt –« und so weiter. Momme klemmte sich hinter das Steuer und fuhr los.

Hier wechselten alte und neue Häuser miteinander ab, Vorgärten, peinlich sauber gehalten, ein Backhaus, jetzt stillgelegt, aber mit Rosen umwachsen. Bald trat der Wald rechts und links näher, das Tal wurde enger, und links lag, zwischen Bach und Straße, das letzte Haus, die Schelmenmühle. Die eigentliche Mühle gab es nicht mehr; was noch stand, war ein winziges Steinhäuschen am Bach, Austraghaus für alte Müllersleute, wenn es das gegeben hatte – über der Tür, in Stein gehauen, stand die Zahl 1798. So lange stand es schon – Momme hatte einmal beim Spazierengehen die Jahreszahl gelesen und sich ausgemalt, was dieses Häuschen alles erlebt und gesehen haben mochte und was es erzählen könnte, wenn es wollte. Rechts, im Winkel dazu, stand eine große Scheune; dunkles Holz, Giebeldach mit roten Schindeln. Diese Scheune war in der Zeit, als so viele Flüchtlinge aus dem Osten herübergekommen waren, zum Wohnhaus ausgebaut worden, man hatte Fenster hineingebrochen und statt des Tores mit Hängeschiene eine Haustür gemacht, zu der drei Stufen hinaufführten. Hier wohnte ein altes Ehepaar aus Ungarn oder, genauer, hatte hier gewohnt. Momme sah im Heranfahren, daß sich hier etwas tat: unzählige Pakete, Bündel und Koffer standen und lagen im Hof, wo ein Kleinbus dazu ausersehen schien, all dies in seinen Bauch aufzunehmen. Das Verhältnis der umhergestreuten Dinge zu seinem Fassungsvermögen war grotesk. Momme stieg auf die Bremse.

»Warum –«, setzte Rupprecht an, die Mutter legte die rechte Hand auf seinen Arm.

»Wart – ich glaube –«

Gerade kam die Frau des Hauses herausgeschossen, einen weiteren Koffer heranschleppend, das Haar gesträubt, mit funkelnden Augen. Momme kannte sie, wie man sich in der Kleinstadt kennt, und genoß es immer wieder, hier ein echtes (ungarisches!) Temperament zu erleben, ohne daß sie selbst oder ihre Familie betroffen war. Als Zuschauer und -hörer hatte das zweifellos seinen Reiz.

»Na, Frau Sailer –«, die Leute waren Deutsch-Ungarn – »bei Ihnen geht es ja munter zu.«

»Jawohl. Man kann auch munter sagen. Ich nenn es fürchterlich –« Sie schmiß den Koffer auf den Haufen zu den anderen und blieb stehen, um Atem zu schöpfen. Momme hatte das Fenster heruntergekurbelt und sah hinaus.

»Ziehen Sie weg?«

»Ja. Zu meiner Tochter. Sie hat Zwillinge bekommen, zu fünf anderen. Muß das sein? Nun wird sie nicht fertig mit ihnen.«

»Und da wollen Sie –«

»Wollen? Ich muß. Man kann doch seine Kinder in der Not nicht im Stich lassen.«

»Na, Not –« Momme war ausgestiegen und sah, daß Rupprecht dasselbe tat. Sie wies mit dem Kinn auf ihn. »Das ist auch ein Zwilling, sehen Sie. Und ich hab mich so gefreut, als ich zwei auf einmal bekam. Und freu mich heute noch.«

»Ist was anderes. Der ist ja nun groß. Aber zwei kleine auf einmal –«

»Und zu fünf anderen«, schaltete der erwachsene Zwilling ein –

»Ist eine Menge. Trotzdem. Wenn so eine Mutter helfen kommt wie Sie, Frau Sailer –«

Der Mann der empörten Großmutter war in den Bus geklettert, und Rupprecht reichte ihm die Koffer hinein, einen nach dem anderen. Er hatte eine ruhige, gewinnende Art, freundlich-selbstverständlich zuzugreifen, wo man helfen konnte, Momme hatte das oft beobachtet. Sie faßte nun selbst mit an, Frau Sailer holte neue Reserven, die schier unerschöpflich schienen, aus dem Haus, während sie unaufhörlich weiter räsonierte, riß Momme oder Rupprecht das eine oder andere Stück aus der Hand – »Das nicht, das hat Zeit, erst ...« und schilderte weiter. Wie es bei ihrer Tochter zuginge, daß man es nicht mit ansehen könne, und –

Schließlich war der Haufen verschwunden, der Bus bis oben hin vollgepackt.

»Jetzt trinken wir erst einen, mir ist schon lange danach«, sagte Frau Sailer und schob Momme und Rupprecht vor sich her ins Haus. Die sahen einander kurz an, jeder wußte, was der andere dachte, und ließen sich willig hineindirigieren. Und dann – ja, dann ging ihnen sozusagen die Sonne auf.

Herr Sailer war Schreiner, Momme wußte das. Jetzt aber wurde es ihr erst klar, was das bedeutete.

Durch einen kleinen, recht dunklen Flur kam man – welch wirkungsvoller Gegensatz – in einen großen, sehr hellen Raum, der die ganze Südhälfte des Hauses einzunehmen schien. Die Wände getäfelt, helles Holz, eingelassen, so daß es nicht nachdunkeln konnte, Fichte, soviel Rupprecht auf den ersten Blick erkennen konnte, mit vielen Aststellen, was den Anblick noch reizvoller machte. Welch ein Raum! Niedrige, breite Fenster, die nach drei Seiten gingen, es war sozusagen ein Doppeleckzimmer, man sah hinaus nach der Straße – das war die Giebelseite –, nach dem Hof und nach dem Wald. Momme stöhnte vor Entzücken, Rupprecht hatte rechtzeitig ihren Arm ergriffen und mit eiserner Faust umklammert, damit sie nicht sofort loslegte; er kannte ja seine Mutter. Wenn sie jetzt in Entzückensschreie ausbrach – er war es ja, der vorgeschlagen hatte, ein Haus für sie mit zu finanzieren –, das konnte ihn teuer zu stehen kommen. Jeder Jubelruf würde die Summe um tausend Mark hinauftreiben, falls das reichte. Und das, fand er, mußte nicht sein.

Sie blieb also stumm. Aber ihre Augen wurden größer und größer ...

Frau Sailer hatte eine Flasche hervorgezaubert und holte Gläser herbei. Ein Marillenschnaps, würzig, belebend, mit einem Nachgeschmack, der allein genügte, um mit der Zunge zu schnalzen und die Augen zu verdrehen – die Augen, die dann sofort wieder umherliefen, ohne Unterlaß.

Der Raum war jetzt, verständlicherweise, wüst, obwohl die Möbel noch standen. Eine überstürzte und zornige Abreise verschönt kein Wohnzimmer. Momme jedoch verfügte über genug Phantasie, um sich vorzustellen, wie –

Machen wir es kurz, was sowieso auf der Hand liegt: Rupprecht kaufte das Haus.

»Sie bekommen es billig, wenn wir den oberen Stock so lange behalten können, bis wir wissen, wohin mit unsern Möbeln«, hatte Frau Sailer gesagt. »So sparen wir die Kosten für den Speicher und können sie abholen, wenn wir wissen, wohin. In die Nähe der Tochter natürlich. Genügt Ihnen fürs erste die untere Etage?«

Sie genügte. Großer Wohnraum, Küche in der Nische, zwei kleine Schlafräume, die allerdings nach Norden lagen, das war vorläufig alles. Momme sah sich um, marillenschnapsbeschwingt, zukunftsbesessen. ›– und hierher kommt –‹ – ›und das wird –‹ – ›hier werden wir –‹ ging es pausenlos, Rupprecht versuchte nicht mehr, sie zu stoppen. Er rechnete inzwischen mit dem Schreinermeister, der, wie es sich gehörte, mit einem überdimensionalen Bleistift auf einem Stück Holz Zahlen schrieb – kein Schreiner rechnet auf Papier –, am Ecktisch sitzend, und zeigte sich, wie alle Ungarn, freundlich, aber zäh auf seinen Vorteil bedacht. Es war nur ein Vorgeschmack von dem, was später kommen sollte, aber beide wußten, daß sie sich einigen würden. Gegen Mittag fuhren die Sailers endlich los, die Sache war nicht nur mit Handschlag, sondern auch schriftlich besiegelt, Rupprecht und Momme hingegen fuhren nicht. Sie wanderten zu Fuß das Tal hinunter, Mommes Wohnung zu, nachdem sie den Wagen getätschelt und abgeschlossen hatten. Der stand hier gut, hier war Platz, hier sah niemand, ob hier drei oder sieben Wagen stehen würden, wenn Corona –

Ja, Corona sollte, so hatte Momme sofort beschlossen, in das alte Steinhäuschen ziehen, das so hübsch hergerichtet war, die Wände ebenfalls mit Holz ausgekleidet, die niedrige Decke von dunklen Balken durchzogen. Ob Corona Ja sagen würde? Ob sie mitkommen oder den Zeigefinger an die Schläfe legen und sagen würde, sie sei doch nicht verrückt? Freilich hätte sie Mommes Stadtwohnung übernehmen können, aber der ewige Ärger mit den parkenden Anbetern?

»Hättest du Angst, allein in der Mühle zu wohnen?« fragte Rupprecht noch vorsichtshalber. Momme schüttelte heftig den Kopf.

»Ich Angst! Aber bei Corona weiß man nie –«

»Wenn zwei Generationen unter dasselbe Dach ziehen, wird nie etwas Gutes daraus. Aber im selben Hof wohnen, mit Separateingang und eigenen vier Wänden, das ist wohl nicht so gefährlich, und –«

»Und was noch? Du hast voreilig gehandelt, Sohn«, sagte Momme, plötzlich wie erwachend, »denn das müßtest du wissen: Wenn Corona etwas nicht will, dann tut sie es nicht, auch wenn du dich auf den Kopf stellst.«

»Ich hab nicht gehandelt, sondern du. Du hättest das Haus vermutlich auch gekauft, wenn ich nicht dabeigewesen wäre. Schätzungsweise für das Dreifache. So habe ich mich noch schützend vor dich stellen können und bin meinem Schöpfer dankbar, daß das möglich war. Du bist zu jung, Momme, um solch einen großen Kauf allein zu tätigen.«

»Kauf hin oder her, aber Corona? Bitte, renn jetzt nicht im Dauerlauf, erstens ist deine Mutter eine Greisin und kann kaum laufen –« Rupprecht gab einen Ton von sich wie ein Seelöwe, halb bellend, halb schnarchend – »und zweitens müssen wir uns überlegen, was wir tun, wenn sie nicht will. So etwas muß man sich vorher zurechtlegen. Wie soll man sich denn Hilfestellung geben, wenn es schiefgeht?«

»Sich selbst Hilfestellung geben? Gib dir mal welche neben dem Barren, wenn du selbst schwingst –«

»Bitte keine Wortklauberei. Wir müssen uns zurechtlegen, was wir tun, wenn Corona streikt.«

»Vielleicht vermietest du das Häuschen dann an sechs junge Männer? Es enthält doch mehrere Räume. Versteh mich recht: nicht an junge Sexmänner, oder besser gerade an solche –«

»Halt den Schnabel. Dieser blödsinnige Sexrummel überall, er hängt mir zum Halse heraus. Nein, meine Tochter müßtest du mit etwas anderem locken –«

»Und das wäre?«

»Momme! Rupprecht! Endlich! Aber wieso kommt denn Rupprecht nochmals zurück? Er wollte doch –« Corona zog die beiden eifrig ins Haus. Dort fiel sie ihnen gleichzeitig um den Hals, Corona konnte so etwas. »Aber wie riecht ihr denn, Menschenskinder? Zwar nicht schlecht, aber am hellichten Tage! Und was habt ihr? Ihr tut, als kämt ihr zu Mutti, um ein süßes Geheimnis zu beichten –«

»Bist du närrisch, Corona! Und schrei nicht so laut im Treppenhaus, die Leute –«

»Ach, pfeif doch auf die Leute! Herein mit euch! Ihr kommt genau im richtigen Augenblick –« Corona biß sich auf die Lippen, fuhr aber gleich fort: »Ich bekam nämlich – mögt ihr Forellen? Na, wer mag wohl keine, dumme Frage. Also heute koch’ ich, daß ihr es wißt, deshalb –«

Es läutete. Corona, die die beiden ins Wohnzimmer gedrängt und sich soeben eine winzige rotkarierte Schürze, Symbol häuslicher Arbeit, umgebunden hatte, schob Momme in Richtung Etagentür. »Sei so gut und mach du auf, ich kann’s im Augenblick nicht!«

Momme ging. In Coronas Augen blitzte es. Sie sah den Bruder an, gleichzeitig erwartungsvoll und bereits triumphierend. Etwa nach dem Motto: ›Jetzt paß auf. Jetzt wirst du was erleben!‹

Vom Flur her hörten sie murmelnde Stimmen, dann klappte die Etagentür, und dann stand Momme vor ihnen. Aber nicht allein. Auf dem Arm trug sie ein Etwas, goldbraun, seidenstrubbelig und lebendig, mit einem rassigen, spitznasigen Köpfchen, das sich innig an Mommes Hals schmiegte: ein Dackel. Corona quiekte.

»Da ist er – ist er nicht lieb? Momme, Rupprecht, habt ihr schon jemals etwas so Süßes gesehen? Und aus allerbester Zucht! Ich bekam ihn geschenkt und mußte ihn annehmen, sonst hätte ich den Schenker tödlich beleidigt. Unmöglich wär’ das gewesen. Dafür ist er ja auch zu süß –«

»Der Schenker?« fragte Rupprecht und grinste.

»... loch«, zischte Corona. Sie sprach das Wort tatsächlich nicht ganz aus, wie es sich in guten Familien geziemt, doch es war unverkennbar. »Der Dackel natürlich –«

»Und du hast ihn geschenkt bekommen? Aus einer guten Zucht?«

»Einer erstklassigen –« Später stellte sich heraus, daß sie ihn gekauft hatte, auf Raten, an denen sie einige Zeit abstotterte. Und daß er keineswegs aus einer erstklassigen Zucht stammte, sondern von einer zwar reinrassigen, aber moralisch nicht ganz gefestigten Mutter, Produkt eines Seitensprunges, aus dem dreizehn dieser Art hervorgegangen waren, von denen er noch der dackelähnlichste zu werden versprach. Dies alles aber erfuhr Momme erst einige Zeit später, und da war an eine Trennung selbstverständlich nicht mehr zu denken.

»Nicht wahr, das seht ihr ein, daß man so etwas nicht ablehnen kann. Ein Geschenk zurückzuweisen, das wäre eine ganz große Unhöflichkeit gewesen.«

»Wir sehen. Aber wir bedenken auch: wie sollst du hier in dieser winzigen Wohnung, mitten in der Stadt, solch ein Tier halten und ihm die nötigen Lebensbedingungen, das heißt Bewegung verschaffen –« Rupprecht fand, daß er sehr schriftdeutsch sprach, und hörte sich gern zu. Der Marillenschnaps wirkte noch nach.

»Aber Rupprecht –«, fiel ihm Momme ins Wort, worauf er wiederum – dieser Tag war voller Rippenstöße, Schienbeintritte und In-die Arme-Kneifen, es gibt solche Tage – ihr schwer und schmerzhaft auf den Fuß trat.

»Nichts: aber Rupprecht. Solch ein Tier hält man, wenn man draußen wohnt, in der Natur –«, ›am Wald‹, hätte er beinah gesagt und verschluckte es noch rechtzeitig. Dackel wildern, wenn man sie nicht sehr gut erzieht. Würden das die beiden Frauen schaffen? »Jedenfalls dort, wo man jeden Tag in guter Luft mit ihm laufen kann –«

»Eben. Und da ihr die Schelmenmühle gekauft habt –«

Momme und Rupprecht starrten Corona an, als sei sie ein Kalb mit zwei Köpfen.

»Was haben wir?«

»Und ich in dem Steinhäuschen am Bach wohnen werde –«

»Sag mal, kannst du hellsehen?« fragte Momme, als sie wieder reden konnte. Corona lachte.

»Wenn ich das jetzt behauptete, ihr würdet es aufs Wort glauben. Aber wozu lügen. Ein – ein Forstbeamter, der heute früh auf seinem Angelplatz für Forellen am Schelmenbach saß und durch euch gestört wurde –«

»Hat uns belauscht?« fragte Momme streitbar. Corona wackelte mit der Rechten, die Handfläche abwehrend gegen Momme gerichtet.

»Was heißt belauscht? Habt ihr etwa im Flüsterton verhandelt? Doch wohl nicht, wie ich meine Mutter kenne.«

»Und er hat es dir brühwarm erzählt? Wie kam er denn hierher?«

»Er hatte mir Forellen versprochen, vor ein paar Tagen, als wir uns zufällig mal trafen. Ich bezweifelte, daß er im Schelmenbach welche fangen würde, und er versprach, mir welche zu bringen, als Beweisstück. In der Küche liegen sie, ich sagte es ja schon. Wollt ihr sie blau oder gebraten?«

»Forellen ißt man blau«, fiel hier Rupprecht ein. »Ich jedenfalls. Blau, mit Petersilienkartoffeln und zerlassener Butter –«

»Genauso bekommt ihr sie serviert. In einer Viertelstunde. Bitte nehmt inzwischen Platz.«

In der Tat, der Tisch war gedeckt. Neben den Tellern standen Weingläser, und in der Ecke der Stube entdeckten Rupprechts Späheraugen eine vielversprechende Flasche. Er sah seine Mutter an.

»Momme! Kommentar überflüssig. Da haben wir aber Glück.«

Zwanzig Minuten später saßen sie am Tisch und stießen auf die Schelmenmühle samt Bachhäuschen an. Es ließ sich nicht entscheiden, wer am glücklichsten war: Momme oder ihr großer Sohn, ihre jüngste Tochter oder das goldenseidige Gekringel auf Mommes Schoß. Denn da lag er, der kleine Hund, und ließ sich nicht woanders unterbringen. Momme hatte ihn an der Tür entgegengenommen, zu ihr gehörte er von nun an; Corona hatte das mit Vorbedacht so eingefädelt. Sie selbst würde in nächster Zeit nicht viel daheim sein, Momme hingegen so gut wie immer. Momme brauchte den kleinen Lebensgefährten, deshalb hatte Corona die Mutter zur Tür geschickt. Alles war genau nach Plan verlaufen. Es war eine Liebe auf den ersten Blick, das erste Schnuppern.

Hundsviech, geliebtes

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