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Die Zuflucht des Verbannten

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Es war Nacht und kalt, und die Stelle, an der der Indianer im Gras lag, war kein guter Lagerplatz. Weder Wasser noch Windschutz waren hier zu finden. Die Grassteppe nördlich des großen Missouribogens dehnte sich eben. Zwischen den Grasbüscheln saßen Graupeln als kleine, im Mondlicht glitzernde Haufen, so wie sie der Tag und Nacht immer wieder auflebende Sturm hinwehte. Die Wolkenfetzen am Himmel tummelten sich schnell südwestwärts. Wenn der Schnee auch schon längst geschmolzen war, ließ der Nachtfrost doch alle Feuchtigkeit noch zu dünnen Eishäuten gefrieren.

Der Indianer lag auf der Seite; den Oberkörper hatte er auf den linken Ellenbogen gestützt. Der Kopf war ihm müdigkeitsbeschwert auf die Schulter gesunken. Seine Augen standen offen, aber er stierte nur auf den Boden. Hin und wieder griff er mit der freien Hand nach dem rechten Bein, dessen Unterschenkel einen Knick zeigte, wie er bei Knochenbrüchen entsteht.

Er hatte kein Pferd bei sich, keine Decke, keine Waffen und keinen Proviant. Neben ihm lagen die zwei starken Äste, die er als Krücken gebraucht hatte, um sich drei Tage hindurch und bis in die Nacht hinein weiterzuschleppen. Er war zum Skelett abgemagert, und er fror. Feuerzeug – hartes und weiches Reibholz – hatte er bei der Flucht mitgenommen, doch fehlte es ihm an der Kraft, sich in den baumlosen Prärien brennbare Äste zu suchen. Er wollte jetzt nicht einschlafen, denn er fürchtete zu erfrieren und nicht mehr aufzuwachen. Sein Wille zu leben und sein Ziel zu erreichen, war noch immer nicht gebrochen.

Drei Stunden hatte er so gelegen und nichts anderes gehört als das Heulen hungriger Wölfe. Die Raubtiere verstummten jetzt und zogen ihren Kreis enger um die erhoffte Beute. Der Indianer nahm einen seiner Stöcke zur Hand und schlug damit kräftig auf den Boden. Wenn er die Raubtiere nicht verjagen konnte, so sollten sie durch die Bewegung des Stockes und den Laut des Schlages wenigstens für kurze Zeit abgeschreckt werden.

Bald darauf hörte er ein Geräusch, das nicht von ihm selbst verursacht wurde. Es klang ihm aber sehr vertraut, und er legte sich ganz zur Erde, um mit dem Ohr am Boden zu lauschen. Es blieb kein Zweifel. Über die nächtliche Prärie galoppierten Reiter, vielleicht ein, zwei oder drei. Im Kopf des Lauschenden entstand ein wirres Durcheinander von Furcht und Hoffnung. Er befand sich auf der Flucht vor erbarmungslosen Feinden, denen er vor drei Tagen mit Mühe entkommen war, und er wusste nicht, ob die Reiter zu diesen feindlichen Scharen gehörten oder zu seinem eigenen Stamm. In der Richtung, aus der sie kamen, nämlich aus Ostsüdost, vermutete er weder die einen noch die anderen.

Das Galoppgeräusch näherte sich. Bald konnte der Indianer zwei Pferde sehen, windschnelle Mustangs. Für das Auge waren sie mit ihren Reitern schwarze Schatten, die über die Grassteppe flogen. Die Reiter gelangten bis an den Ring der Wölfe, und die ganze Aufmerksamkeit des Beobachters wurde von dem Schattenspiel gefangengenommen, das er jetzt im Mond- und Sternenschimmer ansehen konnte. Die Reiter spannten die Bogen, ohne die Pferde anzuhalten, und schnellten mitten im Galopp die Pfeile ab. Ein Wolf, der getroffen sein musste, sprang fast senkrecht hoch und stürzte dann rücklings nieder. Drei Wölfe verfolgten das zweite Pferd, aber als der eine es ansprang, schlug der Reiter zu, mit einer Keule oder einem Beil, das konnte der Beobachter nicht genau erkennen. Doch sah er, wie das Raubtier abglitt und liegen blieb. Es wunderte ihn, dass die beiden Reiter stumm blieben. Sie ritten ohne Sattel, waren barhäuptig, hatten das Haar in Zöpfen geflochten; es waren Indianer. Der Beobachter hätte sie gern gerufen, aber er wusste noch immer nicht, ob er Feinde oder Freunde vor sich hatte, ob er sich vor ihnen verbergen musste oder Hilfe von ihnen erwarten konnte.

Die beiden Reiter wandten ihre Pferde und griffen ihrerseits die Wölfe an, mit Pfeil und Bogen und, wie der Verletzte jetzt genau erkennen konnte, mit elastischen Keulen. Sie kämpften kühn und gewandt, und es dauerte nicht lange, bis der Rest der hungrigen Meute das Weite suchte.

Aber die elastischen Keulen als Waffe hatten dem Beobachter Aufschluss gegeben, dass die beiden Reiter Dakota sein mussten. Sie waren seine Todfeinde, und er konnte nur hoffen, dass sie ihn nicht finden würden. Mit argwöhnischer Aufmerksamkeit verfolgte er ihren weiteren Weg.

Zunächst hielten sie beide an und schienen sich zu besprechen. Dabei erkannte der unbeobachtete Beobachter, dass der eine der beiden Reiter an Gestalt viel größer war als der zweite, der nicht nur kleiner, sondern auch knabenhaft schlank erschien. Die Beratung hatte ein unerwartetes Ergebnis. Die Reiter stiegen ab und schienen sich niederzulassen, obgleich der Platz, an dem sie sich befanden, kaum mehr Annehmlichkeiten für ein Lager bieten konnte als die Stelle, an der der Verletzte aus Erschöpfung haltgemacht hatte. Es blieb diesem nichts anderes übrig als abzuwarten, was weiter geschehen würde. Die Wölfe waren vertrieben, dafür hatte er jetzt Dakota in seiner Nähe. Das eine erschien ihm so gefährlich wie das andere. Er beschloss, sich nicht zu rühren, aber wach zu bleiben. Vielleicht brachte erst das Morgengrauen die Entscheidung über sein weiteres Schicksal. Er empfand wieder den bohrenden und stechenden Schmerz an der Bruchstelle des Schienbeins, den er in der Erregung über die letzten Vorgänge vergessen gehabt hatte.

Als Stunden dahingeschlichen waren, als die Sterne erloschen und der Morgenstern allein schimmerte, hatte sich der Verletzte innerlich auf alles vorbereitet, was je mit ihm geschehen konnte. Wenn es in seiner Nähe auch keinen Wasserspiegel gab, in dem er sich im aufleuchtenden Frühlicht hätte selbst betrachten können, so wusste er doch, dass sein Gesicht mit der roten Kriegsfarbe bemalt war und dass die Spuren dieser Bemalung noch zu sehen sein mussten. Zwischen ihm und einem Dakota gab es nichts als Feindschaft auf Leben und Tod. Da er wehrlos war, blieb für ihn nur der Tod. Es war lediglich die Frage offen, ob die beiden Dakota ihn entdecken würden. Die Fährte, die er als Hinkender mit zwei Stöcken hinterlassen hatte, war leicht zu finden.

Es wurde hell, aber die Sonne konnte nicht hervorkommen. Breite Wolkenbänke lagerten am Horizont, und es blieb sehr kalt. In einer Entfernung von hundertfünfzig Metern zog sich eine Bodenwelle hin, und der Verletzte bemerkte, dass die Dakota jetzt auf dieser flachen Anhöhe lagen; die Pferde standen wahrscheinlich dahinter. Die beiden fremden Indianer wahrten keine besondere Vorsicht. Sie hielten es wohl für ungefährlich, von einem hinkenden Verwundeten beobachtet zu werden. Offenbar spähten sie aber zu ihm hinüber und trachteten zu erkunden, wer er sei und wie er sich verhalten würde. So verging eine halbe Stunde. Hin und wieder brach ein Sonnenstrahl durch die Wolken.

Dann schienen die Dakota sich entschlossen zu haben, was sie weiter unternehmen wollten. Der kleinere der beiden, der sehr schlank war, holte die Pferde und führte sie in Richtung des hilflosen Verletzten. Der größere, dessen hohe Gestalt mächtig und zugleich harmonisch in ihren Proportionen wirkte, ging frei nebenher. Die beiden beeilten sich nicht. Sie wissen, dachte der Verletzte, dass ihr Opfer ihnen nicht entkommen kann. Sie sollen aber auch erfahren, wie ein Krieger der Siksikau zu sterben weiß. Unwillkürlich griff er nach einer der Stangen, die er als Krücke gebraucht hatte. Wenn er auch nicht eine sinnlose Form des Widerstandes versuchen wollte, so hatte er doch die Absicht anzudeuten, dass er sich nicht freiwillig ergab.

Endlich standen die beiden fremden Indianer vor ihm, kaum zwei Meter entfernt. Da sie ruhig stehen blieben und auch nicht gleich zu sprechen begannen, blieb dem Siksikau Zeit, sich über sie zu wundern. Es handelte sich um einen Mann und einen groß gewachsenen Knaben. Die beiden waren nur mit Leggings und Mokassins bekleidet und froren auch. Über dem Rücken des einen der Pferde hing eine büffellederne Decke. Bewaffnet waren diese beiden Dakota ausgezeichnet. Als Schusswaffen führten sie Pfeil und Bogen, doppelläufige Büchse und Revolver, als Handwaffen nicht nur das Messer und die aus Weidenzweigen und einem eigroßen Stein gefertigte elastische Keule, sondern auch das Schlachtbeil mit Stahlschneide. Der Siksikau staunte. Revolver kannte er bis dahin nur vom Hörensagen. Diese Dakota mussten sehr gute Verbindungen mit den weißen Männern haben, von denen man solche Waffen beziehen konnte.

Der Verletzte hatte nicht die Absicht, zuerst etwas zu sagen. Solange noch keine Auseinandersetzung im Gange war, konnte er am Leben bleiben. Er wollte warten.

Die beiden Dakota hatten sich nicht mit den Kriegsfarben bemalt. Der Siksikau betrachtete die Stickerei auf ihren Mokassins und auf dem Gürtel des Mannes. Die Muster waren fremdartig. Vielleicht gehörten diese beiden Indianer, die an Scheitel und Zöpfen, an der elastischen Keule als Dakota zu erkennen waren, doch nicht zu derjenigen Stammesabteilung, mit der der Siksikau und seine Brüder gekämpft hatten. Vielleicht wussten sie von diesem Kampf gar nichts? Vielleicht waren sie an der Grenze gewesen, hatten sich Feuerwaffen eingetauscht und strebten nun irgendwohin zu ihren Zelten. Aber sie mussten sehen, dass der Siksikau, der vor ihnen im Gras lag und noch immer seine Krücke in der Rechten hielt, mit den Kriegsfarben bemalt gewesen war.

Der Dakotakrieger sagte etwas, und der verletzte Siksikau verstand kaum jedes dritte Wort, aber den Gesten entnahm er, wonach er gefragt wurde: wie sein Name sei und ob er zu seinen Zelten gebracht werden wollte.

Eine solche Frage erschien ihm wunderbar und in ihrer menschlichen Einfachheit viel zu verdächtig, als dass er sie ohne weiteres hätte mit Ja beantworten wollen. Was hatten die beiden Dakota bei den Zelten der Siksikau zu suchen? Hatten sie die Absicht zu kundschaften und erschien ihnen die gegebene Situation als eine unwiederbringliche Gelegenheit, ungestraft in die Dörfer der Siksikau zu gelangen und dort zu horchen und zu spähen?

Der Verletzte überlegte. Und wenn dem wirklich so war? Dann wurde er gerettet, die beiden Dakota aber befanden sich inmitten einer Schar von Schwarzfußkriegern, die sie nicht wieder gehen zu lassen brauchte, wenn böse Absichten offenbar wurden. Wie aber, wenn diese beiden Dakota gar nicht allein waren, sondern nur die Kundschafter eines größeren Dakotatrupps, der irgendwo lauerte, bereit, der weiteren Spur bis zu den Zelten zu folgen und die Frauen und Kinder der Siksikau zu überfallen? Vielleicht kümmerten sich die beiden Dakota nur deshalb um den Verletzten, weil er ihnen und denen, die den Auftrag dazu gegeben hatten, als Wegweiser zu den Zelten der Schwarzfüße dienen sollte. Es war besser, wenn er sich mit den beiden fremden Indianern nicht einließ. Es blieb ihm dann allerdings nichts anderes mehr übrig, als in der trostlosen Grassteppe zugrunde zu gehen. Denn sobald er in Richtung seiner Zelte weiterzuhumpeln versuchte, konnten die beiden Dakota ihm nur allzu leicht folgen.

Erbittert darüber, dass ihm durch das Erscheinen und die unerbetene Aufmerksamkeit dieser beiden Reiter die letzte Hoffnung auf Rettung genommen schien, winkte er kurz und wegwerfend, sie sollten sich entfernen, und er habe nicht die geringste Absicht, sich von ihnen helfen zu lassen.

Das schienen sie verstanden zu haben, denn sie wandten sich ohne weiteres Wort ab, saßen auf und ritten weg. Ob sie in einer Entfernung, in der der Siksikau sie nicht mehr wahrzunehmen vermochte, einen Bogen schlagen und ihn dann heimlich weiter beobachten würden, konnte er nicht wissen. Er nahm es aber an, und darum war er entschlossen, liegen zu bleiben und lieber zu verdursten und von den Wölfen gefressen zu werden als die Zelte seines Stammes dem Feind zu verraten. Er hatte auch keine Hoffnung, dass seine Brüder und Freunde ihm von dort entgegenkommen und ihn suchen würden. Denn er war gefangen gewesen, und alle mussten ihn schon tot glauben.

Die beiden Dakota, die der hilflose Verletzte nicht mehr sehen konnte, verhielten sich jedoch anders, als er sich vorstellte. Sobald sie sich außer Hör- und Sehweite befanden, hielten sie an. Der groß gewachsene Mann glitt vom Pferd, der Junge tat desgleichen, und die beiden setzten sich zusammen ins Gras.

»Was denkst du über den Krieger, den wir gefunden haben?«, fragte der Mann den Jungen.

»Ein Siksikau auf dem Kriegspfad. Er ist seinen Feinden entkommen, hat aber das rechte Bein gebrochen. Wir haben seine Fährte gesehen. Er läuft geradewegs nach Nordwesten, dort müssen die Zelte seiner Brüder und Väter stehen. Ein so schwer verletzter Mann ohne Waffen macht keine Umwege.«

»Hau. Was tun wir? Was schlägst du mir vor, Harka Steinhart Wolfstöter?«

Der Knabe, im dreizehnten Jahr seines Lebens, hochgewachsen und von einem Ernst des Ausdrucks, der weit über seine Jahre hinausging, antwortete: »Wir reiten nach Nordwesten und suchen die Zelte der Siksikau, um dort den Vätern und Brüdern dieses verletzten Kriegers Nachricht zu geben, wo sie ihn finden können.«

»Auch diese Männer bei den Zelten werden uns für Feinde halten, sobald sie erkennen, dass wir Dakota sind.«

»Ja, das werden sie. Aber denkt mein Vater Mattotaupa, dass wir uns darum verbergen sollten?«

»Das denke ich nicht, Harka. Wir haben längst beschlossen, zu den Zelten der Siksikau zu gehen. Schon zu der Zeit, als der Sommer sich neigte, als das Gras gelb wurde und Schnee und Frost noch bevorstanden, haben wir es miteinander beschlossen, und ich sagte dir, dass die Männer der Siksikau harte Krieger sind und dass es schwer ist, in ihre Reihen aufgenommen zu werden. Wenn wir das schon im Herbst gewusst haben, werden wir nicht jetzt im Frühling beginnen, uns davor zu fürchten. Ich habe gesprochen, hau.«

Der Vater erhob sich, woraufhin auch der Junge sofort aufstand. Die beiden saßen wieder auf und ritten in dem Wechsel von leichtem Galopp und Schritt, wie er ihnen als Reiter ohne Sattel gewohnt war, in nordwestlicher Richtung über die Grassteppe. Der Himmel hatte sich aufgehellt, die Prärie war besonnt. Die wenigen Wolken, die noch dahinsegelten, warfen ihre wandernden Schatten. Da die beiden Dakota morgens schon etwas zu sich genommen hatten und nur eine Mahlzeit am Tag gewohnt waren, machten sie in den Mittagsstunden keine Rast, sondern ritten weiter. Die Fährten, die sie bis dahin gefunden hatten, stammten von Antilopen, Hirschen und einem Elch.

Drei Stunden nach Mittag trafen sie auf die Spuren von Menschen. Es war eine große, sehr deutliche Fährte, die ihnen schon von weither auffiel. Sie trieben ihre Mustangs an und galoppierten hin, saßen ab, ehe sie etwa eine Spur verdarben, machten die Pferde schnell fest, so dass sie zwar weiden, aber nicht ausbrechen konnten, und begannen dann, jeder für sich, vorsichtig umherzulaufen, um die Spur wie eine Schrift zu lesen. Als sie wieder zusammenkamen, fragte der Vater: »Nun? Was sagst du?«

Der Knabe war es gewohnt, dass der Vater ihn fragte, ehe er seine eigene Meinung sagte. Das war die Schule, die ein Indianerknabe durchmachte.

»Ein Zeltdorf auf Wanderung, Vater. Sie wandern auf die gleiche Weise wie wir.« Wenn der Knabe »wir« sagte, so meinte er den Stamm der Dakota und sein heimatliches Zeltdorf. »Die Frauen mit den Kindern sind in einem langen Zug in der Mitte geritten, ihren Pferden waren die Rutschen angehängt.« Da die Indianer das Rad nicht kannten, auch nicht in Gebrauch nahmen, als sie es durch die Weißen kennenlernten, transportierten sie Zelt, Habe und kleine Kinder in althergebrachter Weise in Rutschen, die den Pferden angehängt wurden. Zwei lange Fichtenstangen wurden mit den dünnen Enden über dem Pferderücken gekoppelt, die dicken Enden schleiften nach. Zwischen die schleifenden Enden wurde eine Decke gespannt, in die man Habe einladen und Kinder hineinsetzen konnte. Dieses Transportmittel war für die Wanderungen ohne Weg und Steg sehr geeignet. »Rechts und links und an der Spitze und am Ende des Zuges der Frauen sind die Krieger und Burschen geritten. Ich denke, es sind etwa zwanzig Zelte.«

»Hau. Wie alt ist die Fährte?«

»Vielleicht einen Tag alt. Diese Zelte können nicht weit von hier sein, denn die Frauen mit den Rutschen reiten im Schritt.«

»Komm!«

Die beiden Dakota holten sich ihre Pferde und schwangen sich auf. Aber sie setzten ihre Tiere nicht in Bewegung, wie sie beabsichtigt hatten, sondern blieben wie zwei Standbilder am Platz. Gegen Westen zu, in einer Ferne, in der nur ein Jägerauge noch etwas erkennen konnte, hatten sie beide zugleich Reiter entdeckt. Es war nur eine kleine Gruppe von sieben Reitern, die fliehende Antilopen verfolgten. Die Dakota beobachteten, wie zwei Tiere abgeschossen wurden, die übrigen flohen weiter. Die Gruppe der Reiter sammelte sich bei den erlegten Tieren und ließ von der Jagd auf die übrigen ab. Sie schienen sich aber nicht mit der Jagdbeute zu beschäftigen, sondern hielten zu Pferd in einer Linie.

»Sie haben uns erspäht!« Mattotaupa setzte seinen Fuchs in Schritt, um langsam auf die fremden Reiter zuzureiten. Harka lenkte seinen Grauschimmel in die Fährte des Vaters.

Die fremden Reiter hielten offenbar eine kurze Beratung ab. Das Ergebnis war zu erkennen. Zwei Reiter packten die erlegten Antilopen auf und ritten in nordwestlicher Richtung fort; allem Anschein nach brachten sie die Beute heim. Fünf Krieger kamen in gestrecktem Galopp auf Mattotaupa und Harka zu. Auch diese fremden Reiter waren Indianer, auf kleinen, schnellen, halbwilden Mustangs; auch sie trugen nur Hose, Gürtel und Schuhe, waren barhaupt, und ihr Oberkörper war nackt. Das Haar hatten sie nicht gescheitelt wie die Dakota, sondern glatt zurückgestrichen. Der vorderste der Reiter trug Adlerfedern in seinem schwarzen Schopf. In der Rechten hielt er eine große hölzerne Streitaxt, wie Harka sie noch nie gesehen hatte.

»Es sind Siksikau«, erklärte der Vater.

Da die beiden Gruppen aufeinander zukamen, hatten sie sich bald erreicht. Die fünf Siksikau umschwärmten die beiden Dakota, die haltgemacht hatten, schwangen die Waffen, schrien, schienen die beiden niederreiten zu wollen, um im letzten Augenblick die Mustangs wieder herumzureißen. Mattotaupa und Harka blieben unbewegt; sie ließen nicht einmal merken, dass ihre schwarzen Augen aufmerksam waren, sondern gaben sich den Ausdruck gelassener Teilnahmslosigkeit.

Nachdem die fünf Reiter ihre Waffen und ihr Können gezeigt hatten, blieben sie stehen, und zwar in lockerem Kreis um die beiden Dakota. Der Krieger, der die Adlerfedern trug, hielt Mattotaupa gegenüber. Er sagte in befehlendem Ton etwas, was Mattotaupa nicht verstand, aber die begleitenden Gesten waren eindeutig: Die Dakota sollten die Hände von den Waffen nehmen und sich entwaffnen lassen.

Mattotaupa hatte aber bereits den Revolver in der Rechten, gab einen Schuss in die Luft ab und richtete dann die Mündung auf den Anführer der fünf Reiter. »Wir werden nicht mit den Waffen sprechen, aber wir werden in Waffen mit euch sprechen!«, sagte er dabei. Harka richtete sich nach dem Verhalten des Vaters und hielt ebenfalls seinen Revolver schussbereit.

Der Mann mit den Adlerfedern war etwas verwirrt. Die beiden Dakota, die er hier vor sich hatte, passten nicht in sein bisheriges Weltbild. Er war groß geworden in der Vorstellung, dass es Menschen gab, und zwar Siksikau. Außerdem gab es Dakota und Assiniboine, die zwar aussahen wie Menschen, aber Feinde, Kojoten, Feiglinge und Lügner waren, mit denen die wirklichen Menschen in ständigem Kampf lebten. Er hatte es außerdem nie anders erfahren, als dass es Krieger gab mit sauberem Körper, sauberen, gut gearbeiteten Kleidern und guten Waffen und Häuptlinge mit noch besseren Kleidern, noch besseren Waffen und dem Schmuck von Adlerfedern und Büffelhörnern. Diese beiden Dakota hier aber waren mit abgetragenen Sachen bekleidet, wenn diese auch einmal sehr gut gearbeitet sein mochten. Der Mann trug keinerlei Auszeichnung. Doch besaßen sie nicht nur vorzügliche Waffen, sondern sogar Geheimniswaffen. Der Mann konnte etwa dreißig Jahre oder auch etwas älter sein. Es war schwer, sein Alter genau zu schätzen. Seine Gestalt und seine Glieder waren kräftig und ebenmäßig; die Narben bewiesen, dass er schon schwere Kämpfe bestanden hatte. Der Ausdruck seiner Züge wirkte zugleich aufrichtig und verschlossen. Während die glatte, hellbraune Haut die eines noch jungen Mannes zu sein schien, fielen in seinem schwarzen Haar schon einzelne graue Fäden auf, und um Augen und Mundwinkel hatten sich Falten gebildet, wie Gram und Erbitterung sie in ein menschliches Antlitz einzeichnen. Der hochgewachsene schlanke Junge zur Seite des Mannes war nicht das Ebenbild des Vaters; seine Haut war etwas dunkler, seine Stirn höher, das Gesicht noch schärfer geschnitten. Aber auch in seiner Erscheinung drückte sich ein Widerspruch zwischen dem Knabenalter, in dem er sich befinden musste, und dem unkindlichen Ernst und einem lässigen, sogar hochfahrenden Zug aus, mit dem er von anderen Menschen bewusst Abstand zu nehmen schien. Wie die Erscheinung, so war auch das Verhalten der beiden Dakota rätselhaft. Was konnte es für einen Grund geben, dass ein Krieger mit einem Knaben durch die Prärie ritt? Wollte der Vater den Jungen lehren, wie man jagte? Ein Dakota mitten in den Jagdgefilden der Siksikau? Knaben gehörten nicht in Feindesland, sie gehörten zu den Zelten und sammelten ihre Jagderfahrungen in den Jagdgründen des eigenen Stammes. So war es bei den Menschen und selbst bei allen räudigen Kojoten, die wie Menschen aussahen. Was für Absichten hatte übrigens dieser fremde Mann hier gegenüber den Siksikau? Wenn er als Feind kam, hätte er sich nicht offen zu zeigen brauchen oder schon aus der Entfernung schießen können. Er schien ja nicht ungewandt im Umgang mit seiner Waffe. Als Freund aber konnte ein Dakota nicht zu den Siksikau kommen.

Hier stimmte etwas nicht. Nichts stimmte. Dieser Mann und sein Sohn waren so geheimnisvoll wie ihre Waffen.

Am besten war es, die beiden rätselhaften Geschöpfe zu den Zelten, vor den Häuptling und vor den Zaubermann zu bringen. Mochten diese die Geheimnisse lösen. Es war nur die Frage, wie es von der nun einmal gegebenen Situation aus, in der die beiden Dakota ihre Geheimniswaffen im Anschlag hielten, noch möglich sein sollte, sie ohne Blutvergießen, aber auch ohne Blamage zu den Zelten zu locken.

Der Anführer mit der Adlerfeder im Schopfe sagte in seiner Sprache, von der er mit Recht annahm, dass die Dakota sie nicht verstehen konnten, zu dem Krieger, der neben ihm hielt: »Nun beweise, mein Bruder, dass du deinen Namen Kluge Schlange mit Recht trägst. Diese beiden sonderbaren Dakota müssen wir mit ihren Waffen und Pferden vor den Rat unserer Ältesten und vor unseren Geheimnismann bringen. Es ist aber nicht gut, wenn wir mit ihnen kämpfen und sie töten, denn dabei verlieren auch wir zwei unserer Krieger, und die Geheimnisse dieser fremden Männer bleiben uns für immer verschlossen.«

»Krumm gehender Wolf!«, erwiderte der Krieger, der als Kluge Schlange angeredet worden war. »Dieser Dakotakrieger hier hat sich nicht mit den Kriegsfarben bemalt, und auch wir haben das Schlachtbeil wieder begraben; zweimal ist die Sonne seitdem auf- und untergegangen. Wir können diesen Mann und seinen Sohn also zu unseren Zelten führen, ohne dass wir mit ihnen kämpfen.«

»Unsere Gedanken sind die gleichen, aber dieser fremde Krieger mit der Geheimniswaffe kennt sie nicht. Sprich du mit ihm, Kluge Schlange!«

Mattotaupa und Harka waren dem Gespräch mit wachen Ohren gefolgt, um auf jeden Wechsel des Tonfalls sofort reagieren zu können, auch wenn sie die Worte nicht verstanden, und sie hatten mit wachen Augen jede Miene beobachtet. Nun warteten sie ab. Der Krieger mit dem Namen Kluge Schlange richtete seinen Blick auf Mattotaupa und suchte in seinem Gedächtnis die Worte der Dakotasprache zusammen, die er sich bei Verhandlungen mit den feindlichen Stämmen oder aus Reden von Gefangenen gemerkt hatte.

»Frieden«, sagte er. »Zu den Zelten.«

Mattotaupa und Harka studierten noch einmal die Mienen der Männer, denen sie hier gegenüberstanden. Kräftig, rauh wie ihr Land, selbstbewusst wirkten sie. Mattotaupa traute ihnen keine Hinterlist zu und sprach deshalb mit Nachdruck sein »Hau!«, das hieß ja.

Er steckte den Revolver ein, Harka ebenfalls.

Die Siksikau formierten sich daraufhin zur Reihe, und Mattotaupa und Harka wurden eingereiht; drei Siksikau ritten vor, zwei hinter ihnen. Im Galopp ging es nordwestwärts, und der Staub wirbelte unter den Pferdehufen auf. Während des Rittes dachte der Knabe Harka an den Mann, der mit seinem gebrochenen Bein in der Prärie lag. Wenn ihm nicht bis zur Nacht Hilfe gebracht wurde, war er verloren. Dem Jungen hatte dieser starrsinnige Krieger aber gefallen, und er hoffte, dass er gerettet werden könnte.

Zwischen der vierten und der fünften Stunde nach Mittag kamen die Zelte in Sicht. Eine Horde Jungen sprengte den heimkehrenden Kriegern mit begrüßendem Geschrei entgegen. Sie vermieden es, die merkwürdigen Fremden neugierig zu betrachten, und Mattotaupa und Harka taten, als ob sie die Jungen nicht sähen, denn sie waren es ja nicht, die so freudig eingeholt wurden. Die Zelte standen an einem Bach, den Gruppen von Weidengebüsch begleiteten. Der Bach floss breit und schnell flutend, aber nur seicht in seinem sandigen Bett. Schnee und Eis hatten sich noch nicht in Wasser verwandelt. Die Zelte waren in genau derselben Weise gebaut, wie die beiden Dakota sie von daheim kannten: schlanke Fichtenstangen, mit den Spitzen zusammengelegt, trugen die schweren Büffelhautplanen. Vor einem Zelt hingen an der Trophäenstange besonders viele Beutestücke, ein zweites war mit Zauberzeichen reich bemalt, und die Dakota fanden sich auch damit sogleich zurecht. Das mussten die Zelte des Häuptlings und des Geheimnismannes, des Zauberers, sein. Zwischen den Zelten standen einige Krieger umher, die die Ankommenden unaufdringlich musterten.

Die fünf Siksikau sprangen ab. Kinder führten die Pferde zur Weide oder zum Anpflocken vor das Zelt des Eigentümers. Der Anführer Krumm gehender Wolf und der Krieger Kluge Schlange winkten Mattotaupa und Harka abzusteigen, was diese auch taten. Die beiden Dakota blieben bei ihren Pferden stehen und hielten die Tiere am Zügel. Krumm gehender Wolf und Kluge Schlange verschwanden in dem Zelt, vor dem die Trophäenstange besonders reich bestückt war, kamen bald wieder heraus und forderten die beiden Dakota dann auf, mit ihnen in dieses Zelt zu kommen. Mattotaupa nahm seine Waffen mit sich, und Harka folgte hierin wieder dem Beispiel des Vaters. Zu den Pferden kamen zwei Krieger der Siksikau herbei; sie wiesen die Kinder weg und blieben bei den Tieren stehen, ohne die Zügel anzufassen.

Mattotaupa und Harka betraten das Zelt; Kluge Schlange und Krumm gehender Wolf gingen hinter ihnen und ließen den Vorhang am Eingang wieder zufallen.

Ein Feuer flackerte in der Zeltmitte. Es war angenehm warm, und aus dem Topf, der an Stöcken über dem Feuer hing, dampfte und duftete Büffelfleischbrühe. Harka war hungrig wie ein Wolf, denn in den letzten Tagen hatte er mit dem Vater zusammen von Proviant gelebt und sehr gespart. Aber er verriet seine Essgelüste mit keinem Blick und keiner Bewegung. Ruhig, wie selbstverständlich, stand er auf dem deckenbelegten Boden zur Seite des Zelteingangs. An der Feuerstelle empfing der Häuptling des Siksikaudorfes Mattotaupa, Kluge Schlange und Krumm gehenden Wolf. Die Frau des Häuptlings stellte die Tonschüsseln zum Essen zurecht und gab die Hornlöffel dazu. Kinder waren nicht im Zelt.

Sie kamen jetzt erst herein. Ein Junge in Harkas Alter und ein wesentlich jüngeres Mädchen schlüpften durch den Zeltschlitz. Der Junge verhielt sich genau, wie Harka sich verhalten hätte. Er ging zur Seite und blieb nahe dem Zelteingang stehen, aber nicht neben dem fremden Knaben, sondern in dem Abstand, der ihm gehörig schien. Die beiden Jungen hatten einen einzigen Blick miteinander gewechselt, von dem jeder gewünscht hatte, dass der andere ihn nicht bemerken würde, aber ihre Augen hatten sich genau getroffen. Dies gab jedoch nicht den Anlass dazu, dass sie sich irgendwie gefühlsmäßig verständigten, im Gegenteil. Ein jeder der beiden war unwillig darüber, bei seiner Aufmerksamkeit auf den anderen entdeckt worden zu sein, und als ob hieran jeweils der andere durch unziemliche Neugier schuld wäre, vergalten sie es einander mit einer besonders frostigen und ablehnenden Haltung. In einer solchen Haltung waren sie beide schon Meister, besonders aber Harka. Beide rührten sich nicht, sondern schauten unverwandt nach der Mitte des Zeltes, um die Vorgänge dort zu beobachten. Das kleine Mädchen half der Mutter; sie hatte sehr leichte Bewegungen, fast als ob sie schwerelos sei.

Die Krieger am Feuer hatten sich noch nicht gesetzt. Der Häuptling, groß, kräftig, würdig in seiner Art, stand Mattotaupa gegenüber, der etwas schlanker und noch größer war. Kluge Schlange war hinausgeeilt und kam bald mit einem jungen Mädchen zurück. Sie wurde angewiesen, beim Feuer zu bleiben, und schien schon zu wissen, was sie zu tun habe. Bescheiden, mit herabhängenden Armen, stand sie da.

»Wie ist dein Name, und was suchst du in den Jagdgründen der Krieger vom Stamme der Siksikau?«, fragte der Häuptling seinen fremden Gast, und das Mädchen übersetzte diese Worte in die Sprache der Dakota. Sie sprach leise und deutlich, und Mattotaupa und Harka hörten sofort heraus, dass sie eine geborene Dakota sein musste. Wahrscheinlich war sie eine Kriegsbeute der Siksikau und lebte schon längere Zeit in den ihr fremden Zelten. »Mein Name ist Mattotaupa, und ich habe dem Häuptling vom Stamme der Siksikau zu sagen, dass einer seiner Krieger mit gebrochenem Bein hilflos in der Prärie liegt, ohne Pferd, ohne Waffen, ohne Decke. Seinen Namen kenne ich nicht, denn er misstraute mir. Wir haben einige Wölfe getötet, die ihn anfallen wollten.«

»Kannst du mir irgendein Zeichen nennen, Mattotaupa, an dem ich meinen Krieger erkennen könnte?«

»Er hat eine tiefe Narbe am rechten Oberarm, so als ob er sich einmal einen Pfeil mit Widerhaken aus dem Fleisch gerissen habe.«

Der Häuptling und Kluge Schlange wurden lebhafter. »So ist es! Das ist Dunkler Rauch! Er geriet in die Gefangenschaft der Dakota.« Aber dann verschlossen sich die Mienen wieder. »Du hast uns noch nicht gesagt, woher du kommst und wohin du reitest, du Krieger, der du dich Mattotaupa nennst. Dunkler Rauch befand sich in Gefangenschaft bei unseren Feinden, den Dakota. Es mag sein, dass du ihn als Gefangenen gesehen hast und uns in eine Falle locken willst.«

»So nehmt mich und meinen Sohn Harka Wolfstöter Bärenjäger in Fesseln mit. Ihr werdet sehen, dass wir aufrichtig gegen euch handeln. Wenn es ist, wie du sagst, Häuptling, so ist Dunkler Rauch entflohen und sucht eure Zelte.«

»Wir fesseln keine Kinder. Bleibe du hier. Dein Sohn kommt mit mir und führt uns.«

Mattotaupa verstand den Sinn dieser Anordnung. Wenn die Siksikau sich getäuscht sahen, konnten sie den Knaben leicht überwältigen, leichter als einen Krieger wie Mattotaupa.

»Deine Worte sind gut. Harka Steinhart Wolfstöter mag mit euch reiten!«

»Sobald wir gegessen haben. Eure Pferde sind auch abgetrieben. Wir werden deinem Sohn eines meiner Pferde zum Reiten geben.«

Der Häuptling, Krumm gehender Wolf, Kluge Schlange und Mattotaupa ließen sich um die Feuerstelle nieder, und die Frau schöpfte die Suppe in die Schüsseln. Das kleine Mädchen brachte Harka eine Schüssel voll. Sonst aßen die Kinder nach den Erwachsenen, aber in diesem Falle sollte Harka schon gestärkt sein, wenn der Ritt begann. Er löffelte und schluckte schnell; die Brühe schmeckte köstlich. So hatten auch in seinem heimischen Zelt die verstorbene Mutter und die Großmutter gekocht. Nur ein einziges Mal schaute Harka von der Schüssel auf; das war, als das Dakotamädchen das Zelt wieder verließ.

Zeit wurde mit dem Essen nicht verschwendet. Kaum dass Harka die Schüssel geleert hatte, hörte er draußen auch schon Pferde stampfen. Er wechselte einen Blick mit dem Vater, gab diesem seine Waffen bis auf Messer, Pfeil und Bogen und Revolver und verließ mit dem Schwarzfußhäuptling zusammen das Zelt. Der Häuptling wollte mit zehn Kriegern aufbrechen. Dem Knaben Harka wurde das Pferd gezeigt, das er reiten sollte. Sein Grauschimmel und der Fuchs weideten zwischen den Zelten; er machte sie rasch fest. Dann besah er sich den Mustang, den die Siksikau ihm anboten. Es war ein Schecke mit dunkler Mähne, jung und feurig. Der Knabe schwang sich auf, und das Tier folgte ihm willig. Er setzte es in Galopp in südöstlicher Richtung, trieb es mit Schenkeldruck und gellenden Zurufen an, so dass es seine volle Schnelligkeit entwickelte, und die Schar der Krieger ritt in der Reihe hinter ihm her.

Dem Jungen war zumute, als ob belebende Ströme durch seinen Körper und durch sein Fühlen und Denken gingen. Einem tapferen Krieger aus der Not zu helfen, dabei einer Kriegerschar, darunter einem Häuptling, als Führer zu dienen, ein prächtiges Pferd unter sich zu haben und über die Weite der kahlen Prärie dahinzufegen, nichts vor sich als Himmel und Steppe, kein Geräusch im Ohr als den dumpfen Hufschlag der unbeschlagenen Pferde auf der Grassteppe, das gab einen lange entbehrten und dafür umso tiefer empfundenen Zusammenklang.

Der Junge hetzte sein Pferd. Jede verlorene Stunde, jede verlorene Minute konnte dem Mann, um dessentwillen der Ritt unternommen wurde, das Leben kosten. Früh am Morgen hatten Mattotaupa und Harka den Hilflosen verlassen. Jetzt war es später Nachmittag. Erst in der Nacht würden die Reiter den Platz erreichen, den sie suchten. Schräg leuchteten die Strahlen der Sonne von Südwesten her. Die Sonne wanderte, und die Reiter hatten sie bald im Rücken. Im Osten war der Himmel hellblau; der Wind hatte alle Wolken vertrieben. Als Harka seinen Schecken im Schritt verschnaufen ließ, sah er mit Bedenken, wie das Blau schon dunkelte und die Sonnenstrahlen von Westen her sich zum Rotgold färbten, wie die Schatten sehr lang fielen und alles den Abend ankündigte, der bald zur Nacht führen musste. Er setzte sein Tier wieder in Galopp. Mit den Reitern, die ihm folgten, hatte er bisher kein Wort gewechselt; sie hätten einander auch gar nicht verstehen können. Harka war unterrichtet, dass er die Krieger der Siksikau bis zu einer gewissen Entfernung von dem Platz, an dem der Verletzte lag, zu bringen hatte. Da wollten sie absitzen und ausschwärmen, um ja nicht etwa in einen Hinterhalt zu fallen.

Es war schon tiefe Nacht, als die Reiter so weit gekommen waren. Die Pferde waren trotz der Frühlingskälte verschwitzt, und ihre Flanken schlugen. Die Reiter saßen ab. Der Häuptling trat auf Harka zu. Er hatte sein Lasso zur Hand und verband sich selbst mit dem Jungen in kurzem Abstand, so dass jeder sich frei bewegen, der Junge ihm aber nicht entlaufen konnte. Harka nahm dieses Zeichen des Misstrauens als eine Vorsicht hin, die ihm verständlich schien. Im Mond- und Sternenschein machte er dem Häuptling durch Handbewegungen klar, wo der Verletzte jetzt zu suchen sei. Zwei Krieger blieben bei den Pferden zurück, die übrigen zogen sich im Halbkreis auseinander und strebten dann konzentrisch auf den Platz zu, an dem Dunkler Rauch liegen sollte.

Harka bewegte sich mit dem Häuptling zusammen im Dauerlauf voran. Der Häuptling hatte das Messer zur Hand. Nach einiger Zeit hielt der Siksikau an, legte die Hände an den Mund und kreischte dreimal wie eine Schneeeule. Dann lauschte er, und auch Harka horchte.

Der Ruf wurde beantwortet, und zwar aus verhältnismäßig kurzer Entfernung. Der Häuptling rannte daraufhin los, ohne Deckung, ohne überhaupt die bisherigen Vorsichtsmaßnahmen zu beachten, und aus dem Dunkel der Grassteppe wuchs eine Gestalt empor, ein Mensch, der mit den Schultern und Armen an zwei Stöcken hing.

Dunkler Rauch lebte noch!

Harka, durch das Lasso mit dem Häuptling verbunden, hatte Mühe, dessen Tempo mitzuhalten, doch gelang es ihm auf diese kurze Strecke gut. Als die beiden vor dem wiedergefundenen Krieger standen, stieß der Häuptling einen hellen Freudenruf aus, der ringsumher von seinen Kriegern beantwortet wurde. Bald hatte sich alles versammelt.

Dunkler Rauch und der Häuptling sprachen miteinander. Der Krieger war allerdings derart erschöpft, von Durst ausgedörrt, dass er nur wenige Worte hervorbrachte und wieder zu Boden gestürzt wäre, wenn ihn die Männer nicht aufgefangen hätten. Aber mit seinen wenigen Worten musste er auch etwas über Harka gesagt haben. Der Häuptling löste jetzt nicht nur das Lasso, das den Knaben festgehalten hatte, sondern sagte auch irgend etwas, was Harka zwar nicht verstand, was dem Tonfall nach aber nichts anderes heißen konnte als »gut«.

Auf dem Heimweg beflügelte alle die Freude. Dunkler Rauch wurde in ein Büffelfell eingewickelt, das einer der Krieger mitgebracht hatte, und da Harkas Schecke an dem Knaben die geringste Last zu tragen hatte, wurde der Verletzte und Erschöpfte dem Knaben mit aufs Pferd gegeben. Sobald die erste Wasserstelle erreicht war, erhielt Dunkler Rauch zu trinken. Obgleich er sicher am liebsten einen Bach ausgetrunken hätte, beherrschte er sich und nahm nur mäßige Schlucke zu sich.

Der Heimritt nahm im Ganzen wieder viele Stunden in Anspruch. Als die Schar sich den Zelten näherte, war es längst heller Tag, und die Mittagssonne wärmte Mensch und Tier auf. Um die begrüßenden Krieger und Knaben kümmerte sich der Häuptling nicht lange. Sobald die Zelte erreicht waren und die Reiter alle anhielten, hob er selbst den Verletzten von Harkas Pferd und trug ihn in das Zauberzelt.

Harka war abgesprungen und brachte seinen Schecken ebenso wie die anderen Krieger zur Herde, wo auch der Fuchs und der Grauschimmel sich jetzt befanden.

Als er sich dann suchend umschaute, erkannte er seinen Vater, der zu ihm herankam und sich kurz berichten ließ. Auch er sagte, sobald er alles erfahren hatte, mit großer Befriedigung: »Gut!«

Harka war sehr müde, fast zitterten ihm Arme und Hände, mit denen er auf dem Rückweg den Verletzten gestützt und gehalten hatte. Vor Müdigkeit spürte er kaum seinen Bärenhunger. Aber als der Häuptling wieder aus dem Zauberzelt herauskam und Mattotaupa und Harka zu sich zu einer Mahlzeit bat, war der Junge doch froh über Fleischbrühe und Lendenbraten und aß sich satt. Er hätte es völlig unter seiner Würde gefunden, den Schlaf der vergangenen Nacht jetzt am Nachmittag im Zelt nachzuholen. Da er aber auch nicht wusste, was er draußen tun sollte und mit keinem der Jungen bei den Zelten sprechen konnte, legte er sich zu seinem Grauschimmel ins Gras, schaute in die Luft und nahm einen Grashalm zwischen die Lippen: Wer ihn kannte, wusste, dass dies bei ihm Zeichen eines langen und tiefen Nachdenkens war. Aber hier kannte ihn niemand außer dem Vater.

Abends rief Mattotaupa seinen Jungen in das Häuptlingszelt, wo die beiden zur Nacht bleiben konnten. Seit drei viertel Jahren war es das erste Mal, dass der Junge wieder bequem in Decken gewickelt in einem Indianerzelt lag. Die Erinnerung an daheim, die dabei in ihm wach wurde, erregte ihn aber mehr, als sie ihn beruhigte, und er merkte am Atem des Vaters, dass auch dieser lange nicht einschlief.

Nach Mitternacht endlich überwältigte den Knaben die Erschöpfung, aber beim ersten Dämmer war er wieder wach. Der Sohn des Schwarzfußhäuptlings sollte nicht mit einem Wort noch mit einem Blick sagen können, dass Harka ein Langschläfer sei. Die beiden Knaben sprangen fast gleichzeitig aus den Decken. Auf ein Zeichen hin, das ihm der Vater mit den Augen gab, lief Harka mit dem Häuptlingssohn zusammen hinaus an den Bach. Wie Harka es von daheim gewohnt war, so kamen auch hier alle Jungen aus den Zelten bei einer Badestelle zusammen. Harka wagte sich gleich mit den ersten zusammen in das eiskalte Wasser, zeigte jedoch nicht seine Schwimmkunst, sondern tollte nur herum. Als aber einer der Schwarzfußjungen glaubte, mit dem Fremdling anbinden zu können und ihn am Haar fasste, um ihn unterzutauchen, bekam dies dem Angreifer schlecht. Harka packte die Hand des anderen sofort mit einem Griff, der ihn zwang, loszulassen. Er schoss, in dem seichten Wasser fast bis auf den Grund gehend, unter dem anderen durch, sprang ihm von hinten auf den Rücken und tauchte ihn tüchtig. Die anderen Jungen lachten und freuten sich, und so kamen die gemeinsamen Wasserspiele in Gang, bei denen Harka nicht schlecht abschnitt. Der Sohn des Schwarzfußhäuptlings winkte ihn dann am Ufer zu sich her, und nachdem sich beide kräftig mit Sand abgerieben und dadurch gereinigt und gewärmt hatten, gab der Schwarzfußjunge dem fremden Knaben auch von dem Bärenfett ab, von dem ihm die Mutter vorsorglich eine reichliche Portion mitgegeben hatte.

Harka beobachtete, dass die Jungen hier die Füße besonders sorgfältig einrieben, und richtete sich danach.

Das Frühstück im Zelt schmeckte ausgezeichnet.

Als es beendet war, bat der Häuptling des Zeltdorfes seinen Gast Mattotaupa, mit ihm zu kommen und auch den Jungen mitzunehmen. Er führte die beiden zum Zauberzelt, und sie traten miteinander ein. Da waren für Harka die Kinderspiele wieder vergessen, und er spürte, dass es jetzt eine ernste und schwere Auseinandersetzung darüber geben würde, woher Mattotaupa und Harka kamen und was sie in die Jagdgefilde der Siksikau geführt hatte. Die Mienen Mattotaupas hatten sich ganz verschlossen, und seine Haltung war stolz wie je.

Im Zauberzelt herrschte mattes Licht. Der Eingang war verhängt, die Planen alle heruntergeschlagen, und in der Feuerstelle glühten nur Funken unter der Asche. Auf Decken bequem gebettet, lag Dunkler Rauch im Hintergrund, eine Frau saß bei ihm. Das Bein war eingerichtet, verbunden, geschient und hochgestellt. Der Zauberer musste ein sehr geschickter Arzt sein. Harka, der sich hinter dem Vater hielt, schaute jetzt mit halbverdecktem Blick nach diesem mächtigsten Mann des Zeltdorfes.

Der Geheimnismann war mittelgroß, von mittlerem Alter und hatte sich an diesem Tag und um diese Stunde nicht anders gekleidet als jeder andere Krieger. Ob sich aus der sehr ernsten Stimmung, die aus seinen Zügen sprach, Entgegenkommen oder Abneigung entwickeln würde, konnte noch niemand sagen. Er bat den Häuptling und die beiden Fremden, um die Feuerstelle Platz zu nehmen, und es dauerte einige Zeit, bis er durch die Frau, die am Lager bei Dunklem Rauch saß, das Dakotamädchen als Dolmetscherin rufen ließ. Das Gespräch begann.

»Dein Name ist Mattotaupa, das heißt ›Vier Bären‹, und du bist ein Dakota. Zu welchem der Stämme der ›Verbündeten Ratsfeuer‹ gehörst du?«

»Ich war der Kriegshäuptling der Bärenbande beim Stamme der Oglala, der zu den Teton-Dakota gehört. Unsere Zelte stehen weit von hier im Süden, am Pferdebach.«

»Warum kommst du zu uns? Du weißt, dass die Männer vom Stamme der Siksikau und die Männer von den Stämmen der Dakota einander nicht wohlgesinnt sind.«

»Darum komme ich zu euch. Auch ich bin ein Feind der Dakota geworden. Der Ruhm aber der Krieger vom Stamme der Siksikau, die mutig sind und deren Zungen die Wahrheit sprechen, hat mich hierhergezogen.«

Es war nicht zu sehen, welche Wirkung diese Mitteilung auf den Zauberer und auf den Schwarzfußhäuptling machte. Das Dakotamädchen übersetzte, ohne sich die geringste Anteilnahme am Inhalt anmerken zu lassen.

»Warum bist du ein Feind der Dakota geworden?«

Harka, der stumme Zuhörer, wusste, wie schwer es dem Vater war, auf diese Frage zu antworten. Doch kam die Antwort schnell und ohne Stocken, denn Mattotaupa hatte viele Nachtstunden darüber gegrübelt, was er auf diese Frage, die kommen musste, antworten werde. Er sagte die ungeschminkte Wahrheit, und er sprach sie mit erhobenem Haupt aus, so, als ob er sofort bereit sei, mit jedem zu kämpfen, der seine Ehre angriff.

»Der Geheimnismann der Bärenbande mit Namen Hawandschita hat mich vor der Ratsversammlung der Krieger und Ältesten verleumdet. Er hat mich beschuldigt, ich habe an einen weißen Mann in einer Stunde, in der mein Geist durch einen Trank verwirrt gewesen sei, das Geheimnis verraten, wo in den Schwarzen Bergen im Dakotaland Gold zu finden ist. Die Ratsversammlung der Krieger glaubte die Lüge und stieß mich aus. Ich aber bin unschuldig; nie war meine Zunge eines Verrates fähig. Mein Sohn Harka Steinhart Nachtauge Wolfstöter Bärenjäger ist mir freiwillig in die Verbannung gefolgt.«

»Steht Blutrache zwischen dir und deinem Stamm?«

»Ja. Mein Pfeil tötete einen Krieger der Bärenbande, der mich geschmäht hatte. Der Pfeil trug mein Zeichen. So wissen in den Zelten am Pferdebach alle, wessen Pfeil es gewesen ist, der Alte Antilope ins Herz traf.«

Der Geheimnismann der Siksikau hörte sich den Bericht Mattotaupas an, ohne mit der Wimper zu zucken, und es war weder seinen Mienen noch seiner Haltung im geringsten anzumerken, was er darüber dachte, ob er dem Dakota glaubte, nicht glaubte, ob er im Zweifel sei oder ob er sich als Geheimnismann getroffen fühlte, wenn ein anderer Geheimnismann, und sei es auch ein Dakota, der Lüge bezichtigt wurde. Ohne seine eigenen Gedanken lesen zu lassen, schaute er lange und eindringlich auf den Mann, der von sich sagte, dass er ein Kriegshäuptling gewesen sei, und dann schaute er ebenso lange und ebenso eindringlich auf den Jungen, um dessen Mundwinkel es in einer beinahe hochmütigen Abwehr zuckte.

»Wann ist das alles geschehen, was du mir berichtet hast, Mattotaupa?«

»Im vergangenen Sommer.«

»Wo habt ihr die Zeit des Schnees und des Frostes verbracht?«

»In den Städten der weißen Männer.«

Auf diese Mitteilung hin schwieg der Zauberer wieder lange und nachdenklich.

Der Schwarzfußhäuptling, der neben dem Zaubermann saß, stellte überhaupt keine Frage, sagte auch kein Wort zu dem, was er gehört hatte. Er überließ die Entscheidung dem Geheimnismann. Dieser tat endlich den Mund wieder auf.

»Ich werde mit den Geistern sprechen. Kommt alle wieder zu mir, sobald die Sonne im Mittag steht.«

Schweigend erhob sich Mattotaupa, noch um ein weniges gestraffter und abwehrbereiter, als er gekommen war, und mit ihm erhoben sich die anderen, um gemeinsam das Zelt zu verlassen.

Harka, der Junge, schien sich von der Helligkeit draußen geblendet zu fühlen und schloss die Augen bis auf einen schmalen Schlitz. Während das Dakotamädchen zu einem der entfernten Zelte lief und der Häuptling sich in sein eigenes Zelt begab, gingen Mattotaupa und sein Sohn miteinander zu den Pferden. Sie nahmen sich ihre eigenen Tiere, den Fuchs und den Grauschimmel, und ritten ein kleines Stück in die Prärie hinaus, so weit, dass sie vor unerbetenen Gesprächen sicher waren, aber nicht so weit, dass ihre Entfernung irgendeinen Verdacht erregen konnte. Bei einem kleinen Hügel, dessen Hänge trocken waren, machten sie halt, ließen die Pferde grasen und setzten sich in die Sonne. Mattotaupa entzündete umständlich seine Pfeife und rauchte, und Harka spielte mit einem Halm. Bis zur Mittagsstunde fiel kein einziges Wort zwischen den beiden. Als die Sonne den höchsten Stand erreichte, ritten sie zurück, gaben die Pferde wieder zu den übrigen Tieren auf die karge Wiese am Bach und gingen zu dem Zauberzelt, in dem die dumpfe Trommel eben verstummte. Von einer anderen Seite her näherte sich der Schwarzfußhäuptling. Das Dakotamädchen aber kam nicht. Die beiden Männer und der Knabe traten zusammen ein.

Sie fanden alles, wie es zuvor gewesen war. Die Zaubertrommel hing wieder an Lederschnüren an einer der hinteren Zeltstangen. Der Zaubermann stand an der Feuerstelle, und es machte äußerlich den Eindruck, als ob nicht Stunden vergangen seien, sondern als ob ein Gespräch, in dem eine kleine Pause eingetreten war, jetzt fortgesetzt würde. So schien es aber nur nach außen hin. Alle wussten, dass der Geheimnismann unterdessen irgendeinen Entschluss gefasst hatte, dem sich jeder würde beugen müssen, da die »Geheimnisse der Geister« darin beschlossen waren.

Der Herr des Zeltes erlaubte seinen Gästen wieder, sich niederzulassen, und dann begann er zu sprechen, und zwar in Worten der Dakotasprache. Seine Aussprache war andersartig als die eines geborenen Dakota, und er drückte sich unbeholfen aus, aber er vermochte doch, mit Unterstützung durch die Gesten der allgemeinverständlichen Zeichensprache, einem Dakota seine Gedanken darzulegen. Der Schwarzfußhäuptling wunderte sich, dass der Geheimnismann plötzlich diese fremde Sprache sprach, von der ihm selbst nichts bekannt war als eine gewisse Tonfolge, an der er sie erkannte. Der Zauberer musste von Gefangenen, zuletzt von dem Dakotamädchen, etwas gelernt haben, oder die Geister hatten ihm dieses Wissen eingegeben. So dachte der Schwarzfußhäuptling.

»Mattotaupa!«, begann der Geheimnismann, und nur Mattotaupa und Harka verstanden zunächst seine Worte. »Du bist gekommen, um in unseren Zelten zu wohnen. Wir haben genug Krieger, und unsere Waffen sind siegreich. Unsere Zelte sind versorgt mit dem Fleisch von Büffeln, Antilopen und Hirschen. Wir brauchen keine Hilfe. Aber wer stark ist, wird sich nicht schämen, noch stärker zu werden, und wo tapfere Krieger wohnen, wird ein ausgezeichneter Krieger immer noch willkommen sein. Darum wollen die Geister dir und deinem Sohn nicht verwehren, in unseren Zelten zu wohnen, wenn der Rat der Krieger und Ältesten und unser Häuptling dem zustimmen. Ihr werdet unsere Gäste sein, bis vielleicht nach mehreren Sommern und Wintern die Ratsversammlung beschließen kann, dass ihr als Krieger in unseren Stamm aufgenommen werden sollt.«

Nachdem der Zaubermann den beiden Dakota seine Gedanken ausgedrückt hatte, legte er sie dem Häuptling in der Schwarzfußsprache dar, und dieser bezeigte seine Zustimmung.

»Als unsere Gäste«, fuhr der Zaubermann fort, »sollt ihr euch als unsere Brüder bewähren, so wie ihr es schon getan habt, als ihr uns zu Dunklem Rauch führtet. Eure nächste Aufgabe wird schwieriger sein.«

»Nenne Sie!«, bat Mattotaupa kurz.

»Wir haben die Spur eines Mannes entdeckt, der des Nachts heimlich zu unseren Zelten geschlichen ist. Wir glauben, dass er mit dem Dakotamädchen gesprochen hat. Das Mädchen ist eine Tochter aus den Zelten, denen Tashunka-witko, der junge Häuptling, vorsteht. Es kann sein, dass die von ihm geführten Dakota einen neuen Überfall auf uns planen. Es kann sein, dass der Kundschafter, der hier gewesen ist, vorher noch einmal kommt. Dann wollen wir versuchen, ihn zu fangen. Auf alle Fälle müssen wir das Mädchen beobachten und sie belauschen, wenn sie heimlich mit einem Dakota spricht. Das vermag niemand besser als du, denn du kennst ihre Sprache. Bist du bereit, uns zu helfen?«

»Hau, ja!«, erwiderte Mattotaupa, ohne den Blick zu senken oder die Farbe zu wechseln.

»Dann werden wir dir und deinem Sohn ein eigenes Zelt geben, und wir geben dir dieses Dakotamädchen als deine Tochter. So kannst du ihr Tun und Treiben am besten beobachten.«

»Hau, ja«, wiederholte Mattotaupa, aber diesmal klang seine Stimme verändert. Niemand wusste, ob der Zauberer den Wechsel des Stimmklangs bemerkt hatte.

Der Geheimnismann verständigte den Schwarzfußhäuptling über die getroffene Abrede. Dann verabschiedete er die beiden Männer, und sie gingen mit dem Jungen zusammen hinaus.

Es war Nachmittag. Viele Krieger waren auf Jagd unterwegs. Die Jungen tummelten ihre Pferde jenseits des Baches und übten Reiterkunststücke. Bei den meisten Zelten war eine Plane hochgeschlagen, so dass Licht und Luft hereinkam und jedermann sehen konnte, womit die Zeltbewohner beschäftigt waren. Die Frauen und Mädchen reinigten Töpfe und Decken, richteten neues Holz in den Feuerstellen, schnitten Leder zu, nähten mit der beinernen Ahle oder stickten, indem sie die langen gefärbten Stacheln des Stachelschweins auf das Leder aufnähten.

Der Häuptling führte die Gäste wieder zu seinem eigenen Zelt und ließ das Dakotamädchen rufen. Er zeigte ihm die Stangen und Planen zu einem zweiten Zelt, die er besaß, und wies es mit einer befehlenden Armbewegung an, davon aufzupacken, so viel es zunächst tragen konnte. Mit ihm und seinen Gästen ging er zum südlichen Ende des Zeltlagers, besah mit Mattotaupa zusammen den Wiesenboden, wählte im Einverständnis mit seinem Gast eine günstige Stelle und hieß das Mädchen, mit dem Zeltbau zu beginnen. Es gehorchte schweigend, nicht unterwürfig, aber auch nicht trotzig.

Der Häuptling kehrte mit den Gästen in die eigene Behausung zurück. Er schenkte Mattotaupa und Harka Kleidung und Decken in reichem Maße. Er musste ein großer, erfolgreicher Jäger sein, denn Büffelfelle und büffellederne Decken, Antilopenleder, Röcke, Leggings, Mokassins aus Leder lagen zu Stapeln gehäuft, und er konnte jederzeit reiche Geschenke austeilen, wie sich das für einen Häuptling geziemte. Er selbst war sorgfältig und zweckmäßig gekleidet. Harka fand jetzt zum ersten Mal Zeit und Stimmung, diesen Mann in seiner persönlichen Erscheinung genauer ins Auge zu fassen. Er hatte jenen Zug um Mund und Augen, wie ihn Menschen annehmen, die zu entscheiden und zu befehlen verpflichtet und gewohnt sind, und Harka begann zu vermuten, dass dieser Häuptling nicht nur in dem kleinen Zeltdorf, in dem er sich im Augenblick befand, sondern weit darüber hinaus bei den Männern der Siksikau Ansehen besaß. Dass die Gewalt des Zaubermannes dennoch größer sein mochte als die seine, schien nicht ungereimt, denn dieser Geheimnismann war ein wirklich großer Arzt und in den Augen der Krieger auch ein mächtiger Zauberer.

Das Dakotamädchen schleppte Fichtenstangen, die Büffelhautplanen, die Schnüre und Pflöcke herbei, die zu dem Zeltbau gehörten, und schlug dann das Zelt auf. Eine alte Schwarzfußfrau war herbeigekommen, um ihr zu helfen. Mattotaupa und Harka kümmerten sich darum nicht. Sie warteten nur ab, bis der Zeltbau fertig wurde, was sehr rasch vonstatten ging, und brachten dann ihre Waffen in die neue Behausung. Das Mädchen vertiefte noch die Feuerstelle, ordnete die Decken, mit denen der Boden belegt wurde, und brachte trockenes Holz herbei. Sie holte Töpfe, Körbe, Schüsseln und Löffel, Nähzeug und was sie selbst für ihren persönlichen Bedarf benötigte. Als alles bereit war, machte sie Feuer. Die Zweige flammten auf und glimmten dann weiter.

»Wie ist dein Name?«, fragte Mattotaupa sie jetzt.

»Uinonah.«

Harka, der im Hintergrund damit beschäftigt war, seine Büchse zu putzen, zuckte zusammen. Uinonah war bei den Dakota ein häufig vorkommender Mädchenname, denn er hieß »die erstgeborene Tochter«. Es war darum nichts Wunderbares, dass dieses Mädchen hier ebenso gerufen wurde wie Harkas jüngere Schwester daheim. Daran aber durften Mattotaupa und Harka jetzt nicht denken.

»Wie viele Winter und Sommer hast du gesehen?«, fragte Mattotaupa weiter.

»Vierzehn.«

Das Mädchen war also ein Jahr älter als Harka. Es hätte schon einem jungen Krieger als Frau ins Zelt folgen können.

»Ich werde dich Nordstern rufen«, sagte Mattotaupa. »Du bist meine Tochter.«

Das Mädchen erwiderte nichts. Sie setzte sich in den Hintergrund des Zeltes, ziemlich entfernt von Harka, und arbeitete an einer angefangenen Stickerei weiter. Harka schaute nicht zu ihr hin. Aber während er seine Büchse noch immer putzte, obgleich sie schon längst blinkte, dachte er darüber nach, was das Mädchen wohl vorhabe. Er dachte auch an den Namen des Dakotahäuptlings, den der Zauberer genannt hatte. Tashunka-witko war trotz seiner Jugend schon einer der berühmten Häuptlinge: Sein Name wurde zusammen mit dem Tatanka-yotankas genannt.

Es war für Harka sehr merkwürdig, mit einem Mädchen zusammen in einem Zelt zu sitzen, mit der er die gleiche Sprache sprach und die den gleichen Namen wie seine Schwester trug, mit der er jedoch vielleicht schon in der kommenden Nacht in Todfeindschaft geraten würde. Möglicherweise aber war Nordstern auch unschuldig in den Verdacht geraten, dass sie mit den Feinden in Verbindung stehe. Mit den Feinden? Wer war für dieses Mädchen Feind, wer Freund? Sie war eine Dakota.

Die Höhle in den schwarzen Bergen

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